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Ein Beitrag von www.unbekannter-bergbau.de

  

Unser Bericht zum Kalkwerk Herold
Unser Bericht zu den Kalkwerken in Hammerunterwiesenthal

Vorbemerkungen
Herkunft und Ausbildung
Im Kalkwerk Herold ab 1903
Im Kalkwerk Hammerunterwiesenthal ab 1924
Nach dem Berufsleben ab 1936
Epilog
Weiterführende Quellen 

  

Ein Zeitdokument:
Die Lebenserinnerungen von Robert Emil Barthel (*1870, †1953)

Transkript angefertigt ab Januar 2022, online seit März 2022.

Wir bedanken uns bei

  • Herrn A. Spiller, Hauptmannsgrün, für die Kontaktaufnahme mit uns nach dem Auffinden des Manuskriptes, bei
  • Herrn A. Fischer, Inhaber der Buchbinderei Seidel, Traditionsunternehmen seit 1873 in Freiberg, für fachkundige Auskunft zur Herstellung der Kopie, sowie bei
  • Frau K. Kobarg-Weith, Buchbinderei Weith in Zwickau, für die ‒ wenngleich negative ‒ Beantwortung unserer Anfrage zur Herkunft des Bandes.

Sie können diesen Beitrag auch im PDF- Format bei der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden herunterladen:
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-888475

  

 

 

Vorbemerkungen

 

Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um das Transkript eines handschriftlichen Textes, welcher von Herrn Robert Emil Barthel (*26. März 1870, †6. August 1953) niedergeschrieben und wohl erst in hohem Alter von bereits über 80 Jahren vervollständigt worden ist.

Es handelt sich um rund zweihundert DIN A4- Seiten, welche in deutscher Handschrift recht eng, aber ‒ zumindest die ersten zwei Drittel ‒ auch sehr sauber und in weitgehend einheitlichen Schriftzügen beschrieben und ansonsten relativ schmucklos in einem Einband aus Pappe und Leinwand geheftet sind. Außer einem Foto des Verfassers sind keine weiteren bildlichen Darstellungen enthalten. Vermutlich handelt es sich um einen Nachdruck, der in einigen wenigen Exemplaren in einer Buchbinderei angefertigt worden ist, um den Text für die Nachfahren aus der eigenen Familie zu erhalten.

Dabei sind die Blätter bereits beidseitig bedruckt; nach dem verwendeten Papier zu urteilen, bereits auf einem Schwarz-Weiß-Kopierer. Herr Andreas Fischer, Buchbinder in Freiberg, bestätigte uns, daß diese Technik vor 1990 in Handwerksbetrieben in Freiberg nicht zur Verfügung gestanden hat (und wenn es sie bereits in staatlichen Institutionen der DDR gegeben hat, wurde deren Verwendung streng kontrolliert). Vermutlich ist diese Kopie also entweder nicht sehr viel früher in den alten Bundesländern, oder aber erst nach 1990 hergestellt worden; am wahrscheinlichsten jedoch in der ersten Hälfte der 1990er Jahre.

Da die Kopien der Handschrift äußerst gleichmäßig sind und keinerlei bemerkenswerte Verfärbungen aufweisen, muß die Kopiervorlage sehr sauber gewesen sein. Auch Nachbearbeitung mittels Photoshop oder ähnlicher Software gehört nämlich erst der neueren Zeit an oder war damals zumindest noch sehr zeitaufwendig.

Die Blätter sind in klebegebundener Weichbroschur geheftet und in einem Einband aus ledergeprägtem Karton gebunden ‒ solches Material gab es natürlich auch früher schon. Diese etwas aufwendigere Art der Bindung spricht in jedem Fall dafür, daß diese Kopie nicht in einem neuzeitlichen Copy- Shop, sondern tatsächlich noch in einem Fachbetrieb der Buchbinderinnung hergestellt worden ist. Natürlich ist auch nicht ausgeschlossen, daß die Kopien der Textseiten und der Einband an unterschiedlichen Orten entstanden sind... Wir wissen es noch nicht.

  

Auf Umwegen gelangte dieses Exemplar aus einer Haushaltsauflösung in Zwickau und über einen Flohmarkt schließlich an den Ortschronisten von Hauptmannsgrün, Herrn Andreas Spiller. Wir wollen uns an dieser Stelle noch einmal bei ihm sehr herzlich dafür bedanken, daß er uns dieses seltene Stück zur Verfügung gestellt hat.

Ob der älteste der Söhne Emil Barthel's nach seiner Tätigkeit als Steiger in einem Braunkohlenwerk bei Deutzen noch im Steinkohlenbergbau in Zwickau tätig gewesen ist, oder ob er dort vielleicht die Zeit nach seiner Pensionierung verlebt hat, wissen wir noch nicht. Auch unsere Nachfrage bei einer Buchbinderei in Zwickau ergab zur Entstehung dieses Bandes keine neuen Informationen. Vielleicht hat das Heft also noch ganz andere Umwege hinter sich, bevor es dorthin und schließlich an uns gelangt ist.

Neben dem Textband selbst besteht das auf diesem Wege überlieferte Konvolut noch aus einigen anderen Unterlagen, die wir an passender Stelle im Text eingefügt haben.

 

Der Name Emil Barthel ist sicherlich nicht jedem geläufig. Bevor wir im Folgenden seine Worte vollständig zitieren, sei deshalb vorangestellt, daß Herr Barthel ab 1903 Betriebsleiter in den Eduard Böhme'schen Kalkwerken zu Herold und ab 1924 im staatlichen Kalkwerk zu Hammerunterwiesenthal gewesen ist. Er übte diese Funktionen bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1935 ‒ 32 Jahre lang ‒ also fast sein ganzes Bergmannsleben aus.

Da wir zur Geschichte dieser beiden Kalkwerke bereits recht ausführliche Artikel auf unserer Internetseite publiziert haben, können wir diese nun mit den sehr persönlichen Berichten aus der Feder von Emil Barthel ergänzen. Da seine Aufzeichnungen aber darüber hinaus auch vielfältige Informationen über die Zeiten, in denen er seine Ausbildung an der Bergschule zu Freiberg erhielt, in denen er zuvor schon in seinem Beruf tätig gewesen ist und auch über die Zeit nach seiner Pensionierung enthalten ‒ welche wohl für das Verständnis seiner beruflichen und Lebenseinstellungen wesentlich sind, aber den Umfang einer Ergänzung in unseren, auf die Montangeschichte der oben schon genannten Kalkwerksstandorte beschränkten Artikel, bei weitem sprengen würden ‒ haben wir uns entschieden, seine Lebenserinnerungen als separaten Beitrag und als ungekürztes Transkript zu veröffentlichen.

Es ist uns dabei eine besondere Freude, mit diesem Beitrag einem der Bergleute, die vor inzwischen schon mehr als 100 Jahren in Herold und danach noch in Hammerunterwiesenthal tätig gewesen sind, wieder ein Gesicht geben zu können.

   


Auf der ersten Seite des Textbandes findet man dieses gedruckte Foto von Emil Barthel,
welches nach dem Schriftzug rechts unten wohl im Jahr 1936 - kurz nach seiner Pensionierung -
in Freiberg aufgenommen worden ist. Der Namenszug rechts unter dem Bild dürfte der des Fotografen Max Vollmer sein.

  


Bestandteil des Konvoluts ist auch dieser Originalabzug des gedruckten Fotos in der Größe 6 cm x 9 cm, auf Pappe. Am Ärmel seines Bergkittels erkennt man auf dem Schild über Schlägel und Eisen deutlich noch die Krone, die er als im damaligen Königreich Sachsen bestellter Betriebsleiter und Bergbeamter tragen durfte.

 


Wie die Stempel auf der Rückseite des Abzugs zeigen, wurde das Foto seinerzeit von der Werkstatt für neuzeitliche Bildnisse, Kunst & Industrie Max Seifert Nachf., Inhaber Max Vollmer, ansässig auf der Poststraße 11 in Freiberg i. Sa. gefertigt.

  


Wir haben natürlich nachgeschaut - schließlich wohnen wir um die Ecke... Das Haus Poststraße 11 gibt es noch, ein Fotograf ist aber schon längst nicht mehr hier zu finden.

   

Namen von Personen oder Familienangehörigen, die aufgrund ihrer Lebensdaten vielleicht noch unter uns weilen und bei denen daher Datenschutzregeln zu beachten wären, sind schon im Originaltext kaum genannt. Auffällig war uns beim Lesen besonders, daß nicht ein einziges Mal der Name seiner Gattin genannt wird. Manche Personennamen sind auch schwer leserlich. Manche davon konnten wir aus früheren Kenntnissen und durch Recherchen aber leicht erschließen.

Der Text ist gänzlich ungegliedert und nahezu fortlaufend abgefaßt. Einige wenige Zäsuren innerhalb der Niederschrift verweisen darauf, daß ein erster Teil wohl schon in den 1930er Jahren entstanden ist. Da die Schriftzüge insgesamt sehr einheitlich sind, ist dieser Textteil wahrscheinlich aber später noch einmal abgeschrieben worden. Tatsächlich schreibt er selbst im Jahr 1944 (S. 151) dazu: „Was ich hier in den Mußestunden des Alters niedergeschrieben habe, ist geschehen, um meine Lebenserinnerungen an vieles Erlebte wieder aufzufrischen, was den gleichförmigen Alltag angenehm unterbrochen hatte.“ Um dem Original in dieser Hinsicht nahe zu bleiben, haben auch wir nur eine grobe Unterteilung in einige wenige Kapitel vorgenommen. Zur Orientierung im Originaltext behalten wir lediglich die Seitenzahlen in unserem Transkript bei.

Abgesehen von einigen Kommas, die im Original eher dünn gesät sind, und die wir der besseren Lesbarkeit längerer Sätze halber ergänzt haben (Herr Barthel war wohl eher ein Bergmann vom Leder), bleibt unser Transkript gegenüber dem Original redaktionell weitgehend unbearbeitet und soll als Zeitdokument für sich sprechen. Allerdings erlaubten wir uns, zu einigen Textpassagen, welche unser besonderes Interesse geweckt haben, kurze oder gelegentlich auch etwas längere Anmerkungen einzufügen, bzw. den Text auch mit weiterem Bild- oder Kartenmaterial zu ergänzen. Auch die heutigen Namen von Orten in Böhmen und Schlesien, die in Emil Barthel's Text mit ihrem deutschen Namen genannt sind, haben wir in meist nur kurzen Fußnoten ergänzt.

Damit genug der Vorrede, nun schlagen wir es auch auf...

  


Auch der Einband dieser Lebenserinnerungen hat offenbar schon einiges an Geschichte hinter sich, wie die deutlich sichtbaren Spuren zeigen... Die ebenfalls handschriftliche Aufschrift auf dem Einband zeigt bereits das heute gebräuchliche Schriftbild.

   


Faksimile der ersten Textseite
, noch in deutscher Handschrift.

     

 
 
 

Herkunft und Ausbildung

  

Emil Barthel

26. März 1870 – 6. August 1953

Lebenserinnerungen

S. 1

Freud und Leid
aus meinem Leben

Am 26. März 1870 wurde ich als 8. Kind (7. Knabe) des Bergmanns und Einwohners Johann Gottlob Barthel in Bräunsdorf bei Freiberg und seiner Ehefrau Johanna Friederike geb. Scheinert, geboren.

Die Großväter und Urgroßväter sowohl väterlicher als auch mütterlicherseits waren ebenfalls Bergleute in Bräunsdorf, wo seit Jahrhunderten ein reger Bergbau namentlich auf Silber getrieben worden ist. Eine weitere Rückforschung über Beruf und Herkunft meiner Vorfahren läßt vermuten, daß ich einem sehr alten Bergmannsgeschlechte entstamme. Nach dem Erliegen der letzten Bräunsdorfer Erzgrube „Neue Hoffnung Gottes“ 1) wurde mein Vater nach der Freiberger Silbererzgrube Himmelfahrt Fundgrube „verschickt“, d. h. bei vorgenannter Grube eingestellt. Er ging am Montag früh nach Freiberg zur Schicht und blieb die Woche über in einem Quartier, nur am Sonntag war er zu Hause. Sein Leben war nur Arbeit bei geringem Verdienst, und kärglicher Lebensweise. Aber niemals habe ich aus seinem Munde ein Wort der Unzufriedenheit gehört. Wie gern erinnerte er sich seiner Militärdienstzeit, und vom König Albert und dem alten Kaiser Wilhelm 2) sprach er nur mit hoher Achtung. Erst mit 63 Jahren ging er ins „Gnadengeld“ einer recht bescheidenen Altersrente.

1) Zu dieser Grube gibt es zumindest einen Abschnitt in diesem  Beitrag zu den meist schon fast ganz verschwundenen Zeugnissen des Bräunsdorf'er Bergbaus auf unserer Internetseite.

2) Emil Barthel's Vater meinte zu dieser Zeit noch Kaiser Wilhelm, I. (*1797, †1888). Er war ab 1861 König von Preußen und wurde nach der Reichsgründung am 18. Januar 1871 in Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert. Sein Sohn Friedrich Wilhelm (*1831, †1888) wurde nach dem Tod seines Vaters am 9. März 1888 König von Preußen und damit Deutscher Kaiser, war jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits schwer an Kehlkopfkrebs erkrankt, so daß er nicht mehr sprechen konnte. Seine nur dreimonatige Regentschaft („99-Tage-Kaiser“) endete bereits im Jahr der Thronbesteigung und machte mit der Thronbesteigung seines Sohnes Wilhelm II. (*1859, 1941, Regentschaft von 1888–1918) das Jahr 1888 zum „Dreikaiserjahr“. (wikipedia.de)

  


Das zu dieser Zeit bereits im Verfall begriffene Huthaus der Grube Neue Hilfe Gottes zu Bräunsdorf auf einem Foto von Paul Schulz aus dem Jahr 1908. Bildquelle: Deutsche Fotothek.

http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70002355  

   


Bestandteil des überlieferten Konvoluts ist die Taufurkunde seines Vaters Johann Gottlob Barthel (*1821, †1889) vom 23. März 1821; aus dieser Urkunde gehen auch die Namen der Großeltern väterlicherseits hervor
(Original im Besitz von A. Spiller).

   


Bestandteil des überlieferten Konvoluts ist auch der Militär- Abschied seines Vaters, ausgestellt vom Commandanten des 7. Infanterie- Batallions in Chemnitz am 31. Dezember 1850
(im Besitz von A. Spiller).

    


Von Interesse ist dabei die Rückseite der Entlassungsurkunde aus der königl.- sächs. Armee, da sie uns verrät, daß die in Ehren Entlassenen zum Ausgleich für die Jahre im Militärdienst einige bescheidene Vergünstigungen erhalten haben (im Besitz von A. Spiller).

   

Meine Wünsche ihm gegenüber waren zwar immer sehr bescheiden, aber als Schüler einer einfachen Volksschule regte sich doch manchmal der Wunsch nach einem Buche oder sonst einem Lehrmittel, niemals hat er mir einen solchen abgeschlagen, es schien ihm eine sichtliche
  

S.2

Freude meine Wünsche nach dieser Richtung hin erfüllen zu können. Dadurch, daß mein Vater die Woche über nicht zu Hause war, kam es wohl auch, daß er mir selten Schelteworte gesagt hat, meine Erziehung lag deshalb fast ausschließlich in den Händen meiner Mutter. Ihr mag ich nicht immer alles recht getan haben, war ich doch manchen halben oder auch ganzen Tag mir selbst überlassen, wenn die Mutter waschen war oder ihren Aufwartungen bei Anstaltsbeamten nachgehen mußte, um noch einige Groschen zu verdienen. Wieviel habe ich auf den Straßen Dünger gesammelt, in der Beerenzeit mußte ich fleißig Heidelbeeren eintragen, welche wir z. T. verkauften. Während der Getreideernte bin ich allein oder mit der Mutter auf die Felder um Ähren zu holen. In den letzten Jahren meiner Schulzeit habe ich für die Familie Rendaus, Ehrhardt das Wasser herzu getragen und die Schule geputzt, wofür ich wöchentlich 30 Pf. bekam, aber zu Weihnachten noch reichlich beschenkt wurde.

Eigentlich schon frühzeitig stand ziemlich fest, daß ich wie mein Vater Bergmann werden sollte. Vor allem war es die Mutter, welche immer davon sprach. Dies mochte wohl in der Hauptsache darin begründet sein, daß die Erfahrungen, welche die Eltern mit meinen älteren Brüdern Karl und Johann gemacht hatten, nicht ermutigten, auch mich ein Handwerk lernen zu lassen. Das Darniederliegen der Wirtschaft zu Anfang der 80er Jahre hatte meine Brüder wie so viele andere Handwerker arbeitslos gemacht. Der Zustand hielt monatelang an und da es zu dieser Zeit keine Arbeitslosenunterstützung gab, war es bei den Verhältnissen, in welchen meine Eltern lebten, eine schwere Belastung, welche die Mutter am meisten verspürte, da die Brüder zu Hause waren. Darum hieß es immer wieder: „Werde Bergmann, das ist zwar ein karges, aber sicheres Brot.“ Ich selbst habe mich auch kaum ernstlich widersetzt, der Gesichtskreis auf dem einsamen Dorfe war eng und von
  

S. 3

den vielen Berufen, die es außer den Handwerken noch gab, kannte ich zu wenig, Geld konnten meine Eltern für eine besondere Ausbildung in irgend einem Fache ja auch nicht aufbringen. Im Dorfe selbst war der Bergmannsstand sehr geachtet, man hörte viel von dem früheren Bergbau erzählen, viele ausgedehnte Halden und alte Zechen und Huthäuser hatten etwas hinterlassen was an längst vergangene Blütezeit des Bergbaus erinnerte.

So bin ich denn an einem kalten Sonntagmorgen mit meinem Schulfreund, welcher auch Bergmann werden wollte und dessen Vater nach Oberschöna gewandert, um den Obersteiger von „Zenith Fundgrube“ 1) um Aufnahme zur Bergarbeit zu bitten. Wir hatten beide Glück, am Dienstag nach Ostern 1884 wurde die erste Schicht verfahren. Der Lohn betrug von früh 6 h bis 6 abends 60 Pf. und galt als 1½ Schicht. Der Weg war 1½ Stunden weit, wir mußten daher früh ½ 5 Uhr aufbrechen und ½ 8 Uhr abends kamen wir wieder nach Hause, von Arbeit und Weg reichlich ermüdet. Das erste Halbjahr mußten wir Erze aufschlagen und für die im Tale an der Striegis gelegene Erzwäsche verladen. Im Herbst desselben Jahres kam ich in die Wäsche, wo ich ein volles Jahr blieb. Hier lernte ich das Arbeiten im Naßpochwerk und auf den Naßherden. Inzwischen war mein Lohn pro Schicht um 4 Pf.  gestiegen.

1) Da auch dies vor unserer Haustür liegt und es auch schon einige  Beiträge zu den Gruben bei Oberschöna auf unserer Internetseite gibt, fällt uns eine Anmerkung zu dieser Grube sehr leicht:
Auch in Oberschöna gingen die Erträge der alten Bergwerke in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, teils aufgrund der Lagerstättenverhältnisse, teils durch den Silberpreisverfall, stetig zurück. 1872 kam es unter dem hier von Emil Barthel genannten Grubennamen Zenith Fundgrube ein letztes Mal zur Konsolidation der noch in Betrieb stehenden Bergwerke. In diesem Jahr erwarb der Hamburger Kaufmann Joachim Anthon Diederich Heidtmann die Große Hoffnung Fundgrube und den Dorothea Erbstolln zu Oberschöna und gründete als Betriebsgesellschaft die Gewerkschaft für den Silberbergbau Zenith Fundgrube (siehe 40174, Nr. 1077 und Nr. 1248, sowie 40050, Nr. 233).
Unter den gegebenen wirtschaftlichen und geologischen Verhältnissen konnte auch dieser letzte Versuch einer Wiederbelebung des Bergbaus in Oberschöna allerdings nicht von Erfolg gekrönt sein: Die noch unverritzten Abschnitte der Erzgänge bei Oberschöna waren einfach nicht mehr mit Ertrag abzubauen. 1894 mußte die Gewerkschaft daher mit hohen Schulden, allein 23.000,- Mark bei der Bergbaukasse in Freiberg, in Konkurs gehen (siehe 11052, Nr. 0277 und 10036, Loc. 39227, Spec. Nr. 8399).

  


Die Lage der unter dem Namen Zenith Fundgrube 1872 noch einmal konsolidierten Grubenfelder bei Oberschöna. Bildquelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40040 (fiskalische Risse zum Erzbergbau), Nr. c6067: Übersichtskarte über die Grubenfelder und Erzgänge in Freiberg und Umgebung, dat. um 1900, Ausschnitt, Norden ist rechts oben.

Link zum Digitalisat archiv.sachsen.de

   


 Das Gebäude der Erzwäsche von Unverhoffter Segen Gottes in Oberschöna auf einem Foto von Paul Schulz aus dem Jahr 1926. Dieses Gebäude steht noch heute und könnte auch der erste Arbeitsort von Emil Barthel gewesen sein. Bildquelle: Deutsche Fotothek.

http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70005581

   

Kurz darauf, nachdem ich die Volksschule verlassen, habe ich mit einigen Schulfreunden regelmäßig die Sonntagsschule in Freiberg besucht. Drei Jahre lang bin ich wohl jeden Sonntag an welchem Unterricht erteilt wurde, von Bräunsdorf nach Freiberg und zurück gelaufen. Der Unterricht begann früh 8 Uhr und bestand in Rechnen, Deutsch und Zeichnen. Hierbei lernte ich eine Anzahl Altersgenossen kennen, welche den Unterricht zur Vorbereitung
  

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für die Vorbereitung zur Bergschule besuchten. Obwohl ich von vornherein nicht die Absicht hatte, die Bergschule zu besuchen, weil ich mich tatsächlich zu gering fühlte und außerdem auch keine Unterstützung von den Eltern erfahren konnte, so wurde doch in mir, noch von anderer Seite unterstützt, der Wille rege, mein Glück zu versuchen. Auch die Eltern hatten im Stillen die Hoffnung gehegt, gewiß aber ohne sich darüber klar zu sein, wie ich ohne ihre Unterstützung, welche aber unmöglich war, mich durchschlagen sollte.

Inzwischen war ich und zwar im Herbst des Jahres 1885 bei „Himmelfahrt Fundgrube“ in Freiberg in Arbeit getreten und wurde auf dem Turmhofschacht angelegt, wo mein Vater viele Jahre angefahren war. Hier wurde ich in der Scheidebank, wo die Erze geschieden wurden, beschäftigt und zwar länger als mir lieb war. Ich war bald 17 Jahre alt geworden und sehnte mich danach, den Bergbau untertage kennen zu lernen, aber es lag angeblich kein Bedarf an jungen Leuten für die Grube vor und so hieß es, in Geduld die Zeit abzuwarten.

   


Die Übertageanlagen des Thurmhofschachtes in Freiberg im Jahr 1908. Foto: Paul Schulz.
Bildquelle: Deutsche Fotothek.

http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70002934 

   

Um mich im Rechnen noch besser für die Bergschule 1) vorzubereiten, nahm ich Privatunterricht beim Zeichenlehrer Senker. Im Frühjahr 1887 riet mir derselbe, ein
Gesuch an das königliche Bergamt um Zulassung zur Aufnahmeprüfung für die Bergschule einzureichen. Ich erschrak, da ich wohl mit dem nächsten Jahr gerechnet hatte und äußerte meine Bedenken. Er aber bestand darauf, und ich folgte seinem Rat. Die Prüfung fand im Juli statt und niemand kann sich meine Freude vorstellen, als ich in die Bergschule aufgenommen wurde. Erst jetzt wurde das Interesse für meinen Beruf aufs höchste gesteigert, ich wollte das Glück ausnutzen sowohl es in meinen Kräften und allerdings bescheidener Veranlagung bestand. Was man mir

1) Jeder kennt die Bergakademie zu Freiberg. Da wir dieses Thema anderweitig noch nicht aufgegriffen haben, soll auch der Bergschule eine längere Anmerkung an dieser Stelle von uns gewidmet sein:
Die Bergschule zu Freiberg gilt nämlich als die erste in Deutschland überhaupt, wurde nur wenig später nach der Bergakademie (1765) in Freiberg im Jahr 1777 gegründet und befand sich seit 1863 in der Prüferstraße 6, gleich neben der Königlich Sächsischen Bergakademie (wikipedia.de).
Die Geschichte der Freiberger Bergschule ist, insbesondere insoweit es sich um die Gründung, die Entwickelung und die weitere Ausgestaltung in der ersten Zeit des Bestehens dieser Anstalt handelt, nur teilweise durch Akten zu belegen. Denn die Schule ist eine Schöpfung des Freiberger Oberbergamts, und die hier in Betracht kommenden Akten desselben sind eingestampft. Fast die einzige noch vorhandene Quelle sind die Akten des Freiberger Bergamts. Aber auch diese fließt nicht so klar und zusammenhängend, daß man ein vollständiges Bild erhält, weil das Oberbergamt meist über das Bergamt hinweg verfügte.“ (Kaufmann, 1903)
Die Gründung der Freiberger Bergschule ist auf Anregung von Berghauptmann Carl Wilhelm Benno von Heynitz erfolgt. 1777 begann der Unterricht zunächst in einem Hörsaal der Bergakademie Freiberg und in den Fächern Religion, Schreiben, Rechnen und Geometrisches Zeichnen. Die Schule führte daher zunächst den Namen Bergmännische Zeichen- und Rechenschule und war der Bergakademie angegliedert. Es unterrichteten Professoren der Bergakademie, Beamte des Berg- und Hüttenwesens und Lehrer anderer Schulen. Erster Direktor war Professor Johann Lempe. Die Bergschule diente der besseren und planmäßigen Ausbildung von Unteraufsehern, Steigern und Werkmeistern.
„Schon nach zwei Jahren, also 1779, konnten zwei Schüler dem Unterrichte an der Bergakademie zugewiesen werden, ein schönes Zeugnis für den Fleiß und das Geschick des Akademisten Lempe und ebenso ein ehrender Beleg für die Strebsamkeit des jungen Bergvolks, das recht wohl gefühlt hat, wie ein umfassenderes Wissen nicht nur die Praxis unterstützt, sondern auch besseren Verdienst herbeiführt.“ (Kaufmann, 1903)
Finanziert wurde die Bergschule übrigens indirekt durch die ansässigen Grubengesellschaften: Seit 1765 gingen bereits von jeder Mark Freiberger Zechenausbeutesilber 6 Pfennige an den Bergakademie- Fonds. Nach einem kurfürstlichen Reskript vom 6. Februar 1779 war jede Grube verpflichtet, für jeden beschäftigten Poch- und Scheidejungen 4 Pfg. zu zahlen und ebenso eine Abgabe dafür zu leisten, daß die nötigen Bergmaterialien, wie Pulver und Eisen, zur Ersparung des Zolles um die Stadt transportiert wurden. Das Bugdet der Bergschule lag damals zunächst bei etwa 300 Thalern jährlich, aus dem auch alle Lehrergehälter beglichen wurden (Kaufmann, 1903).
1807 erhielt die Schule zur Unterscheidung von den Bergschulen in Altenberg, Annaberg, Johanngeorgenstadt, Marienberg und Schneeberg den Namen Hauptbergschule. 1826 verordnete das Oberbergamt die Einteilung der Bergschüler in solche, die nur zu Steigern und für niedrigere Dienste auszubilden waren und solche, die für die Zulassung an der Akademie vorzubereiten waren. Zugleich wurde die Schülerzahl auf sechzig begrenzt. Daraus resultierte 1862 die Gründung einer zweiten Bergschule in Sachsen, speziell für den Kohlenbergbau, in Zwickau. Die Schulen im Obergebirgischen Revier wurden jedoch sämtlich 1852 aufgelöst.
Nachdem am 11. Mai 1887 der Markscheider und Hauptbergschullehrer Neubert verstorben ist, führte Bergamtsmarkscheider Treptow, später Oberbergrat und Professor an der Akademie, weiter. Da sich die Bergschule noch immer Räumlichkeiten mit der Bergakademie teilte, beantragte Treptow einen Neubau für die Anstalt. Diesmal wurde der Antrag genehmigt und vollendet. Am 30. Juli 1893 wurde sie in das dem ursprünglichen Sitz gegenüberliegende Gebäude Prüferstraße 9 verlagert - dort hängt heute eine Gedenktafel.

Zur Unterstützung der Bergschüler wurden das Werner'sche Stipendium, das Wettin- Stipendium und die Neubert'sche Stiftung eingerichtet. Auch der Revierausschuß Freiberg gewährte Zuschüsse für die jährlichen Aufwendungen der Schule sowie Stipendien.
Nach Einstellung der staatlichen Gruben im Jahre 1913 konnten die Schüler der Freiberger Bergschule nicht mehr einfach am Ort praktisch beschäftigt werden; sie mußten vielmehr zur Ausbildung in die Kohlenreviere Lugau- Oelsnitz oder in den Plauen'schen Grund (Freital) geschickt werden. Auch der Bedarf an Aufsichtspersonal für den Erzbergbau wurde immer geringer, so daß ab 1921 keine Neuaufnahmen mehr stattfanden. Das Finanzministerium verfügte daher 1921 die Schließung der Staatlichen Freiberger Bergschule zum 12. Juli 1924 nach 148jähriger Tätigkeit.
Das Inventar und die Lehrmittel wurden teilweise der Bergschule in Zwickau übergeben. Die Mineralien-Sammlung ging in den Fundus der Mineralogischen Sammlung der Bergakademie Freiberg über. Die Bergschulfahne und einige Modelle befinden sich noch heute in der Sammlung der TU Bergakademie Freiberg (40063).

  


Das hell verputzte Gebäude links vor dem vorkragenden Hörsaalneubau im Schloßplatzquartier der Bergakademie ist die Prüferstraße Nr. 6. Das Gebäude steht gerade zum Verkauf...

  


Die Prüferstraße 9 gegenüber gehört zum Karree des Bergakademie- Hauptgebäudes zwischen der
Prüferstraße und der Akademiestraße.

  


Hier erinnert heute eine Tafel an die Freiberger Bergschule.

   


Die Königliche Bergschule zu Freiberg gab in den Jahren ab 1885 schuljahresweise Berichte heraus, welche in gedruckter Form im Bergarchiv bewahrt sind: Titelblatt des Berichtes „auf das 112. Lehrjahr 1887-88“, in welchem Emil Barthel seine Ausbildung an der Bergschule begonnen hatte. Bildquelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40063 (Bergschule Freiberg), Nr. 7, Gesamtansicht.

   


Dieser Ausschnitt aus obiger Berichtsseite zeigt uns Emil Barthel's „Stundenplan“ in seinem ersten Schuljahr (damals die IV. Klasse) und nennt uns auch den vollen Namen des Bergschuldirektors Karl Johannes Emil Treptow, welcher damals gerade die Leitung übernommen hatte.

   

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erst lange versagt, geschah nun ohne weiteres, ich durfte mit einfahren. Allerhand Arbeiten mußte ich zunächst verrichten, bis ich unter die Huntestößer eingereiht wurde. Obwohl sehr anstrengend, bestand bei dieser Arbeit die Möglichkeit, etwas mehr zu verdienen, was bei meiner Lage recht wesentlich war. So verging das erste Halbjahr meiner Bergschulzeit, immer kam die Sorge wieder auf, wie werde ich mit dem geringen Lohn auskommen, fehlten doch jede Woche noch Schichten durch den Schulbesuch.

Im Februar 1888 eines Tages nach dem Unterricht rief mich der Bergschuldirektor Treptow in sein Zimmer und fragte mich, ob ich Lust zum Zeichnen hätte. Ich bejahte die Frage. Hierauf sagte der Herr Bergschuldirektor: „Dann bitten Sie Herrn Bergdirektor Hofmann um 4 Wochen Urlaub und melden sich nächsten Montag früh 8 Uhr in der Markscheider-expedition des Bergamts bei Herrn Rißarchivar Gretschel.“ 1) Ich war zunächst wie aus den Wolken gefallen vor Freude, meldete mich aber nicht ohne Beklemmung zur bestimmten Zeit bei oben genanntem Herrn. Mir wurden zunächst einfache zeichnerische Arbeiten übertragen und ich mag manchen Tadel von dem peinlichen aber überaus gütigen Herrn verdient und hingenommen haben. Für die Arbeitsstunde bekam ich 20 Pf. was eine ordentliche Verbesserung meiner Einnahmen bedeutete. Außer mir wurde noch ein Bergschüler der 1. Klasse namens Starke beschäftigt, welcher mir sichtlich wohlwollte und manchen Vorteil beibrachte. Nach Ablauf der 4 Wochen mußte ich noch 2 Monate Urlaub ausbitten und so habe ich mit Unterbrechungen über zwei Jahre während meiner Bergschulzeit in der Markscheiderexpedition des Bergamts gearbeitet. Ich habe meinem Gott oft von Herzen dafür gedankt, war mir doch dadurch alle Sorge um meinen Unterhalt genommen.

1) Dieser Name ist uns natürlich sehr wohlbekannt, war doch Hermann Gretschel um die Jahrhundertwende im damaligen Königlich Sächsischen Landesbergamt als Archivar und Kopist tätig. Auf etlichen Grubenrissen aus dieser Zeit findet man seinen Namen, da er die Rissduplikate des Bergamtes regelmäßig anhand der Grubenrisse der Bergwerksunternehmen nachgebracht hat. Dabei hat er Hilfe sicherlich immer gut gebrauchen können...

  


Was Emil Barthel bei Herrn Gretschel zu tun hatte und was er dabei gelernt hat, hat er übrigens in diesem Band selbst aufgeschrieben, der im Wissenschaftlichen Altbestand der Universitätsbibliothek der TU Bergakademie Freiberg aufbewahrt wird. Dieses handgeschriebene Heft könnte so manchem der heutigen Schüler mal als Vorbild dienen...

Link zum gesamten Digitalisat sachsen.digital.de

  

S. 6

Zwischendurch mußte ich den Vorschriften entsprechend eine gewisse Zeit auf dem Schacht als Lehrhäuer, bei den Maurern und Zimmerlingen arbeiten. Einen wenn auch nicht dauernden Nachteil hatte die öftere Unterbrechung der Bergschule dadurch, daß mich die Vorgesetzten auf dem Schachte als Bummler bezeichneten, wenn auch nicht ernst meinend, sie wußten zu gut, daß ich ein bevorzugter Schüler war. Aber der Herr Bergdirektor Hofmann hatte mir daraufhin gegenüber den anderen abgehenden Bergschülern keine zu gute Note auf das Abgangszeugnis gebracht, was der Herr Bergschuldirektor Treptow mir gegenüber bedauerte, da dies nur auf den vielen Urlaub für das Bergamt zurückzuführen war. Nun, ich habe in meinem späteren Leben keinen Schaden dadurch gehabt. Der Nutzen, den ich durch die Beurlaubungen hatte, wog dies einfach auf. Ich habe dabei manches gelernt, was meinen Mitschülern nicht möglich war. Hierzu gehört vor allem das Arbeiten mit den verschiedenen Vermessungsinstrumenten beim Markscheiden.

Bei den Markscheidern in Freiberg war es Brauch, zum Ziehen auf den Schächten einen Bergschüler als Gehilfen mitzunehmen. Dieser war bei Markscheider Choulant 1) der obengenannte Starke, welcher mich zu seinem Nachfolger vorgeschlagen hatte. Da mit der Arbeit früh zeitig begonnen wurde, war in der Regel 1 Uhr nachmittags Schluß. Die Bezahlung war gut, 3,50 Mark für einmal ziehen und da ich außerdem die gemessenen Winkel zu Hause berechnen mußte (3 Pf. je Winkel) hatte ich viel Nebenarbeit, leider auf Rechnung der Schularbeiten. Da Choulant mit dem Bergamtsmarkscheider Treptow nicht auf bestem Fuße stand, mußte ich sehr vorsichtig sein. Als ich einmal im Reinschriftheft für Bergbaukunde mit den Skizzen, welche gut ausgeführt werden sollten, nicht nachgekommen war, mußte ich die folgende Rüge hören: „Sie haben wohl zuviel Arbeit für Herrn Markscheider Choulant?“ Trotzdem

1) Auch dieser Name ist uns schon oft begegnet: Johann Edmund Oscar Choulant war zu dieser Zeit verpflichteter Markscheider und nicht nur, aber vor allem im Bergrevier Freiberg tätig.

  

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war Treptow immer gut zu mir. Er hat mich schon im zweiten Schuljahre zu seinem Gehilfen bestimmt, wenn er Markscheiderarbeiten auszuführen hatte. Auch mußte ich Markscheidekunde bereits im zweiten Schuljahr mit hören, was in oberen Klassen Neid erregte.

Fast meine ganz Bergschulzeit über habe ich in der Rittergasse 22 bei der Buchbinderwitwe Kroker gewohnt 1). Ich hatte ein kleines Zimmer und zahlte dafür einschließlich Frühkaffee monatlich 8 Mark, für das Mittagessen 35 Pf. Frau Kroker war keine gewöhnliche Frau und wir haben uns immer gut verstanden. Außerhalb der Schule zählten zu meinen Freunden: Alfred Müller, Oswald Stein, Max Richter, Ernst Strauß und August Weinhold, bis auf Stein und Strauß gebürtige Bräunsdorfer. Außer diesen hatte ich unter den Mitschülern noch viele liebe Freunde, seien nur einige erwähnt, wie Prager, Reuther, Arnold, Pfeiffer und besonders Plattner. Heute, wo ich diese Zeilen niederschreibe, sind von den erstgenannten nur noch Obersteiger Weinhold am Leben. Stein, wohl der begabteste unter uns Schülern, erlag schon wenige Wochen nach der Entlassung einer schweren Krankheit, Strauß starb sehr jung an Herzschlag in Pforzheim, wo er Probierer war, seinen Vetter Max Richter ereilte der Tod in gleicher Weise mit 58 ½ Jahren.

1) Wie Emil Berthel später in seinem Text noch mitteilt, hat er zuerst (bis zum Frühjahr 1888) bei einem Bergmaurer namens Auerbach gewohnt.

  


Wir interessieren uns natürlich auch dafür, wo Herr Barthel seinerzeit gewohnt hat, müssen dazu aber erst einmal nachforschen, wo denn in Freiberg eigentlich die Rittergasse gewesen ist. Die haben wir auf diesem alten Grundriß der Königl. Sächsischen Bergstadt Freyberg gefunden. Die Lithographie stammt von J. C. Bayer, im Verlag Craz & Gerlach, Freiberg, gedruckt im Jahr 1824, Gesamtansicht, Norden ist rechts oben.

http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70402097

    


Ausschnitt aus obigem Stadtplan. Die Futtergasse heißt heute Akademiestraße, die Schöne Gasse ist heute nach Kurfürst Moritz benannt, die Rittergasse, wo E. Barthel zwischen 1887 und 1889 vermutlich gewohnt hat, ist die heutige Thielestraße, und die Untere Rittergasse heißt heute Heubnerstraße. Außerdem gab es früher noch eine Obere (die heutige Domgasse) und eine Untere Ritter Quergasse, letztere die heutige Herderstraße.
Im damaligen Creis Amt befindet sich heute das Stadthaus II.

   


Ein weiterer Plan der Stadt Freiberg, Lithographie von der Anst. Ernst Lange, Verlag Ernst Mauckisch, Freiberg i. Sa., gedruckt im Jahr 1907, Gesamtansicht, Norden ist jetzt, wie es sich gehört, oben. Im Bestand des Sächsischen Staatsarchives, Hauptstaatsarchiv Dresden, Bestand 12884 (Karten und Risse), Signatur: Schr. 000, F. 182, Nr. 050. Bildquelle: Deutsche Fotothek.

http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/90009486

    


Ausschnitt aus obigem Stadtplan. Nach der Jahrhundertwende hatten Akademiestraße und Thielestraße ihre heutigen Namen schon erhalten, die Untere Rittergasse heißt nun Färbergasse. Dazwischen gab es aber noch immer ein Stück Straße, das den früheren Namen Rittergasse trug und das erst später nach Otto Leonhard Heubner benannt worden ist. An der Ritter Quergasse ist nun auch das Herder- Haus verzeichnet - das in den zurückliegenden Jahren gerade eben zum neuen Stadtarchiv umgebaut worden ist - und diese Gasse trägt heute auch den Namen des berühmten Oberberghauptmanns Sigismund (Siegmund) August Wolfgang (seit 1816 Freiherr) von Herder (*1776, †1838).

   


In der Heubnerstraße gibt es noch heute die Hausnummer 22: Dies ist das Eckhaus zur Buttermarktgasse am unteren Ende der früheren Rittergasse; weiter talwärts laufen in der Färbergasse heute die Hausnummern wieder von vorn los. Hier also hat Emil Barthel während seiner Bergschulzeit Ende der 1880er Jahre wahrscheinlich gewohnt.

   

Bei der ersten Rekrutierung wurde ich zu den Grenadieren ausgehoben, aber der Schule wegen ein Jahr zurückgestellt. Das nächste Jahr bei der Generalaushebung wurde ich Gardereiter. Stolze Freude erfüllte mich, des Königs bevorzugten Rock tragen zu dürfen. Aber auch die Sorge, wieder 3 Jahre ohne Unterstützung vor mir zu haben, machte sich geltend. Ein gewisser Neid denjenigen Mitschülern gegenüber, welche mit sehr baldiger
  

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Anstellung rechnen konnten, ließ sich nicht verleugnen.

Die schöne Bergschulzeit ging zu Ende, die Abschlußprüfung kam heran. Ich konnte mit dem Erreichten zufrieden sein. Mir wurde als Primus das Glückauf- Stipendium 1) verliehen – 300 Mark zu einer Instruktionsreise nach dem nordwestböhmischen Braunkohlenrevier, dem Nürschaner 2) Steinkohlenbecken und dem Waldenburger 3) Steinkohlenrevier in Niederschlesien – welches nur alle 4 Jahre bei der Freiberger Bergschule vergeben wurde.

Die Reise mußte auf 4 Wochen ausgedehnt werden und darüber ein Bericht an das Bergamt eingereicht werden. Dieser ist leider nicht so umfassend erfolgt, wie ich eigentlich wollte, die Zeit dazu war viel zu kurz, da ich schon am 3. Oktober beim Militär eintreffen mußte. Die Reise selbst verlief gut und war für mich sehr anregend. Die Aufnahme und die Bereitwilligkeit, mich durch gute Führung auf den Werken zu unterstützen, war besonders in Böhmen sehr gut. Ich lernte die Methoden des Abbaus der mächtigen Braunkohlenlager in Nordböhmen im Tagebau und Tiefbau kennen. Da ich vom Nürschaner Steinkohlenrevier nicht weit von den Příbramer Erzgruben war, habe ich auch diese alten, berühmten Silberbergwerke, welche technisch vorzüglich eingerichtet waren, mit besucht und bin im damals tiefsten Schachte der Erde, dem über 1.000 m tiefen Albertischacht eingefahren. In Prag war um diese Zeit eine große Landesausstellung, welche ich auch einen halben Tag besuchte, mehr Zeit konnte ich dafür nicht opfern. Die Weiterfahrt nach Schlesien führte über die Schlachtfelder von Königgrätz – Nachov. Im Waldenburger Revier habe ich die bedeutende Steinkohlengrube „Friedens Hoffnung“ besonders eingehend besichtigt, wo außer dem umfangreichen Grubenförderungsbetrieb mit Pferden, große Kokereien mich besonders interessierten. Hier war meine vorgeschriebene Reiseroute beendet.

1) Das Glück Auf- Stipendium haben wir in den bisher durchgesehenen Akten der Bergschule (40063, Nr. 7) tatsächlich nur in diesem einen Jahrgang gefunden; es wurde wirklich nur alle vier Jahre auch an Absolventen der Bergschule ausgereicht und auf Vorschlag des Königlich- Sächsischen Oberbergamtes zu Freiberg vergeben. Mit einem Betrag von einmalig 300,- Mark war es zugleich das höchstdotierte Stipendium an der Freiberger Bergschule. Im gleichen Jahr erhielt außerdem der Schüler der I. Klasse, Wilhelm Oswald Rockstroh, eines der Werner- Stipendien in Höhe von 90,- Mark und der Schüler der II. Klasse, Karl Fritz Albert Neumeyer, ein weiteres in Höhe von 60,- Mark. Zwei weitere Reisestipendien für von der Bergschule vorgegebene Reiseziele in Höhe von je 75,- Mark erhielten die beiden Schüler der I. Klasse, Max Klemens Ludwig und Friedrich Hermann Leuteritz.

Noch folgende Informationen hierzu:
Das Glück Auf- Stipendium wurde 1867 von Carl Christian Arthur Dathe, Freiherr von Burgk (*1823, †1897), selbst Absolvent der Bergakademie zu Freiberg und nach dem Tod seines Vaters Carl Friedrich August Dathe, Freiherr von Burgk (*1791, †1872) Besitzer der bedeutenden Freiherrlich von Burgker Steinkohlen- und Eisenhüttenwerke im Plauenschen Grund (heute Stadt Freital) mit dem Ziel gestiftet, Studienreisen von Studenten der Akademie, aber auch von Schülern der Bergschulen in Freiberg und in Zwickau - natürlich insbesondere in den Steinkohlenbergbau, auch außerhalb Sachsens - zu ermöglichen. Dafür standen jährlich 300 Mark zur Verfügung, welche Emil Barthel nach Abschluß seiner Ausbildung im Jahr 1891 allein und in voller Höhe erhalten hat (40063, Nr. 7 und TU Bergakademie, 2015).
Das Werner´sche Stipendium geht auf den Erwerb der Mineralsammlung von Abraham Gottlob Werner (*1749, †1817), seit 1775 Professor für Mineralogie an der Bergakademie, durch den Sächsischen Staatsfiskus zugunsten der Bergakademie für die stolze Summe von 40.000 Thalern im Jahr 1814 zurück (10002, Nr. 01225). Aus diesem Kapital richteten die Erben am 8. August 1818 eine wohltätige Stiftung ein, welche in erster Linie der „Unterstützung armer, kranker, bergfertiger Bergleute und armer Witwen und Waisen verunglückter Bergarbeiter“ dienen sollte, aber aus deren Kapital auch Studenten der Akademie gefördert wurden (40063, Nr. 7 und TU Bergakademie, 2015). „Die Bergschüler Feig und Drechsler waren die Glücklichen, die die ersten Wernerstipendien, und zwar am 30. Juni 1842, erhielten, ersteres mit 30 Tlrn., letzteres mit 20 Tlrn. Die Schwester Werners, die Witwe Pastor Glaubitz, die bis dahin im Genüsse der Zinsen des Vermächtnisses des gestifteten Wernerstipendiums stand, war am 9. Oktober 1840 gestorben, und es konnte darum der weiteren Stiftungs-Bestimmung Genüge getan werden.“ (Kaufmann, 1903)
Auch die 1890 anläßlich der Jubiläumsfeier zum 800jährigen Bestehen des Hauses Wettin durch Besitzer von Braunkohlenwerken mit einem Stiftungskapital von damals 1.385,- Mark begründete Wettin- Stiftung gewährte Unterstützungszahlungen für Bergschüler in Freiberg, nach der Auflösung der Bergschule in Freiberg ab 1924 dann auch für Bergschüler in Zwickau (40024-9, Nr. 227, 40024-6, Nr. 145 und 40055, Nr. 162).
Das Neubertstipendium wiederum geht auf eine Stiftung des Markscheiders und ab 1849 Bergschullehrers Ritter Christian Friedrich Neubert (*1821 in Geyer) und seiner Gattin, Christiane Wilhelmine, geb. Hengst, im Jahr 1884 zurück (40024-6, Nr. 217, und 40055, Nr. 24).
Weitere Reisestipendien wurden aus einer vom Wilhelm Fischer (*1796, †1884), selbst ebenfalls Absolvent der Bergakademie und von 1836 bis 1855 als Bergmeister im Bergamt zu Freiberg tätig, mit einer Summe von 3.000,- Mark im Jahr 1866 begründeten Stiftung finanziert (40063, Nr. 7 und TU Bergakademie, 2015).

2) Bei diesem Namen mußten wir etwas länger nachsuchen: Nürschan ist der deutsche Name der tschechischen Stadt Nýřany, im Kreis Pilsen / Plzeň- Nord gelegen. Den heutigen Namen haben wir erst durch einen Umweg über Meyer's Konversationslexikon, Ausgabe 1888, herausfinden können (peterhug.ch).

3) Damit ist die heute polnische Stadt Wałbrzych / Waldenburg im damaligen Niederschlesien, etwa 65 km südwestlich von Breslau / Wrocław gelegen, gemeint. Sie bildete bis Anfang der 1990er Jahre das Zentrum des niederschlesischen Steinkohlereviers. (wikipedia.de)

   

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Auf der Rückreise habe ich eine dreitägige Wanderung nach der Schneekoppe und dem Riesengebirgskamm angeschlossen. Die ganze Reise ist mir in guter Erinnerung geblieben.

Inzwischen war die Zeit herangerückt, in welcher ich meinem König und Vaterland dienen sollte. Ich kann wohl sagen, daß ich dies mit bestem Wollen und von ganzem Herzen getan habe. So schwer das erste halbe Jahr der Ausbildung auch war, es wurde ertragen, weil es allen Kameraden gleiches Schicksal war. Dadurch aber entstand ein Band der gegenseitigen Anhänglichkeit, Liebe und Verbundenheit junger Menschen aus fast allen Berufen und Landsmannschaften zu einander, welches in dem Wort „Kameradschaft“ den schönsten Ausdruck findet. Gern habe ich in meinem späteren Leben dieser Zeit gedacht. Wie viele Erlebnisse, wenn auch zumeist unbedeutender Art, hat das Gedächtnis bis ins Alter festgehalten. Im zweiten Jahre wurde ich Gefreiter und Eskadronschreiber und im letzten Manöver Unteroffizier. Dies war als eine Auszeichnung anzusehen, da diese Charge sonst nur verliehen wurde, wenn man kapitulierte, d. h. sich verpflichtete, ein Jahr länger zu dienen. Zu Reserveübungen bin ich nicht eingezogen worden. So gern ich den königlichen Rock getragen, so gern habe ich denselben nach dreijähriger Dienstzeit wieder abgelegt. Die Sehnsucht, nun endlich im erlernten Berufe tätig zu sein und eine auskömmliche Stellung einnehmen zu können, war die Triebfeder, mich schon vor meiner Entlassung nach einer solchen umzusehen. Von der Bergschule wurde mir eine Stelle als Probierer bei einer Pforzheimer Gold- und Silberscheideanstalt angetragen. Herr Gretschel, den ich wegen Annahme der Stelle befragte, konnte mir nicht dazu raten und da ich selbst nicht die rechte Neigung dazu hatte, lehnte ich
  

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ab. Herrn Bergschuldirektor Weiß schien dies nicht recht zu sein, er entließ mich mit kurzen Worten. Bald darauf schrieb mir Herr Gretschel, sein Freund, der Bergdirektor Heinsius von Magdeburg von den Austria Schächten bei Mariaschein 1) in Böhmen suche einen jungen Mann als Steiger und Rißzeichner, der selbständig mit Theodolit arbeiten könne, zu engagieren. Obwohl im Arbeiten mit diesem Vermessungsinstrument besser erfahren als die meisten Bergschüler, hatte ich doch Bedenken, ich wollte nichts versprechen, was mir nicht sicher erfüllbar erschien. Ich suchte deshalb meinen früheren Bergschuldirektor Treptow auf, welcher inzwischen Professor für Bergbaukunde an der Bergakademie geworden war, und frug ihn, ob er mich für diese Stelle geeignet halte. Er riet mir mit den Worten zu: „Man muß etwas wagen, dann wird es auch gehen.“ Dies war eine Antwort, wie ich sie gewünscht hatte. Ich selbst hatte Lust und ging gern ins Ausland.

Mein neues Zivilleben begann ich mit Schulden. Ich mußte neue Anzüge und dergl. haben, hatte aber doch kein Geld, mir solche zu beschaffen. Hier half mir mein ältester Bruder Franz, indem er mir Geld vorstreckte, welches ich mit geringer Verzinsung später zurückgezahlt habe. Mir war damit aus einer üblen Lage geholfen. In Böhmen hat es mir gut gefallen, obgleich ich auf einem kleinen Dörfchen namens Serbitz 2) wohnte, wo es sehr still war.

Ich muß hier noch nachholen, daß ich an Sylvester 1889 meinen lieben Vater durch den Tod verloren hatte. Als ich ihn zu Weihnachten verließ, war er noch völlig gesund. Eine plötzliche Influenzaerkrankung hatte in wenigen Tagen zu seinem Tode geführt. Mein Bruder Johann überbrachte mir frühzeitig, ich schlief noch, die traurige Nachricht.

Die Nähe von Teplitz brachte es mit sich, daß ich öfter Gelegenheit nahm, die guten Konzerte im Kurpark Schönau zu hören. Mein fast ständiger Begleiter war ein Angestellter des Bohemia Schachtes namens Beger, ein gebürtiger Dresdner, welcher mit mir

1) Mariaschein ist der deutsche Name von Bohosudov, einem Ortsteil von Krupka / Graupen, etwa 7 km nordöstlich von Teplice am Fuß des Erzgebirges am Rande des Egerbeckens gelegen. Der deutsche Name der im weiteren Text auch noch mehrfach erwähnten tschechischen Kreisstadt Teplice lautet Teplitz.

2) Serbitz ist der deutsche Name des Dorfes Srbice. Dieses Dorf liegt drei Kilometer nordöstlich des Stadtzentrums von Teplice am Fuße des Erzgebirges im Nordböhmischen Becken. Die Ortslage befindet sich linksseitig des Modlanský potok und ist von mehreren Tagebau- Restlöchern des neuzeitlichen Braunkohlenbergbaus umgeben, dazu gehören der heutige Teich Kateřina im Osten und der Teich Modlany bei Staré Srbice / Alt- Serbitz im Südosten. Das Dorf wurde 1403 als Rzezywicze erstmals urkundlich erwähnt. Im Zuge der deutschen Besiedlung wandelte sich bis zum 18. Jahrhundert der Name des Ortes in Serbitz. Die tschechischen Namensformen Řeřevice bzw. Řeřivice wurden kaum verwendet. 1878 hatte Serbitz 426 Einwohner, davon waren 420 Deutsche und nur 6 Tschechen. Das Leben im Dorf veränderte sich am Ende des 19. Jahrhunderts aber wesentlich: Aus dem bäuerlichen Dorf entstand eine Industriegemeinde. 1898 kaufte der Bergwerksunternehmer Wolf Perutz den gesamten Ort Serbitz auf und begann mit dem untertägigen Abbau der Braunkohle. In Serbitz entstanden daraufhin die Zechen Austria II, Prokop, Bohemia, Rabe und Emanuel, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammen etwa 600 Bergleute beschäftigten. Nordwestlich des alten Serbitz entstand die Ansiedlung Neu Serbitz. Viele der Bergarbeiter waren Tschechen, so daß dadurch auch ein Wandel in der Bevölkerungsstruktur eintrat. 1921 hatte die Gemeinde 302 deutsche und 210 tschechische Einwohner. In sächsischen Archiven findet sich Material über den Braunkohlenbergbau in dieser Region erst nach der Annexion des Sudetenlandes 1938 (z.B. 40027, Nr. 1389). Wie der Braunkohlenabbau bei Most heute noch erfolgt, darüber haben wir auch schon berichtet. Mit der Einstellung des Bergbaus erhielt Srbice in den 1950er Jahren seinen landwirtschaftlichen Charakter zurück (wikipedia.de).

  


Wo die Austriaschächte, auf denen Emil Barthel nach seiner Ausbildung zuerst angelegt war, um die Jahrhundertwende eigentlich gelegen haben, zeigt uns diese Verkehrs- und Grubenbesitzkarte des nordwestböhmischen Braunkohlenrevieres, herausgegeben vom Montanistischen Club für die Bergreviere Teplitz, Brüx und Komotau, aus dem Jahr 1907, Gesamtansicht.

Quelle der Karte mapy.geology.cz

   


Ausschnitt aus obiger Karte mit dem Gebiet um Serbitz / Srbice nordöstlich von Teplice / Teplitz. Wir finden darauf die Grube Austria II gleich zweimal und zwar einmal zwischen Alt- und Neuserbitz und zum zweiten weiter westlich in Richtung Teplitz bei Soborten / Sobědruhy - eine davon hat auf dieser Karte sicherlich die falsche Nummer erhalten. Weiter östlich bei Sobochleben / Soběchleby lag der Schacht Austria III. In den Grubenfeldgrenzen finden wir dazu die Nummer 14. Der Legende zur Karte zufolge befanden sich diese Gruben zu dieser Zeit demnach nicht mehr im Besitz der Familie Perutz, sondern einer Karbitzer Kohlenbergbau- Gesellschaft Austria mit Sitz in Mariaschein / Bohosudov.

 

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im selben Gasthaus wohnte. Mit dem Obersteiger Felenda, einem Tschechen, bin ich gut ausgekommen. Der Dienst auf dem Werke war nicht sehr anstrengend, viel Zeit habe ich im Büro mit Zeichnen verbracht. Die im Jahre 1895 stattfindende Gewerbe- und Industrieausstellung in Teplitz gab Anlaß zur Ausfertigung eines Modells in Gips, an welchem die Ablagerung des mächtigen Kohlenlagers mit größeren und kleineren Verwerfungen beim Austria Schacht III in Karbitz 1) ersichtlich war. Das Modell, das ich unter Anleitung des Herrn Direktors Heinsius in Ton ausgearbeitet hatte, wurde von einem Teplitzer Bildhauer in Gips abgegossen und von mir sauber nachgeputzt. Auf einem von mir hierzu besonders angefertigten Grubenriß, der mit Glas und Rahmen über dem Modell aufgehängt wurde, war Ausrichtung, Vorrichtung und Abbau des Stein (auch im Originaltext gestrichen) Braunkohlenlagers zu ersehen. Ich erhielt Auftrag, öfter nach dem Rechten zu sehen, so daß ich manchen Nachmittag in der Ausstellung zugebracht habe.

In diesem Sommer erhielt ich einen Brief von meiner Mutter, in dem sie mir mitteilte, daß ein uns befreundeter Oberlehrer Haubold aus Bräunsdorf in Teplitz zur Kur weile. Sogleich nahm ich Gelegenheit, den Herrn zu besuchen, traf ihn aber nicht an, er war wie die Wirtin sagte, nach dem Schloßberg gegangen. Ich ging gleichfalls dorthin und traf auch Herrn Haubold in Gesellschaft eines alten Herrn beim Nachmittagskaffee. Dieser wurde mir als der Obersteiger Metzler von der Kaisergrube in Gersdorf bei Lugau vorgestellt, gleichfalls ein alter Bräunsdorfer und wie sich aus der Unterhaltung ergab, war er mit meiner Mutter in die Schule gegangen. Wie immer, wenn sich Landsleute und gar erst Menschen aus einem Heimatort und gleichen Berufes in der Fremde treffen, löste dies auch bei uns große

1) Noch eine Anmerkung zur Orientierung: Karbitz ist der deutsche Name der Stadt Chabařovice, etwa 7 km nordwestlich von Ústí n. L. gelegen. Hier am Fuß des Erzgebirges hat der Abbau der Braunkohlenlager des Egergrabens bereits 1740 begonnen (wikipedia.de).

   


Mehrere Profilschnitte durch das Nordböhmische Braunkohlenbecken, obere vier in NW- SO- Richtung, das untere in SW- NO- Richtung längs der Muldenachse. Darin schwarzgrau dargestellt das Braunkohlenflöz.

Quelle der Karte mapy.geology.cz

  


Etwas vergrößerter Ausschnitt aus obiger Schnittdarstellung aus dem Profil durch das Egerbecken von Mariaschein / Bohosudov im Norden (links) nach Serbitz / Srbice (rechts). Auf dem Profilschnitt liegen der Doblhoff Schacht (links), der Schacht Elbe II, ein Fundschacht und der Maria Theresia Schacht. Grau schraffierte Abschnitte im Flözverlauf könnten bereits abgebaute Abschnitte darstellen, das ist leider in der Legende nicht vermerkt. Vielleicht hat Emil Barthel's Gipsmodell also ungefähr diese Situation wiedergegeben...

  

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Freude aus. Er frug mich, ob mir´s in Böhmen gefalle, die Bezahlung sei doch meist sehr gering. Seine jungen Steiger dagegen erreichten schon im Anfang ein Einkommen von ca. 2.000 Mark. Da er in nächster Zeit in Pension gehe, werde eine Stelle auf seinem Werke frei, wenn ich hinkommen wolle, würde er sogleich nach seiner Rückkehr mit dem Bergdirektor Seg über meine Anstellung sprechen, ich solle nur ein Gesuch einreichen. Mir kam dieses Angebot überraschend und weil ich eigentlich so bald nicht an einen Stellenwechsel gedacht hatte, auch mich mit dem Einkommen, zwar nur 2 Gulden täglich, gut auskam, überlegte ich erst, versprach aber an den Direktor zu schreiben. Hinterher kamen mir Bedenken, ich hatte nämlich vom Steinkohlenbergbau nicht die beste Meinung und so verzögerte sich mein Schreiben wohl um 2 Wochen. Da erhielt ich aber schon wieder einen Brief von Metzler, worin er mir mitteilte, es sei alles geregelt, es bedürfe nur meiner Vorstellung. Nun aber gab es kein Überlegen mehr. Meinen Entschluß dem Direktor Heinsius mitzuteilen, fiel mir aber schwer, war ich doch noch kein volles Jahr dort. Ich war deshalb außerordentlich überrascht, als eines Morgens Heinsius an mich herantrat und fragte: „Steiger Barthel, falls Sie sich einmal verändern wollen, so sagen Sie es mir zuvor, oder haben Sie etwa schon etwas in Aussicht?“ Er bedaure, für mich in naher Zukunft keine bessere Stellung offen zu haben, deshalb habe er mich einem Freunde empfohlen. Ich erzählte ihm eben beschriebenes Zusammentreffen und betonte, daß ich allerdings das Werk Kaisergrube dem Werke Vereinsglück, wo sein Freund Direktor war, vorziehen würde und bat um Urlaub, mich vorstellen zu können. Hierauf mußte ich ihm das Versprechen geben, erst nach Oelsnitz zu seinem Freunde, Direktor Wurst zu fahren, ich hätte dann die Entscheidung selbst in der Hand, er aber sei seinem Freunde
  

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gegenüber gerecht geworden. Zum Glück traf ich Direktor Wurst in Oelsnitz nicht an und leichten Herzens wanderte ich nach der Kaisergrube 1). Hier war es nur eine Formalität, mein Engagement war fest. Ich verließ bald darauf, Ende September, meine erste, mir lieb gewordene Stellung und schied für immer aus einem lieben Bekanntenkreis. Mußte ich doch auch von meinem Freunde Abschied nehmen, welcher zu gleicher Zeit mit mir in Dresden gedient hatte und dann bei der gleichen Direktion auf einem Brüxer Werk 2) angestellt war, wo wir uns gegenseitig oft besucht hatten.

In meiner neuen Stellung fand ich unter den Steigern einige bekannte Kollegen, so daß ich mich sehr bald einlebte. Auch mein Freund Max Richter, Jahre zuvor mit mir vom Militär entlassen, war unter denselben. Wir waren bald einig, eine gemeinsame Wohnung zu mieten und so haben wir in guter Harmonie einige Jahre im Hause des Kohlenmessers L. Felgner zusammen gewohnt. Der Dienst auf der Grube war dreischichtig, dabei anstrengend und meist wenig befriedigend. Das Hoffen und Jagen nach Kohle (die Leistungen wurden ganz ungerecht nach der Anzahl der geförderten Kohlenhunte beurteilt), möglichst die Kollegen zu übertreffen, hatte ein System geschaffen, welches alle Poesie des Bergbaus hinwegräumte und die rechte Berufsfreudigkeit nicht aufkommen ließ. Dagegen konnte die Bezahlung als gut angesehen werden und ich konnte daran denken, einen Spargroschen zurückzulegen. Es muß auch zugegeben werden, daß ich hier viel praktische Erfahrungen sammeln konnte, die mir später sehr von Nutzen sein sollten.

So vergingen die Jahre und ich war nahe an

1) Zur Steinkohlenbaugesellschaft Gewerkschaft Kaisergrube in Gersdorf am NW- Rand des Lugau- Oelsnitzer Reviers gibt es im Bergarchiv umfangreiches Material, u. a. auch Bildmaterial aus just der Zeit, in der Emil Barthel hier als Steiger tätig gewesen ist.

Da darauf möglicherweise aber noch Nutzungs- oder Urheberrechte liegen, haben wir für die Veröffentlichung dieses Bildmaterials in unserem Beitrag vom Bergarchiv diesmal keine Genehmigung erhalten. Trotz Nachsuche scheint es tatsächlich so zu sein, daß dasjenige Exemplar dieses Fotoalbums, das 1896 zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der Gewerkschaft Kaisergrube erstellt worden ist, und welches im Staatsarchiv in Freiberg bewahrt wird (wo es in jedem Falle auch hingehört), das einzige erhalten gebliebene ist. Wir riskieren es jetzt trotzdem. Sollte einer unserer Leser also der Urheber der folgenden Fotos oder der Buchbinder des Einbandes aus dem Jahre 1896 sein: Bitte melden Sie sich bei uns! Wir hoffen dabei darauf, daß Sie sich darüber freuen, daß einige Ihrer Aufnahmen heute auch bei uns digital bewahrt und publiziert werden.

2) Brüx ist der deutsche Name der tschechischen Stadt Most.

  


Dieses im Bergarchiv Freiberg überlieferte Stück ist tatsächlich eine ungewöhnliche Rarität: Ein Fotoalbum, welches zum 25jährigen Bestehen des Steinkohlenbauvereins Kaisergrube zu Gersdorf im Jahr 1896 angelegt worden ist. Der Bildband ist in schwarzes Leder gebunden und der Einband mit einer kunstvollen Messing- Plakette verziert. Im Album sind Originalabzüge in Passepartouts gebunden. weswegen man schlecht nachschauen kann, ob sich auf der Rückseite der Abzüge der Stempel eines Fotoateliers findet. Quelle unserer Aufnahmen: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40108 (Bildmaterialien aus dem sächsischen Steinkohlenbergbau), Nr. T4870, hier ein Foto des Einbandes.

  


Eine der Übertageaufnahmen aus diesem Band zeigt uns, daß das Werk zu dieser Zeit bereits über eine eigene Kohlenbahn mit Anschluß zum Bahnhof in Oelsnitz/E. verfügte. Kurz vor der Jahrhundertwende, als Emil Barthel hier als Steiger tätig gewesen ist, gehörte die Kaisergrube zu den modernsten Bergwerken im Lugau- Oelsnitzer- Steinkohlenrevier.

  


Eine Ansicht der Grubenanlagen aus diesem Band. Die Kaisergrube war eine Doppelschachtanlage mit den beiden Schächten
I (links im Bild) und II (rechts im Hintergrund) und lag westlich von Gersdorf und nördlich von Oelsnitz im Erzgebirge.

  


Wie dieses Foto aus dem Band zeigt, waren beide Schächte auch untereinander durch einen Bahndamm verbunden: Hier der Blick vom Förderturm des Schachtes
I zum Schacht II, im Hintergrund einige Häuser der damals noch ländlich geprägten Ortslage Gersdorf.

  


Eine weitere Aufnahme aus diesem Band zeigt Streckenvortrieb im Kohlenflöz.

  


Wie diese Aufnahme aus obigem Band zeigt, kam in tektonisch gestörten und besonders druckhaften Flözabschnitten auf der Kaisergrube zu dieser Zeit bereits Stahlbogen- Ausbau in wichtigen Strecken zum Einsatz. Auch untertage war die Kaisergrube - gewissermaßen gezwungenermaßen - zu Emil Barthel's Dienstzeit also schon ein sehr modern ausgerüstetes Bergwerk, über dessen Geschichte man sehr lange Artikel verfassen könnte...

  


Wie es damals üblich war, enthielt dieser Band auch Belegschaftsfotos. Mit Sicherheit paßte die gesamte anfahrende Belegschaft nicht mehr auf ein Bild, immerhin aber die Beamten. Einer der jüngeren Steiger (kenntlich an der Kappe ohne Krempe) in der zweiten Reihe könnte im Jahr 1896 Emil Barthel gewesen sein.

  

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die 30 Jahre gekommen. Ich entschloß mich, einen eigenen Herd zu gründen; meine Stellung und Einkommen gestatteten es. Am 11. September 1899 wurde unser Lebensbund geschlossen und ihn der Nikolaikirche zu Freiberg eingesegnet und Gott war mit uns. Ich habe ihm manches Mal gedankt, denn er hat unseren Bund gesegnet und war uns Nutze und Trost in schweren Lebenslagen. Unsere Begegnung lag weit zurück, hatte aber Eindruck bei mir hinterlassen. Ich habe aber vermieden, in jungen Jahren ein Verhältnis anzuknüpfen, erst wollte ich etwas lernen und mir eine sichere Lebensgrundlage schaffen. Ohne unser eigenes Zutun führte uns ein Zufall später wieder zusammen und nun erst lernten wir uns näher kennen. Das Verhältnis hat 5 Jahre in einer Liebe und gegenseitiger Achtung bestanden. Wir waren noch nicht lange verheiratet, da hatte ich Gelegenheit, eine Stelle im Kalibergbau anzunehmen, tat es aber nicht, ich wollte das schöne eigene Heim nicht sobald wieder verlassen. Mein Freund Prager, welcher inzwischen auch im Revier Anstellung gefunden hatte, bewarb sich und erhielt die Stelle. Zuvor schon wollte mich mein früherer Direktor Heinsius wieder nach Böhmen zu holen. Ich sollte bei Brüx einen Schacht teufen und die Leitung des Betriebes übernehmen. Auch dieses Angebot schlug ich dankend ab, ein stichhaltiger Grund war mit die unzulänglichen Pensionsverhältnisse in Böhmen. Und doch fand ich im Steinkohlenbergbau nicht, was ich suchte, volle Befriedigung im Berufe.

 

 
 
 

Im Kalkwerk Herold ab 1903

  

Da im Winter 1902 bot sich mir eine Gelegenheit zum nochmaligen Wechsel der Stellung. Mein Freund Reuther hatte bei Gretschel angefragt, ob er einen geeigneten Mann vorschlagen könne, für die Leitung vom Herolder Kalkwerk und dieser hatte an mich gedacht. Der Besitzer Eduard Böhme war gestorben, die Witwe wollte einen selbständig arbeitenden Betriebsleiter haben und hatte dem bisherigen Steiger gekündigt. Obwohl das Angebot an sich zusagte, habe ich mich schwer entschlossen, hinzugehen. Aus gutbezahlter Stellung
     

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heraus zu gehen, wo ich als brauchbarer Angestellter anerkannt war, zu einer Frau als Besitzerin, war wohl zu überlegen. Andererseits aber war ich in den besten Jahren, eine selbständige Stelle zu übernehmen, mein ganzes Leben etwa auf Steinkohle zuzubringen, lag durchaus nicht in meinem Willen. Freunde rieten mir zu, andere wieder ab. Ich entschloß mich, hinzugehen.

Am 2. April 1903 siedelten wir nach Herold über. Unseren kranken Jungen Rudolf (2½ Jahre alt) nahm die Großmutter mit nach Freiberg, unverantwortlich vom Arzt, daß er es zugegeben hatte, das Kind hatte Lungenentzündung, was wir nicht wußten. In Herold waren die Handwerker noch beim Vorrichten der Wohnung, so daß der Einzug mit Hindernissen und bei schlechtem Wetter erfolgte. Der Wechsel schien unter keinem günstigen Stern zu stehen. Meine erste Enttäuschung war das Ausbleiben meines Freundes Eduard Reuther, welcher das zugehörige Kalkwerk in Hammerunterwiesenthal leitete. Es war verabredet, er sollte mich in den bisher fremden Kalkwerksbetrieb einführen. Aus verschiedenen Gründen war er angeblich beim eigenen Werk unabkömmlich, den wahren Grund erfuhr ich später. Das Frühjahrsgeschäft hatte gut eingesetzt, kam aber bald nach Beendigung der Düngekalkkampagnen und infolge geringer Bautätigkeit ins Stocken. Da ich dem auch nicht abhelfen konnte, suchte Frau Böhme meine betrieblichen Anordnungen zu durchkreuzen, wo sie nur konnte. Es fanden bald rechte Aussprachen zwischen uns statt und ich habe danach schwer bereut, nach Herold gegangen zu sein. Ich lernte dort eine Frau kennen, welche auf der einen Seite die Liebe und Freundlichkeit selber war, auf der anderen Seite aber recht unschöne Eigenschaften bis zur Niederträchtigkeit besaß. Sie war sonst fleißig und tüchtig.
  

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Alle meine Vorschläge zur Verbesserung der Betriebseinrichtungen wurden mit der Begründung abgelehnt, erst müssen wir Geld verdienen, dann können wir´s vielleicht machen. Sie wollte nicht einsehen, daß nur durch eine Umstellung Geld zu verdienen sei. Durch meine eifrigsten Bemühungen gelang es, den Kundenkreis zu erweitern, aber es mußten Preise eingeräumt werden, welche nur einen ganz bescheidenen Gewinn abwarfen, der zur Bestreitung des herrschaftlichen Haushalts kaum genügte.

Im Jahre 1906 erkrankte Frau Böhme ernstlich. Die Krankheit hatte sie ruhiger und teilnahmsloser gemacht. Jetzt erst konnte ich selbständiger arbeiten, wie ich wollte und es machte, fand auch sie richtig, ich hatte nun ihr volles Vertrauen. Auf dringendes Anraten des Arztes wurde die Kranke nach Chemnitz in die Zimmermann'sche Heilanstalt gebracht. Wir alle hatten ernste Sorge um ihr Leben. Ihr Zustand verschlimmerte sich, schon nach 10 Tagen starb sie nach schwerem Todeskampf. Ich war nun die letzten Stunden in ihrer Nähe und mußte den Todeskampf mit ansehen. Mich hatte dies so ergriffen, daß ich alles vergaß, was ich Angenehmes von ihr erfahren hatte und ihren frühen Tod mit beklagt habe, hinterließ sie doch drei unmündige Kinder. Die bald vom Vormundschaftsgericht verlangte Erbschaftsregulierung wurde vom Onkel der Frau Böhme geleitet. Reuther und ich bekamen Prokura und die Oberaufsicht sollte der Onkel führen. Jedoch stellte sich bald heraus, daß dies nicht ohne Eigennutz geschehen sollte. Ein Konflikt mit dem Vormundschaftsgericht brachte bald ein Ende. Nach längerem Suchen übernahm ein Privatmann aus Chemnitz namens Hermann, von Beruf Kaufmann, die Vormundschaft. Ihm mußten die Monatsabschlüsse geschickt werden, sonst enthielt er sich jeder Einmischung in die Betriebe. Jetzt erst war es möglich, mit Lust und Liebe zu arbeiten und ich muß bekennen, die folgenden 10 Jahre sind die schönsten in meinem Berufe ge-
  

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wesen, trotzdem ich sehr viel Arbeit hatte. Mein längst gehegter Wunsch, durch eine Terrazzoanlage den vorzüglichen reinweißen Kalkstein besser zu verwerten, fand bei Herrn Hermann volles Verständnis, da er 3/15 der Anteile vom Besitz vertrat, mußten die älteren Geschwister Böhme mitmachen und es sollte nicht zu ihrem Schaden sein. Die hergestellten Terrazzo- Körnungen, unter der Bezeichnung „Reinweiß“ in den Handel gebracht, fanden bald guten Absatz. Die kommenden Jahre brachten die besten Ergebnisse, die das Werk wohl je aufzuweisen gehabt hat. Ohne das Kalkgeschäft zu vernachlässigen, wurde das Terrazzogeschäft bald der wesentlichste Betriebszweig, der auch den besten Gewinn brachte. Für mich hatte es aber auch viel Mehrarbeit gebracht. Viele Abende habe ich über den Geschäftsbüchern gesessen, um mit den Buchungen nachzukommen, am Tage wurde ich zuviel durch den Betrieb abgelenkt und gestört. Eine üble Zugabe war die zum Werk gehörige Landwirtschaft, die ich mit zu überwachen hatte. Der ganze Besitz war über 40 ha groß, davon 19 ha Wald und ca. 18 ha unter dem Pflug. Da die Frühjahrsbestellung der Felder und die Ernten auch in die flotte Geschäftszeit des Kalkwerks fielen, wußte ich manchmal die Arbeit kaum zu bewältigen. Aber der Erfolg meiner Arbeit und das gute Verhältnis zu den Besitzern war mir Lohn genug und wahres Glück, Freude im Beruf erleben zu dürfen. Wir lebten so recht glücklich und zufrieden. Am 11. Februar 1904 wurde unser zweiter Sohn Heinz und am 1. August 1911 unser dritter Sohn Konrad geboren.

Bis zum Sommer 1914 war alles gut gegangen. Industrie, Handel und Wandel standen seit Jahren in Blüte, das deutsche Volk war reich geworden. Aber es hatte zu wenig auf die Nachbarvölker geschaut, welche unseren Aufstieg mit Neid betrachteten. Man fürchtete uns als Rivalen
 

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auf dem Weltmarkt und glaubte unseren Handel zerstören zu müssen, dazu kam die Revanchelust Frankreichs und die Großmannssucht gewisser Kreise in Rußland. Der politische Himmel verfinsterte sich immer mehr und das ahnungslose deutsche Volk sah sich plötzlich in den schrecklichsten aller Kriege gedrängt. Am 31. Juli 1914 war der Kaiser zur Kriegserklärung an Rußland gezwungen, da dies schon angefangen hatte, sein Heer mobil zu machen und unsere Grenze zu bedrohen. Unser Bundesgenosse Österreich befand sich bereits im Kriege mit Serbien, weil die Verschwörung, welche die Ermordung des österreichischen Thronfolgers zur Folge hatte, bis in die Kreise der serbischen Offiziere ging und die von Österreich geforderte Genugtuung verweigert wurde. Kriegserklärungen erfolgten nun fast täglich und Deutschland mußte gegen eine Welt voll Feinde kämpfen. Es war eine große Zeit und alles eilte zu den Fahnen.

Das Geschäft aber stockte mit einem Schlage und während der langen Kriegsdauer war der Betrieb wenig einträglich. Gediente und Ungediente bis zu 45 Jahren wurden eingezogen, nur noch alte Arbeiter und kaum der Schule entwachsene Jungen mußten die Arbeiten verrichten. In der späteren Kriegszeit, wo die Lebensmittel sehr knapp waren und eine wirkliche Unterernährung eintrat, steigerten sich die Schwierigkeiten bis zur Unerträglichkeit. Ich selbst stand an der Grenze des dienstpflichtigen Alters, wurde aber als unabkömmlich reklamiert und nicht eingezogen. Die Hüttenwerke und Eisengießereien, welche Kriegsmaterial herstellten, arbeiteten Tag und Nacht und brauchten zu den Schmelzprozessen viel Kalkstein.

Um die Ernährungsverhältnisse für die Besitzer und beim Werk Beschäftigte etwas günstiger zu gestalten, wurden Kühe eingestellt. Die mit der Milchwirtschaft verbundene Arbeit fiel der Mutter zu, dadurch aber haben wir die Hungerzeit doch nicht so verspürt, wie z. B. die Bevölkerung in den großen Städten.
 

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Unsere Familie hat in dem Ringen Deutschlands schwere Opfer bringen müssen. Von meinen Brüdern Karl und Johann zogen je 3 Söhne mit ins Feld. Davon fielen schon in den ersten Monaten alle Söhne meines Bruders Karl in Frankreich. Im Frühjahr 1915 starb Bruder Johann und im Sommer 1916 Bruder Karl an einer Operation in Dresden. Meine liebe Mutter hatten wir hoch betagt (82 J.) im November 1911 zur Ruhe gebracht. Gott hat es gut gemeint, daß er sie abrief, ehe das große Sterben in der Familie einbrach. Am Ende des Krieges im November 1918 starb auch noch mein Bruder Franz, 66 Jahre alt.

Auch die Familie Böhme wurde schwer getroffen. Die jüngsten der Geschwister Eduard und Ludwig waren als Kampfflieger im Felde. Erster fiel durch Absturz mit seinem Flugzeug bei Enzisheim im Elsaß, von wo er nach der Heimat überführt wurde. Ludwig starb im Lazarett in Großenhain an Lungenentzündung.

Der langersehnte, ruhmvolle Frieden, welchen Deutschland auf Grund seiner Erfolge verdient hatte und der auch erwartet werden durfte, sollte uns nicht vergönnt sein. Dafür kam ein furchtbarer Zusammenbruch im Innern des Reiches, nicht an der Front. Deutschland mußte einen schimpflichen grausamen Frieden unterzeichnen. Kaiserlos geworden, von falschen Führern versetzt, begann im Volk ein Kampf aller gegen alle. Die kommenden Jahre waren die schwersten in meinem Leben. Im Jahre 1923 nahm die schon seit Jahren bestehende Inflation ein solches Ausmaß an, daß selbst die größten Barvermögen bei Sparkassen, Banken oder in wertpapieren völlig wertlos wurden. Eine Reichsmark = 1 Billion (1.000.000.000.000). Alle unsere Ersparnisse waren verloren, der weitaus größte Teil des deutschen Volkes war bettelarm geworden. So erging es auch uns, wir standen
  

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vor einem Nichts. Man hätte es als ein schweres Verbrechen am Vaterlande empfunden, wenn man nicht die letzte Mark zur Kriegsanleihe hergegeben hätte. Eine unverantwortliche Regierung ließ uns dieser Katastrophe zutreiben, ein Volksbetrug, wie er wohl nie zuvor in der deutschen Geschichte vorgekommen ist. Selbst die später erfolgte teilweise Aufwertung änderte daran nichts.

Aber nicht dies allein, noch stand das Schwerste bevor. Durch Wiederverheiratung der Witwe gewordenen ältesten Tochter in der Familie Böhme kam eine Person in den Besitzerkreis, welche bald allen Frieden in der Familie und auf dem Kalkwerke störte. Durch unmögliche Forderungen, welche ich als verantwortlicher Geschäftsführer nicht erfüllen konnte und welche auch von den anderen Besitzern nicht gebilligt wurden, entstand bald ein Verhältnis zwischen uns, welches früher oder später zum Bruche führen mußte. Mit den gemeinsten Mitteln, Verleumdung und Lüge wurde gegen mich gearbeitet, selbst die eigenen Arbeiter wurden in kurzsichtigster Weise gegen mich aufgehetzt, wenn auch mit wenig Erfolg, und dies in einer Zeit, wo die schwersten Lohnkämpfe zu bestehen waren. Obwohl ich gegen alle diese Anschuldigungen ein reines Gewissen setzen konnte, so waren durch die Aufregungen und Kränkungen, wie auch durch die schwere Kriegs- und Nachkriegszeit meine Nerven so herunter, daß ich ernstlich einen Zusammenbruch befürchtete. Das Arbeiten auf dem Werke war mir zuletzt so verekelt, mein Interesse für alles was auf dem Werke vorging mit einem Male so abgestumpft, daß ich mich fragte, was daraus werden solle. Gelegentlich einer Tarifamtssitzung erzählte ich von den Zuständen, welche bei dem Herolder Kalkwerk eingerissen waren und in welch unangenehme Lage ich gekommen war, dem mit mir als Beisitzer fungierenden Oberbergrat Kirsch vom sächsischen Finanzministerium. Dieser Herr zeigte volles Verständnis für meine Lage und frug
 

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mich dann, ob ich zu ihm kommen würde, wenn er etwas passendes hätte. Ich sagte, unter den jetzigen Verhältnissen würde ich gern zu ihm kommen, nicht ahnend, daß sich die Gelegenheit so bald dazu bieten würde und mich vor die erste Frage gestellt zu sehen, in meinem Alter von 54 Jahren nochmals meinen Wirkungskreis wechseln zu wollen. Nach dem Vorhergegangenen konnte es eigentlich gar keinen Zweifel geben. Und doch, wer in einer ähnlichen Lage je in seinem Leben gestanden hat, wird mir bestätigen, wie schwer es ist, die letzte Entscheidung zu treffen.

Schon im zeitigen Frühjahr 1924 erhielt ich von Dresden die schriftliche Anfrage, ob ich bereit wäre, die Betriebsführung beim staatlichen Kalkwerk Hammerunterwiesenthal anzunehmen. Die Entschließung müsse aber schnellstens erfolgen und die Stelle bald wieder besetzt werden. Ich bat mir Bedenkzeit und die Möglichkeit einer Aussprache mit Herrn Ministerialrat Kirsch aus. Bei dieser, welche in Dresden im Finanzministerium stattfand, wurde mir an Gehalt und sonstigen Bezügen mindestens dasselbe zugesagt, was mir in Herold zustand. Ohne weiteres Zögern sagte ich jetzt zu, wenn mir ein gesetzmäßiger Abgang nach einvierteljährlicher Kündigung gestattet werde. Man willigte ein und der Termin meines Antritts war der 1. Juli 1924.

  

 
 
 

Im Kalkwerk Hammerunterwiesenthal ab 1924

  

Meine Kündigung wurde von dem einen Mitbesitzer Herrn Direktor Wunderlich nicht ernst genommen, er konnte sich nicht denken, daß ich wirklich gehen wollte. Als er aber meinen festen Willen sah, gab er sich alle Mühe, mich zu bewegen, von meinem Vorhaben abzusehen und hat mir dadurch den Abgang nicht leicht gemacht. Aber für mich war kein Bleiben mehr und ich sinne selbst heute noch manchmal darüber nach, wie damals alle Lust zu arbeiten in Herold so schlagartig schwinden konnte. Aber die Kränk-
  

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ung war zu groß, meine Arbeitskraft so gelähmt, daß ich gar nicht anders handeln konnte, wo sich mir die Gelegenheit so günstig bot.

Dagegen wurde mir meine neue Stelle mit vollem Vertrauen übertragen und ich konnte mit Lust und Liebe und auch nicht ohne Erfolg ans Werke gehen. In der Familie meines Freundes Max Richter, welcher das hiesige Böhme'sche Kalkwerk verwaltete, fanden wir liebe Nachbarn und lebten uns recht bald gut ein. Trotzdem war ich in Gedanken fast täglich, ja selbst oft im Traume in Herold, was wohl kein Wunder war. Ein Platz, an dem man über 21 Jahre mit Anhänglichkeit und Aufopferung gewirkt hatte und wo man so viele liebe Freunde zurücklassen mußte, konnte nicht so schnell aus der Erinnerung verschwinden. Selbst meine liebe Frau konnte dem Zureden des Herrn Wunderlich, in Herold zu bleiben, kaum widerstehen und unsere Söhne, welche mit dem Weggange ihre Heimat verloren, konnten mich nicht verstehen. Und doch hatte ich recht gehandelt. Meine Nerven stärkten sich wieder, ich fühlte mich wohl, die Arbeit, welche ich in meiner neuen Stellung vorfand, war mir eher zu wenig, als zuviel. Wie oft habe ich Gott gedankt, daß er alles zum besten gelenkt hatte, seine Wege sind doch wunderbar.

Zu den Sorgen, welche die Inflation, die Widerwärtigkeiten auf dem Werk im Jahre 1923 gebracht hatten, kam noch eine weitere. Unser zweiter Sohn Heinz, welcher Ostern vorher sein Abitur auf dem Realgymnasium in Freiberg gemacht hatte und im Sommer in den Riesaer Stahlwerken sich praktisch vorbereitet hatte (er wollte Eisenhüttenkunde studieren), trat an mich heran und bat um meine Einwilligungserklärung zum Studium in Freiberg. Obwohl ich immer die Ansicht vertreten hatte, den Jungen durch eine gute Ausbildung den Kampf fürs Leben und das Fortkommen zu erleichtern, sollten nun gerade in dem Augenblick, wo alle
 

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Ersparnisse durch die Inflation verloren worden waren, die Gelder zum Studium aufgebracht werden. Dank meines sicheren guten Einkommens haben wir die Zeit überwunden und es nicht bereuen müssen. Zwar mußten wir Heinz knapp halten, da auch unser Jüngster gleichzeitig als Realgymnasiast in Annaberg einiges kostete. Unser ältester Sohn Rudolf, der die Bergschule in Freiberg besucht und verschiedene Anfangsstellen von kürzerer Dauer gehabt hatte, fand im Jahre 1924 durch Vermittlung meines Freundes, des Amtsbergmeisters Oswald Fritzsche, auf dem Braunkohlenwerk „Kraft“ in Deutzen 1) eine gesicherte Anstellung, so daß wir einer großen Sorge enthoben waren. Viele junge tüchtige Bergbeamte wurden in den folgenden Jahren stellungslos. Heinz hatte Glück. Nach seiner mit „sehr gut“ abgelegten Diplomprüfung konnte er durch Vermittlung seines Professors Maurer bei den Mitteldeutschen Stahlwerken in Riesa Unterkommen finden, wo er trotz katastrophaler Wirtschaftslage in den letzten Jahren, welche den Abbau vieler Angestellter zur Folge hatte, heute noch tätig ist.

So dankbar wir Gott sein müssen, daß er in einer Zeit, wo Millionen Volksgenossen ohne Arbeit und Brot sind, unsere Söhne vor der Geist und Seele zermürbenden Stellenlosigkeit verschont hat, immer noch bleibt die Sorge um unseren Jüngsten bestehen. Unsere Absicht, ihn Volksschullehrer werden zu lassen, wurde mit dem Gesetz der akademischen Lehrerbildung hinfällig. Von Jahr zu Jahr auf Besserung der Wirtschaftslage hoffend, um eine Berufswahl treffen zu können, verschlechterten sich die Verhältnisse immer mehr. Mit den besten Zensuren verließ Konrad das Annaberger Realgymnasium, ohne Aussicht, einen Beruf erwählen zu können, welcher noch nicht überfüllt war und Aussicht für eine sichere Zukunft offen ließ. So hat er, seiner Neigung

1) Emil Barthel´s Erinnerungen sind an dieser Stelle nicht ganz exakt, denn es handelte sich in Deutzen genau genommen um das Braunkohlenwerk ,Kraft II´ ‒ eines von insgesamt drei Werken dieses Namens. Das Werk ,Kraft I´ befand sich bei Thräna nahe der Landesgrenze zwischen Sachsen und Thüringen, das Werk ,Kraft III´ in Blumroda bei Borna. Letzteres wurde als ,Glück Auf Schacht´ durch die Gewerkschaft Glück Auf zu Borna wohl als erstes dieser drei bereits um 1884 aufgenommen (40024-7, Nr. 171). Die Werke wurden 1912 durch die Niederlausitzer Kohlenwerke AG übernommen. Unter deren Betriebsführung wurde 1924 Rudolf Barthel hier als Steiger angestellt. 1933 kam es in der Brikettfabrik des Werkes zu einer Kohlenstaubexplosion (40024-23, Nr. 445). 1939 wurden die Braunkohlenwerke dann durch die Deutsche Kohlenbergbau Gesellschaft in Berlin und 1940 durch die Salzdetfurth AG übernommen. Sie standen auch nach 1945 noch in Betrieb.

  

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folgend, im Sommer 1931 (ein Studium) für Germanistik und Geschichte an der Universität Leipzig begonnen. Gebe Gott, daß er es gut beendet und sich in dieser Zeit auch die wirtschaftliche Lage wieder günstiger gestaltet.

Soweit das Wichtigste aus meinem Leben bis zum Jahre 1931, noch während ich im Berufsleben stand in Hammerunterwiesenthal.

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An dieser Stelle besteht einige der wenigen Zäsuren im Text. Der folgende Abschnitt stellt offenbar eine Einfügung aus späterer Zeit dar, während der bisherige Teil von Emil Barthel wohl schon in den 1930er Jahren erstmals aufgeschrieben worden ist. Da Text und Schriftbild in diesem Druckexemplar jedoch einheitlich fortlaufen, gehen wir davon aus, daß der gesamte Text in dieser Form erst später zusammengefaßt worden ist.

Der weitere Text berichtet vorrangig von verschiedenen Reisen und familiären Erinnerungen. Eingestreut darin findet man aber auch immer wieder kurze Angaben über Ereignisse im Kalkwerk oder über Geschäftspartner, mit denen das Werk in Beziehung stand.

 


Faksimile des Blatts 24 aus der Handschrift.

   

Seitdem sind weitere 13 Jahre vergangen, davon durften wir schon über 8 Jahre im Ruhestand verleben. Aber leider waren es nicht nur ruhige Jahre für uns, wie wir gehofft hatten, sondern freudige und ernste Erlebnisse wechselten, Sorgen schlichen sich wiederholt ein und solche bedrücken uns durch den Krieg heute noch.

Als mir in meinen Mußestunden die frühere Niederschrift aus meinem Leben wieder einmal in die Hände kam, mußte ich beim Durchlesen derselben feststellen, daß viel aus der Zeit nach 1931 nachzutragen war und so manches frühere erwähnenswert sei, was ich nicht niedergeschrieben hatte, was mir aber in Erinnerung geblieben war. Trotzdem dürfte mein Gedächtnis manche Lücke gelassen haben. Ich denke dabei an Reisen und Wanderungen mit Frau und Kindern, sowie lieben Freunden. Wenn diese auch auf meinen Lebenslauf ohne Einfluß waren, so haben sie doch in den meist gleichmäßigen Ablauf des Dienstes willkommene, belebende Abwechslung gebracht. Alles das möchte ich nachholen, dabei wird sich nicht vermeiden lassen, daß ich mich öfter wiederholen werden, sei es, um manches ausführlicher zu behandeln, anderes nur wieder zu erwähnen.

Die Freude an der Natur ist mir von Jugend auf bis ins Alter die schönste gewesen. Es mag daran gelegen haben, weil ich die Jahre meiner Kindheit auf dem Lande, im Heimatdörfchen mit seinen fruchtbaren Fluren, von schönen Wäldern und altersgrünen Berghalden, Zeugen längst stillgelegten
  

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Silberbergbaus, sorglos verleben konnte. Mit Jugendgespielen habe ich Feld und Wald durchstreift, wo wir im Frühjahr, nachdem der Saft in die jungen Weidenruten aufgestiegen war, Pfeifen und Bässe herstellten, indem wir die Rinde losklopften, abschälten und dann spiralartig übereinandergewinkelt, mit einem Mundstück, ebenfalls aus der Rinde, versahen. Damit wurde ein baßähnlicher Ton hervorgebracht. Die Beeren- und Pilzzeit lockte uns in die Wälder. Manches Krüglein frischer Heidelbeeren und manches Säckchen Pilze wurde zur Freude der Mutter heimgebracht. Wenn das reife Getreide gemäht und die Felder geräumt waren, gingen wir Kinder, aber auch Frauen, Ähren lesen. Die ausgedroschenen Körner wurden beim Bäcker in Brot umgesetzt. Besonders freuten wir uns auf die Kartoffelernte, wo wir von früh bis abends bei den Bauern halfen, sogar auf Höfe in Nachbarorten gingen. Wir erhielten einen Tagelohn je nach dem Alter von 0,70 - 1,00 Mark. Nebenbei sei bemerkt, daß wir während der Kartoffelferien meist ein Gesangbuchlied von
8 - 10 Versen auswendig lernen mußten, was mir schwer zu schaffen gemacht hat. Solange es die Witterung erlaubte, habe ich die Ziegen meiner Tante auf die Weide getrieben und gehütet. Der Sinn für die Natur ist gewiß dadurch angeregt worden, obgleich wir selten über die Ortstür, höchstens in die Nachbardörfer hinaus gekommen sind. Durften wir einmal nach Freiberg oder Hainichen, so war das schon eine Reise.

Eine Ausnahme war eine Schulreise nach Dresden in den zoologischen Garten, die sehr in Erinnerung geblieben ist. Heute noch muß ich darüber lachen, wenn ich daran denke, als wir in Reih und Glied, um hübsch beisammen zu bleiben und dem Lehrer die Aufsicht zu erleichtern, vom Bahnhof auf der Prager Straße einwärts gingen und vor
  

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einem uns entgegenkommenden General mit breiten, roten Streifen an den Hosen und rotem Mantelaufschlag wie aufs Kommando alle unsere Mützen zogen und laut mit „Guten Tag“ grüßten, wofür der hohe Herr sichtlich erfreut freundlich dankte. Wir waren das Grüßen vom Dorfe her gewöhnt, vor allem, wenn so auffällige Persönlichkeiten uns begegneten. Ebenso erinnere ich mich eines belustigenden Vorfalls vor dem Elefantenzwinger. Es machte uns Spaß, wenn das Tier in Tüten dargebotene Früchte auswickelte und verzehrte. Ein neckischer Junge unter uns aber hatte von seinem gewollten Spaß eine andere Wirkung erwartet, als er ein zusammengeknülltes Papier dem Elefanten zuwarf, welcher es mit dem Rüssel entwirrte und da er nichts fand, sich anscheinend ärgerlich abwand und einen Rundgang durch seinen Zwinger machte. Als er wieder in die Nähe des Gitters kam, an welchem dicht der kleine Sünder stand, blies er diesen durch den Rüssel so stark an, daß ihm das Lachen verging und für seinen übermütigen Streich bestraft war.

So manche heitere wie auch ernste Erinnerung an meine Kindheit ist mir ins Gedächtnis zurückgerufen worden, wenn ich in späteren Jahren und im hohen Alter wieder einmal die Schritte durch die bekannten Wege und Gäßchen meines Heimatdörfchens lenken konnte. Manches hat sich verändert, aber es ist doch in der Hauptsache geblieben, wie es früher war. Nur die Gesichter sind andere und selten noch trifft man Altersgenossen, mit denen man sich über die frühere Zeit unterhalten kann. Namentlich, nachdem die Mutter zur ewigen Ruhe eingegangen ist, fühlt man sich heimatlos und als Fremder im lieben Geburtsort.

Während des Besuches der Bergschule zu Freiberg, wo zur Festigung des Unterrichts in Mineralogie und Geologie oder auch der Bergbaukunde Exkursionen unter Führung der betreffenden Lehrer in die nähere und weitere Umgebung Freibergs stattfanden, wurde die Freude an der Natur und am Wandern
 

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bei vielen Schülern besonders angeregt. In kurzen Berichten mußten wir das Gesehene niederschreiben und dadurch ist so manches dem Gedächtnis geblieben, an das man noch gern zurückdenkt. In den späteren Jahren habe ich gern die Gelegenheit benutzt, teils allein, zumeist aber mit Frau und Kindern kleine oder größere Reisen und Wanderungen auszuführen, um immer wieder andere Gegenden unseres lieben Sachsenlandes und des benachbarten Böhmens kennen zu lernen. Meine Stellung ließ mir dazu leider wenig Zeit, geregelte Urlaubszeiten wie heute gab es noch nicht. Ich will versuchen, diese Reisen und Wanderungen, soweit mein Gedächtnis noch reicht, kurz zu beschreiben, nur bedaure ich der Gabe zu ermangeln, schriftlich alles das so gut zum Ausdruck bringen zu können, wie ich möchte und was ich dabei an Freude empfunden habe. Es mag ein bescheidener Versuch bleiben.

Wie oben erwähnt, begannen meine ersten Reiseeindrücke mit den Exkursionen während meiner Bergschulzeit. Eine Tageswanderung in die nähere Umgebung Freibergs sollte uns die geologischen Verhältnisse an Bahneinschnitten und Steinbrüchen veranschaulichen. Später besuchten wir mit Bergschuldirektor Treptow das Königliche Steinkohlenwerk Zaukerode und sahen dabei das erste Mal als Erzbergmann den Abbau von Steinkohle, worauf ich nicht näher eingehen will. Die schönste Exkursion aber war die dreitägige nach Böhmen und dem Elbsandsteingebirge. Aus meinem damaligen Bericht sei hier nur das Wichtigste gesagt.

Wir fuhren bis Station Hermsdorf- Rehefeld und besuchten zunächst das unterirdische Kalksteinlager Zaunhaus, welches durch Weitungsbau abgebaut wurde, eine Abbauweise, wie ich sie später auch in Herold antraf und zuletzt selbst auch in Hammerunterwiesenthal angewendet habe. Auf der anschließenden Wanderung nach Altenberg wurden wir von unserem Lehrer Zinkeisen über die verschiedenen Gesteinsvorkommen belehrt. In Altenberg selbst galt unser Besuch dem Zinnerzbergwerk. Die Lagerstätte, welche hier abgebaut wird, ist ein
   

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Zinnstockwerk, in Granit und Porphyr eingebettet. Der Bergbau hier ist sehr alt, scheint aber in früherer Zeit nicht immer fachgemäß betrieben worden zu sein, so daß ein Zusammenbruch erfolgte, der eine gewaltige Binge hinterlassen hat. In neuerer Zeit hat man vom Römerschacht aus, der im festen Gebirge steht, von verschiedenen Sohlen aus Strecken gegen die Bruchmassen vorgetrieben und gewinnt mit Schubörtern die losen zinnerzhaltigen Massen. Die Aufbereitung der Erze erfolgt, nachdem es naß gepocht ist, zunächst durch Rösten in Flammöfen, um die schwefeligen und arsenigen Beimengungen zu entfernen. Das in geringen Mengen enthaltene Wismut wird durch Auslaugen mit Salzsäure in Lösung überführt. Endlich wird der ausgelaugte Schlich auf Handherden gewaschen und dann fast nur noch reines Zinnerz, welches durch Verschmelzen zu Zinn verarbeitet wird. Wie schon erwähnt, erfolgte das Zubruchgehen der Altenberger Gruben im Jahre 1620 durch unvorsichtiges Abbauen. Man schwächte die Sicherheitspfeiler immer mehr, bis diese zuletzt dem Drucke nicht mehr widerstehen konnten. Die entstandene Binge hat eine Länge von ca. 300 m und eine Tiefe von bis 90 m.

Wir wanderten weiter nach dem benachbarten Zinnwald, wo gleichfalls noch Bergbau auf Zinnerz umgeht. Das erzführende Gestein ist hier in Greisen umgewandelter Granit. Außer Zinnerz ist die Gewinnung von Wolfram besonders wichtig, einem Mineral, welches man früher nicht zu verwerten wußte, heute aber in der Herstellung des Wolframstahls sehr wichtig ist, so daß sich gelohnt hat, die Halden wieder umzukutten, auf welche man das Mineral mit den tauben Massen gestürzt hatte. Wolfram ist seitdem das Hauptprodukt Zinnwalds geworden.

Die große Binge vor dem Mückentürmchen 2) ist auf ähnliche Weise entstanden, wie die Altenberger. Der sonst so schöne Ausblick über das böhmische Mittelgebirge und den Erzgebirgskamm wurde durch starken Nebel völlig vereitelt.

Umso besser bot uns die Fahrt nach Brüx Gelegenheit, den steilen Südabhang

1) Zur Aufbereitung der Zinnerze gibt es in unserer Technik- Rubrik einen Beitrag.

2) Das Mückentürmchen trägt den tschechischen Namen Komáří hůrka und ist ein Berggipfel und bekannter Aussichtspunkt, nordöstlich von Krupka / Graupen und südöstlich von Cínovec / Böhmisch Zinnwald unmittelbar oberhalb des markanten Steilabfalls des Erzgebirges zum Egergraben hin gelegen. Der Zinnerz- Bergbau am Mückenberg wird im Jahr 1416 erstmals urkundlich erwähnt. Tatsächlich existiert auf dem Gipfel auch ein Turm, der im Jahr 1568 von der Graupen'er Bergknappschaft errichtet worden ist. Da der Gipfel ziemlich zentral im Bergrevier liegt, diente die dortige Glocke dem Anläuten der Schichtzeiten (wikipedia.de).

  

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des Erzgebirges zu sehen. Außerdem sahen wir an den hohen Schornsteinen, Förderstühlen und schwelender Kohlenfelder, daß wir uns bereits im böhmischen Braunkohlenbecken befanden. In Brüx angekommen, besichtigten wir den Tagebau von Mariahilf. Die günstige Ablagerung der Braunkohle erleichtert den Abbau wesentlich. Das Lager ist hier 31 m mächtig, wovon der untere Teil jedoch stärkere Zwischenmittel enthält. Es wird deshalb jetzt nur die 18 m starke obere Schicht abgebaut. Über der Kohle liegen 4 m Boden mit fruchtbarer Ackererde. Die Abraumarbeiten gehen dem Kohlenabbau immer etwas voraus.

Der eigentliche Abbau der Kohle geht in folgender Weise vor sich. Man durchörtert in 9 m Abständen mit 3 m breiten und 2 m hohen Strecken rechtwinklig zum Abbaustoß das Kohlenflötz, treibt diese 12 m vor und stellt rechtwinklige Verbindungsstrecken her. Die so erhaltenen Pfeiler werden nun nochmal kreuzweise durchfahren und die dadurch gewonnenen schwachen Pfeiler sprengt man weg. Dabei stürzt die ganze Masse in sich zusammen und liefert sehr viel Stückkohle. Die Förderung erfolgt unterirdisch nach dem am Bahnhof gelegenen Schacht, wo die Kohle zutage gefördert und unmittelbar verladen wird.

Ein Abstecher nach dem nahen Schloßberg bot uns einen schönen Blick, vor allem nach dem östlichen Mittelgebirge. Diese Berge bestehen aus jungen Eruptivgesteinen, welche in der Tertiärzeit durchgebrochen sind. Meist ist es Phonolith, welcher beim Schloßberg dunkelgrüne Färbung zeigt, während der des Marienbergs bei Aussig 1) stark verwittert ist und eine hellere Farbe aufweist. Hier kommen in Drusen schöne Zeolithe vor.

Die vielfach vorkommende fünfseitige Absonderung haben wir am Wart-

1) Aussig ist der deutsche Name der tschechischen Stadt Ústí nad Labem.

   

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koffel bei Wamow (?) am linken Elbufer besonders gut beobachten können. Gegenüber liegt der Schreckenstein, welcher aus Nephelin besteht und eine Burgruine trägt.

Auf der Fahrt von Aussig nach Herrnskretschen 1) sieht man links Plänerkalkbrüche, im übrigen besteht das Gebirge aus den verschiedenen jungen Eruptivgesteinen. Die einzelnen Kuppen schließen sich dicht einander an. Die Anpflanzung von Obstbäumen und Wein machen die Gegend zu einem fruchtbaren Garten.

Plötzlich verengt sich das Tal und die Elbe tritt in das Elbsandsteingebirge. Dicht bis an die Ufer treten die Felswände heran. Den wesentlichen Unterschied vom böhmischen Mittelgebirge und dem Erzgebirge zeigt das Elbsandsteingebirge in der plattenförmigen Ablagerung. Die Flüsse haben die schönsten Erosionstäler gebildet. Auf der Wanderung von Herrnskretschen nach dem Prebischtor, Winterberg, Kuhstall und Schandau hatten wir Gelegenheit, das geologisch Charakteristische sowie landschaftlich Schöne des Gebirges voll kennen zu lernen. Das Prebischtor ist ein von der Natur selbst gebildetes Tor, das Wasser hat die weicheren Schichten ausgewaschen, während die widerstandsfähigeren stehen geblieben sind. An den Schrammsteinen und an anderen Felspartien ist die Wollsackstruktur gut zu erkennen.

Einen schönen Ausblick über das Gebirge und einen Teil der Kuppen des böhmischen Mittelgebirges bietet der große Winterberg. Links der Elbe liegen die Zschirnsteine, der Zirkelstein u. a. bestehend aus Basalt, welcher den Sandstein durchbrochen hat, letzterer gehört der Kreideformation an. Ein vorzügliches Beispiel als Erosionstal ist die Wolfsschlucht am Kuhstall.

Mit der Rückfahrt von Schandau über Dresden fand die Exkursion ihren Abschluß.

Hier anschließend sei noch erwähnt, daß wir einige Bergschüler der 1. Klasse noch einmal ohne Lehrer eine 2tägige Tour in das Elbsandsteingebirge unternommen haben.

1) Herrnskretschen ist der deutsche Name des Ortes Hřensko, direkt an der Grenze zu Sachsen im Elbtal gelegen und auch heute Grenzübergang nach Schmilka in Sachsen.

  

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Sehr in Erinnerung geblieben ist mir eine Pfingstpartie mit lieben Freunden 1889 über Eichwald- Teplitz nach dem Milleschauer 1), der höchsten Erhebung des böhmischen Mittelgebirges. Damals fehlte noch der Autoverkehr von Eichwald und (?) ging auch die Bahn Teplitz ‒ Lobositz 2) noch nicht. Es war ein anstrengender Marsch, wobei die Sonne unbarmherzig auf uns niederbrannte. Ziemlich ermüdet erreichten wir das Unterkunftshaus des Berges, wo wir für 1 Gulden in Moosbetten übernachteten. Gern hätten wir uns an dem guten böhmischen Bier am Abend für die Anstrengung des Marsches entschädigt, aber wir mußten bescheiden sein, unser Geldbeutel war es noch viel mehr. Es hieß deshalb mit dem Wenigen haushalten, früh sind wir, nachdem wir den herrlichen Sonnenaufgang bewundert hatten, ohne Kaffee den Berg herunter, um erst im Dörfchen Pilkau ein bescheidenes Frühstück zu uns zu nehmen. Aber unser Wunsch, den vielgepriesenen Ausblick von diesem Berge zu genießen, war erfüllt. Auf dem Hinmarsch hatten wir dem Tun der vielen Wallfahrer in Mariaschein zugeschaut und einige Sehenswürdigkeiten in Teplitz besichtigt.

Ebenso erinnere ich mich einer Wanderung mit meinen Freunden Müller, Richter und Stein nach dem oberen Erzgebirge im Sommer 1890. Wenn auch das uns zur Verfügung stehende Reisegeld immer recht knapp war, dem Frohsinn, mit dem wir unsere Wanderungen unternahmen, hat dies nie Abbruch getan, wir waren nicht vermögend und an solchen Tagen beinahe Lebenskünstler. Wir fuhren zunächst bis Annaberg, besuchten die schöne große Annenkirche und da auf dem Schießplatz das auf das Trinitatisfest festgelegte Volksfest, die „Annaberger Käth“ abgehalten wurde, mengten wir uns auf kurze Zeit unter den Trubel der vielen Obererzgebirgler, die zum Feste herbeigeströmt waren. Von hier aus erstiegen wir den Pöhlberg, einen

1) Der Milleschauer, auch Donnersberg, tschechisch: Milešovka, ist mit 836 Metern der höchste Gipfel des Böhmischen Mittelgebirges an der Südseite des Egergrabens.

2) Die tschechische Stadt Lovosice.

  

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Basaltkegel, wo die säulige Absonderung besonders schön zu sehen ist, und von dem man eine schöne Aussicht über das mittlere Erzgebirge hat. Am jenseitigen Hange ist früher Bergbau betrieben worden 1). In unserem bergmännischen Wissensdrange sind wir dort in einem alten Stolln herumgekrochen, ohne aber besondere Entdeckungen oder Funde gemacht zu haben.

Die Bahn brachte uns hierauf bis Cranzahl, da die Kleinbahn nach Oberwiesenthal damals noch nicht gebaut war, mußten wir zu Fuß unserem nächsten Ziel, dem staatlichen Kalkwerk in Hammerunterwiesenthal zu streben. Der Leiter des Werkes, Faktor Stiehl  2), war so liebenswürdig, uns den Abbau und die Förderung des Kalksteins und hernach den Brennprozeß eingehend zu erklären. Freute er sich doch, wieder einmal Bergschüler als Besucher zu sehen, deren schmucke Tracht er einst auch getragen hatte. Nachdem er uns noch den kürzesten Weg nach dem Fichtelberg gewiesen hatte, drückten wir ihm dankend mit einem Glückauf zum Abschied die Hand. Hätte ich mir damals träumen lassen, daß ich ein späterer Nachfolger im Amte des Herrn Stiehl werden sollte ?

Unsere Hoffnung, vom Fichtelberg eine schöne Aussicht genießen zu können, wurde uns leider vereitelt. Als wir bis zur halben Höhe aufgestiegen, wälzte sich dichter Nebel heran und mit der Aussicht war es vorbei. Wir übernachteten in dem neuerbauten kleinen Unterkunftshaus, welches später durch wiederholte Anbauten zur stattlichen Größe von heute gediehen ist. Auch am Morgen war der Berg noch in Nebel gehüllt, erst auf dem Wege nach Joachimsthal (tschechisch: Jáchymov) klärte es auf. Unser Besuch galt hier dem k. k. staatlichen Bergwerk. Man gestattete uns entgegenkommend die Einfahrt und ein Steiger führte uns durch die Abbaue. Man baut auf Silber und andere Erze, doch sind die Joachimsthaler Gruben durch das Vorkommen von Uranpechblende, welche Träger des Radiums ist, besonders berühmt geworden. Der Nachmittag verlangte bei drückender Schwüle einen 4stündigen Marsch über Seifen 3) nach Johann-

1) Sie haben vermutlich die Grube St.Briccius am Osthang des Pöhlberges besichtigt.

2) Nach unseren Recherchen ist K. F. Stiehl von 1900 bis 1919 Faktor im staatlichen Kalkwerk zu Hammerunterwiesenthal gewesen.

3) Bei dem hier von Emil Barthel genannten Ortsnamen Seifen handelt es sich natürlich nicht um den gleichnamigen Bergort im Osterzgebirge, der im Übrigen auch mit doppeltem ,F´ geschrieben wird. Der Autor dürfte den Ort Potůčky, deutsch Breitenbach, gemeint haben, welcher auf tschechischer Seite bei Johanngeorgenstadt liegt. Einen Ortsteil der Gemeinde Breitenbach bildet Podlesí, deutsch Streitseifen, in Richtung Breitenbrunn gelegen, dessen Name auf ein Zinnseifenwerk zurückgehen soll welches 1554 erstmals urkundlich erwähnt ist (wikipedia.de).

  

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georgenstadt.

Bei dieser Höhenwanderung lernten wir den Charakter der Hochmoore kennen, wo stellenweise Torf gestochen wurde, welcher früher auch beim Kalkbrennen verwendet wurde. Leider war unsere Zeit bemessen, so daß wir am andern Morgen nach einem Rundgang durch das Gebirgsstädtchen uns in den Zug setzen mußten, aber vollbefriedigt durften wir heimkehren, wir hatten wieder dazugelernt.

In dieser Zeit durfte ich auch einige schöne Tage in Dresden verleben. Mein lieber Schulfreund Albert Bitterlich, welcher die Kunstgewerbeschule besuchte, hatte mich anläßlich eines größeren Turnfestes, welches im Ostragehege abgehalten wurde, eingeladen. Durch ihn wurde mir in diesen Tagen die Schönheit unserer Residenzstadt besonders vor Augen geführt und viele Sehenswürdigkeiten gezeigt, er, der angehende Künstler, war der rechte Führer. Der Besuch galt zugleich meiner Schwester Anna, die Köchin bei Divisionspfarrer Zschunke war und am Albertplatz wohnte. Der freundliche Herr hatte meine Schwester beauftragt, mich mit seiner Leibspeise „Vogtländische Klöße“ zu bewirten, die mir in Gesellschaft mit ihr und einer hübschen jungen Spreewälderin auch vorzüglich mundeten.

Im Gedächtnis erhalten geblieben ist mir die Fahrt nach Dresden zur 800jährigen Wettinfeier. Es war die Jubiläumsfeier des regierenden Königshauses der Wettiner im Jahre 1889. Der am Tage des großen historischen Festzuges zu erwartende starke Bahnverkehr ließ den Gedanken aufkommen, bereits am Abend vorher mit meinem Freunde Oswald Stein bis Pottschappel zu fahren und in der Herberge zur Heimat, wo ein Bruder meines Vaters Herbergsvater war, zu übernachten. Unsere Schlauheit aber stellte sich als ein Reinfall dar. Zunächst deshalb, weil uns der Onkel nach einigem Zögern zwar aufnahm, aber sicherlich nicht den rechten Glauben aufbringen konnte, daß ich sein wirklicher Neffe sei und deshalb recht kühl behandelte. Als wir am frühen Mor-
  

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gen einen der ersten Züge zur Weiterfahrt nach Dresden benutzen wollten, waren diese so voll, daß ein Mitkommen unmöglich war, wir mußten stundenlang am Bahnhof stehen, bis endlich die Möglichkeit zum Mitfahren geboten war. Wir kamen noch rechtzeitig, um den großartigen Festzug, am Altmarkt stehend, sehen zu können. Am Abend war herrliches Feuerwerk am rechten Elbufer, wo jetzt die großen Regierungspaläste stehen, welche wir vom Fuße der Brühlschen Terrasse aus sahen. Etwas derartiges, wie auch der Festzug war, habe ich in meinem Leben nie wieder gesehen. Für die Enttäuschung beim Onkel waren wir reich entschädigt.

Während der Schulferien des gleichen Jahres hatte ich Gelegenheit, die alte Bergstadt Schneeberg und seine nähere Umgebung kennen zu lernen. Herr Bergschuldirektor Treptow war beauftragt, eine Triangulation des Schneeberger Kobaltfeldes vorzunehmen, wozu er mich als seinen Gehilfen mitnahm. Nicht nur das Arbeiten war für mich belehrend, ich lernte auch das ausgedehnte Bergamtsrevier dabei kennen mit einer Anzahl in Betrieb befindlicher und auch stillgelegter Schächte. Sonderbare Namen hatten frühere Bergmannsgenerationen den Schächten gegeben, so u. a. Weißer Hirsch, Sieben Schleen, Nackte Ratte, Sauschwart. Wir wohnten im Hotel „Karlsbader Haus“ in Neustädtel. Die wohl 14 Tage dauernde Arbeit war eine angenehme Unterbrechung meiner Ferien, die andere Zeit arbeitete ich in der Markscheiderexpedition des Bergamts bei Herrn Gretschel.

An dieser Stelle unterbrechen wir das Transkript noch einmal, um noch einige unserer Fundstücke zu seiner Bergschulzeit einzufügen...

  


Auszug aus dem Bericht der Königlichen Bergschule zu Freiberg auf das Lahrjahr 1887-1888: Gleich im ersten Schuljahr wurde ihm (zusammen mit seinem im Text schon erwähnten Schulkameraden Heinrich Oswald Stein eine Belobigung ausgesprochen (letzte Zeile unten). Warum hier freilich steht „Moritz Emil Barthel“, wissen wir auch nicht - da hat wohl ein Druckfehlerteufel zugeschlagen... Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40063 (Bergschule Freiberg), Nr. 7.

  


Im nächsten Schuljahr 1888-1889 gab es für Robert Emil Barthel - hier steht jetzt der richtige Vorname - als Prämie ein Lehrbuch; wenn wir richtig nachrecherchiert haben, war es das Lehrbuch der praktischen Markscheidekunst von Otto Brathuhn, 1. Auflage 1884 beim Verlag Veit & Comp. in Leipzig. Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40063 (Bergschule Freiberg), Nr. 7.

  


Auch im Schuljahr 1889-1890 erhielt Emil Barthel, nun schon in die II. Klasse aufgerückt,  eine Buchprämie, diesmal das Lehrbuch der Bergbaukunde von Gustav Köhler, Professor an der Bergakademie zu Clausthal-Zellerfeld im Harz, erschienen bei Wilhelm Engelmann in Leipzig 1887. Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40063 (Bergschule Freiberg), Nr. 7.

   


Im Bericht der Bergschule auf das folgende Schuljahr 1890-1891 ist Robert Emil Barthel nun als ordentlicher Absolvent der Bergschule mit Abgangszeugnis aufgeführt. (Unser Foto ist leider etwas unscharf geworden, aber er steht in dieser Liste ganz oben.) Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40063 (Bergschule Freiberg), Nr. 7.

  


An gleichem Ort ist in der Aufführung der Stipendiaten gleich unter a. auch erwähnt, daß „dem Primus der  I. Klasse“ Robert Emil Barthel in diesem Jahr als einzigem das vom Königlichen Bergamt ausgelobte Glück Auf- Reisestipendium erhalten hat. Wie er selbst schrieb, wurde dieses nur alle vier Jahre vergeben; und in den vorangegangenen Jahrgängen und auch in den nachfolgenden Schuljahresberichten konnten wir es nicht noch einmal finden. Herr Barthel muß tatsächlich ein fleißiger Schüler gewesen sein... Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40063 (Bergschule Freiberg), Nr. 7.

   

Fortsetzung von Seite 34:

Während der großen Ferien des Jahres 1890 mußte ich auf Steinkohle arbeiten. Mit einigen Freunden wählte ich den Zwickauer Steinkohlenbauverein. Wir wurden auf dem ,Glück Auf Schacht' angelegt und wohnten in Niederplanitz im Gasthof. Die ungewohnte Arbeit bei Wärme und Staub machten es, daß wir recht müde und abgespannt von der Schicht kamen und sonst nicht viel unternehmen konnten. Der mir bis dahin fast unbekannte Steinkohlenbergbau fand nicht meine Begeisterung und doch wollte es das Schicksal, daß
  

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ich später 7½ Jahre Steinkohlenbergmann wurde.

Die schöne Bergschulzeit ging zu Ende. Da bot sich mir noch einmal Gelegenheit, die bergmännischen Kenntnisse zu erweitern. Ich erhielt das Glück Auf Stipendium, welches eine vierwöchentliche Reise zu Studienzwecken in vorgeschriebene Bergbaugebiete zur Bedingung machte. Mir wurde das nordwestböhmische Braunkohlenbecken und das Waldenburger Steinkohlenrevier in Schlesien vorgeschrieben. Die dabei gemachten Wahrnehmungen und Erfahrungen mußten in einem schriftlichen Bericht dem Bergamt eingereicht werden. Was ich damals in meinem Berichte niedergeschrieben habe, weiß ich nicht mehr, da das Concept abhanden gekommen ist. Mir stand nicht viel Zeit zur Verfügung, da ich Anfang Oktober schon zum Militär eintreffen mußte. Was mir von dieser Reise im Gedächtnis erhalten geblieben ist, will ich kurz niederschreiben, ohne dabei auf bergmännische, technische Einzelheiten näher einzugehen, sondern nur von der Reise an sich berichten.

Anfang August 1891 begann ich die Fahrt, die mich zunächst nach den ,Austriaschächten' bei Mariaschein führte, wo ich die Anlagen besichtigte. Es folgte der Besuch einer Anzahl Schächte im Dux- Brüxer 1) Revier, überall wurde ich freundlich unterstützt.

Im Falkenauer Revier hielt ich mich einige Tage auf, besichtigte in Königsberg ein Werk, wo man schon damals die Klarkohle brikettierte. Die Abbaumethoden wichen auf den verschiedenen Werken nur wenig voneinander ab. Ich wohnte in Falkenau in einem Gasthaus am Markt und saß abends mit den Stammgästen an einem Tisch. In der Unterhaltung äußerte ich die Absicht, die Landesausstellung in Prag mit besuchen zu wollen. Man riet mir aber dringend davon ab, da es für nur Deutschsprechende wegen der öfteren Krawalle mit den Tschechen sehr gefährlich sei. Prag aber lag an meinem Reiseweg und ich habe die Ausstellung einen ganzen Nachmittag besichtigt,

1) Dux ist der deutsche Name der tschechischen Stadt Duchcov. Die gleich auch noch erwähnte Stadt Falkenau heißt im tschechischen Sokolov, früher auch Falknov nad Ohří (Ohře ist der tschechische Name der Eger), und liegt wie Dux / Duchcov und Brüx / Most im nordböhmischen Becken.

  

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niemand hat sich um mich gekümmert. Im Gegenteil, ein jüngerer Mann bot sich als Führer an, dem ich anfangs nicht recht traute und doch folgte. Am Ende der Führung lud ich ihn ein, mit mir in eine Gaststätte zu gehen, um mich erkenntlich zu zeigen. Er lehnte dankend ab, er freue sich, einem Reichsdeutschen einen kleinen Dienst erwiesen zu haben.

Von Falkenau fuhr ich über Eger 1) und Pilsen und wohnte im Deutschen Adler. Nie habe wieder ein halbes Literglas des Pilsner Bieres so gut und für 8 Kronen getrunken. Von hier aus besuchte ich die Steinkohlenwerke in Nürschan, wo ich besonders gut aufgenommen wurde. Da ich wahrscheinlich nie wieder die Gelegenheit haben würde, so in die Nähe von Příbram zu kommen, entschloß ich mich zu einem Abstecher dorthin. Příbram, eine kleine Stadt, ist der Mittelpunkt eines ausgedehnten, sehr alten Silberbergbaus mit durchaus modernen Einrichtungen. Auch eine Bergakademie ist am Platze. In dem z. Zt. tiefsten Schachte Europas, dem Albertischacht, bin ich bis auf die 1.000-m-Sohle im Fördergestell gefahren. Die Bevölkerung ist fast rein tschechisch. In einem Gartenlokal, wo ich einen Abend verbrachte, ergab sich, daß ich mich wegen Platzmangel an einen Tisch gesetzt hatte, wo Příbramer mit einem Leobener und einem Clausthaler Bergstudenten in lebhafter Unterhaltung waren, ich konnte mich, wenn auch nur als Bergschüler aus Freiberg vorstellen.

Von Pilsen fuhr ich weiter nach Prag, von der Stadt habe ich der knappen Zeit wegen nur wenig gesehen, doch bin ich bis auf die Karlsbrücke gegangen, um von ihr aus den Blick auf die Moldau und auf den hochgelegenen Hradschin und den Veitsdom zu genießen. Die verbleibende Zeit verwandte ich zum Besuch der Ausstellung, wie schon oben erwähnt. Der Schnellzug brachte mich noch i der Nacht bis Pardubitz, wo ich übernachtete, um am Morgen über Königgrätz, Nachov- Liebau in das schlesische Land zu fahren.

In Waldenburg habe ich mich eine Woche lang aufgehalten

1) Eger ist der deutsche Name der westtschechischen Stadt Cheb. Im Mittelalter war Eger Freie Reichsstadt und Zentrum des Egerlandes. Sie liegt am gleichnamigen Nebenfluß der Elbe, der Eger, tschechisch Ohře. Dieser Fluß durchfließt vom Fichtelgebirge kommend bis nach Leitmeritz / Litoměřice, wo er in die Elbe mündet, die Ebene zwischen dem Erzgebirge und dem Böhmischen Mittelgebirge. Daher trägt auch der große Grabenbruch am Südabfall des Erzgebirges diesen Namen.

  

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und dabei vor allem das große Steinkohlenwerk „Friedenshoffnung“ eingehender besichtigt. Auffallend war die weitgehende Benutzung von Pferden unter Tage zur Förderung. Auch die großen Kokereien erregten mein Interesse.

Waldenburg besitzt eine Bergschule und ich fand Anschluß an einige ältere Schüler. Herr Bergamtsrat Menzel hatte mir eine Empfehlung an den dortigen Bergschuldirektor Bergrat Schütz mitgegeben. Bei meinem Besuch nach dem weiteren Reiseziel befragt, teilte ich meine Absicht mit, eine Kammwanderung im Riesengebirge als den Abschluß meiner Reise vorgesehen zu haben. Da er für die nächsten Tage eine Exkursion nach der Schneekoppe angesetzt hatte, lud er mich ein, teilzunehmen, was ich dankend annahm. Als wir an dem verabredeten Morgen uns am Bahnhof zusammen fanden, sah der Himmel trostlos aus und der des Wetters kundige Bergrat zog es vor, die Exkursion aufzuschieben. Ich aber konnte nicht zurück, fuhr deshalb aufs Geratewohl los bis Krumhübel, um von hier aus die Schneekoppe zu ersteigen. Es dauerte auch nicht lange, setzte Regen ein, so daß ich ziemlich durchnäßt oben ankam. Als Reisebegleiter hatte ich mich einem jüngeren Ehepaar aus Halle angeschlossen. Obwohl am Abend ziemlicher Betrieb in dem Unterkunftshause auf schlesischer Seite war, haben wir uns daran wenig beteiligt. Die Reichsgrenze ging damals mitten über den Berg, so daß ein zweites großes Gebäude auf böhmischer Seite lag, aber beide einem Besitzer gehörten. Die Aussicht am anderen Morgen war nicht gut, Nebelschwaden zogen vom Riesengrund herauf über den Kamm und versperrten jede Sicht, nur nach der schlesischen Seite teilte sich für Augenblicke der Nebel und gab den Blick auf kurze Zeit frei. Wir wanderten an diesem Tage bis zur Elbfallbaude, wo wir wieder übernachteten. Hier wur-
  

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de mir der an sich gemütliche Abend durch viel Rumoren eines kranken Zahnes sehr vergällt, so daß die Wanderung bisher keine reine Freude gewesen war. An der Elbequelle wurde das klare Wasser getrunken und nun ging die Wanderung an der Schneegrubenbaude vorüber gen Schreiberhau, vorbei an Kynast nach Hirschberg und von hier mit der Bahn bis Görlitz, wo die letzte Übernachtung vor der Heimreise stattfand. Der geplante Besuch der Landskrone mußte wegen Zeitmangel unterbleiben, nach kurzer Besichtigung der Stadt setzte ich mich wieder in den Zug, der mich nach Freiberg bringen sollte. Die Reise hatte mir viel Anregendes geboten, sie war gewissermaßen der Abschluß der arbeitsreichen, aber doch recht schönen Bergschulzeit.

Während der hierauf folgenden drei Militärjahre, wo es recht wenig Urlaub gab, lernte ich bei den Felddienstübungen die nähere Umgebung, namentlich rechts der Elbe bis ungefähr Moritzburg kennen. Die Manöver führten uns bis in die Lausitz bis Bernstadt, dann in die Großenhainer und Nossen- Waldheimer Gegend. Auch an diese Zeit, wo ich die schmucke Uniform der Gardereiter tragen durfte, ist mir guter Erinnerung geblieben. Die harte Rekrutenzeit war bald vergessen und bis heute habe ich gern lieber Kameraden, wie auch gestrenger, aber gerechter Vorgesetzter gedacht. Im Sommer 1893 fand in Freiberg die Weihe des neuen Bergschulgebäudes, verbunden mit der Weihe der von ehemaligen Bergschülern gestifteten Schulfahne statt, zu welcher die meisten der z. Zt. dienenden Bergschüler sich in den verschiedensten Uniformen eingefunden hatten.

Meine erste Anstellung führte mich ins Böhmerland, wo ich als Steiger und Rißzeichner ein Jahr beim ,Austria Schacht II' in Serbitz bei Teplitz tätig war. Die Nähe dieses Badeortes mit den guten Militärkonzerten lockten mich sonntags oft dorthin. Zu der in diesem Jahre stattfindenden Industrieausstellung zeigte unser Werk ein Modell in Gips, welches die Ablagerung des
   

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Flötzes bei Schacht III darstellte. Dieses und den dazugehörigen Grubenriß hatte ich angefertigt und hatte vom Direktor auch den Auftrag, öfter in die Ausstellung zu gehen, um nachzusehen, ob unser Stand sauber und in Ordnung war.

Wiederholt bin ich in die Saazer 1) Gegend gefahren, um Flurvermessungen neu verliehener Kohlenfelder vorzunehmen.

In diesem Sommer ereignete sich auch der große Schwimmsandeinbruch im Annaschacht bei Brüx, wobei durch Bodensenkungen eine Anzahl Häuser zerstört oder schwer beschädigt wurden. Mein Freund Karl Prager, damals Steiger bei Grube Mariahilf, saß am Abend zur Stunde des Einbruchs im Gasthaus „Zum Kranz“, welches einige Meter absank und zerstört wurde. Zwei Bergleute hatten dabei im Schacht den Tod gefunden. 2)

Im Herbst 1895 ging ich wieder nach Sachsen und zwar auf das Steinkohlenwerk „Kaisergrube“ in Gersdorf. Die alljährlich zustehende Urlaubswoche habe ich zu Besuchen der Mutter und Geschwister, sowie der Freiberger Bekannten benutzt. Im Sommer 1897 fand der erste Gardereiter Regimentstag in Pirna, wo früher einige Schwadronen gelegen hatten, statt. Da ich meinen Urlaub passend legen konnte, ließ ich mir die Gelegenheit nicht entgehen, wieder einmal alte Kameraden zu treffen. Es waren auch schöne Stunden des Wiedersehens und auch die Bürgerschaft zeigte sich sehr gastlich. Anschließend habe ich mit einer lieben Freiberger Freundin eine Wanderung in der Sächsischen Schweiz unternommen.

Ein bedeutungsvolles sollte für mich das Jahr 1899 werden. Wenn ich nicht Junggeselle bleiben wollte, wurde es Zeit, mich zu entschließen, meiner lieben, heute, wo ich dies niederschreibe, schon über 40 Jahre in Liebe verbundenen Gattin die Hand zum Bunde fürs Leben zu reichen. Wir ließen uns im engsten Kreise in der Nikolaikirche in Freiberg trauen, nur beide Mütter, mein Bruder Karl,

1) Saaz ist der deutsche Name der tschechischen Stadt Žatec im Kreis Aussig / Ústí nad Labem.

2) Bei diesem Bergschaden hat es sich vielleicht um das schwerste Unglück im tschechischen Braunkohlentiefbau dieser Zeit gehandelt. Im Internet haben wir die folgenden Bilddokumente dazu gefunden.

  


Die Dimensionen des Tagebruchs im Bereich des Abbaufeldes.

Bildquelle boehmisches-erzgebirge.cz

  


Dramatisch war daran, daß auch das Stadtgebiet massiv betroffen war. 

Bildquelle boehmisches-erzgebirge.cz

  


Daß dieses Unglück nur zwei Tote gefordert hat, kann nur als großes Glück betrachtet werden. 

Bildquelle boehmisches-erzgebirge.cz

  


Auch diese Wohnhäuser kann man nur noch abreißen... Die tschechischen Heimatfreunde, die diese Aufnahmen aus Brüx / Most gesammelt haben, überschrieben die betreffende Seite nicht zu unrecht mit „die geschundene, der Gier nach Kohle geopferte Stadt“.

Bildquelle boehmisches-erzgebirge.cz

  

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Schwester und Schwager der Braut, waren zugegen. Noch am Abend fuhren wir bis Leipzig und am nächsten Vormittag nach dem Harz, zunächst bis Thale. Auf schöner Wanderung nach Treseburg und Besichtigung der Baumannshöhle sind wir an diesem Tage bis Blankenburg, die letzte Wegstrecke leider bei starkem Regen. Auch die Fahrt mit der Bahn nach dem Brocken wurde eine Enttäuschung, der Nebel hatte den Berg so dicht eingehüllt, daß von der Endstation aus kaum das Unterkunftshaus zu sehen war. Wir haben deshalb schnell etwas warmes genossen und sind mit dem Zuge wieder zurück. Schöner war die Wanderung durch die „Steinerne Renne“ im herrlichen Tannenwald. Wir haben Bad Harzburg auf einige Stunden besucht und sind nach der alten Stadt Goslar weiter gefahren. Hier besichtigten wir die Kaiserpfalz und die schönen alten Bürgerhäuser. Der nächste und letzte Tage unserer kurzen Hochzeitsreise brachte uns noch eine interessante Besichtigung, wir besuchten das Silberbergwerk am Rammelsberg. Ich wollte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die Art des Abbaus und der technischen Einrichtung der uralten Harzer Bergbaus kennen zu lernen. Das einzige Mal, daß ich meine Gattin habe bewegen können, in bergmännischem Anzug mit in einem Schachte einzufahren, obwohl sie es damals nicht bereut hat. Man gab mir auf meine Fragen bereitwilligst Auskunft; ich hatte es aber doch nicht verhindern können, daß man sehr bald in mir einen Bergmann erkannte. Man arbeitete z. T. mit noch sehr alten Methoden, ein Beweis, daß sich diese immer noch bewährten, da man von einer rückständigen Betriebsführung keineswegs sprechen konnte. Näher darauf einzugehen, will ich mir hier ersparen. Wir nahmen Abschied von Goslar, dieser schönen alten Stadt, nicht ahnend, daß wir ihr nach 40 Jahren unter Führung unseres Sohnes Konrad nochmal einen Besuch machen würden. Über Halberstadt, Halle, Leipzig fuhren wir zurück, um im neuen Heim in glücklichem Ehestand 3½ Jahre zu verleben.
  

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Im Sommer des Jahres 1902 fand in Graz in Steiermark das deutsche Bundessängerfest statt, welches ich besucht habe. Über dasselbe und die anschließend durchgeführte Reise habe ich in einem Vortrag, gehalten vor der Sektion Oelsnitz des Vereins ehemaliger Bergschüler berichtet. Ich lasse diesen in stark gekürzter Form folgen.

Ich war nicht Mitglied eines Gesangsvereins, sondern schloß mich den Sangesbrüdern Lehrer Heinrich und Reviersteiger Sindemann vom Gesangsverein „Schlägel und Eisen“ in Hohndorf an. Die Fahrt begann im Sonderzug vom Bahnhof Dresden über Aussig und Prag. Bei schönstem Sonnenschein durcheilten wir das herrliche Elbtal und erreichten gegen 10 h abends Wien, die Kaiserstadt, auf dem Nordbahnhof. Nachdem wir uns im Hotel von der langen, doch auch ermüdenden Fahrt erfrischt und gestärkt hatten, sind wir noch einige Stunden in den Prater, um das Leben und Treiben in diesem berühmten Vergnügungspark kennen zu lernen und an einer Fahrt mit dem 68 m hohen Riesenrad teilzunehmen. Den anderen Tag hatten wir sehr unter Regen unsere Besichtigungen fortzusetzen. Schloß Schönbrunn mußten wir des Regens halber fortlassen. Eine wunderschöne Straße ist der Ring mit Prachtbauten, wie k. k. Museen, Hofoper, Burgtheater, alte und neue Hofburg. Wir besuchten das Parlamentsgebäude, wir wollten die Stätte kennenlernen, wo so Redeschlacht für das Deutschtum geschlagen wurde. Wir stehen vor dem herrlichen Rathaus mit seinem 107 m hohen Turm und stärken uns im Ratskeller, wo bereits schon deutsche Lieder erschallen; besuchen den k. k. Marstall, die Geschirr- und Sattelkammer und das Wagendepot (400 Wagen); sehen das Aufziehen der Lesnitzen (?) auf Burgwache und steigen, von einem Kapuziner geführt, hinunter in die Gruft, der Begräbnisstätte des Kaiserhauses.
  

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Hier stehen wir an den Särgen der Kaiserin Elisabeth und des Kronprinzen Rudolf, welche beide ein so tragisches Ende genommen haben. Am Sarge Rudolfs liegt ein Kranz vom Kaiser Wilhelm mit der Widmung „Seinem treuen Freunde.“

Nun noch zum Wahrzeichen der Stadt, dem Stephansdom mit seinem schlanken, 139 m hohen Turm. Das Innere des Domes, die gotische Ausführung und sonstige Ausschmückung machen einen mächtigen Eindruck.

Am nächsten Morgen setzen wir vom Südbahnhof aus unsere Fahrt fort. Hier bietet sich uns noch eine schöne Aussicht über die Stadt, das Kuhlengebirge und die Berge des Wiener Waldes. Wir durcheilten Station um Station, da fällt mir der Name Vöslau auf, und ein Blick in den Führer bestätigt meine Annahme. Es ist dies das uralte Dorf Vöslau, auf dessen Berglehnen so ausgezeichnete Burgunderreben wachsen. Hier kamen Wetterschießstationen zu Gesicht, man läßt Schüsse, um die Wolken zur Abgabe des für die Reben bei Trockenheit so nötigen Wassers zu veranlassen. Bald erreichten wir Wiener Neustadt, eine bedeutende Fabrikstadt, namentlich für Lokomotivbau. Auf der weiteren Fahrt sieht man im Westen den Schneeberg und im Osten das Rosaliengebirge, und bei Station Glogwitz beginnt die berühmte Semmeringbahn. Der Führer schreibt darüber: „Die eigentliche Semmeringbahn liegt zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag und überschreitet die norischen Alpen in der Semmering- Einsattelung; sie ist die erste Alpenübergangsbahn. Von Station Gloggnitz (439 m) steigt sie im Maximum 1:40 = 25 ‰ bis auf die Höhe von 896 m in der Mitte des Haupttunnels und senkt sich im gleichen Verhältnis bis nach Station Mürzzuschlag (679 m), ihrem Ende. Die Bahn wurde 1848-54 von der österreichischen Regierung unter Ghega's Leitung erbaut, sie gehört wegen der Großartigkeit ihrer Bauobjekte und ihrer landschaftlichen Schön-
      

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heiten zu den interessantesten Bahnen Europas. Die Baukosten der 55 km langen Bahn betrugen 22½ Millionen Gulden. Ghega hat in dieser Bahn zuerst dargelegt, daß Steigungen bis zu 1:40 mit voller Sicherheit befahren werden können.“

Viadukte hat die Bahn 16, Tunnel 15, die Gesamtlänge der ersteren beträgt ca. 1.350 m und diejenige der letzteren ca. 4.500 m, von diesen gehen 5 Luftschächte bis 144 m Höhe empor. Fast jeder Meter der Bahn mußte dem Gelände durch Kunstbauten abgerungen werden. In vielfachen Windungen zieht sich die Bahn an den Berghängen hin, geht über enge und tiefe Schluchten und viele Berge sind durchtunnelt. Auf der Fahrt hat man noch prächtige Aussichten nach der Raxalp und Sennwandstein.

Wir haben bereits die steierische Grenze überschritten und eilen in schnellem Tempo das liebliche Tal der Mürz entlang, um bald Bruck a. d. Mur zu erreichen, wo wir noch einmal hielten. Nach kurzer Zeit ging es am Ufer der Mur entlang, vorbei an Schlössern und Burgruinen, wovon nur Ruine Gösling erwähnt sei. Das Tal öffnet sich zu einer weiten Ebene, bald zeigt sich unseren Blicken der Grazer Schloßberg, unser Ziel ist erreicht.

Graz, die Hauptstadt der Steiermark mit 192.000 Einwohnern, liegt ,malerisch von Gebirgen umkränzt, in der anmutigen Ebene Grazerfeld zu beiden Seiten der Mur, am Fuße des ehemals befestigten Schloßberges. Der landschaftlichen Schönheit, dem verhältnismäßig billigen und dabei doch gesellschaftlich angenehmen Leben ist wohl zuzuschreiben, daß namentlich viele pensionierte Offiziere und Beamte ihren Aufenthalt hier nehmen; daher führt Graz auch scherzweise den Namen
   

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Pensionopolis. Das Leben während des Sängerfestes war ein überaus reges, bewegten sich doch außer 18.000 Sängern noch sehr viele Freunde in der Stadt. Der Schloßberg wird am meisten besucht, besitzt er doch einen herrlichen Rundblick über die Stadt und darüber hinaus. Der Glockenturm birgt die 9.000 kg schwere Glocke, Liesel genannt.

Die Stadt ist reich geschmückt und die Sänger strömen zu Tausenden nach der großen Festhalle zum Begrüßungsabend, welche aber nicht alle Teilnehmer faßt. Der Verlauf war großartig. Unvergeßlich wird gewiß allen der Moment geblieben sein, als nach einer Ansprache, in welcher pietätvoll des Fürsten Bismarck gedacht worden war, das Lied „Deutschland über alles“ ausklang, die Steiermärker spontan die Wacht am Rhein anstimmten und von der ganzen Versammlung begeistert mitgesungen wurde. Erwähnen will ich noch den großartigen Festzug. Die Begeisterung der Grazer Einwohnerschaft war unbeschreiblich. Die Aufführung von Tänzen in der kleidsamen Steiertracht löste starken Beifall aus. Die großen Gesangsaufführungen des Sängerbundes haben wir nicht abgewartet, nachdem wir einer Hauptprobe beigewohnt hatten.

Frühzeitig sagten wir am nächsten Morgen dem freundlichen Graz Lebewohl, um unsere Reise zurück über Bruck nach Leoben fortzusetzen. Wir unterbrachen hier die Fahrt und sehen uns die über 1.000 Jahre alte Bergstadt an. Leoben besitzt eine Bergakademie, eine Berg- und Hüttenschule und ist Mittelpunkt der obersteierischen Montanindustrie. Am Markt steht eine große Bergmannsfigur. In nächster Nähe wird Stein- und auch Braunkohlenbergbau getrieben, auch sind große Eisenwerke am Platze. Unsere Fahrt geht bei größter Steigung langsam voran, die Bahn wird ein Stück zur Zahnradbahn und erreicht bei Prebicht den höch-
  

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sten Punkt. Die Fahrt wird äußerst lohnend, im stärksten Gefälle geht es durch Tunnel und über Viadukte am Hange des Reichensteins abwärts, der Zug wird förmlich hinunter gebremst. Tief unten im Talkessel liegt romantisch das Städtchen Eisenerz, hinter demselben in steilen Wänden aufragend der Pfaffenstein. Jetzt gewinnt man bis zum Bahnhof einen vollständigen Überblick über den roten Erzberg mit dem gesamten Abbau.

Der Erzberg ist unerschöpflich reich an Eisenerz, seine Hauptmasse besteht aus Spateisenstein bis zu 40% Gehalt, so daß er wie ein Steinbruch abgebaut werden kann. Der Bergbau reicht hier 1.200 Jahre zurück. Im Sommer werden beim Tagebau bis 3.000 Menschen, im Winter beim Stollenbau die Hälfte beschäftigt. Die Ausbeute beträgt jährlich über 7 Millionen Doppelzentner Spateisenstein. Der Besuch des Erzberges, verbunden mit Einfahrt, soll sehr lohnend sein, leider mußten wir wegen Zeitmangel verzichten. Eisenerz ist berühmt als Hauptort des steierischen Eisenerzbergbaus und Hüttenbetriebes. Die Bahn dient in der Hauptsache dem Erztransport.

Wir setzen unsere Fahrt weiter fort. Hinter Station Hieflau beginnt der landschaftlich schönste Teil der Bahnstrecke, das sogenannte Gesäuse. Die Ems, in eine Felsenge eingeschlossen, bildet auf eine Strecke von ca. 15 km mit 120 m Höhenunterschied eine ununterbrochene Folge von brausenden Katarakten, daher der Name Gesäuse. Kolossale Felsblöcke versperren der Ems den Lauf, welche ihr grünliches Wasser schäumend durch diese Hindernisse zwängt. Zu beiden Seiten des Flusses steigen riesige Dolomiten auf, deren graue Wände und Spitzen in der bereits eingetretenen Dämmerung uns gleichsam als Wunder der Natur erscheinen.

Wir beschließen auf der nächsten Station, dem Dorfe Linzen, zu übernachten, um nicht während der Nacht die schöne
  

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Landschaft zu durchfahren. Frühzeitig setzen wir die Fahrt wieder fort, ständig wechselt die Szenerie, vor allem fesselt unsere Blicke der gewaltige Grimming, ein alleinstehender 2.550 m hoher Felskoloß mit fast senkrechtem Absturz, welcher die Gegend bis Ausser (?) beherrscht. Nach kurzer Fahrt erreichen wir den Hallstädter See, die Bahn führt an dessen ganzer Länge von etwa 8 km hin. Am jenseitigen Ufer liegt Hallstadt mit den steilen Wänden der Anfänger des Dachsteinstockes. Die Reize dieser Landschaft sollen nur von denen des Traunsee übertroffen werden. Dem Kaiserbad Ischel können wir nur kurze Zeit opfern, unser Tagesziel ist der Schafberg. Wir fahren bis St. Wolfgang. Im Weißen Rößl stärken wir uns zum Aufstieg auf den Schafberg. Nebenbei sei bemerkt, das vorgenannte Gasthaus ist das Original zu dem Lustspiel „Im Weißen Rößel.“

Bei drückender Nachmittagssonne beginnen wir mit dem Aufstieg. Schon nach einer Stunde werden die Gesichter länger und da mein Rucksack zugleich Verpflegungsmagazin ist, drückt derselbe heute besonders. Langsam aber ständig kommen wir höher, um unsern Reisegefährten Heinrich sind wir in Sorge, ihn strengt der Aufstieg am meisten an, nach 2½ Stunden haben wir das Wirtshaus zur Schafbergalm erreicht. Hier wird zunächst Nachtquartier bestellt und alles Entbehrliche abgelegt, nachdem wir uns gestärkt und etwas geruht haben, wird auch nach einer Stunde der Gipfel erreicht. Die Aussicht ist überaus malerisch, wir haben es gut getroffen, bei Abendbeleuchtung ist diese besonders klar. Rosig überhaucht die Sonne die Eisgebilde der übergossenen Alpe und des Dachsteins. Nach Süden hin sieht man die eisige Kette der Zentralalpen und davor die Stöcke der Kalkalpen, nach Norden die Vorberge und das Flachland. Umflossen wird der Berg von Kammersee, Mond- und Wolfgangsee, der untere Teil ist dicht bewaldet, oben trägt er geschützte grüne Matten, auf denen Sennereien
   

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ihre Kühe weiden. Uns wird der Abend auf der Alm gewiß in guter Erinnerung bleiben, unsere Stimmung ist die denkbar beste. Wenn auch keine Jodler zu hören sind, so sucht uns Sindemann mit seinem „Auf der Alm, da gibts ka Sünd“ dafür zu entschädigen.

Des Morgens in aller Frühe geht es wieder hinunter nach St. Wolfgang und weiter nach Salzburg.

Salzburg, die Hauptstadt des Herzogtums Salzburg, zugleich Residenz des Erzbischofs, macht einen großstädtischen Eindruck. Es liegt zwischen dem Kapuziner- und dem Mönchsberg an beiden Ufern der Salzach, einem ziemlich großen Gebirgsfluß mit grünlichgrauem Gletscherwasser. Die reizende schöne Lage der Stadt am Eingang in die Alpenwelt, die stolze Felsenburg, die fremdartige Bauart der Häuser, alles hilft dazu, Salzburg zur schönstgelegenen Stadt Österreichs zu machen. Im Führer steht: „A. v. Humboldt hat gesagt: Salzburg, Neapel und Konstantinopel halte ich für die schönsten Gegenden der Erde.“

Von schönen hervorragenden Gebäuden sei hier nur die Domkirche mit ihrem mächtigen Kuppelbau und den wundervollen Gemälden erwähnt. Sehr lohnend fanden wir den Besuch der Feste Hohensalzburg am Ostende des Mönchsberges, 130 m über die Stadt emporragend. Diese war früher, als auch die weltliche Herrschaft noch in den Händen der Kirche lag, Sitz des Erzbischofs, jetzt dient sie als Kaserne. Von dem sogenannten Folterturm aus genießt man eine schöne Rundsicht über die Stadt selbst und dann weiter über das Gebirge, den Untersberg, den Hohen Göll und wie die Berge sonst heißen. Beim Abstieg von der Feste über den Mönchsberg hatten wir Gelegenheit, das 200 Jahre alte Glockenspiel, welches sich im Turme des Postgebäudes befindet, zu hören, desgl. die 400jährige Orgel, im Volksmunde

  

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der Salzburger Stier genannt, welche auf der Festung steht.

Doch wer wollte von Salzburg reden, wenn er nicht auch den Stiftskeller zum St. Peter besucht hätte. Man kann in Salzburg der Tag als Tourist nirgends würdiger beschließen, als im Peterskeller. Wer kein Weintrinker ist, kann nach meiner Ansicht dort es bald werden. Für uns wurde die Stimmung besonders gehoben, da sich an diesem Abend heimkehrende Sänger mit den Salzburger Sängern eingefunden hatten. Herrliche Lieder schallten durch die Kellerräume und zündende und begeisternde Reden sagten uns, auch hier sind wir unter deutschen Brüdern. Die Wände der verschiedenen Abteilungen des Kellers waren mit sinnigen Trinksprüchen geziert, von denen einige, welche ich von meinem Sitze aus lesen konnte, folgen mögen:

1. Ich kenn einen Trank so schauerlich
ihn Wein zu nennen schon ist Sünde.
Komm Tell, Schieß alle Äpfel weg,
damit er von der Welt verschwinde.

2. Der Mann, der einst das Eichen erdacht,
er ärgert mich täglich aufs Neue.
Hätt er den Liter doch höher gemacht,
zwei Finger vielleicht oder dreie.

3. in vino veritas.
Die Wahrheit liegt im vollen Glas.
Drum stößt so oft der brave Mann
im Leben mit der Wahrheit an.

Nun, wer hätte die Wahrheit namentlich des letzten Spruches nicht schon im eigenen Leben erfahren müssen. Doch still davon. Mit frohem Gemüt sahen wir dem nächsten Tag entgegen, dieser dem Besuch des Königsee's.

Mit Schnellzug fuhren wir bis Hallein, einer sehr alten Salzbergstadt, gleichfalls an der Salzach gelegen. Unter uns Bergleuten ein wohlbekannter Name. Wer kennt nicht das
 

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Gedicht: Zu Hallein tief im Walde, da liegt ein finstrer Schacht, usw. Man sieht auf dem Wege über den Dürnberg links im Walde diesen Schacht liegen, dessen Befahrung namentlich für Bergleute interessanter und lohnender sein soll, als die des bayerischen Salzbergwerkes zu Berchtesgaden. Die stark ansteigende Straße über den Dürnberg scheint für Fuhrleute gefährlich zu sein, wie aus den verschiedenen Marterln am Wege zu schließen ist. Dies sind kleine Gedächtnistafeln mit wenig Kunst verratenden Gemälden, welche Art und Weise des Unglücks, das sich an dieser Stelle zugetragen hat, verbildlichen sollen. In Versform wird Geschehnis und Name des Verunglückten bekannt gegeben und dann gewöhnlich noch der vorübergehende Wanderer zu einem Vaterunser für die Seele des Verunglücktenn ermahnt. Es tut mir leid, nicht auch hiervon eine kleine Auslese in meinem Notizbuch festgehalten zu haben, meine Begleiter drängten stets, weil es zumeist an Zeit fehlte. Nach längerem Marsche erreichen wir das Berchtesgadener Salzbergwerk und wir beschließen, dieses zu besichtigen.

Das Werk ist nicht mehr in Betrieb und wird nur noch für Besucher offen gehalten. Man fährt einen ziemlich langen Stollen hinter, gelangt durch Steigstrecken in den oberen Horizont. Auf einer Rutschbahn erreicht man den durch Sinkwerksbau entstandenen, 100 m lg. und 20 m br. See, welchen eine größere Zahl von Lämpchen erleuchtet. Man setzt mittels eines Kahns über den See und erreicht auf einer weiteren Rutschbahn den tiefsten Horizont, wo seinerzeit das gehaltreichste Salzgebirge durch Sprengarbeit gewonnen wurde. Die Ausfahrt geschieht wohl des Effektes halber auf Wagen. Wie gesagt, für den Bergmann, der es besichtigt, fehlt der Betrieb, es ist aber dem Nichtfachmann, welcher sich einen Begriff vom Bergbau schaffen will, der
 

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Bequemlichkeit und kurzen Dauer (wegen) zu empfehlen, er findet ein Bergwerk, wie er (es) als Kind in Märchen und Erzählungen beschrieben fand.

Nachdem wir das Bergmannsgewand wieder abgelegt, ging unsere Wanderung auf schattigem Wege an der Ache entlang weiter, Berchtesgaden rechts am Hange zunächst liegenlassend, den Watzmann immer vor Augen, bis an den Königsee. Wenn der Hallstädter See, der Wolfgangsee und wie sie sonst heißen, durch ihre malerische Lage ihre besonderen Reize haben, so hat der Königsee durch die Ruhe, die ihn umgibt und die Art, in welcher sich das Leben um und auf ihm abspielt, etwas majestätisches an sich. sein Wasser wird nicht von den Schrauben großer Dampfer aufgewühlt und die Ruhe wird nicht unterbrochen von dem Pfeifen und Schnaufen der Lokomotiven.

Wir nahmen an einer Bootsfahrt (Platz bis zu 25 Personen) teil. Die Bedienung besteht aus Männern und Frauen in kleidsamer Tracht. Ruhig und gleichmäßig setzen die 5 Bootsleute ihre Ruder ein, um in einer Stunde unausgesetzter Arbeit St. Bartholomä, das Ziel der meisten Touristen, erreicht zu haben. Die Fahrt auf der leicht gekräuselten hellgrünen Flut ist unbeschreiblich schön. An beiden Ufern steigen viele hundert Meter hohe Felswände empor, teils kahl und mit Schnee bedeckt, teils bewaldet, hie und da sieht man ein Gebirgsbächlein sich über die steilen Felswände in die Tiefe stürzen. Abgegebenen Pistolenschüsse erwecken ein vielfaches Echo. Das vorerwähnte St. Bartholomä liegt am Fuße des Watzmanns, besteht aus einem Forsthaus mit Gastwirtschaft und einem Kirchlein. Nach halbstündigem Aufenthalt winkt der Führer des Bootes zur gleichschönen Rückfahrt. Der bayrische König Ludwig hat bestimmt und für alle Zeit festgelegt, nie Dampfer auf den See zu bringen,
 

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damit die Romantik nicht gestört werde.

Während uns an diesem Tage die Natur ihre Größe und Erhabenheit voll offenbart hatte, sollte uns der nächste Tag ein ganz anderes Bild zeigen. Menschenkunst und Pracht, aber auch maßlose Verschwendung, wie man anderswo wohl kaum wieder findet, sahen wir in dem königlich- bayrischen Lustschlosse Herrenchiemsee. Wir fuhren mit der Bahn, welche von Salzburg nach München fährt, bis Station Prien; von hier geht eine Nebenbahn bis an den Chiemsee, auch das bayrische Meer genannt. Mit teils großen Dampfern erfolgt die Überfahrt nach der Herreninsel, wo der Weg durch Anlagen am alten Schloß vorbei nach dem vom unglücklichen König Ludwig, dem Zweiten, im Versailler Stil erbauten neuen Schlosse führt. Da die Anlagen vor dem Schlosse nur z. T. fertig gestellt sind, ist man von dem äußeren Eindruck des Schlosses zunächst enttäuscht. Umso mehr staunt man, sobald man das Innere betritt. Vorsäle, Treppenaufgänge, Gemäuer und Festsäle, vor allem die „Große Galerie“ strotzen von verschwenderischer Pracht. Wundervolle Ölgemälde und solche auf Porzellan, der teuerste Marmor und Alabaster, nur vorzügliche Arbeiten der Plastik und Bildhauerkunst, das teuerste Porzellan, kurzum, was Kunst und Kunsthandwerk imstande war, zu leisten, man findet es hier auf einem verhältnismäßig engen Raum zusammen gedrängt, alles genau nach den Angaben des kunstsinnigen Königs Ludwig, II. ausgeführt.

Um einen Begriff von den aufgewendeten Mitteln zu bekommen, sei erwähnt, daß der noch unvollendete Bau 70 Millionen Mark gekostet hat, die große Galerie allein 11 Millionen Mark. Zum Anfertigen der Portieren und Behänge waren während der 7 Jahre dauernden Bauzeit 300 Sticker beschäftigt, die Portieren in einem Zimmer allein kosteten 80 Tausend Mark. So entzückt das Auge ob der Pracht
  

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und Herrlichkeit dieses Königsschlosses ist, so muß ich doch gestehen, daß ich am Ende der Führung, fast verdrießlich über diese Verschwendung, mich hinaussehnte in die freie Natur.

Auf Station Prien wieder angelangt, erwarteten wir den Schnellzug, der uns nach München bringen sollte. Auf der Fahrt hatten wir mehrmals Gelegenheit, die immer mehr zurückbleibenden und zuletzt unseren Blicken entschwindenden Berge zu sehen und Abschied zu nehmen, um dann bald das Leben in der Kunst- und Bierstadt München kennen zu lernen. Wieder war es der Mangel an Zeit, der uns zwang, nur einen oberflächlichen Eindruck von der Stadt uns zu vermitteln. Wir besuchten das Maximilianeum mit den großartigen Gemälden, besuchten die Oktoberfestwiese, das vornehme neue Lonitzold Kaffee (?), das Hofbräuhaus und andere Bierwirtschaften, wo wir uns von der Geradheit und Gemütlichkeit der Münchner überzeugen konnten. Über München als Kunststadt etwas zu sagen, halte ich mich nicht für berufen. Der Münchner charakterisiert sich selbst am besten in dem Verse:

Solang der alte Pater, der Paterturm noch steht,
solang die grüne Isar durch d´Münchner Stadt durchgeht,
solang da drunt´ am Platze noch steht das Hofbräuhaus,
solang stirbt die Gemütlichkeit in der Münchner Stadt net aus.

Wir verlassen befriedigt München, um noch für einen halben Tag unsere Rückfahrt in Nürnberg zu unterbrechen. Die alte Stadt mit ihren schönen Kirchen und Patrizierhäusern, dem Dürer- und Hans Sachs- Häusern, macht auf uns einen besonderen Eindruck. Nahe liegt es, auch das Bratwurst Glöckel, ein kleiner Anbau an einer Kirche, zu besuchen und Bratwürste in Miniaturausgabe zu genießen.

Nun aber geht unsere Heimreise ohne Unterbrechung vor sich, vorbei an Bamberg mit seinem berühmten Dom, an Kulmbach, der bekannten Bierstadt, und wie die Städte
  

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alle heißen, bis wir unser liebes schönes Sachsenland wieder erreicht haben. Wohlbefriedigt von dem Gesehenen und dem Verlauf unserer Sängerfahrt durften wir gesund heimkehren, die Erinnerung aber wird bis ins Alter bleiben.

Von dieser Zeit an zeigt mein Gedächtnis eine große Lücke in Bezug auf Reisen und Wanderungen, auch in meinen Ausgabenbüchern ist kein Vermerk zu finden. Es waren die Jahre, wo ich dienstlich so stark beansprucht wurde, daß ich an längere Abwesenheit vom Werke gar nicht denken konnte, weil ich so gut wie keine Vertretung gehabt hätte. Nur kurze Wanderungen werde ich mit den Kindern gemacht haben. Und doch, zweimal habe ich Rudolf und namentlich Heinz mehr zugemutet.

Im Sommer 1912 sind wir mit der Kleinbahn bis Station Geyer gefahren, wo wir nach Besichtigung der großen Binge, die ebenso wie die Altenberger auf unsachgemäßen Abbau des Zinnstocks zurückzuführen ist, weiter über Elterlein, Grünhain nach dem Spiegelwald gewandert sind. Vom Aussichtsturm genießt man eine schöne Fernsicht, namentlich nach dem Erzgebirgskamm und dessen höchsten Erhebungen, dem Fichtelberg und dem Keilberg und nach Westen hin bis zur Morgenleithe und dem Auersberg und ins Tal der Zwickauer Mulde mit vielen industriereichen Ortschaften. Unser weiteres Ziel war eigentlich der Scheibenberg. Über Beierfeld in Schwarzenberg angekommen, fuhr der Zug, der uns nach Scheibenberg bringen sollte, vor der Nase weg, so daß wir unseren Plan der knapp bemessenen Zeit wegen aufgeben mußten. Wir benützten die Zeit bis zum nächsten Zuge und sahen uns das saubere, schön gelegene Städtchen Schwarzenberg an. Den Scheibenberg aber sahen wir nur von unten auf dem Wege nach Tannenberg, von wo uns das Bahnel wieder nach Herold brachte.
   

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Im Sommer 1913 hatten wir unser Ziel schon etwas weiter gesteckt, eine Wanderung durch das Assigbachtal von Reitzenhain bis Komotau 1). Unser Kutscher Graupner brachte uns mit Geschirr bis zur Heinzebank. Auf der schönen Straße wanderten wir wohlgemut nach Marienberg und fuhren mit der Bahn nach Reitzenhain. Nun begann unsere Wanderung durch das waldreiche, schöne, stark abfallende Tal des Assigbaches mit einem Abstecher zur Talsperre der Stadt Komotau. In 5 Stunden erreichten wir ziemlich ermüdet Komotau, es war ein sehr heißer Tag und deshalb von den Jungen, namentlich dem 9jährigen Heinz, eine beachtliche Leistung. Aber nachdem wir uns im Hotel Goldener Adler, wo wir übernachteten, gestärkt und erfrischt hatten, war auch die Müdigkeit überwunden und wir besichtigten noch die Landesausstellung, wo wir uns aufhielten, bis es Zeit wurde, die Herberge aufzusuchen. Am nächsten Morgen fuhren wir zeitig nach Bilin und besuchten die damals neu und modern hergerichteten Anlagen des Biliner Sauerbrunn. Am Nachmittag brachte uns die Bahn wieder zurück nach Komotau und von dort nach Marienberg. Die Bahn windet sich in Serpentinen bis auf den Gebirgskamm empor und bietet einen schönen Blick über das Böhmerland, dessen sichtbare Dörfer und einzelne Höfe immer kleiner erschienen, je höher sich die Bahn dem Kamm nähert. Aber man fühlt sich wohl, wieder in reiner, leichter Gebirgsluft atmen zu können und die abendliche Wanderung von Marienberg nach Herold ist nicht schwer gefallen, waren wir doch recht befriedigt von unserem Ausflug.

Heinz hatte ich aufgegeben, seine Eindrücke davon in einem kurzen Aufsatz niederzuschreiben; da ich diesen zufällig wieder zu Gesicht bekam, soll er im Wortlaut folgen.

„Unsere Ferienreise.
An einem schönen Sonntagmorgen sind wir aufgebrochen. Herr Graupner hat uns bis zur Heinzebank

1) Komotau ist der deutsche Name der tschechischen Stadt Chomutov, ebenfalls im Egergraben gelegen. Der am Reitzenhainer Paß gelegene Gasthof (als Han bezeichnet) war sowohl von Leipzig als auch von Prag aus der dreizehnte Han, woraus sich später die Ortsbezeichnung Reitzenhain entwickelt haben soll. Zudem findet sich die Zahl „13“ im Ortswappen wieder. Die Bahnstrecke von Chemnitz über Marienberg bis nach Komotau (Flöhatalbahn) wurde am 23. August 1875 eingeweiht und bis 1945 von der Chemnitz- Komotauer- Bahngesellschaft betrieben. Der Abschnitt zwischen Marienberg und Reitzenhain wurde 1998 leider endgültig stillgelegt; die Erzgebirgsbahn bedient seit 2011 nur noch die Strecke von Flöha bis Pockau- Lengefeld (wikipedia.de).
   

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gefahren. Von dort ab sind wir bis nach Marienberg marschiert. Daselbst haben wir auf dem schönen Marktplatz das Denkmal Heinrich's, des Frommen gesehen. Nun ging es weiter mit der Eisenbahn bis nach Reitzenhain. In Reitzenhain haben wir die Grenze überschritten und sind bis nach Komotau gelaufen. Unser Weg führte uns durch sehr viel Wald. Auf diesem Marsch haben wir die erste Talsperre gesehen. Es war für uns ein sehr langer Weg, denn er dauerte fünf Stunden. Nachdem wir uns gestärkt hatten, haben wir die Ausstellung besucht. Hier haben wir eine Karte in die Heimat geschrieben. Dann sind wir in dem Hotel zum goldenen Adler übernachtet. Früh sind wir wieder zeitig aufgestanden, um nach Billin zu fahren. Auf dieser Fahrt mußten wir in Dux umsteigen. In Bilin haben wir uns die schönen Anlagen angesehen. Von dem Park aus sahen wir den Felsen, welcher der böhmische Löwe genannt wird. Auch bei dem Sauerbrunnen waren wir. Alles dieses hat mir sehr gut gefallen. Von Bilin sind wir wieder nach Komotau zurück gefahren. Nachkurzem Aufenthalt ging die Fahrt weiter bis Marienberg. Nun galt es wieder tüchtig zu marschieren, denn von hier bis nach HAuse brauchten wir ungefähr drei Stunden. Trotzdem wir sehr ermüdet waren, hat uns die Reise sehr gut gefallen und wir bitten unseren Vater, daß er nächstes Jahr wieder eine solche Reise mitmacht.“

Auch die alljährliche Hauptversammlung des Vereins deutscher Terrazzofabrikanten boten mir Gelegenheit, wenn auch nur für einige Tage, dem dienstlichen Alltag zu entfliehen. Als Tagungsorte wurden meist zentral gelegene Orte gewählt, um die Zureise der Sachsen, Schlesier, vom Rheinland und Würtemberg leichter zu ermöglichen. So fanden wir uns in Erfurt, Weimar, Nürnberg und wiederholt in Leipzig zusammen, mein angenehmer Reisegefährte dabei war der Geologe Dr. Naumann aus Waldheim, der aus schönem dunkelgrünen Serpentin Terrazzomaterial herstellte und Groß-
  

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abnehmer unseres schönen „Herolder Reinweiß“ war. Bei diesen Zusammenkünften bot sich die Gelegenheit, die Sehenswürdigkeiten oben genannter Städte kennen zu lernen, da der geschäftliche Teil der Tagungen gewöhnlich am ersten Tage erledigt wurde. So besichtigten wir den Erfurter Dom, das Ehringsdorfer Kalkwerk bei Weimar, wo im Kalkstein schöne Versteinerungen vorkommen, in Nürnberg und Leipzig berühmte, bekannte Stätten.

Im Jahre 1913 bot sich die Gelegenheit, noch einmal an einem deutschen Bundessängerfest teilzunehmen. Die Feststadt war Nürnberg. Wohl 6 oder 7 Herren des Herolder Gesangsvereins „Harmonie“ rüsteten zu dieser Fahrt, die für alle Teilnehmer gewiß ein Erlebnis geworden ist. Schon die Fahrt von Chemnitz unter humorvollen Sangesbrüdern war angenehm. Ich habe von dieser Sängerfahrt leider keine Aufzeichnungen, kann mithin nur niederschreiben, was davon in meinem Gedächtnis hängen geblieben ist. Als wir auf dem Hauptbahnhof in Nürnberg ankamen, stauten sich die Massen der Sänger geradezu beängstigend und es hieß gut aufpassen, um bei seinen Mannen zu bleiben. Wir wohnten alle Herolder in einem Hause im Stadtteil „Steinbühl“ und waren für unsere Ansprüche gut untergebracht. Die überaus starke Beteiligung an diesen Festen brachte es mit sich, daß selbst die großen Festhallen nicht genügten, um alle Teilnehmer aufzunehmen, was sich besonders am Empfangsabend zeigte; das Hin- und Herwogen der platzsuchenden Sänger mußte stören. In Gesängen und Ansprachen kam schon die politischen Sorgen, die das Reich durch die Einkreisungspolitik hatte, klar zum Ausdruck. Ein Jahr später brach der Weltkrieg aus. Als aktive Sänger an den großen Aufführungen beteiligten wir uns nicht, nutzten aber die Zeit, die Sehenswürdigkeiten Nürnbergs, soweit es die verfügbare Zeit zuließ, anzusehen, z. B. das germanische Museum, die Burg, Albrecht Dürer- Haus, Sebalduskirche usw. In der Oper sahen wir den Zigeunerbaron. Die Schmückung der Stadt und der Festzug waren großartig.
  

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Unser Reiseziel aber lag noch weiter, wir fuhren zunächst bis Regensburg und ließen uns die Sehenswürdigkeiten zeigen. Ich erinnere mich des Dombesuches und eines alten historischen Saales, wo früher Kaiser Reichstage abgehalten haben. Ein besonderes Erlebnis war mir der Besuch der Walhalla, jenes großartigen Denkmals am Donauufer hochgelegen, das der bayrische kunstsinnige König Ludwig, I. allen großen Deutschen erbauen ließ. Die Reise ging zu dritt weiter nach München, die anderen Teilnehmer verließen uns, um nach dem Bayrischen Wald zu fahren. München war mir von der Grazer Sängerfahrt noch in Erinnerung. Wir haben die Oktoberwiese mit der Bavaria und verschiedne gute Wirtschaften besucht, das Hofbräuhaus nicht zu vergessen. Als wir (uns) am Vormittage des zweiten Tages zur Weiterreise am Bahnhof einfanden, fehlte ein Sangesbruder, der fast zur gleichen Stunde die Heimreise antreten wollte; endlich erschien er auf dem Bahnhofsvorplatz mit einem vollen Maßkrug Bier, schon von weitem winkend. Ich selbst fuhr mit dem Kantor Hofmann über Augsburg nach Ulm, um mich dort mit den Inhabern der Fa. Gebr. Nakle, Ulmer Weißkalkwerke, mit welchen wir in Herold in geschäftlicher Verbindung standen, persönlich bekannt zu machen. Die Firma baut bei Ehrenberg im Tagebau der elfenbeinfarbenen Jurakalk ab, welcher gebrannt einen guten Weißkalk ergibt, aber auch ein gesuchtes Terrazzomaterial, „Ulmer Weiß“ genannt, liefert. Ich besichtigte den Kalksteinbruch, die Ofenanlagen und das Terrazzowerk. Nach einem Rundgang durch die alte Stadt und Besichtigung des Münsters setzte wir die Reise nach
   

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Stuttgart fort.

Das Ulmer Münster war das herrlichste Bauwerk, welches ich bis dahin gesehen hatte. Der schlanke gotische Turm hat eine Höhe von 161 m, mithin noch 4 m höher, als die Türme des Kölner Doms. Hoch auf dem Dachfirst der Ulmer Spatz mit dem Strohhalm, als Wahrzeichen der Stadt Ulm. Das Innere des Münsters macht einen sauberen Eindruck und die hohen Fenster lassen das Licht gut einfallen, so daß die runden Pfeiler mit den abschließenden Sterngewölben ein prächtiges Bild bieten. Die Dome von Regensburg, Erfurt, Köln und namentlich der Stephansdom in Wien machen dagegen einen düsteren Eindruck, weil das Licht durch die Glasmalereien in den Fenstern sehr gedämpft wird.

Die Fahrt nach Stuttgart ist landschaftlich abwechslungsreich, durch schöne Täler führt die Bahn über Geislingen, Göppingen, Esslingen, berührt auf einige Zeit den nördlichen Ausläufer der „Rauhen Alp“, um zuletzt in einem großen Bogen in den weiten, reizenden Talkessel über Kannstadt in Stuttgart zu enden. Das Tal ist fruchtbar und an den Hängen sind Weinberge angelegt. Die Stadt liegt am oberen Lauf des Neckar und bietet viel Sehenswertes, auf einer Rundfahrt bekamen wir einen Gesamteindruck von der schönen Stadt. Den Abend verbringen wir im Friedrichsbau- Theater. Leider steht uns nicht die Zeit zur Verfügung, um die reizende Umgebung näher kennen zu lernen, wir müssen an die Heimreise denken. Am andern Vormittag setzen wir uns wieder in den Zug und fahren über Ludwigsburg, Heilbronn am linken Ufer des Neckar entlang, um dann in nordöstlicher Richtung nach längerer
  

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Fahrt Würzburg zu erreichen, wo wir die Heimreise noch einmal unterbrechen.

Würzburg ist mir besonders gut in Erinnerung geblieben. Die Lage zu beiden Ufern des Main mit dem Blick nach der Festung auf dem Marienberg ist wunderschön. Das hier ziemlich breite Maintal ist sehr fruchtbar; der goldgelbe Weizen stand vielfach in Puppen, in den Weinbergen an den Hängen reiften die Beeren, die einen guten kräftigen Wein ergeben, der ‒ eine Sonderheit der Würzburger Winzer ‒ nur in sogenannten Bocksbeuteln zum Versand kommt. In einer bürgerlichen Weinstube konnten wir uns von der vorzüglichen Qualität derselben überzeugen. Die Bischofsstadt hat viele schöne Kirchen, ist reich an großartigen Barockbauten, so vor allem die Residenz. Nur die hervorragendsten Baumeister wurden von den Bischöfen herangezogen. Leider war wieder die Zeit zu bemessen, so daß wir alles nur von außen gesehen haben. Gegen Abend unternahmen wir einen Aufstieg nach dem Wallfahrtskirchlein „Kuppele“, über demselben bot sich eine schöne Aussicht über die Stadt und das Maintal, östlich sieht man die Festungswerke des Marienberges. Ein Blick in das Innere des Kirchleins zeigte uns, mit welcher Inbrunst die gläubigen Katholiken im Gebet vor dem Muttergottesbilde lagen.

Beim Einkauf in einem Geschäft erfuhren wir, daß das neueste Zeppelin- Luftschiff eine Probefahrt nach Norddeutschland für kommenden Tage plane und gegen Morgen Würzburg überfliegen werde. Die Annäherung werde von der Festung durch einen Kanonenschuß angekündigt. Erwartungsvoll legten wir uns schlafen und richtig, am frühen Morgen dröhnte ein Kanonenschuß, wir sprangen aus den Betten ans Fenster und schon sahen wir den schlanken silbergrauen Leib des Zeppelin von der Morgensonne beschienen über die Stadt nach Norden zu schweben, ein prächtiges Bild, das ich nie
   

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vergessen werde. Es war für uns ein Erlebnis und sollte zugleich der Abschluß unserer Reise sein, da dieser Tag für die Rückfahrt nach Sachsen bestimmt war. Mein letzter Reisegefährte verließ mich in Schweinfurt, um nach Meiningen zu Verwandten zu fahren, ich aber genoß auf der Weiterfahrt vom Abteilfenster aus noch den Blick über die schöne bayrische Landschaft mit den prächtigen dunklen Wäldern und kam vollbefriedigt von dem, was ich gesehen und erlebt hatte, im lieben Heimatdörfchen wieder an, um mich den beruflichen Pflichten wieder voll hinzugeben.

Die Jahre 1909-1912, wo ich sonstige größere Reisen nicht unternehmen konnte, brachten wenigstens etwas Abwechslung dadurch in den betrieblichen Alltag, daß ich mit meinem Freunde Eduard Reuther die alljährlich im Februar in Berlin stattfindende keramische Woche besuchte. Der Verein Deutscher Kalkwerke lud seine Mitglieder dazu ein, wo einige Tage nacheinander belehrende Vorträge gehalten wurden. Wir benutzten die Nachmittage und Abende, des Sehenswerteste von Berlin kennen zu lernen. Abends besuchten wir ein Theater, auch bot sich einmal die Gelegenheit, einer Reichstagssitzung beizuwohnen. Der Abgeordnete des Annaberger Wahlkreises, Göhra, der später nach dem Sturz des Kaiserreichs einmal einen Ministerposten innehatte, führte uns ein. Zur Debatte stand der Marineetat. Nach einer Rede des Abgeordneten Sewering, zu der Staatssekretär Tirpitz für die Regierung Stellung nahm, kam es zwischen ihm und dem Abgeordneten Bebel zu einer schweren Auseinandersetzung. Ich sehe den aufgeregten Bebel noch mit den Händen fuchteln, dazu das ruhige ernste Gesicht Tirpitz'.

Auch an einer Führung durch die Gemäuer des königlichen Schlosses nahmen wir teil, besuchten das Zeughaus und standen an den Sarkophagen des alten Kaisers und der Königin Louise im Charlottenburger Mausoleum. Wir wohnten wohl immer im Hotel Grüner Baum in der Krausenstraße.
  

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Das Jahr 1913 brachte für die Stadt Leipzig in der Weihe des Völkerschlachtdenkmals hohe festliche Tage, wozu der Kaiser und viele andere Fürstlichkeiten erschienen waren. Unser Regiment hatte aus diesem Anlaß zu seinem 2. Regimentstag nach Leipzig eingeladen. Die Gelegenheit, an einem so festlichen Geschehen teilnehmen zu können, durfte nicht versäumt werden. Einige bekannte Kameraden forderten dazu noch besonders auf und so wurde daraus abermals ein freudiges Wiedersehen mit lieben Bekannten. Die Ausdehnung der Ausstellung während des Weiheaktes des Denkmals war so groß und die Sicherungsvorkehrungen wegen der vielen anwesenden Fürstlichkeiten so umfassend, daß nur ein Teil der am Aufmarsch unmittelbar Beteiligten etwas sehen konnte. Wir haben in der Hauptsache nur die Ausfahrt der hohen Herrschaften gesehen. Die Stadt selbst prangte im festlichen Kleide. Der Erbauer des Denkmals, der auch mit vieler Mühe, in der Hauptsache durch Lotterien, die Mittel zu dem gewaltigen Bau aufgebracht hatte, Hofrat Thieme, wurde vom Kaiser mit dem roten Adlerorden 4. Klasse 1) bedacht, einem Orden, den oft junge Leutnants erhielten, die das Glück hatten, eine Ehreneskorte führen zu dürfen, wenn hoher Besuch an den Hof kam.

Bald waren wir in das ereignisreiche Jahr 1914 eingetreten. Obwohl sich am politischen Himmel schon längere Zeit immer wieder einmal gefahrvolle Wolken gezeigt hatten, so hoffte man in der politisch weniger eingeweihten Kreisen der Bevölkerung, daß diese sich verziehen würden und niemand glaubte ernstlich an einen Krieg, hatte man doch schon über 40 ruhige Friedensjahre genießen können. Da traf uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Nachricht von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Ferdinand in Sarajewo. In Thum feierte der Militärverein ein Jubiläum. Wir saßen im

1) Da haben wir auch mal nachgeforscht: Der Rothe Adler- Orden war der zweithöchste Verdienstorden in Preußen und wurde von Erbprinz Georg Wilhelm von Brandenburg-Bayreuth 1705 gestiftet. Im Jahr 1810 wurde der Orden zunächst in drei Klassen unterteilt. Im Jahr 1818 wurde noch eine vierte Klasse geschaffen (wikipedia.org).

   

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Hotel Thierfelder, als das Telegramm bekannt gegeben wurde. Daß diese Tat schlimme Folgen haben würde, war allen Anwesenden sofort klar, aber wohl niemand ahnte, daß ein Weltkrieg von solchem Ausmaß und so langer Dauer daraus entstehen könnte.

In den ersten Tagen der Mobilmachung war die Aufregung unter der Bevölkerung, die in einem langen Frieden gelebt hatte, groß, sie grenzte an Nervosität, die Gerüchte aufkommen ließ, an die man fest glaubte und über die man später gelacht hat. Ich kann versichern, mir schien es von Anfang an als eine Mache, um das Volk zu beunruhigen. So erinnere ich mich eines Vorfalls. Wir saßen mittags zu Tische, als ein Feuerwehrmann der Fa. Gebr. Schüller ziemlich aufgeregt mich im Auftrage des Herrn Richard Schüller (eines Mitbesitzers des Kalkwerks) aufforderte, sofort alle verfügbaren Arbeiter mit Hacken und Schaufeln auf die nach Chemnitz führende Straße zu schicken und diese mit den an der Straßenseite liegenden Schotterhaufen zu sperren. Man hatte von Chemnitz aus telegraphisch angerufen, es seien eine Anzahl Autos mit Gold beladen von Frankreich nach Rußland unterwegs, die abgefangen werden müßten. Bäume wurden umgestürzt, die die Straße sperrten, so daß jeder Verkehr unterbunden war. Am Gasthof hatte man mit Wagen eine Sperre errichtet und so war es in vielen Ortschaften. In Thum sah ich ein mit Soldaten, die Gewehre schußbereit, besetztes Lastauto in schneller Fahrt von Chemnitz kommend, den Greifensteinen zueilend, im Geyerschen Wald hoffte man, die Autos abfangen zu können. Sogar die Feuerwehr von Annaberg war dazu ausgerückt. Von wo aus und zu welchem Zwecke solch unsinnige Gerüchte verbreitet worden waren, konnte nicht festgestellt werden. Man sah in jedem Unbekannten einen Spion einer feindlichen Macht und nicht wenige mußten sich eine, wenn auch nur vorübergehende Haft gefallen lassen. Noch am anderen Tag, als ich mit sämtlichen Pferden des Kalkwerks zur Musterung nach Annaberg fuhr, hielt man uns in Ehrenfriedersdorf
   

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an und verlangte einen Ausweis. Zwei in Schutzuniform mit Gewehren bewaffnete Bürger, darunter ein mir bekannter Lehrer, hatten sich vor die Straßensperre postiert und fühlten sich anscheinend in sehr wichtiger Rolle. Für uns aber waren sie jedenfalls kein Hindernis.

Die nun folgenden 4 Kriegsjahre brachten schwere Belastungen für die Betriebe wie auch für den einzelnen Menschen, seelisch wie körperlich. Nach und nach wurden alle im wehrfähigen Alter stehenden Männer eingezogen, mit den Alten und kaum die Schule verlassenen Jungen mußte der Betrieb so gut es ging aufrecht erhalten werden. Obwohl noch wehrpflichtig, wurde meine Reklamation berücksichtigt, mußte aber die Leitung unseres zweiten Werkes in Hammerunterwiesenthal mit übernehmen, da der Verwalter desselben, mein lieber Freund Max Richter, kurz nach Beginn des Krieges eingezogen worden war.

Die anfangs in Frankreich errungenen Siege ließen die Hoffnung auf eine nicht allzu lange Dauer des Krieges aufkommen. Aber schon bald erfolgten Rückschläge und die Überflutung Ostpreußens durch russische Heere, sowie die Bekanntgabe der ersten Verlustlisten brachten Niedergeschlagenheit ins Volk und Trauer in viele Familien und die Erkenntnis, daß wir mit langanhaltenden und schweren Kämpfen rechnen mußten. Obwohl unsere Heere im Osten und Westen weit in Feindesland standen und dem Gegner immer harte Schläge versetzt hatten, mußten auch wir schwere Verluste an Menschen und Material hinnehmen, aber unsere Fronten standen fest bis zuletzt. Rußland war zum Friedensschluß gezwungen. Eine schwache Reichsregierung aber trat der Wühlarbeit der Linksparteien im Innern des Reiches nicht energisch entgegen, so kam es, daß das Volk schwach wurde, wozu die Lebensmittelknappheit wesentlich beitrug. Die Verluste an Gefallenen wurden immer größer. Auch mein Bruder Karl verlor seine
  

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drei hoffnungsvollen Söhne Richard, Karl und Martin schon im ersten Kriegsjahre in den Kämpfen im Westen. Zwei Söhne der Familie Böhme, Mitbesitzer der Kalkwerke, mußten als Flieger ihr Leben lassen, der ältere von beiden, Eduard, war als Kampfflieger im Elsaß einer bayrischen Fliegerabteilung zugeteilt und hat sich als Sieger im Kampf mit drei französischen Kampfflugzeugen über dem Schwarzwald einen Namen gemacht. Außer der Beförderung von Unteroffizier zum Feldwebel erhielt er für seine tapfere Tat hohe Ordensauszeichnungen. Er war der erste Unteroffizier, welcher im Heeresbericht rühmend erwähnt wurde. Leider sollte seine Heldenlaufbahn nur eine kurze sein, schon im Februar 1915 erhielt er durch einen Unfall den Fliegertod. Als er mit seinem Fokker- Einsitzer aufgestiegen war, um gegen gemeldete Feindflieger zu fliegen, stürzte er kurz nach dem Start aus geringer Höhe ab.

Seine Geschwister beauftragten mich, seine Überführung in die Heimat in die Wege zu leiten. Nach Überwindung einiger Schwierigkeiten wurde mir vom stellvertretenden Generalkommando in Leipzig die Einreiseerlaubnis ins Kriegsgebiet erteilt, nachdem der Truppenteil zuvor schon von der Erlaubnis zur Überführung benachrichtigt worden war. In der Mittagsstunde fuhr ich los, war wohl gegen 7 h in Frankfurt a. M., von wo ich in der Nacht noch bis Straßburg kam. Hier mußte ich übernachten. Ein Posten der Bahnhofswache brachte mich ins Hotel und früh holte mich derselbe wieder ab. Auf meine Frage an den Landser, es sei wohl Gefahr vorhanden, weil in finsterer Nacht keine Laterne brannte, antwortete er in seinem Dialekt: „Hier hat es Bombe gegebe.“ In Kolmar, wo die Fliegerabteilung lag, wurde ich von einem Leutnant erwartet, der mir mitteilte, die Überführung sei bereits erfolgt; tags zuvor habe eine würdige Gedenkfeier an der Unfallstelle bei Enzisheim stattgefunden, an der viele hohe Offiziere teilgenommen hätten. Mit dem Leutnant Kissenberg bin (ich) im Auto an die Stelle gefahren, wo der junge, von den
  

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Offizieren hochgeschätzte Held sein Leben hatte lassen müssen. Die Trümmer seines Flugzeuges waren in das nahe Flugzeugzelt gebracht. In der Gruft seiner Familie in Herold wurde er am folgenden Sonntag mit militärischen Ehren und unter starker Beteiligung der Einwohnerschaft beigesetzt.

Sein jüngerer Bruder Ludwig, welcher als Kampfflieger bei Verdun geflogen war, wurde nach Großenhain als Flugzeuglehrer versetzt und starb ein Jahr später an einer Lungenentzündung im dortigen Garnisonslazarett. Auch er wurde nach Herold überführt und in der elterlichen Gruft neben seinem Bruder beigesetzt.

Alle diese Opfer schienen umsonst gebracht, als wir 1918 einen Waffenstillstand erbitten und dann einem schimpflichen, entehrenden Frieden uns beugen mußten. Die vom Präsidenten Wilson herausgestellten 14 Punkte, welche die Grundlage eines dauerhaften Friedens werden sollten und worauf wir hereingefallen waren, kamen nicht zur Anwendung. Eine schwache Regierung aber unterzeichnete den sogenannten Friedensvertrag, der in Wirklichkeit ein Schandvertrag, eine Vergewaltigung war. Der Kaiser war aus Aurastein nach Holland gegangen, eine Tat, die vielfach nicht verstanden worden ist und ihm die Sympathie weiter Kreise gekostet hat.

Im Lande brach Revolution aus, soweit hatten es die Kommunisten und Sozialdemokraten mit ihren meist jüdischen Führern gebracht. Das zersetzende Gift ihrer Lehre hatte Eingang in Teilen des Heeres, vor allem in der Marine gefunden, man bildete Soldatenräte und riß die Macht an sich. Die Armee, welche an sich diszipliniert aus Frankreich zurückgeführt worden war, konnte nicht schnell genug entlassen werden, das Reich schien in ein Chaos zu zerfallen. Es kam eine kaiserlose, schreckliche Zeit, eine willensschwache Regierung beugte sich den Siegermächten, welche uns ausplünderten, so daß unser Geld immer mehr entwertet wurde, alle Vermögen gingen durch die In-
  

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flation verloren, wir wurden alle arm. Wahrlich ein bitteres Ende nach 4 Jahren harter Kriegszeit.

Unter vielen Parteikämpfen vegetierte das Reich durch Jahre dahin, schöner Landesteile beraubt, Handel lag darnieder, die Arbeitslosigkeit nahm überhand, kein Mensch wußte wo aus noch ein. Die Hoffnung auf langsame Besserung der Zustände im Reich trat ein, als nach öfterem Wechsel in der Regierung der greise, hochverehrte Generalfeldmarschall v. Hindenburg zum Staatspräsidenten gewählt worden war. Doch lasteten die Bestimmungen des Versailler Diktats zu schwer auf dem Reiche. Die Zustände begünstigten das umstürzlerische Treiben namentlich der Kommunisten, welche immer mehr Anhang fanden und damit zur größten Gefahr wurden, statt diese Entwicklung mit zu steuern, wurde sie von den Siegermächten eher noch begünstigt. Diese drangsalierten vielmehr die Bevölkerung in den besetzten Gebieten aufs Höchste. Man hatte mit der Unterzeichnung des Schandvertrages sich selbst als der Kriegsschuldige bekannt und unsere Gegner bestanden nun auf restloser Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen. Die neu entstandenen Grenzstaaten erlaubten sich empörende Übergriffe, vor allem Polen und das kleine Litauen. Im Rheinland und der Pfalz trieben die Separatisten ein verräterisches Spiel; von der französischen Besatzung noch unterstützt. Die Kommunisten erhoben ihr Haupt frecher als zuvor und trieben zum Aufruhr gegen die entstandenen Freikorps, die sich wieder im offenen Kampf gegen diese stellten. Sabotageakte gegen die Willkür der Besatzungstruppen wurden von diesen mit schweren Zwangsmaßnahmen beantwortet. Es kam zur Ruhrgebietsbesetzung durch die Franzosen. In Mitteldeutschland und Bayern war der Kampf der Freikorps gegen die Räteregierungen im Gange, besonders in München, in der Halleschen Gegend und Leipzig. Aber auch in Sachsen ging es bunt durcheinander. Im Vogtland trieb der Kommunist Hölz ein Räuberunwesen, kein Mensch wagte sich ernst-
  

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lich zu widersetzen. Er steckte viele Villen in Brand namentlich in Falkenstein, trieb eigene Gelder ein, indem er in öffentlichen Lokalen von den Gästen sich das Geld aushändigen ließ und dergl. mehr. Die Kommunisten mit ihrem Anhang veranstalteten Umzüge und führten ihnen mißliebige Unternehmer, auch sonst ehrbare Männer, im Zuge in entehrender Weise mit. In Thum fuhren sie auf einem Handwagen einen verabschiedeten Kapitän, dem sie eine rote Fahne an den Arm gebunden hatten, weil er diese zu tragen sich geweigert hatte, im Zuge mit und mißhandelten ihn auch noch. Auch in Herold versuchte man, den auf der schwarzen Liste stehenden Personen ein gleiches anzutun, aber es kam doch nicht so weit, ich selbst habe gewiß auf der Liste gestanden. Gendarmerie und Polizei wagten nicht, einzugreifen, man ließ alles geschehen. Als die Lage im Reich unhaltbar geworden war, raffte sich die Regierung endlich auf, die Reichswehr gegen die Aufwiegler einzusetzen. Es kam verschiedentlich zu ernsten Kämpfen und mancher brave Soldat, der im Weltkrieg tapfer gekämpft und gesund heimgekehrt war, hat durch eigene Landsleute dabei sein Leben eingebüßt. Selbst Weiber haben sich in bestialischer Weise an verwundeten Soldaten vergangen, so z. B. in Chemnitz und Dresden. Das energische Eingreifen der Reichswehr aber schaffte doch bald Ruhe. Überfallkommandos fuhren in der Nacht in die unruhigen Ortschaften und holten die Rädelsführer aus den Betten weg auf die Lastautos und brachten sie in sichere Verwahrung. Alles atmete auf und langsam beruhigten sich die Gemüter. Die Ruhrbesetzung durch die Franzosen hatte aber für das Reich schwere Folgen, die schon stark an Wert gesunkene Mark fiel weiter und erreichte
  

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im Oktober 1923 ihren tiefsten Stand - 1 Mark = 1 Billion, ein Wert, der gleich Null ist und bedeutet, daß alle, auch die größten Barvermögen, verloren waren, selbst reiche Leute ohne liegenden Besitz waren mit einem Schlage verloren. Mühsam ersparte Notgroschen waren verschwunden, Millionen Menschen standen vor dem Nichts. Stundenlöhne von vielen Tausend Papiermark wurden bewilligt, der Wert von früh galt oft am nächsten Tage kaum noch die Hälfte. Ein Zahlenwahnsinn regierte, der uns heute schon unglaublich erscheint, eine Schachtel Streichhölzer für eine Milliarde, um nur ein Beispiel anzuführen, dem man beliebig viele beifügen könnte. Das heute erhaltene Geld mußte sofort in Ware umgesetzt werden. Im Wirtschaftsleben wirkte sich dieser Zustand katastrophal aus, Waren, die nicht sofort oder im Voraus bezahlt wurden, waren so gut wie verschenkt. Fast täglich verlangten die Arbeiter ihren Lohn, zuletzt wußte man nicht, woher das Geld zum Auszahlen nehmen, da die Guthaben auf Girokassen und Banken dahinschwanden. In Geschäftsbüchern und Kassen entstanden ganz unvermeidlich Differenzen und mancher Kassierer ist durch den Zahlenwirrwar geistig erkrankt und arbeitsunfähig geworden. Unsere Nerven haben damals schwer gelitten.

In dieser Zeit traten die Arbeiter des Herolder Kalkwerks von kommunistischer Seite aufgehetzt in einen Streik. Der zweifellos unberechtigten Forderung widersetzten wir uns energisch, nach 4 Wochen erklärten die Arbeiter sich bereit, bedingungslos die Arbeit wieder aufzunehmen, wenn Maßregelungen nicht erfolgen würden, was ihnen zugesagt wurde.

Die Ernährungsgrundlage des deutschen Volkes war langsam besser geworden, aber es waren Hunderttausende an ungenügender Ernährung zugrunde gegangen, erst Wochen nach dem Abschluß des Friedensvertrages setzten die Auslandslieferungen ein. Was es in dieser Beziehung besser geworden war, erschwerten die Reparationsverpflichtungen den Wiederaufbau der Wirt-
  

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schaft umso mehr. Die Uneinigkeit im Volke trug nicht wenig dazu bei, die Lohnkämpfe hörten nicht auf. Die fälligen Ratenzahlungen konnten nur durch Auslandsanleihen geleistet werden, was wiederum die Verschuldung des Reiches stark anwachsen ließ. Dadurch gezwungen, erklärte die Regierung die Unmöglichkeit, weitere Zahlungen leisten zu können. Aber der Widerstreit der Parteien ging unvermindert weiter, er nahm an Heftigkeit eher zu. Man setzte die Hoffnung auf den neugewählten Reichspräsidenten v. Hindenburg, da die Kommunisten durch ausländische jüdische Agitatoren wieder sehr rührig geworden waren. In dieser Zeit trat eine neue Bewegung auf den Plan. Aus kleinsten Anfängen heraus und nach schwersten Rückschlägen fand die sogenannte Hitlerbewegung immer mehr Anhang. Adolf Hitler, ein Frontkämpfer aus dem Weltkrieg, hatte die Nationalsozialistische Arbeiterpartei gegründet, anfangs von den Regierungen schärfstens bekämpft, fand diese immer neue Anhänger, so daß sich Hindenburg entschloß, das Reichskanzleramt Adolf Hitler zu übertragen. Eine gewaltige, aber unblutige Revolution setzte ein und zwar in allen Regierungszweigen, von vielen zwar nicht verstanden, aber es ging bald wieder aufwärts. Die Arbeitslosigkeit war nach einigen Jahren behoben, ein Wunder, an welches zu glauben, kaum jemand gewagt hatte.

Erwähnen möchte ich nachstehend noch, daß ich in der kritischen Zeit als Geschworener einer Schwurgerichtsperiode beim Landgericht Chemnitz beigewohnt habe.

Was sich in den Jahren von 1920 bis1933 in unserer Familie zugetragen hat, soll hier folgen. Im Sommer 1920 legte Rudolf die Schlußprüfung an der Bergschule ab und ging bald darauf als Steiger auf ein Braunkohlen-
   

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werk nach Wattenbach bei Kassel. Er begann seine Angestelltenlaufbahn in einer wirtschaftlich wie politisch schweren Zeit und es war für ihn gewiß nicht ganz leicht, sich der Direktion und den Arbeitern gegenüber korrekt zu verhalten. Es lag deshalb nahe, daß ich das Bedürfnis empfand, einmal nach Kassel zu fahren und mich mit den betrieblichen Verhältnissen bekannt zu machen und mich vor allem mit Rudolf auszusprechen. Ich fuhr über Leipzig, Weimar, Eisenach, Bebra, eine mir schon etwas bekannte Strecke, die teilweise recht schöne Gegend durchfährt. Rudolf erwartete mich am Bahnhof in Kassel und wir unternahmen noch einen Rundgang durch die schöne Stadt. Nächsten Vormittag besuchten wir Schloß Wilhelmshöhe mit dem Herkules, dem höchsten Punkt der großen Wasserkunstanlage. Bei der Führung im Schlosse äußerte der uns führende Angestellte: „Möbel, die fehlen, hat Scheidemann gestohlen und in seine Amtswohnung bringen lassen.“ Er war damals Oberbürgermeister von Kassel, nachdem er als Minister abgewirtschaftet hatte, ein Bild damaliger Zustände. Als wir zur Stadt zurückgingen, begegnete uns ein widerlicher Aufzug von Revolutionären, es war der 1. Mai 1921. Mit einer Nebenbahn fuhren wir nach dem einige Stationen westlich gelegenen Wattenbach. Rudolf wohnte im Gasthaus, wo am Abend auf der geschmückten Scheunentenne die Einwohner bei lustigen Tänzen ihre Maifeier abhielten.

Rudolf hatte die Erlaubnis eingeholt, mich in der Grube zu führen. Das sehr günstig gelagerte Braunkohlenflötz wurde im Pfeilerbau abgebaut. Die Förderung erfolgte auf einer von Tage aus im Einfallen des Flötzes getriebenen Strecke. Der Ausbau glich ganz dem im sächsischen Steinkohlenbergbau. Die Kohle war von vorzüglicher Qualität, ähnlich den besten böhmischen Werken. Die Rückfahrt nahm ich auf der nördlicher gelegenen Strecke über Nordhausen. Städte und Dörfer lagen in frischem Grün der erwachenden Natur.
  

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Die Kriegsjahre verlebten unsere Söhne Rudolf und Heinz als Schüler des Freiberger Realgymnasiums und wohnten bei der Großmutter. Von 1917 - 1920 besuchte Rudolf die Freiberger Bergschule und arbeitete auf dem königlichen Steinkohlenwerk Zaukerode, da hierzu in Freiberg keine Möglichkeit mehr bestand, die Gruben waren 1913 stillgelegt worden. Er wohnte in Döhlen bei einer alten Witwe und hat recht harte und knappe Jahre durchlebt, weil in diesen Jahren die Lebensmittel sehr fehlten. In den Ferien vor dem letzten Schuljahr im Sommer 1919 praktizierte Rudolf mit einem Mitschüler auf dem Kohlenbergwerk zu Heidhof bei Regensburg in Bayern.

Ich nahm einige Tage Urlaub, um Rudolf zu besuchen und damit eine Fahrt und Wandertage durch teile des Bayrischen Waldes zu verbinden, der damals 15jährige Heinz war mein Begleiter. Wir fuhren bis Station Heidhof, besuchten das Werk und blieben die Nacht mit in Rudolfs Unterkunft. Da der nächste Tag ein Sonntag war und die beiden Bergschüler nicht zu arbeiten brauchten, sind wir zusammen nach Regensburg, um die Stadt, welche ich schon oberflächlich kannte, zu besichtigen. Während Rudolf und sein Freund gegen Abend zurückfuhren, reisten wir noch bis Riethling, um früh, das Gebirgsbähnel benutzend, in den Bayrischen Wald bis Zwiesel zur fahren. Auf der Fahrt konnten wir das Durchsetzen des Pfahls, eines mächtigen Quarzganges, beobachten. Nun begann unsere Wanderung, die zunächst nach dem höchsten Berge, dem Arber, führte, wo wir zu übernachten geplant hatten. Leider war das nicht möglich, wir mußten in vorgerückter Stunde noch den beschwerlichen Weg nach Eisenstein zurücklegen, wo wir bei einbrechender Dunkelheit ankamen und in einem Privathause übernachteten. Auf dieser Wanderung durch prächtige Fichten- und Buchenwälder haben wir mit Staunen feststellen können, welch
  

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riesige Bäume diese Wälder noch aufweisen, wie man (sie) im Erzgebirge nur selten vereinzelt antrifft. Für den anderen Tag war unser nächstes Ziel der Osser, welchen wir auf dem Wege am Schwarzen See vorbei gegen Mittag erreichten und recht gut zu Mittag speisen konnten. Die Aussicht von beiden Bergen ist schön, am Fuße des Osser liegt das Städtchen Lam, welches unser Tagesziel sein sollte. Der Abstieg durch Wald ging langsam vor sich, da das üppige Heidelbeerkraut mit den reifen Beeren besonders Heinz immer wieder zum Naschen verlockte, bis ein plötzlich heraufziehendes Gewitter zur Eile mahnte. Am nächsten Morgen wanderten wir im Tale des Weißen Regen bis Kötzling und fuhren gegen Abend mit der Bahn nach Schwandorf. Einen sonderbaren Brauch konnten wir bei dieser Wanderung feststellen. Zumeist an den Ortseingängen, oft aber auch im Freien an den Wegen findet man ganze Reihen aufs hohe aufgestellte, bemalte und beschriftete Bretter „Totenbretter“, der letzte Ruheplatz Verstorbener vor der Beerdigung, welche die Erinnerung an diese festhalten soll. Von Schwandorf sollte die Heimfahrt erfolgen. Mit mehrstündiger Verspätung traf der von München kommende, schon stark überfüllte Schnellzug ein und es wurde eine Fahrt in so fürchterlicher Enge, wie ich zuvor und hernach nie wieder erlebt habe. Erst in Chemnitz, wo wir umstiegen, wurde es besser, wir erreichten, von der Fahrt sehr ermüdet, aber sonst wohlbehalten unser liebes Herold.

Wegen Betriebseinschränkung war Rudolf als jüngster Steiger in Wattenbach abgebaut worden, fand aber sogleich bei dem Kauscher Braunkohlenwerk bei Petershain i. L. Anstellung. Aber auch hier traf ihn nach wohl 1½ Jahren dasselbe Schicksal, wie damals so vielen Angestellten im Bergbau, er wurde wieder stellungslos und kam nach Hause. Der damalige Bergschuldirektor Bergrat Weiß vermittelte die Anstellung als Steiger bei der Schwerspatgrube Morgenröte 1) in Klein-

  

1) Das war uns neu, obwohl es doch quasi vor unserer Haustür liegt: Schon ihres schönen Namens wegen haben wir deshalb natürlich auch nach der hier genannten Schwerspatgrube „Morgenröte“ bei Kleinwaltersdorf, einem alten, langgestreckten Waldhufendorf, nordöstlich von Freiberg gelegen, nachgeforscht und weil uns diese Grube anderswo noch nicht begegnet ist, erlauben uns zu ihr an dieser Stelle eine längere Anmerkung.

In der Ausgabe der Jahrbücher für das Berg- und Hüttenwesen im Königreiche Sachsen auf das Jahr 1914 findet sich im Abschnitt

VI. Wichtige Ausführungen und Betriebsvorgänge auf den gewerblichen Gruben.

1. Neue Lagerstättenaufschlüsse und geognostisch oder bergmännisch bemerkenswerte Vorkommnisse.

unter Punkt 8. der Hinweis:

8. Zu Beginn des Berichtsjahres wurde der Aufsicht der Berginspektion eine Schwerspatgrube in Kleinwaltersdorf (51 a) neu unterstellt, da diese den bisher nur im Tagebau gewonnenen Schwerspat eines von SW nach NO streichenden, durchschnittlich 1 m mächtigen reinen Schwerspatganges im Tiefbau zu gewinnen beabsichtigte. Voraussichtlich wird der Betrieb nach inzwischen eingetretenem Besitzwechsel demnächst wieder ausschließlich über Tage stattfinden, wodurch eine weitere Beaufsichtigung für die Bergbehörde in Wegfall kommen würde.“

Die betreffenden Grubenakten des Bergreviers Freiberg und des Landesbergamtes (40174, Nr. 460, sowie 40024, Nr. 12-460 und 40044-7, Nr. i346) verraten dazu, daß der Anfang dieses Bergwerks im Januar 1913 lag, als der Restaurateur und Stadtrat Friedrich Wilhelm Butze in Kleinwaltersdorf auf dem seinem Sohn, Albert Bruno Butze, gehörigen Gasthofgrundstück im Dorf einen untertägigen Schwerspatabbau aufnehmen wollte und dies dem Bergamt in Freiberg ordnungsgemäß anzeigte. Er hatte dazu Otto Kurt Hackenberger als Bergarbeiter angestellt und dessen Vater, ein Berginvalide, sollte den Abbau leiten. Mangels des nötigen Kapitals kam es damals aber nicht wirklich zu einem länger anhaltenden Gewinnungsbetrieb. Schon im Mai 1913 waren Gasthof und Abbaurechte an einen Robert von Kalkreuth, zugleich Inhaber der Firma Graphit und Mineralmahlwerke in Pirna, verkauft. Auch dieser hielt aber nicht lange durch und veräußerte noch im Oktober desselben Jahres den Gasthof samt Abbaurechten an einen Herrn Max Härtig aus Penig. Der versuchte es ebenfalls, den Schwerspat abzubauen und hatte dazu einen dritten „Einschlag“ – einen Tagebau von 5 m Tiefe – auf seinem Grundstück angelegt. Der Abbau des Schwerspats erfolgte, wo nicht gelockerte Brocken auf der Ausbißlinie des Schwerspatganges einfach ausgelesen wurden, nur „mit Keil und Fäustel.“ Da es eigentlich auch nur ein Tagebaubetrieb war, hätte sich das Bergamt gar nicht dafür interessiert, doch sowohl Butze, als auch Härtig versuchten, dem Gang auch mit Strecken aus der Tagebausohle heraus zu folgen und damit wurde es zum unterirdischen – also bergmännischen – Abbaubetrieb. In größere Tiefe gingen beide aber nicht, denn regelmäßig stieg winters der Wasserzulauf stark an. Schon im Oktober 1914 war dabei dann die Grenze zum Nachbargrundstück erreicht und so fiel die Grube wieder ins Freie. Den Grubenakten (40174, Nr. 460) ist zu dieser ersten Phase noch zu entnehmen, daß Friedrich Wilhelm Butze und nach ihm Max Härtig den Abbau eigentlich nur wenige Tage im Jahr wirklich betrieben, dabei aber immerhin bis zu 1.000 t Schwerspat jährlich gefördert und für 0,65 Mark den Zentner an die beiden Freiberger Hütten verkauft hätten.

Am 22. Oktober 1923 wurde das Vorkommen dann durch die Hilgenberg & Götze AG, Fabrik ätherischer Öle und chemischer Erzeugnisse, Filiale Leipzig, erneut gemutet ‒ und dies ist auch die Zeit gewesen, als diese neuen Eigner der Abbaurechte einen geeigneten Betriebsleiter suchten. Bis November 1923 erfolgten aber nur wenige Versuchsarbeiten. Der von Emil Barthel genannte Grubenname Morgenröte wurde dann am 22. Januar 1924 beim Bergamt angezeigt und zugleich die Anstellung von Rudolf Barthel als Aufsichtsperson beantragt. Als bevollmächtigter Vertreter der Besitzer wurde gleichzeitig von der Aktiengesellschaft der Rittergutsbesitzer Willy Schuster in Kleinwaltersdorf benannt.

   


In diesem Kartenausschnitt sieht man anhand der wenigen Eintragungen, daß Kleinwaltersdorf - am Westrand des Freiberger Zentralreviers gelegen - nun nicht unbedingt ein Zentrum des Bergbaus gewesen ist, wenngleich natürlich auch hier Bergbauversuche umgegangen sind. Er zeigt uns auch die Lage des Rittergutes und der Schänke auf der Westseite des Tals des Waltersbaches. Bildquelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40044-2 (Generalrisse, Gangkarten), Nr. k11: Freiberg, Friedeburg, Kleinwaltersdorf, Lößnitz, Loßnitz, Halsbrücke, Tuttendorf, Conradsdorf, Falkenberg, Halsbach, Hilbersdorf, Muldenhütten, Freibergsdorf, Kleinschirma, undatiert, aber vor 1900, Ausschnitt, Norden ist in diesen älteren Karten noch rechts.

Link zum Digitalisat archiv.sachsen.de

   


Hier sieht man mit roter Farbe die Lage der ersten zwei Schürfe von Stadtrat Friedrich Wilhelm Butze auf dem Schwerspatgang westlich hinter dem Gasthof eingetragen. Bildquelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40174 (Grubenakten Bergrevier Freiberg), Nr. 460, Blatt 12, Gesamtansicht der Zeichnung, Norden ist hier links.

   


Das eigenhändige Anschreiben zu seiner Beantragung der Bestätigung als Steiger und Betriebsleiter der Grube „Morgenröte“ beim Bergamt von Rudolf Barthel. Es reichte dazumal dafür noch ein recht einfaches Schreiben auf einem DIN A5- Blatt. Bildquelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40174 (Grubenakten Bergrevier Freiberg), Nr. 460, Blatt 29.

   


Auch dieser erste und einzige Betriebsplan für die Schwerspargrube „Morgenröte“ stammt aus der Feder von Rudolf Barthel. Wie man daraus erfährt, gehörte das westlich angrenzende Flurstück zum Rittergut, was das Interesse dessen Besitzers erklärlich macht. Bildquelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40174 (Grubenakten Bergrevier Freiberg), Nr. 460, Blatt 38.

  


Die zugehörige Zeichnung zeigt uns, daß auch der neue und unter Leitung von Rudolf Barthel abgeteufte Schacht im Jahr 1924 direkt hinter dem Gasthof, allerdings außerhalb des Gasthofgrundstücks und damit schon auf Rittergutsflur, angesetzt war und wie der Gang zum Abbau ausgerichtet werden sollte. Bereits im Juli 1924 wurden die Arbeiten allerdings wieder eingestellt und die im Schnitt oben gestrichelt dargestellen Baue kamen nicht mehr zur Ausführung. Bildquelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40174 (Grubenakten Bergrevier Freiberg), Nr. 460, Blatt 38, Rückseite.

  

Aus der Bestätigung des Bergamtes seiner Betriebsleiterfunktion ist übrigens noch zu erfahren, daß er mit vollem Namen eigentlich Rudolf Emil Barthel hieß. Wie damals vielfach üblich (wenn auch bei ihm selbst nicht der Fall), hatten Robert Emil Barthel’s Söhne also als zweiten Vornamen den ihres Vaters erhalten.

Oben gezeigtem Betriebsplan und den Fahrbögen des Regierungsbergrats Wolf ist weiter zu entnehmen, daß der Schacht ein lichtes Profil von 2,25 m x 3,5 m besaß und zunächst 24 m tief werden sollte, wo man eine erste Sohle zur Aufschließung des Gangs auffahren wollte. Bis Mai 1924 war schon eine Teufe von 26 m erreicht. Später sollte der Schacht noch um weitere 20 m verteuft und eine zweite Sohle angeschlagen werden. Zunächst waren 4 Mann, im Juni 1924 sogar 11 Mann in zwei Dritteln auf der Grube angelegt. Als Steiger der Grube erhielt Rudolf Barthel ein Monatsgehalt von 120,- Mark. In Bezug auf seine Tätigkeit schätzte Herr Wolf ein: „Die Aufsicht durch Steiger Barthel ist vollkommen hinreichend.“ Der Schwerspatgang selbst wird in den zwei Fahrbögen des Bergrats Wolf aus dem Jahr 1924 als bis zu 1,6 m mächtig, fast saiger einfallend und als ausschließlich rötlichen und weißen Schwerspat führend beschrieben.
Die Hilgenberg & Götze AG hatte zwar schon eine Abteilung Bergbau Kleinwaltersdorf gegründet, zog sich aber dennoch im Mai 1924 von ihren Versuchsarbeiten wieder zurück und veräußerte das Unternehmen an einen Herrn Dr. Carl Raspe, Inhaber einer Chemischen Fabrik in Berlin- Weißensee. Dieser wiederum teilte Anfang August 1924 dem Bergamt mit, daß er „mangels Betriebskapitals“ den Betrieb am 31. Juli eingestellt habe. Es sei nur daran erinnert, daß es nicht nur „die goldenen Zwanziger“ waren, sondern auch die Zeit der Inflation und zahlreicher Lohnkämpfe mit den Gewerkschaften. Auch Rudolf Barthel wurde Ende Juli 1924 von dem neuen Eigentümer wieder entlassen.
Danach hielt der Rittergutsbesitzer Willy Schuster die Grube als Eigenlehner selbst. Der ließ sich zwar noch ein Grubenfeld von rund 64 ha Größe verleihen und führte auch noch einige Schurfarbeiten aus, bei denen angeblich der Gang auch weiter westlich am Bahnhof von Kleinwaltersdorf nachgewiesen worden sei, kam aber letztlich auch nicht weiter: Wie er in seinem Antrag auf Betriebsaussetzung im Jahr 1928 selbst schrieb (Blatt 59 der Akte), ist es ihm „trotz vieler Bemühungen… nicht gelungen, einen Kapitalisten zu finden, welcher mit mir zusammen das Vorkommen aufschließen will.“ 1929 wurde ihm schließlich bergbehördlicherseits das Bergbaurecht entzogen und ein halbes Jahr später lag die Grube erneut im Freien (40174, Nr. 460).

Allerdings war noch immer nicht ganz Schluß, denn nach 1930 interessierte sich dann die Lagerstätten- forschungsstelle beim Oberbergamt (40030-1, Nr. 1106) noch einmal für das Vorkommen. Unter den beiden Namen Konstantin Fundgrube (oder auch Neu Constantin, denn einen nach dem letzten sächsischen Oberberghauptmann Friedrich Constantin Freiherr von Beust (*1806, †1891) benannten Schacht gab es in Zug südlich von Freiberg ja schon) und Süd Konstantin Fundgrube (vormals Morgenröte Fundgrube) wurden ‒ nun namens der staatlichen Sachsenerz AG ‒ erneut Abbaurechte eingetragen. Die Eintragung dieser – angesichts der bisherigen Aufschlüsse freilich höchst großzügig gedachten und vom Ort nach Westen bis über die Bahnlinie Freiberg- Nossen hinausreichenden – zwei Grubenfelder haben wir auf folgender Verleihkarte gefunden.

 


Zumindest die Lage des bergrechtlich verliehenen Grubenfeldes der Grube Süd Konstantin, vormals Morgenröte, bei Kleinwaltersdorf enthält diese Übersichtskarte, wo es mit ockergelber Farbe markiert ist. Bildquelle: Sächsisches Staatsarchiv, Bergarchiv Freiberg, Bestand 40044-7 (Generalrisse, Verleihkarten), Nr. c1285: Großvoigtsberg, Bräunsdorf, Großschirma, Freiberg, Krummenhennersdorf, Naundorf, Niederbobritz, Oberbobritzsch, Lichtenberg, Müdisdorf, Brand-Erbisdorf, Langenau, Memmendorf, Frankenstein, undatiert, aber nach 1930, Ausschnitt, Norden ist hier wie heute üblich oben.

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waltersdorf, wo er sich die ersten Sporen als Betriebsführer verdienen sollte. Er hat das im Entstehen begriffene kleine Unternehmen auch mit Geschick geleitet, Schacht geteuft und auch etwas Schwerspat geliefert. Da es eine Dauerstellung nie werden konnte, war ich bemüht, Rudolf anderweits unterzubringen und wandte mich deshalb an meinen Freund Oswald Fritzsche, Amtsbergmeister im Bornaer Braunkohlenrevier, und nicht ohne Erfolg. Nach einigen Monaten schon riet er, Rudolf solle sich an den Direktor des Braunkohlenwerkes „Kraft“ in Deutzen wenden, wo ein Steiger eingestellt werden solle, er habe schon mit dem Direktor gesprochen. Rudolf wurde angestellt und tut nun schon fast 20 Jahre dort Dienst, seit 1925 hat er einen eigenen Hausstand gegründet, drei gesunde Kinder, Sigrid, Hanna und Lutz beleben das Haus.

  

 
 
 

An dieser Stelle unterbrechen wir unser Transkript noch einmal kurz und lassen uns die gerade getroffene Aussage Robert Emil Barthel's, daß sein ältester Sohn Rudolf Emil Barthel zu diesem Zeitpunkt „schon fast 20 Jahre“ auf der Braunkohlengrube in Deutzen angestellt sei, noch einmal durch den Kopf gehen. Sie gibt uns nämlich einen Anhaltspunkt dafür, wann Emil Barthel diese Zeilen eigentlich niedergeschrieben hat: Wie schon zu lesen war, hatte Rudolf Barthel ja bis 1920 die Bergschule in Freiberg besucht, ist dann in Heidhof bei Regensburg erstmals angestellt worden, anschließend für anderthalb Jahre in Petershain. Wir wissen nun, daß Rudolf Barthel von Januar bis Juli 1924 bei Hilgenberg & Götze als Steiger auf der Grube Morgenröte in Kleinwaltersdorf bei Freiberg angestellt war, bevor er schließlich in Deutzen Steiger geworden ist. Wenn Rudolf Barthel also seitdem nun „schon fast 20 Jahre“ dort angestellt war, dann hat sein Vater Emil Barthel die Zeilen, die wir gerade lesen, also 1944, nach seiner Pensionierung und längst schon im Ruhestand, mitten im 2. Weltkrieg, zu Papier gebracht.

Damit sei aber dieses Abschweifen wieder beendet und wir kehren zurück zu seinen Aufzeichnungen.

  

Heinz machte Ostern 1923 sein Abitur und da er sich mit unserer Einwilligung entschlossen hatte, an der Freiberger Bergakademie Eisenhüttenkunde zu studieren, ging er während des Sommers nach Riesa, um bei den Mitteldeutschen Stahlwerken bis Semesteranfang den vorgeschriebenen praktischen Kursus durchzumachen. Die Kosten des Studiums sollten von unseren Ersparnissen bestritten werden. Da diese aber durch die Inflation restlos verloren gingen, blieb weiter nichts übrig, als die jeweiligen Einkünfte. Der Monatswechsel für Heinz mußte deshalb so niedrig wie möglich gehalten werden, um den Haushaltsplan nicht übermäßig zu belasten. Heinz blieb vorläufig bei der Großmutter wohnen, so daß er manche Ausgaben sparen konnte, es muß aber gesagt werden, er hat es eingesehen, welches Opfer wir brachten und hat sparsam gelebt.

Mit Konrad war geplant, ihn die Realschule in
   

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Thum durchgehen zu lassen und hernach auf einer Lehrerbildungsanstalt sich zum Volksschullehrer auszubilden. Wir konnten ihn während des Schulbesuches in Thum zu Hause behalten; der Vorteil, ihn wie seine Brüder nach Freiberg zur Großmutter in Pension zu geben, konnte deren Alters wegen nicht mehr in Frage kommen.

Aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Es sollte ganz anders kommen. Ich hatte geglaubt, mir in Herold eine Lebensstellung geschaffen zu haben und es stand dem auch nichts im Wege. Mit den Besitzern war ich immer gut ausgekommen. Durch die Terrazzoanlage arbeitete das Werk rentabel und ich konnte den Besitzern alljährlich einen guten Geschäftsbericht vorlegen und einen ansehnlichen Gewinn ausschütten, wenn auch die Kriegs- und Nachkriegsjahre nicht so gut, wie die vorhergehenden sein konnten. Die Inflation und die Jahre der Lebensmittelknappheit zeigte auch für uns recht nachteilige Folgen. Ein durch Heirat hinzugekommener Gesellschafter (die Besitzer bildeten eine G. m. b. H., deren Geschäftsführer ich war) stellte sehr bald allerhand Anforderungen, welche den Betrieb betrafen, die aber nicht durchführbar waren. Meine rein sachlichen, auf Erfahrung beruhenden Einwendungen wollte er nicht gelten lassen, legte diese vielmehr zuletzt so aus, als arbeite ich absichtlich gegen seinen Willen. Dabei hatte er nach den Satzungen der G. m. b. H. überhaupt nicht in Betriebsangelegenheiten hinein zu reden. Es war ihm danach nur gestattet, in der Generalversammlung etwaige Wünsche zu äußern, Aufklärungen zu verlangen oder Beschwerden oder Bedenken gegen die Geschäftsführung vorzubringen. Als aber das zulässige Maß an Zuwendungen aus den landwirtschaftlichen Erzeugnissen immer weiter überschritten werden und zuletzt sogar Schieberzwecken dienen sollte und auch Geldunterstützungen verlangt wurden, mußte ich mich energisch diesem unzulässigen Gebaren widersetzen, um den anderen Gesellschaftern gegenüber mich nicht in Unrecht zu versetzen. Nun
  

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setzte man noch andere Mittel ein, woraus ich ersah, daß man mir das Bleiben unmöglich machen wollte. Der Herr versuchte, meine Autorität bei den Arbeitern zu untergraben, indem er offen diesen gegenüber gegen mich hetzte. Das schlimmste aber war, durch Verleumdungen meine Ehre anzutasten. Eines Tages kam ein Bücherrevisor aus Dresden, um die Geschäftsbücher einer strengen Durchsicht zu unterziehen, wogegen ich gesetzlich nichts machen konnte. Aber die Bemühungen waren erfolglos, er mußte die ordnungsmäßige, korrekte Führung der Bücher bestätigen und der beabsichtigte Erfolg trat nicht ein. Daß dies Verhalten in mir einen Groll hatte aufsteigen lassen, der aus tiefster Seele kam, will ich nicht verschweigen. Ich hätte einen eigenen Besitz nicht besser verwalten können und erntete nun solchen Undank. Doch nur von einem Teilhaber, der andere war gegen dieses Verhalten sehr aufgebracht.

Die Zeit, in der sich diese Vorkommnisse abspielten, waren auch die schwersten Lohnkämpfe. Kaum eine Woche verging, in welcher nicht Verhandlungen oder Schiedsgerichtssitzungen stattfanden, zumeist in Leipzig und Chemnitz. Da ich oft als Beisitzer bestimmt wurde, traf ich viel mit dem Leiter der staatlichen Kalkwerke, dem Ministerialrat Kirsch, zusammen, der dabei in gleicher Eigenschaft fungierte. Nach den Sitzungen blieben wir meist noch einige Zeit zusammen, wobei ich einmal die Vorkommnisse in Herold zur Sprache brachte. Der Herr, welcher mich seit Jahren kannte und wußte, daß ich das Herolder Kalkwerk durch den Bau der Terrazzoanlage wieder gewinnbringend gestaltet hatte, war über das Verhalten mir gegenüber erstaunt und frug mich, ob ich bereit wäre, auf eins der staatlichen Kalkwerke zu kommen, falls eine Stelle frei würde.
    

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Ich bejahte seine Frage, da mir ein weiteres Arbeiten in Herold mit der bisherigen Hingabe unmöglich schien und ich deshalb eine trübe Zukunft vor mir sah. Und doch konnte ich nicht recht glauben, daß es Wirklichkeit werden sollte, von Herold wegzugehen.

Da erhielt ich eines Tages ein Schreiben der Oberleitung der staatlichen Kalkwerke mit der Anfrage, ob ich bereit wäre, die Leitung des Werkes in Hammerunterwiesenthal zu übernehmen, wenn man mir das gleiche Einkommen mit Nebenbezügen, wie ich in Herold habe, zusichere. Ich bat mir kurze Bedenkzeit und eine mündliche Aussprache in Dresden aus, worauf ich bald entschlossen war, das Angebot anzunehmen, was unter den vorliegenden Verhältnissen und in meinem fortgeschrittenen Alter günstiger kaum sein konnte. Ich nahm das Angebot an und kündigte schriftlich meine Stellung in Herold, welche von dem mir gewogenen Gesellschafter anfangs nicht ernst genommen wurde. Dieser bat mich wiederholt dringend zu bleiben, doch ich blieb bei meinem Entschluß, den ich auch nie bereut habe. Nach Ablauf der Kündigungsfrist siedelten wir nach dem Ort meines neuen Wirkungskreises über.

Das mir übertragene Werk zu leiten, hat mir Freude gemacht, die Verhältnisse waren nicht schwierig und man ließ mir völlig freie Hand, als man sah, daß ich mit Erfolg arbeitete. Meine Vorschläge wurden fast ausnahmslos gebilligt, so z. B. der Übergang zu teilweise unterirdischem Abbau und die Errichtung einer Mahlanlage zur Herstellung von Marmormehl. Ich kann sagen, daß die 11 Jahre, welche ich bis zur Pensionierung auf dem Werk verbringen konnte, die ruhigsten während meiner bergmännischen Tätigkeit waren. Durch meinen Freund Richter, welcher das Nachbarwerk leitete, fand ich sogleich Anschluß und wir haben schöne Jahre im
   

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freundschaftlichen Verhältnis von Familie zu Familie verlebt, bis ein jähes Ende der Freund von unserer Seite riß. Auch im Orte hatten wir Anschluß gefunden, so daß wir uns in dem Dörfchen immer wohlgefühlt haben. Die Winter waren nie so schrecklich, wenn sie auch Beschwerden mit sich brachten, aber das lustige Treiben der Wintersportler hat uns auch schöne Stunden gebracht.

Durch unsere Umsiedlung sollte unser Vorhaben mit Konrad, wie oben erwähnt, durchkreuzt werden. Wir sahen uns genötigt, ihn nach Annaberg auf das Realgymnasium zu bringen und dort in Pension zu geben. Zwei Söhne auf hohen Schulen kosteten viel Geld und belasteten für die nächsten Jahre unseren Haushalt schwer, aber es waren Ausgaben für unsere Kinder, die wir bis heute nicht bereuen brauchten. Heinz bestand 1928 die Diplomprüfung zum Eisenhüttenmann mit „sehr gut“ und fand sogleich Anstellung als Assistent im Walzwerk der Mitteldeutschen Stahlwerke in Riesa, wo er auch die schwere Zeit der Arbeitslosigkeit und des Angestelltenabbaus überstanden hat. Es war dies ein Glücksumstand, denn viele Ingenieure mit dem Diplom in der Tasche waren jahrelang stellenlos.

Konrad verließ 1931 das Realgymnasium mit der besten Zensur. Aber was nun? In keinem Beruf waren die Aussichten in die Zukunft gut zu nennen und wozu Konrad die meiste Neigung zeigte, im höheren Lehramt, waren diese geradezu trostlos. Es war die Zeit, wo die wirtschaftliche Lage im Reiche seinen tiefsten Stand erreicht hatte. Bei einer Aussprache mit seinem Rektor von diesem ermutigt, seiner Neigung zu folgen, er werde sich schon durchsetzen, entschloß er sich mit unserer Erlaubnis nach Leipzig zu gehen, um Germanistik zu studieren. Mit außerordentlichem Fleiße hat er sein Studium
  

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ergriffen und durchgeführt, nacheinander die Universitäten Freiburg, Köln, Berlin besucht, um dann wieder nach Leipzig zu gehen, wo er 1936 das Staatsexamen „mit Auszeichnung“ bestand. Inzwischen hatte er sich freiwillig zum Militär gemeldet, die Dienstzeit betrug damals ein Jahr, welches er beim Inf. Regt. 53 in Weißenfels abgedient hat. Hierauf folgte das Referendarjahr, zur Ableistung desselben war er der Humboldtschule in Leipzig überwiesen worden, eine Anstellung im Staatsdienst erfolgte danach aber nicht. Von befreundeter Seite wurde ihm geraten, sich an die Leitung der Hermann Lietz Heimschulen zu wenden, welche ihn auch sofort einstellte und zwar in der Growesmühle 1) bei Ilsenburg a. S. Der Heimschulbetrieb hat ihm sehr zugesagt und er hat sich dort wohlgefühlt, wie wir aus seinen Äußerungen entnehmen und bei einem Besuch im Juli 1939 feststellen konnten. Kurze Zeit darauf wurde Konrad zu einer Reserveübung eingezogen, ehe diese beendet war, begann der Polenfeldzug, an dem er teilnahm und seitdem ist er noch Soldat. Vielleicht ist von ihm über seine weiteren Kriegserlebnisse später noch mehr zu schreiben.

Damit habe ich der Zeit aber weit vorgegriffen und ich will nun noch von den Reiseerlebnissen berichten, die wir in der Zeit erlebt haben, seit Hammer unser Wohnsitz geworden war. Wir benutzten von dort jede Gelegenheit, um Wanderungen nach dem leicht zu Fuß erreichbaren schönen Egertal zu unternehmen. Um diese tunlichst abwechslungsreich zu gestalten, sind wir auf den verschiedensten Wegen vom Erzgebirgskamm hinabgestiegen und haben dabei die Gegend von Komotau bis Karlsbad kennen gelernt. Im Frühsommer 1927, während Rudolf mit Gertrud dessen Urlaub im Elternhaus verlebten, wanderten wir bei herrlichstem Sonnenschein über Purstein die Eger entlang bis Kaden, einer freundlichen alten Stadt. Im Frühjahr z. Zt. der Baumblüte, wenn die steilen Ufer mit ihren vielen Bergkuppen im frischen

1) Erstmalig bekannt wurde die Grovesmühle bei Ilsenburg im nordöstlichen Oberharz durch den Reformpädagogen Hermann Lietz, der dieses Anwesen, eine ehemalige Papiermühle, 1914 käuflich erwarb und dort ein Landwaisenheim errichtete. Bereits Ende des 19.Jahrhunderts hatte er sich in der Harzregion niedergelassen, um in der Pulvermühle bei Ilsenburg sein erstes Landerziehungsheim zu gründen. Nach der Schließung des Landwaisenheims im Jahre 1935 wurde die Schule für die Unterbringung der Unterstufenschüler der Lietz’schen Heime ausgebaut.
Die Schule in der Grovesmühle gibt es noch heute, gehört aber der späteren Geschichte halber nicht mehr zu den Hermann- Lietz- Schulen (grovesmuehle.de).

  

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Grün leuchten, ist das Tal besonders schön.

Von meinem Urlaub verlebten wir einige Tage in Freiberg. Einen Tag benutzte ich, um mit Heinz nach dem durch einen Wolkenbruch schwer heimgesuchten Glashütte zu fahren. Dort sahen wir, wie hoch die Fluten gestanden und mit welcher Gewalt Gebäude, Brücken und Bahnkörper zerstört und sonst für Schaden angerichtet worden war.

In diesen Jahren veranstaltete die Reichsbahn 8tägige Sonderfahrten in besonders gern besuchte Gegenden des Reiches. Wir entschlossen uns, an einer solchen Fahrt nach der Insel Rügen teilzunehmen. Freund Richter mit Frau schlossen sich an, in Chemnitz trafen wir den Bergverwalter Franz Mitsche, ein alter lieber Freund, der auch die Fahrt mitmachen wollte. Die Fahrten waren, was Unterkunft und Verpflegung betraf, gut organisiert. Von Stettin ging es auf dem schönen Dampfer Rougart zunächst nach Göhren, wo wir mit einem Teil der Reisenden Standquartier bezogen. Das erste Mal hatten Seeluft geatmet und große Frachtschiffe gesehen. Am Strande entwickelte sich bei dem schönen Wetter bald ein reger Badebetrieb. Eine Fahrt ins Innere der Insel nach Puttbus war recht lohnend. Das Schloß des Fürsten liegt in einem großen Park, der die seltensten Baumarten aufweist. Auch der Besuch von Stubbenkammer mit seinen Kreidefelsen war recht interessant. Am Abend vor dem Abreisetag wurde durch aufkommenden Wind die See sehr bewegt, so daß wir nicht von Göhren, wo es keine Landungsbrücke gab, sondern von Sellin aus die Rückfahrt antreten mußten. Diese wird vielen Teilnehmern nicht in bester Erinnerung geblieben sein. Der hohe Seegang brachte das Schiff so ins Schwanken, daß sehr bald viele seekrank wurden. Einen erbärmlichen Anblick boten die Bedauernswerten, worunter auch unsere Mutter und Frau Richter waren. Aber auch Männer, die
   

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zuvor gewitzelt und gespottet hatten, mußten bald ihren Tribut zahlen. Alles war froh und auch bald wieder mobil, als wir in Stettin das feste Land betraten, wo wir nach nochmaliger guter Verpflegung die Rückfahrt antraten. Befriedigt, nun doch einmal das große Wasser gesehen zu haben, hat die Fahrt auch manche schöne Erinnerung hinterlassen. Die Fahrt hatte vom 27.8. bis 7.9., also 10 Tage in Anspruch genommen.

Um Konrad, der nicht mit nach Rügen hatte fahren können, etwas zu entschädigen, bin ich während dessen Herbstferien mit ihm 2 Tage nach dem Böhmerland. Wir fuhren zunächst bis Karlsbad und besichtigten die Badeanlagen mit den schönen Kolonaden und Promenaden. Am Nachmittag wanderten wir nach dem schön wie eine Insel, von der Eger fast umflossenen, hochgelegenen Städtchen Ellbogen, was wahrscheinlich durch die Lage an der Eger seinen Namen hat. Wir kamen bei der Wanderung an dem Hans Seiling Felsen vorbei, bekannt durch Marschner´s Oper „Hans Seiling“. Am nächsten Morgen fuhren wir zunächst bis Franzensbad, eine Perle im Kranze der böhmischen Heilbäder. Da wir zeitig dorthin gekommen waren und die Besichtigung nicht sehr viel Zeit in Anspruch nahm, gingen wir zu Fuß nach dem 5 km südlich gelegenen Eger, den Kammerbühl, einen erloschenen Vulkan, konnten wir in nicht zu großer Entfernung rechts liegen sehen.

Eger, die altehrwürdige Stadt, in der sich das Drama um Wallenstein abgespielt hat, war unser eigentliches Reiseziel. Wir besuchten die Ruine der alten, hohenstauffischen Kaiserpfalz, vom Bankettsaal aus, in dem die wallensteinschen Generäle ermordet wurden, wo nur noch einige Fensterbögen stehen, hat man einen schönen Fernblick über das Egerland. Im Stadthaus besichtigten wir das Zimmer, in dem man 1634 Wallenstein ermordete. Das Innere der Stadt ist sehr altertümlich, die äußeren Stadtteile aber modern. Eger ist ein wichtiger Eisenbahn-
   

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knotenpunkt, von welchem aus Bahnen nicht nur nach Böhmen, sondern auch nach Sachsen und Bayern fahren. Gegen Abend fuhren wir zurück bis Joachimsthal und von dort mit dem böhmischen Verkehrsauto nach Böhmisch Hammer. Als wir uns dem Gebirgskamm näherten, hatte sich inzwischen der Vorwinter angemeldet, es lag eine leichte Schneedecke. Bei schönstem Herbstwetter hatten wir tags zuvor unsere kleine Reise angetreten, aber schon auf dem Wege von Franzensbad nach Eger merkten wir eine starke Abkühlung und konnten beobachten, wie auf dem Gebirgskamm der Wettersturz einsetzte. Wir kamen gut, wenn auch fröstelnd, zu Hause an, unsere Kleidung hatten wir zu sommerlich gewählt und nicht mit so plötzlichem Wetterumschlag gerechnet.

Das Jahr 1927 sollte uns noch in tiefe Trauer versetzen. Unsere liebe Freiberger Großmutter war ernstlich erkrankt und es zeigte sich bald, daß ärztliche Hilfe die Katastrophe nicht abwenden konnte. Nachdem die Mutter ihre Schwester noch einige Tage in der Pflege unterstützt hatte und man das Ableben befürchten mußte, habe ich die Schwerkranke noch einmal besucht. Obwohl sie noch völliges Bewußtsein besaß, brachte sie doch kein verständliches Wort mehr hervor. Erschüttert habe ich an ihrem Schmerzenslager gestanden, ich habe sie wie meine eigene Mutter geschützt und geachtet. Am 18. Oktober schloß die liebe Großmutter im 83. Lebensjahr ihre Augen für immer. Sie hat fast auf den Tag genau das Alter meiner schon am 2.11.1911 heimgegangenen Mutter erreicht. Am Begräbnis nahmen wir mit Rudolf und Konrad teil, während Heinz im Rheinland weilte und Vorarbeiten in verschiedenen Werken für seine Diplomarbeit ausführte. Wir, sowie Rudolf und Heinz, welche die Großmutter viele Jahre und in schwerer Zeit bestens betreut hat, müssen ihr über das Grab hinaus dankbar sein.

Immer, wenn im Frühjahr die Natur erwachte, regte sich
   

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die Lust zum Wandern ganz besonders und ich konnte dem Drange, eine blühende Landschaft zu sehen, was wir in Hammer so sehr vermißten, nicht widerstehen. Das nahe Egerland mit seinen blühenden Obstgärten war alljährlich das Ziel. Der Absatz an Düngekalk, der auch in den wirtschaftlich schlechten Jahren im Frühjahr gut war, endete Mitte Mai und meine Abwesenheit auf ein oder zwei Tage vom Werk war vertretbar. So war es auch 1928. Rudolf mit Familie kamen Ende Mai in Urlaub, Heinz konnte sich einige Tage freimachen und Konrad hatte Ferien. Es stand einem gemeinsamen Ausflug in die Baumblüte nichts im Wege. Wir wanderten über den Keilberg, Haunstein ins Egertal und erstiegen den Herrgottsstuhl, von wo man einen schönen Blick weit in das Tal hat. Dann ging es weiter nach unserem Tagesziel, dem im Duppauer Gebirge gelegenen, schönen Städtchen Duppau, wo wir übernachteten. Am nächsten Morgen auf einer Autofahrt nach Gieshübel hatten wir den Genuß herrlichster Baumblüte fast längs des ganzen Weges, besonders im Dorfe Sachsengrün. Auch Karlsbad wurde wieder besucht, um gegen Abend über Joachimsthal, Gottesgab heimzukehren, wo wir befriedigt und wohlbehalten eintrafen.

Mutter hatte an diesem Ausflug nicht teilgenommen, ich plante deshalb für später einen nochmaligen Ausflug und diesmal nach Saaz, ich wollte die Hopfengegend auch kennenlernen. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir damals den Anmarschweg über Kupferberg und Klösterle gewählt, ich suchte meist einen anderen Weg ins Egertal, um möglichst neue Eindrücke von der Schönheit des nach Böhmen zu steil abfallenden Erzgebirgskammes aufzunehmen. Von Klösterle benutzten wir die Eisenbahn bis Saaz. Es waren schöne Augusttage, so daß wir am Spätnachmittage noch Zeit genug fanden, die Sehenswürdigkeiten der Stadt mit den Resten der früheren Wehrbefestigung zu besichtigen. Die große Brauerei, wo das berühmte Saazer Bier gebraut wird, umfaßt einen Komplex stattlicher Gebäude. Die Übernachtung ist uns und namentlich Heinz und Konrad in wenig angenehmer Erinnerung geblieben.
 

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Die von Ungeziefer nicht immer freien Gasthäuser in Böhmen sind leider keine Seltenheit. Die Blutsauger hatten unsere Söhne um ein gut Teil ihrer Nachtruhe gebracht, da sie öfter gegen diese hatten Jagd machen müssen, wir in unseren Betten waren weniger belästigt worden. Wenn wir später einmal davon gesprochen haben, geschah es mehr in humorvoller Weise. Am nächsten Morgen sind wir mehrere Stunden die Straße nach Komotau zurück gewandert. In einem Dorfgasthof, wo wir in Fett schwimmende Schnitzel aßen und selbst unsere Mutter das gute Bier lobte, erwarteten wir den Zug, um heimzufahren. Da wir vom Wetter begünstigt waren, hatte auch dieser Ausflug voll befriedigt. Wir hatten Gelegenheit gehabt, die vielen großem Hopfenpflanzungen und die großen fruchtbaren Getreidefelder dieses gesegneten Landes zu sehen.

Für dieses Jahr sollte es genug sein, wir hatten ja in nächster Nähe viel lohnende Halbtagsausflüge nach dem Fichtelberg, Keilberg, Gottesgab, Tellerhäuser, Kupferhübel, Ruine Hassenstein und a. m.

Unsere Baumblütepartie im Frühjahr 1929 (21.5.) führte uns mit Konrad über Sonnenberg, Plaßdorf durch ein schönes Waldtal nach Deutsch- Kralupp, wo alles in schönster Blüte stand. Wie wir von hier weiter gewandert, ob zu Fuß auf einem anderen Wege über den Gebirgskamm zurück oder mit der Bahn über Komotau heimgefahren sind, weiß ich heute nicht mehr, hier versagt mein Gedächtnis.

Zu erwähnen wäre noch ein Tagesausflug am 9.6. von Freiberg aus nach der sächsischen Schweiz, an welchem außer Konrad auch Rudolf und Gertrud teilnahmen. Von Rathen sind wir durch den Amselgrund nach dem Kuhstall und der Bastei und dann auf einem Elbdampfer zurück nach Dresden. Ein Abendzug brachte uns wieder nach Freiberg.
  

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In den großen Ferien hatte ich mit Konrad eine größere Wanderung nach dem Fichtelgebirge und der fränkischen Schweiz ausgearbeitet, wo die Tagestouren festgelegt waren, die auch bis auf geringe Abänderungen durchgeführt werden konnte, hierbei spricht ja der Wettergott ein entscheidendes Wort mit. Anfang August fuhren wir los und zwar über Karlsbad nach Eger und auf der bayrischen Staatsbahn weiter nach Marktredwitz. Hier begann unsere Wanderung nach der Kösseim (?) (940 m), dem schönsten Aussichtspunkt des Fichtelgebirges, und von dort nach der Louisenburg, dem eigenartigsten Punkt der Umgebung. Gewaltige Granitblöcke liegen wild durcheinander, wie ein zusammengestürzter Berg. Das Felsenlabyrinth bietet einen interessanten Rundgang. An einer Stelle ist ein Naturtheater angelegt, wo bayrische Hofschauspieler eine Vorstellung gaben, die wir angesehen haben. Wir übernachteten in Höfel ganz in der Nähe und brachen frühzeitig auf nach dem eine knappe Stunde entfernten Wunsiedel, einem freundlichen Städtchen, welches anläßlich eines Jugendtreffens reich blauweiß geflaggt hatte. Doch für uns gab es hier keinen langen Aufenthalt, unser Tagesziel war weit gesteckt. Mit Kraftpost fuhren wir eine Strecke, um dann nach dem Schneeberg, der höchsten Erhebung des Fichtelgebirges (1.083 m) zu wandern. Der Aufstieg ist nicht anstrengend, ging aber deshalb nicht so rüstig vorwärts, weil Konrad öfters einen Aufenthalt herbeiführte, um sich an den am Wegrande stehenden Heidelbeeren zu laben. Die Aussicht vom Schneeberg ist durch Baumbestände sehr beeinträchtigt, er hat auch keine Wirtschaft, nur eine Schutzhütte. Deshalb war auch unser Aufenthalt von kurzer Dauer, unser nächstes Ziel war der Ochsenkopf, welchen wir nach 2 Stunden erreichten. Hier entspringt der Weiße Main, dessen Quelle gefaßt ist. Der Berg trägt einen Aussichtsturm mit einer einfachen Wirtschaft. Man hat eine schöne Aussicht namentlich nach Westen, wo man den Flecken Bischofsgrün am
   

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Fuße des Berges liegen sieht, dem wir bald zustrebten, um in weiterer Wanderung über Goldmühl unser Tagesziel Berneck zu erreichen.

Der Kurort Berneck liegt reizvoll in einem engen Tale. Beide Talhänge steigen steil auf und sind herrlich mit Laubwald bewachsen. Nachdem wir uns im Gasthaus von der anstrengenden Tageswanderung erfrischt und gesäubert hatten, stellte Konrad eine unaufschiebbare Reparatur an seinen Schuhen fest, zum Glück fand sich ein Schuhmacher, der diese noch am Abend ausführte. Auch hatte Konrad nach der ersten Übernachtung auf der Louisenburg sein Nachthemd liegen lassen. Auf meine schriftliche Bitte hin war die Wirtin so freundlich, dasselbe nach Hammer zu schicken.

Für den nächsten Tag war Bayreuth unser Ziel. Mit Postauto fuhren wir bis nahe an die Stadt, um zunächst einen Abstecher nach Eremitage zu machen, dem Lustschloß der ehemaligen Markgrafen von Bayreuth. Es liegt auf einem Hügel, vom Roten Main fast umflossen, ein halbkreisrunder Bau in welchem die Zimmer liegen und der ein großes Bassin umschließt, wo zu bestimmter Stunde die Wasserkünste spielen. Das Schloß diente besonders der Markgräfin Wilhelmine, der Lieblingsschwester Friedrich's des Großen.

Wir wandern nun zur Stadt selbst, um vor allem die Stätten, wo Richard Wagner gewirkt hat, zu besichtigen. Das Bühnenfestspielhaus war uns zugängig, Handwerker arbeiteten emsig an Aufbauten für die nächste Spielzeit. In der Stadt gingen wir zur Villa „Wahnfried“, in dessen Garten wir in Ehrfurcht vor der Ruhestätte des großen Musikhelden standen. Auf dem Friedhof besuchten wir die Gräber berühmter Männer, die in Bayreuth gelebt und gewirkt hatten. All diese Stätten und vieles andere,
    

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was wir im Laufe des Nachmittags gesehen hatten, hatte einen nachhaltigen Eindruck bei uns hinterlassen.

Am frühen Morgen fuhren wir mit der Bahn bis Station Pegnitz und nun begann eine schöne Wanderung durch einen Teil der fränkischen Schweiz. In ca. 2 Stunden erreichten wir Pottenstein. Das Städtchen liegt prächtig im Püttbachtal an seltsamen turmartigen Felsen angebaut, mit fast nur kleinen einfachen Häuschen. Die Einwohner rechnen sehr mit Touristenbesuch, da es gänzlich an Industrie fehlt. Auch wir übernachteten in privat. Zeitig früh setzten wir unsere Wanderung über Tücherfeld nach Behringer Mühle fort, wo wir Einkehr hielten, um den Morgenkaffee einzunehmen, auf welchen wir in Pottenstein des frühen Aufbruchs wegen verzichtet hatten. Im schönen Wiesentale mit seinem klaren Wasser wanderten wir weiter, dabei einen Abstecher nach dem hochgelegenen Gößweinstein mit der großen zweitürmigen Wallfahrtskirche machend. Nach Mittag setzen wir unseren Fußmarsch fort bis Muggendorf, wo wir in einfachem Gasthaus übernachteten. Die Wanderung am anderen Morgen führte uns im abwechslungsreichen Tale nach Streitberg, dort besuchten wir die berühmte Binghöhle mit wunderbaren Tropfsteingebilden im Jurakalk, womit wir zugleich den schönsten Teil der fränkischen Schweiz hinter uns hatten. Auf der Straße im Wiesentale entlang erreichten wir um Mittag Ebermannstadt, einem kleinen Städtchen mit Bahnanschluß. Nachdem wir Rast gehalten, brachte uns die Bahn nach Bamberg.

Bamberg, eine sehr alte Stadt mit großer Vergangenheit, hat für seine Größe recht viele repräsentative Bauten, auf die ich nicht näher eingehen kann. Uns lag besonders an einer Besichtigung des berühmten Domes, welchem wir auch reichlich Zeit geopfert haben. Konrad hatte mehr Erfahrung über Baukunst als ich, mich hat niemand darüber aufgeklärt. Der mit vier
  

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89 m hohen Türmen weit hervorragende Bau steht unter den romanischen Bauten Deutschlands in erster Reihe.

Er wurde von Kaiser Heinrich, II. im Jahre 1004 gegründet, in jetziger Gestalt nach einem Brande im Jahre 1237 geweiht. Erwähnen will ich nur das Reiterstandbild Kaiser Konrad, III. an einem Pfeiler, unter der Bezeichnung „Bamberger Reiter“ bekannt. Der Dom birgt soviel Kunst und Kostbarkeiten an Altertümern, über die mehr einzugehen, mir viel Verständnis fehlt. Bamberg ist seit altersher Bischofssitz. Es liegt an der Pegnitz, kurz vor deren Mündung in den Main.

Für den nächsten Tag war der Besuch des Schlosses Lanz und des Staffelberges vorgesehen. Das Wetter schien unseren Plan durchkreuzen zu wollen, der Himmel hing voll regenschwerer Wolken. Wir fuhren bis Station Staffelstein. Auf dem Wege nach Schloß Lanz setzte starker Regen ein, der uns die Besichtigung der großen Schloßanlage fast unmöglich machte. Das Innere der reichen Schloßkirche konnten wir nur durch die großen Glasscheiben der Eingangstür sehen. Der Besuch war tatsächlich zu Wasser geworden, ziemlich durchnäßt kehrten wir auf anderem Wege zurück nach Staffelstein. Ob der andere Teil unseres Programms sich noch würde durchführen lassen, erschien fraglich. Nachdem wir in einem Gasthaus uns oberflächlich getrocknet hatten, der Regen hatte inzwischen aufgehört, schickten wir uns doch an, den nahen Staffelberg zu besteigen, was auch der geringen Höhe und des bequemen Aufstiegs wegen keine Leistung bedeutet. Hier angekommen, konnten wir mit Scheffel singen:

„Beim heilgen Veit vom Staffelstein, da war ich jüngst zu Gaste,
und sah die Lande um den Main zu meinen Füßen liegen.“

Der Blick vom Berge über die Landschaft ist wirklich lohnend. An der Klause des Einsiedlers nahmen wir einen kleinen Im-
   

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biß zu uns und machten uns auf den Weg nach Vierzehnheiligen. Aber oh weh! Der Regen hatte den an sich nicht guten Fußweg so aufgeweicht, daß kaum von der Stelle zu kommen war. Der tonige Boden hing sich in Flatschen an die Schuhe, daß man fast bei jedem Schritt versuchen mußte, ihn abzuschleudern. Als wir glücklich am Ziele waren, bedürfte es vieler Mühe, die Schuhe nur einigermaßen zu reinigen, kaum, daß wir das Heiligtum von Vierzehnheiligen betreten konnten. Die genannte Kloster- und Wallfahrtskirche zeigt im Innern eine ausschweifende Pracht, wie ich sie selten, vielleicht nie wieder gesehen habe. Der Legende nach sollen im Jahre 1445 einem jungen Hirten die 14 heiligen Nothelfer erschienen sein, was zur Gründung der Kirche und des Klosters Veranlassung gab.

So hatten wir unser Tagespensum doch noch erledigen können und befriedigt legten wir noch die Stunde Weg bis Lichtenfels zurück, wo wir übernachteten und von wo wir am nächsten Morgen die Heimfahrt antreten wollten. Als wir früh auf dem Bahnhof unseren Zug erwarteten, kam ein solcher aus Richtung Coburg, ihm entstiegen eine lange Reihe Männer und Frauen, vollbepackt mit den verschiedensten Korbwaren, welche sie zur Lieferung brachten. Diese Heimindustrie ist in der Coburger Gegend zu Hause. Das Bild war reizend zu sehen. Der bald einfahrende Zug brachte uns wohlbehalten und von der Reise voll befriedigt wieder in unsere erzgebirgische Heimat.

Ende September an einem Sonntag unternahmen wir noch einen Ausflug nach dem Spitzberg bei Gottesgab, kehrten im bescheidenen Wirtsstübchen „Wunderblume“ ein und wanderten gegen Abend zurück nach Hammer.

Im Juni 1930, als Rudolf mit Familie wieder seinen Urlaub im Elternhaus verlebten, machte ich den Vorschlag zu einer Reise mit Wanderungen nach Böhmen, dem Lausitzer Gebirge, wenn möglich, noch eines Teils des Isergebirges.
   

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Fünf Tage vom 10.-14. Juni standen uns zur Verfügung. Wir fuhren ab Station Schmiedeberg zunächst bis Teplitz, gingen nach dem Schloßberg und benutzten von der nächstgelegenen Haltestelle die Bahn bis Boreslau, von wo wir in den frühen Nachmittagsstunden den großen Milleschauer (835 m) erstiegen. Die Aussicht von diesem Berge ist einzig schön, vor ca. 40 Jahren hatte ich den Genuß als Bergschüler schon einmal gehabt. Humboldt soll sie für die drittschönste Europas bezeichnet haben. Die Bergwirtschaft hatte ich bei meinem ersten Besuch besser gefunden, trotzdem, wir mußten hier übernachten. Wie ich eben über die Wirtschaft geurteilt, sollte sich auch während der Nacht bestätigen, ich brach im Bette durch und lag plötzlich auf der Diele, zum Gaudium meiner Schlafnachbarn. Früh zeitig bei Sonnenaufgang wanderten wir dem Elbtal entgegen, ohne Kaffee und Frühstück. Unterwegs in einer Mühle bot man uns ein gutes Butterbrot und ein Glas Milch. Nach einigen Stunden erreichten wir die Elbe, ließen uns auf das andere Ufer übersetzen nach dem Weinort Tschernosek. Die geschützte Lage des Ortes läßt einen guten Wein gedeihen, wovon wir uns bei einem kräftigen Frühstück überzeugen konnten. Ein Elbdampfer brachte uns nun bis Leitmeritz. Soweit es die Zeit gestattete, die uns nur knapp zur Verfügung stand, nutzten wir sie zur Besichtigung der belebten Stadt mit schönem, großen Marktplatz. Um unser Tagesziel Bodenbach zu erreichen, mußten wir schon den nächsten Dampfer benutzen. Es war ein heißer Tag und wir konnten die ganze Fahrt auf Deck des Schiffes verbringen und hatten den Genuß, den herrlichen Teil des Elbtals mit Ausblick auf die Berge des Mittelgebirges im steten Wechsel vor uns zu haben. Die Schönheit dieses Teils des Elbtals gleicht nach Baedecker der des Rheins. Nach Übernachtung in Bodenbach fuhren wir in nordöstlicher Richtung bis zu einer Haltestelle, deren Namen mir entfallen ist. Wieder hieß es gut wandern,
   

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Um nicht zu späte den Hohwald im Lausitzer Gebirge zu erreichen, den wir bei größter Sonnenhitze erstiegen, während der dringend nötigen Rast konnten wir die schöne Aussicht weit über das Gebirge und die Landschaft genießen. Nun weiter nach dem Oybin, dem Berge und Städtchen gleichen Namens, welche durch die reizende Lage in einem Talkessel durch Touristen viel besucht wird. Gegen Abend mußten wir noch eine gute Strecke Wegs zurücklegen, da für uns Quartier in Linkendorf bestellt war.

Die größte Marschleistung verlangte der nächste Tag von uns, der Jeschken und Reichenberg waren unser Ziel. Nach 2½ stündigem Marsche erreichten wir die Bahnstation, von welcher aus wir zunächst 2 oder 3 Stationen in Richtung unseres Wanderzieles fuhren. Wenn ich nicht irre, hieß der Ort Kriesdorf. Uns blieb nichts anderes übrig, in größter Hitze um die Mittagszeit begann unser Aufstieg auf einem kahlen Bergrücken. Der Wald war des Nonnenfraßes wegen restlos abgeschlagen. Damit waren wir auf dem Kamm und hatten leichteres Wandern. Aber der letzte Aufstieg auf den Jeschken selbst verlangte von mir und Gertrud alle Kräfte. Der Berg, ein sehr hoher Kegel, beherrscht die Landschaft und bietet eine ausgezeichnete Fernsicht nach allen Himmelsrichtungen. Nachdem wir uns gestärkt und von dem anstrengenden Marsche ausgeruht hatten, stiegen wir in Richtung Reichenberg ab und erreichten nach einer Stunde die Stadt zur letzten Übernachtung. Der nächste Tag ging fast ganz in der Rückfahrt auf, ohne einen störenden Zwischenfall hatten wir die teilweise zwar anstrengenden, aber doch schönen Wandertage wie geplant durchführen können.

Unsere Mutter war dieses Jahr bisher schlecht weggekommen, sie hatte an der großen Wanderung nicht teilgenommen, sondern zu Hause unsere Enkel Sigrid und Hanna betreut, welche zu ihrer Sorge während unserer Abwesenheit erkrankt waren, zum Glück aber bald wieder gesund wurden. Zur Entschä-
   

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digung haben wir im August noch einige Tage benutzt, um Heinz in Riesa zu besuchen und sind dann weiter auf der Vetternstraße nach Nossen zu Pfarrer Rösts und nach Hainichen zu meinen Verwandten.

Inzwischen war Frau Richter nach Bad Kösen übergesiedelt. Sie bat uns dringend, sie in ihrem neuen Heim zu besuchen. Da ich noch über einige Urlaubstage verfügte, verbanden wir mit einem Besuch unserer Deutzener Kinder eine Fahrt nach Bad Kösen. Von hier aus machten wir eine lohnende Wanderung am rechten Saaleufer entlang nach der Rudelsburg und Saaleck mit schöner Aussicht über das Saaletal.

1931 zu Pfingsten sind wir über Haunstein ins Egertal und dann mit der Bahn nach Gießhübel, dem bekannten Kurort mit seiner Heilquelle und schönen Anlagen. Das Wasser (Säuerling) wird in Flaschen gefüllt und als Mattonis (schwer leserlich...?) Gießhübler Sauerbrunnen in alle Welt verschickt. Teils zu Fuß, teils die Bahn benutzend, kehrten wir heim.

Ein langgehegter Wunsch, den deutschen Rhein einmal zu sehen, sollte sich in diesem Jahr erfüllen. Die Reichsbahn lud wieder zu einer Sonderfahrt und diesmal an den Rhein ein. Eine bessere Gelegenheit, billig zu reisen, konnte sich nicht bieten und in unserem immerhin schon vorgerückten Alter war keine Zeit mehr zu versäumen. Wir entschlossen uns deshalb, teilzunehmen, mein Urlaub ließ sich in diese Zeit legen. Die Fahrt fand vom 18.-24. Juli statt. Wir fuhren ab Chemnitz über Leipzig, Weimar, Erfurt, Frankfurt bis Mainz, wo wir nach kurzem Aufenthalt mit unserem Sonderzuge am linken Rheinufer entlang in Koblenz unseren Standort für die Dauer der Reise erreichten. Wir wohnten im schönen Paulanertrau (?). Einige Tage konnten wir nach eigenem Ermessen frei verfügen, sonst waren besondere Unternehmungen festgelegt. Die Fahrt schon am Rhein entlang mit
    

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den vielen Burgen und Ruinen, den vielen freundlich an beiden Ufern gelegenen Städten, dazu der Blick auf den belebten breiten Strom.

In unserem Quartier machten wir die Bekanntschaft mit einem freundlichen Chemnitzer Ehepaar, der Herr war Lehrer von Beruf, ein routinierter Reisender, war Mitglied im Hauptvorstand des Erzgebirgsvereins. Schon über den ersten Tag konnten wir frei verfügen, wir schlossen uns der neuen Bekanntschaft an, welche für diesen Tag eine Moselfahrt bis bis Kochem und Besuch des Schlosses Eltz geplant hatte. Bei prächtigem Sonnenschein war die Fahrt durch das vielgewundene Moseltal mit seinen steilen und hohen Weinbergen reizend. Jede kleine Fläche, welche die Schieferhänge der Ufer boten, war mit Reben bepflanzt. Am Ziel genossen wir den Wein von dem roten Gewächs. Unsere Begleiter aber suchten nach den schönsten Motiven zum Photographieren, wovon sie uns später eine Serie schöner Aufnahmen zum Geschenk machten. Auf schönen Waldwegen wanderten wir nach Schloß Eltz, ein eigenartiger Bau mit vielen Türmchen und Erkern, wunderschön gelegen. Hier überraschte uns ein heftiger Gewitterguß, der uns zwang, für einige Zeit in Nebengebäuden Schutz zu suchen. Der Weg nach der nächsten Station, von welcher wir zurückfahren wollten, war durch den Regen stark aufgeweicht und erschwerte das Vorwärtskommen, so daß wir den Zug nicht erreichten und uns zu einem längeren Aufenthalt bis zum nächsten Zug genötigt sahen.

An einem anderen Tag fuhren wir mit Auto in die vulkanische Eifel und besuchten die berühmte Benediktiner- Abtei Maria Laaf, sie wird als eine der edelsten rheinischen Kirchenbauten des Mittelalters im Baedecker erwähnt. Der See ist 2 qkm groß und liegt sehr schön von zumeist Laubwald umgeben und ist das größte der vulkanischen Maare der Eifel.

Eines anderen Tages besichtigten wir das große Schloß und
    

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Burg Stolzenfels a. Rh., welches sich in restauriertem Zustand befand. Von hier hat man eine der schönsten Fernsichten über den Rhein. In mir erweckte der Besuch eine Erinnerung an meine Kindheit, als ich mit Unterstützung von Vater und Bruder Karl das Schloß aus einem Modellierbogen sehr schön erstehen sah.

Auch das Siebengebirge wurde besucht. Mit unserem Zuge fuhren wir bis Station Mehlem (?), setzten auf einer Fähre über den Rhein nach Königswinter, wo wir zunächst vorzüglich zu Mittag speisten. Mit Geschirr fuhren wir dann auf den Drachenfels, von dessen Hotelterrasse man einen schönen Blick über einen der schönsten Teile des Rheinlaufes genießt, man sieht die weiteren Berge des Siebengebirges in der Ferne, gegenüber den Rolandbogen, tief unten die Rheininsel Gravenwerth mit Bad Honnef. Ohne sich satt zu sehen, könnte man den Blick stundenlang über diese gesegnete Landschaft schweifen lassen. Aber wir mußten zurück, in kleinen Dampfern werden wir wieder ans jenseitige Ufer des Stromes gebracht und legen bei dem freundlichen vornehmen Städtchen Godesberg an. Im Gasthaus „Zur Lindenwirtin“ kehren wir ein und besuchen das altgewordene „Ännchen“ in ihrer freundlichen Wohnung mit einem Sonderzimmer, welches unzählige Bilder, Handschriften und sonstige Andenken birgt. Bereitwillig gibt sie auf Wunsch ihr Autogramm.

Eine andere Bahnfahrt brachte uns nach Köln. Über die mächtige Hohenzollernbrücke strebt alles der Innenstadt zu, wo zunächst das einzig herrliche Bauwerk des Domes unsere Blicke fesselt. Staunend steht man vor dem riesigen massigen Türmen und den kunstvollen Fassaden. Das Innere mit den hohen mächtigen Säulen, die in herrliche Kreuzgewölbe verlaufen, muß auch den wenig kunstverständigen Laien mit Verwunderung erfüllen. Unfaßbar, wie es Menschen geben kann, die ein solch hervorragendes
    

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Bauwerk durch Sprengbomben teilweise in Trümmer legen konnten. Durch eine ausgedehnte Autorundfahrt lernten wir den Charakter der Stadt und die wichtigsten Bauten und Straßen kennen. Im großen Restaurant Stapelhaus, am Rheinufer gelegen, wurden wir reichlich und gut verpflegt.

Koblenz, wo wir unser Standquartier hatten, ist eine der am schönsten gelegenen größeren Rheinstädte am Einfluß der Mosel in den Rhein, es dauert eine ganze Strecke, ehe sich das hellgrüne Wasser des Nebenflusses mit dem graugelben Wasser des Stromes vermischt. Es lag so recht im Mittelpunkt zu unseren näheren und weiteren Ausflügen. Die Stadt selbst hat Anziehungspunkte, so das deutsche Eck mit dem großen Kaiser Wilhelm Denkmal an der Moseleinmündung, den schönen Rheinterrassen, der Aufenthalt daselbst abends bei Beleuchtung mit dem Blick auf das glänzende, spiegelnde Wasser des majestätischen Stromes und den stromauf und stromabwärts fahrenden Schiffen ist ein Genuß. Gegenüber auf dem rechten Ufer liegt die mächtige Festung Ehrenbreitstein. Bei einem Abendspaziergang konnten wir die durch den Versailler Vertrag geforderten Sprengungen an den Befestigungswerken sehen. Es bliebe noch manches zu erwähnen, was wir auf kurzen Spaziergängen von der Stadt aus besichtigt haben. Im Weindorf, einem Vergnügungsviertel der Stadt, verlebten wir mit bekannt gewordenen Reiseteilnehmern einen feuchtfröhlichen Abend. Den Wein aber trank man dort nicht etwa billiger als bei uns zu Hause, trotzdem wurde viel getrunken und es war schwer, einen Platz zu bekommen.

Die schönste Partie sollte eine Dampferfahrt nach Rüdelheim (?) und dem Niederwalddenkmal werden. Ein sonniger Tag erhöhte den Eindruck, welchen die Fahrt bot, besser noch als mit der Bahn konnte man die beiderseitigen Hänge des Rheintals mit seinen Burgen und Ruinen und deren Namen mit Hilfe einer Karte verfolgen. Von Rüdelheim (?) aus, wo der Dampfer anlegte,
    

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ging es bei strahlender Sonne durch Weinberge hinauf nach dem Denkmal, wo ein kurzer Hinweis auf Entstehung und Bedeutung desselben von einem Führer an uns gerichtet wurde. Das Denkmal hinterließ einen starken Eindruck, erreicht meiner Ansicht nach aber lange nicht den des massigen Völkerschlachtdenkmals in Leipzig. Der Blick von demselben über die eng beieinander liegenden Städte und Dörfer beiderseits des Rheins ist einer der schönsten, die wir haben konnten. Die Teilnehmer teilten sich jetzt, ein Teil wählte den weiteren Weg nach Assmannshausen, der andere Teil, dem auch wir uns anschlossen, ging zurück nach Rüdelsheim (?). Bei Wein und Gesang in einer der Weinschänken in der Drosselgasse verbrachten wir die Zeit bis zur Rückfahrt, womit zugleich das Programm der ganzen Reise erfüllt war.

Aber auch diese war interessant, sie führte durch das Lahntal an Bad Ems, Wetzlar, Gießen und dem schön gelegenen Marburg, dessen Dom weithin sichtbar ist, über Kassel, Nordhausen, Halle nach Leipzig, wo uns Konrad am Bahnhof erwartete. Da wir an diesem Tage nicht mehr nach Hause konnten, fuhren wir noch bis Deutzen zu unseren Kindern.

Dieses Jahr kam Rudolf mit Familie einige Tage zu Besuch. Ich lud die gesamte Familie, soweit sie im Auto des Herrn Günther aus Joachimsthal Platz finden würde, ein zu einer Fahrt nach dem Auersberg bei Eibenstock. Die Fahrt durch unsere erzgebirgischen Städte, Dörfer und Wälder hat alle recht befriedigt, wenn auch der Motor im Auto einige Male streiken wollte, wir aber gut wieder nach Hause kamen.

Das Jahr sollte nicht zu Ende gehen, ohne uns noch in Trauer zu versetzen. Unser lieber Schwager Richard Eppendorfer war nach kurzer Erkrankung plötzlich und unerwartet gestorben. Unsere Familie nahm voll am Begräbnis teil. Niemand von uns hätte geglaubt, daß der rührige Schwager und On-
   

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kel so bald für immer von uns scheiden würde.

An dieser Stelle unterbrechen wir unser Transkript erneut, um kurz zwei weitere Bestandteile des überlieferten Konvoluts einzufügen, die wir bisher nicht richtig einordnen konnten.

   


Eine Änderungsmitteilung des Grundbuchamtes beim Amtsgericht Freiberg aus dem Jahr 1936. Anstelle des verstorbenen Onkels Friedrich Richard Eppendorfer sind jetzt die Erben, die Witwe Emilie Marie sowie - vermutlich der Sohn - Richard Martin Eppendorfer als Besitzer der auf den Blättern 1403 und 1504 des Grundbuchs für Freiberg eingetragenen Flurstücke deren Alleinbesitzer. Der handschriftliche Vermerk oben links verweist zudem darauf, daß zugunsten von Emil Barthel wohl eine Hypothek als Grundschuld eingetragen war. Das Schreiben ist an Herrn Betriebsleiter Emil Barthel in Hammerunterwiesenthal, was er ja zu dieser Zeit eigentlich schon nicht mehr gewesen ist, adressiert.

   


1942 gab es offenbar neue Vordrucke für die Grundbuchblätter. Von der Umschreibung wurde Herr Emil Barthel, Betriebsleiter, Hammerunterwiesenthal, wieder von Amts wegen informiert. Zu dieser Zeit war er natürlich bereits längst in Pension und wohnte auch nicht mehr in Hammerunterwiesenthal oder kurz in Hammer, wie er den
- zugegebenermaßen auch recht langen Ortsnamen - gern selbst abkürzte, sondern schon in Freiberg.

  

Damit kennen wir ausnahmsweise einmal die genauen Namen seiner Verwandten in Freiberg. Wie weiter unten in seinem Text noch zu lesen steht, war die hier genannte Witwe Emilie Marie Eppendorfer, geb. Müller, die Schwester der Gattin Emil Barthel's. Seine Ehegattin muß folglich ebenfalls eine geborene Müller gewesen sein. Bei diesem ‒ wohl dem häufigsten in unserem Land ‒ Familiennamen sehen wir allerdings kaum eine Chance, herauszufinden, wie die „Mutter“ eigentlich wirklich hieß...

Fahren wir also fort mit dem Text aus der Feder Emil Barthel's:

   

Nachdem ich auf meiner ersten Sängerfahrt nach Graz im Jahre 1902 Gelegenheit gehabt hatte, die steierischen und Salzburger Alpen, teilweise kennen zu lernen, deren Größe und Erhabenheit wie auch landschaftliche Schönheit, ich möchte sagen, einen fast überwältigenden Eindruck bei mir hinterlassen hatten, entstand bei mir der feste Entschluß, diese gigantische Bergwelt noch einmal und zwar in Gemeinschaft mit der Mutter zu sehen.

Aber es sollten viele Jahre vergehen, ehe es dazu kam, fast schien es, als sollte es ein Wunsch bleiben, hatten wir beide die Sechzig schon überschritten. Da war es wieder die Reichsbahn, die eine Sonderfahrt nach München und Garmisch- Patenkirchen veranstaltete und uns gewissermaßen zur Teilnahme aufforderte. Und diesmal mußte es wahr gemacht werden. Ich konnte meinen Urlaub auf die Zeit vom 23.-31.7., in welchem die Fahrt stattfand, verlegen. Auch unser Sohn Heinz schloß sich an, wodurch wir einen guten Beistand hatten, der uns, wenn nötig, auch sehr hilfreich war. Wir fuhren ab Chemnitz und trafen in Reichenbach mit Heinz zusammen, welcher von Riesa über Leipzig, Altenburg kam. Das Wetter schien uns nicht günstig, es regnete während der ganzen Nacht und auch noch in München, als wir am Morgen dort ankamen. In einem sehr guten Hotel am Königsplatz wurden wir für einen Tag untergebracht. Nach einigen Ruhestunden, während dem der Regen nachgelassen hatte, schickten wir uns an, die Sehenswürdigkeiten der berühmten Kunststadt, soweit dies möglich, zu besichtigen, die München in reichem Maße aufweist. So besonders die denkwürdigen Stätten am Odeonplatz und das eindrucksvolle Heldenehrenmal. Am Nachmittag besuchten wir den botanischen Garten und Schloß Nymphenburg mit seinen ausgedehnten Anlagen. Den Abend bis zur einbrechenden Dunkelheit saßen wir im englischen Garten. Nachdem wir noch einen Blick in die unteren Räume des Hofbräu-
   

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haus' getan hatten, suchten wir das Hotel auf. Im halben Vormittag des nächsten Tages fuhren wir dem Endziel zu. Am belebten Starenberger See (Vielleicht ist der Starnberger See gemeint?) ein ganzes Stück entlang, über Murnau am Südostende des Staffelsees gelegen, führt die Bahn über das Loisachtal. Schon vorher erblickt man in der Ferne das Massiv des Wettersteingebirges und der bis tief herunter mit Schnee bedeckten Zugspitze. Nach ca. 4 Stunden erreichen wir den Bahnhof Partenkirchen. Wir werden im Werdenfelser Michel, einem größeren, einfachen Gasthaus, einlogiert. Nachdem wir unser Gepäck abgelegt, (uns) erfrischt und gestärkt hatten, unternahmen wir einen längeren Spaziergang, welcher uns in ziemliche Höhe führte und eine schöne Aussicht über den Talkessel von Garmisch- Partenkirchen eröffnete, aber auch die umgebenden Berge gut zu Gesicht kommen ließ. Ein seltenes Glück hatten wir an diesem Abend, die zur Ruhe gehende Sonne ließ am Zugspitzmassiv ein wunderschönes Abendglühen erstehen. Auf unserem Spaziergange kamen wir bis an die Seilbahn, die auf den Berg namens Wank führt. Heinz ließ sich nicht halten, noch zu dieser Zeit den Berg zu Fuß zu nehmen, er kehrte, als es schon sehr dunkel war, zurück.

Am nächsten Morgen fuhren wir mit der Kreuzeckseilbahn bis zur Station gleichen Namens in 1.600 m Höhe mit herrlicher Aussicht, stiegen auf schmalem Pfade bis auf den Schwarzkopf mit Blick auf den Schneeferner und ins Höllental und dann auf einem wenig begangenen Steig nach der Hochalm. Ein schönes, im bayrischen Alpenbaustil erbautes Wirtshaus bietet dem Touristen einfache Küche, aber in frischer, reiner Höhenluft nach längerer Wanderung mundet alles vortrefflich. Von hier erscheint die Alpspitze in greifbarer Nähe und weiter östlich sieht man die Dreitorspitze. Auf dem zum Kreuzeck führenden Wege gehen wir ein Stück entlang, zunächst abbiegend durch ein steil abfallendes Tal, (um) in die
   

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Partnachklamm zu gelangen. Die Partnach, ein wildschäumendes Flüßchen, zwängt sich durch ein enges Felsental, auf meist sehr schmalem Fußweg durch bauliche Hilfen passierbar gemacht, aber nervenschwachen Menschen nicht zu empfehlen. Die Wanderung hatte uns doch etwas ermüdet, aber umso besser schliefen wir in den fremden Betten.

Für den nächsten Tag hatten wir den Eibsee als Ziel unseres Tagesaufluges festgelegt. Wir benutzten die Bahn bis Obergrainau und erreichten von dort in nicht zu großer Entfernung Badersee. Derselbe ist nicht groß, aber durch seine reizende Lage und sein klares, durchsichtiges hellgrünes Wasser ein wahres Idyll. Nach einem Rundgang um den See wanderten wir weiter und erreichten nach ca. 1 Stunde den 2 qkm großen Eibsee, einen dunklen waldumschlossenen See, überragt von den gewaltigen Abstürzen der Zugspitze. Wir nahmen an einer Rundfahrt im Motorboot teil und stärkten uns dann in dem großen, neuerbauten Eibseehotel mit schöner großer Terrasse dicht am See. Den Rückweg wählten wir über Gries, er führt durch Wald ins Loisachtal. Wenden wir den Blick zurück, so haben wir stets die Zugspitze vor Augen, aber so viel Geduld Heinz auch zeigt, diese auf ein Bildchen zu bringen, es war umsonst, der Riese hielt seine höchste Spitze in Nebel gehüllt. Der steile Abstieg in das Loisachtal war recht beschwerlich, namentlich für unsere Mutter, wurde aber mit unserer Unterstützung doch geschafft. Für diesen Tag aber war es genug, die Bahn brachte uns zurück.

Zu größeren Touren werden die Fremden von den Besitzern starker sechssitziger Personenwagen, welche sich meist am Bahnhof aufstellten, eingeladen, um auch die weitere Umgebung kennen zu lernen. Wir haben uns an zwei solchen Fahrten beteiligt, welche jede einen Tag ausfüllten. Die erste führte zunächst ein großes Stück auf der Straße nach Mittenwald, dann links abzweigend durch einige Orte an den Walchensee. Der See, welcher das Wasser an das große Kraftwerk an den viel tiefer gelegenen Kochelsee abgibt, hat eine Flächenausdehnung von 35 qkm und eine Tiefe von
   

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bis zu 196 m. Die Straße führt in vielen Serpentinen den steilen Kesselberg hinunter nach Kochel. Links zweigt ein Weg nach dem Herzogstand ab, wo Prinzregent Luitpold oft zur Jagd weilte. Kochel, bekannt durch den Schmied am Kochel (Standbild desselben am Markt) aus der Sendlinger Schlacht 1705 gegen die Österreicher. Wir besichtigten das Kraftwerk mit seinen mächtigen Turbinen und den gewaltigen Rohrleitungen, in denen das Wasser auf die Turbinen geht. Das abfließende Wasser läuft nach dem 24 qkm großen Kochelsee, welcher von der Loisach durchflossen wird. Auf der Rückfahrt besichtigten wir eine schöne Kirche in Benediktbeuren. Östlich sieht man die Bendiktenwand. Da wir uns in Kochel längere Zeit aufgehalten hatten, setzten wir die Fahrt ohne weitere Unterbrechung fort und erreichten am Spätnachmittag Partenkirchen.

Die zweite Fahrt am anderen Tage führte über Ehrwald bei Reute ins Lechtal, in diesem abwärts nach Füssen und weiter nach dem Königsschloß Neuschwanstein, das wir besichtigten. In dem Schloßrestaurant aßen wir zu Mittag. Der Aufenthalt hier hatte längere Zeit in Anspruch genommen. Weiter ging die Fahrt nach Oberammergau, berühmt durch sein alle 10 Jahre stattfindenden Passionsspiele. In diesem Jahr fanden keine Spiele statt, aber der schon weit sichtbare Bau war für Besichtigungen freigegeben. Die Halle faßt 4.500 Besucher. Interessant war, die Garderobe mit den vielen Utensilien und Gewändern zu sehen. Wir ahnten damals nicht, daß wir in 2 Jahren Besucher der außer dem 10jährigen Turnus abgehaltenen Jubiläumsfestspiele sein würden. Im Benediktinerkloster Ettal unterbrachen wir noch auf kurze Zeit unsere Fahrt und besuchten die schöne Klosterkirche, ein Zentralbau mit 72 m hoher Kuppel. Die Kirche mit allen zum Kloster gehörigen Gebäuden nehmen einen großen Platz ein. Ein ansehnliches Hotel steht in der Nähe. Außer sonstigen
   

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Andenken werden in freien Verkaufsständen Benediktinerliköre angeboten. Nun aber gab es keinen Aufenthalt mehr, befriedigt von allem, was wir gesehen, trafen wir in unserer Herberge ein. Die letzte größere Tour war eine Fahrt mit der Karwendelbahn nach Innsbruck. Bald erreichten wir Mittenwald mit seinen malerischen sauberen alten Häusern, von der Karwendelspitze überragt. Der Haupterwerbszweig des Ortes ist die Anfertigung von Geigen, Gitarren und Zithern. Weiterhin überschreitet die Bahn die Isar und führt zum Scharnitz Paß über die Grenze zwischen Bayern und Tirol. In Mittenwald bereits hat die Grenzkontrolle stattgefunden. Bei Scharnitz nochmals über die Isar, die aus dem nahen Quellgebiet heraustritt. Mit der Station Seefeld erreichen wir den höchsten Punkt der Bahn, nun senkt sich diese stark, durchfährt 17 Tunnel, davon der größte 300 m lang durch die Martinswand, über Brücken und tiefe Schluchten mit herrlicher Aussicht auf das Inntal bis Innsbruck. Seine Umgebung wird neben der von Salzburg als die schönste aller deutschen Alpenstädte bezeichnet. Wir gehen durch die Maria Theresienstraße nach der Fürstenburg mit dem goldenen Dachel, einem reich verzierten Erker, dessen Kupferdach vergoldet ist und dann nach der Hof- und Franziskanerkirche mit dem berühmten Grabmal Kaiser Maximilians I. in der Mitte des Hauptschiffs. Zwischen den Pfeilern stehen 28 Bronzefiguren, berühmte Zeitgenossen und Ahnen des Kaisers darstellend. Neben der Hofkirche steht das Universitätsgebäude. Überall, wo die Straßen einen Ausblick bieten, sieht man Bergriesen. Um einen Gesamtüberblick über die Stadt und Umgegend zu haben, fahren wir mit der Drahtseilbahn nach der Hungerburg. Der Blick von dieser Höhe ist unbeschreiblich schön, eine Unzahl von Bergkuppen umsäumen die Stadt, dahinter der Berg Isel, bekannt durch Andreas Hofer, dazu das schöne Inntal. Wir genießen die prächtige Aussicht längere Zeit und beobachten ein im Tal einbrechendes Gewitter und seine Entladung. Nachdem wir die Stadt auf einem Rundgang weiter besichtigt, war
    

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die Zeit zur Rückfahrt gekommen. Hochbefriedigt von dem, was wir gesehen, brachte uns die Bahn wieder nach Partenkirchen.

Der letzte Tag wurde zu kurzen Spaziergängen nach Garmisch und die nahe Umgebung benutzt. Dann nahmen wir Abschied von der geliebten Bergwelt und fuhren zurück nach München und weiter in unsere heimatlichen Berge.

Am 25.8. besuchte ich mit Rudolf und Konrad den Pleßberg in Abertham. Der bequem über Gottesgab zu erreichende Berg bietet einen schönen Blick nach der Gegend von Karlsbad. Wir gingen weiter nach dem nur noch von wenigen Mönchen bewohnten Kloster „Maria Sorg“ und Joachimsthal. Das sehr in Aufnahme begriffene Radiumbad mit schönen Kurbauten bringt neues Leben in das sonst stille Bergstädtchen. Mit dem Verkehrsauto fuhren wir zurück.

Schon im Juni des nächsten Jahres sah mich der Pleßberg mit Mutter und Konrad als Besucher wieder und einige Wochen später wanderten wir über den Fichtelberg durch den Wald nach Tellerhäuser. Beides von Hammer aus bequeme Tagestouren, aber doch mehrstündigen Wanderns. Tellerhäuser, an der Straße von Oberwiesenthal nach Rittersgrün gelegen, besteht aus meist Waldarbeiter- Wohnhäuschen, ist der richtige Platz für nervenschwache Sommerfrischler. Ein einfaches sauberes Gasthaus bewirtet die Gäste sehr gut.

Ich muß etwas zurück greifen. Jeden Donnerstag Abend trafen wir uns, ein enger Kreis bekannter Herren, und spielten einen kräftigen Männerskat. Das verspielte Geld wurde in einer Kasse angelegt und gewöhnlich jedes Jahr entweder ein Essen oder ein Ausflug angesetzt, ja sogar ein Schweineschlachten wurde einmal veranstaltet. Der schönste Ausflug war eine Autofahrt nach Marienbad, an welchem auch Rudolf und Gertrud teilgenommen haben. Unser Stammlokal war die
   

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Lauxmühle in Böhmisch- Hammer 1), wo ein angenehmer Grenzverkehr stattfand.

Öfter hatte ich die Schönheit des Thüringer Waldes preisen hören und hätte deshalb gern selbst einmal die Wanderung über den Rennsteig mitgemacht; aber der Mutter konnte ich diese nicht mehr zumuten und allein so große Strecken zu wandern, befriedigt mich nicht, man muß seine Eindrücke und Beobachtungen austauschen können. Aber die Landschaft wollte ich doch kennen lernen und so legte ich die Reise dorthin fest und zwar vom 14.-22.8.1933.

Wir fuhren über Leipzig zunächst bis Weimar, um die Stätten zu sehen, wo unser großer Dichter und Geistesheld Goethe gelebt hatte. Weimar liegt in einem freundlichen Tale am linken Ufer der Ilm. Unter der Regentschaft der geistreichen und tatkräftigen Witwe Amalie des jung verstorbenen Herzogs Ernst August für ihren Sohn Karl August bis zum Jahre 1775, wurde Weimar zum geistigen Mittelpunkt. Er zog die edelsten Geister Deutschlands wie Goethe, Herder, Wieland und Schiller nach Weimar, letzteren erst als Professor nach dem nahen Jena. Seit jener Zeit hat Weimar Weltruhm erlangt. Wir besuchten zunächst das Goethehaus mit dem Arbeits- und Sterbezimmer und den Privatsammlungen des Dichters, standen später vor den Särgen Goethes und Schillers in der Fürstengruft, sowie an Gräbern mancher damaliger Zeitgenossen. Im schönen Park mit Goethes Gartenhäuschen und an der Ilm entlang führte uns der weg vor das Nationaltheater, vor ihm das Doppelstandbild der beiden Dichtergrößen. Aus dem Landesmuseum sind mir die Säle mit den Wandgemälden von Preller, die Ostseelandschaften (?) darstellend, noch in guter Erinnerung. Auch die große neue Weimarhalle haben wir besichtigt, sowie die unweit davon liegenden Sportplätze mit großem Schwimmbad. Es sind soviel Sehenswürdigkeiten

1) Böhmisch Hammer ist der deutsche Name des Grenzortes České Hamry, heute ein Ortsteil des Städtchens Weipert / Vejprty am Grenzübergang nach Bärenstein in der Tschechischen Republik. Lauxmühle gehörte früher zu Schmiedeberg / Kovářská und ist heute ebenfalls ein Ortsteil von Weipert. Noch bis 1950 hieß der Ort unweit von Böhmisch Hammer Lauxův Mlýn, was sich wohl von einem Ortsgründer namens Lucas ableitete. Seit der Vertreibung der deutschstämigen Bewohner nach dem 2. Weltkrieg heißt das nur noch winzige Örtchen nun Výsada (wikipedia.de). Soweit uns bekannt, gibt es diesen Gasthof heute nicht mehr.

   


Eine Ansicht des gleichnamigen Gasthofes in Lauxmühle / Lauxův Mlýn, wo wohl auch Emil Barthel mit seinen Bekannten zum Feierabend gern mal eine Runde Skat bei böhmischem Bier gespielt hat... Auch der Absender dieser historischen Postkarte aus dem Jahr 1925 hat ein Fenster mit einem Kreuz gekennzeichnet und (oben rechts) vermerkt: „Hier sitzen wir ¾ 5 Uhr. Wir trinken gerade das vorletzte...“ (Der Rest des Satzes hatte wohl keinen Platz mehr). Bildquelle: Sammlung von Michal Urban.

Link zum Digitalisat zanikleobce.cz

  

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auf verhältnismäßig engem Raum zusammen gedrängt, daß ein Tag nicht genügt, um alles zu sehen, aber mehr Zeit konnten wir nicht darauf verwenden.

Am folgenden tage fuhren wir über Jena, Rudolstadt, Blankenburg nach Schwarzburg, von wo aus wir uns mit der nähern und weiteren Umgebung bekannt machen wollten. Wir mieteten für einige Tage in Privat ein Zimmer. In Rudolstadt, wo wir einigen Aufenthalt hatten, bot sich von der Promenade aus ein schöner Blick auf das hochgelegene Schloß Heidecksburg. Am Bahnhof konnten wir die schmackhaften Thüringer Bratwürste genießen. Der Bahnhof von Schwarzburg liegt hoch und unten in einem Wiesengrunde an der Schwarza, von Bergen und Wald umgeben, liegt das Schloß und das Dorf Schwarzburg und bietet ein prächtiges Landschaftsbild. Auf einem Felsvorsprung, von drei Seiten von der Schwarza umflossen, ragt das Schloß hoch aus dem Wiesengrund. Das saubere Dörfchen liegt wie aus einer Spielzeugschachtel entnommen vor unseren Blicken, namentlich vom Trippstein aus gesehen. Nachdem wir den Ort und die nahe Umgebung kennen gelernt, das Schloß mit seinen vornehmen Zimmereinrichtungen und Geweihsammlung (?) besichtigt hatten, besuchten wir auf schönem Wege durch Buchenwald das als Sommerfrische gleichfalls vielbesuchte Sitzendorf. Am Sonntag entlud sich kurz nach Mittag ein schweres Gewitter mit starkem Regen über das Tal. Nachdem die Sonne wieder schien, wanderten wir noch ein gut Stück im Schwarzatal.

Inzwischen war Frau Richter, aus einem Bade kommend, eingetroffen und verlebte einige Tage mit uns. Gemeinsam durchwanderten wir das schöne Tal bis Blankenburg und erstiegen dort den nahen Greifenstein mit Burgruine. Eine andere Tagespartie führte uns mit Kraftpost über Königsee nach dem freundlichen Ilmenau am Nordostrande des Thüringer Waldes. Zunächst auf Waldwegen stiegen wir hinauf nach dem 860 m hohen Kickelhahn, besonders bekannt durch Goethe, welcher hier
  

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An die Wand das später abgebrochenen Goethehäuschens das Gedicht „Über allen Wipfeln ist Ruh“ mit Bleistift schrieb. Das Besteigen des Aussichtsturmes mußten wir uns versagen, da in dieser Höhe ein rauher Wind mit den Baumkronen spielte und wir beim Aufstieg auf den Berg geschwitzt hatten. Am Forsthaus und Gabelbach Bergkurhotel vorbei wanderten wir auf schöner Straße im Gabelbachtale wieder nach Ilmenau.

Auch in Schwarzburg bot sich Gelegenheit mit Privatauto größere Touren zu fahren, die zu Fuß wir unmöglich hätten machen können. Wir beteiligten uns an einer Fahrt nach der Wartburg, wobei wir auf der Rückfahrt einen großen Teil des Rennsteigs kennen lernen sollten. Die Hinfahrt ging über Königsee, bekannt durch seine Balsammänner, Königseer genannt, die mir als Hausierer von Kindheit bekannt waren, vorbei an den schönen Kirchen von Paulinzella, nach Arnstadt und weiter nach Gotha und Eisenach. Auf der Fahrt sieht man links in einiger Entfernung auf kegelförmigen Höhen die drei Burgen, die „drei Gleichen“ genannt, liegen. Leider verschlechterte sich das Wetter und bei starkem Regen kamen wir in Eisenach an. Nachdem wir das Mittagsmahl zu uns genommen, fuhren wir auf die nahe Wartburg, die für uns Deutschen, aber für Protestanten besonders denkwürdige Stätte mit dem Stübchen, wo Luther die Bibel übersetzt hat. Man führte uns durch die schönen Burggebäude, wo einst der Sängerkrieg stattgefunden haben soll. Immer habe ich solche Räume mit Ehrfurcht betreten, wo große Geister geschaffen und deutsche Geschichte gemacht haben.

Für die Stadt blieb uns wenig Zeit übrig, wir hatten eine weite Rückfahrt. Diese bot uns bald an der „Hohen Sonne“ noch einmal einen schönen Blick auf die Wartburg. Je höher wir kamen, desto stärker trat der Nebel auf und entzog uns viel die Aussicht über Berge und bewohnte Täler. Über die „Schmücke“, Friedrichroda, Ohrdruf erreichten wir Oberhof, aber leider bei starkem Regen. Wir hielten in einem der
   

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feinen Kaffees kurze Einkehr, um bald unsere Fahrt fortzusetzen, erreichten bald Ilmenau und auf nun bekanntem Wege Schwarzburg. So hatten wir die Hauptstationen des Rennsteigs kennengelernt, aber leider war durch den anhaltenden Regen der rechte Genuß der Fahrt durch die schöne Landschaft sehr beeinträchtigt.

Der letzte Tag war für die Besichtigung der Feengrotten bei Saalfeld bestimmt. Hierzu bedurfte es eines längeren Anmarsches. Auf steil ansteigenden Fußwegen durch schönen Buchenwald erreichten wir durch verschiedene Dörfer, deren Häuser meist mit Schiefer bekleidet, nach mehreren Stunden die Feengrotten. Es handelt sich hierbei um ein seit Jahrhunderten aufgelassenes Alaunschieferbergwerk, in dem Alaun und Vitriol gewonnen wurde. Die noch gut stehenden Stollen und Abbaue sind im Laufe dieser langen Zeit durch Sickerwasser mit gelblichweißen Tropfsteinen und märchenhaft bunten Überkrustungen aus Phosphoreisensinter überzogen. Durch die elektrische Beleuchtung treten die Farben besonders hervor und die Fantasie hat durch die Tropfsteingebilde den einzelnen Räumen besondere Namen gegeben. Der Besuch ist jedenfalls lohnend.

Von hier setzten wir unseren Weg nach Saalfeld fort und erreichten es in ca. ½ Stunde. Ermüdet und hungrig suchten wir ein gutes Gasthaus auf, wo wir uns stärkten und ausruhten, um dann noch einige Zeit der Besichtigung der Stadt zu widmen. Saalfeld liegt in einem von bewaldeten Bergen umrahmten weiten Talkessel am linken Ufer der Saale. Durch verschiedene Industrien ist die Stadt belebt und hat regen Verkehr. Nicht weit weg liegt der Ort Wölsdorf, in dessen Nähe 1806 der Prinz Louis Ferdinand im Kampfe gegen die Franzosen den Tod fand. Die Bahn brachte uns am Abend wieder nach Schwarzburg. Am nächsten Morgen fuh-
   

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ren wir auf derselben Eisenbahnlinie, wie wir gekommen waren, zurück bis Leipzig, von wo aus wir nach Deutzen fuhren, um unsere Kinder zu besuchen.

Unsere Frühjahrswanderung während der Baumblüte im Jahre 1934 am 10. Mai führte, wie alljährlich, auch diesmal ins schöne Egertal. Frühzeitig rückten wir, Mutter und ich, aus und benutzten die Bahn bis Kupferberg. Zwar war uns der Abstieg durch das Dörfchen Steingrün als beschwerlich von früher har bekannt, aber nach Überwindung des oberen Teils erreicht man auf besseren Wegen das Städtchen Klösterle und dann an der Eger entlang Kaden. Wiederholt schon waren wir diesen Weg gegangen und im Frühjahr, wenn die Sonne ihre Strahlen noch nicht so sengend heiß herab sendet, die Wiesen ihr erstes frisches Grün zeigen, die Bäume im vollen Blütenschmuck stehen und Gänse mit ihren Jungen in großer Zahl die Ufer der Eger beleben, ist diese Landschaft besonders schön und muß das Herz des Wanderers erfreuen. Nach einigem Aufenthalt und Spaziergang durch die uns schon bekannte Stadt gehen wir denselben Weg zurück nach Klösterle und fahren mit dem Verkehrsauto nach Kupferberg. Dadurch ersparen wir uns für diesmal den Aufstieg auf den Kammweg, da die Straße sehr ansteigt und in nicht sehr gutem Zustand ist. Von Kupferberg fahren wir mit der Bahn bis Schmiedeberg.

Erwähnen will ich hier noch einen Halbtagsausflug mit Rudolf und Gertrud nach dem Kupferhübel, von wo man einen schönen Blick in das Böhmerland hat, sofern nicht Nebel und Dunst diesen vereiteln. Im selben Jahre am 30.9. bin ich mit Mutter allein noch einmal auf den Kupferhübel.  

Das Jahr 1934 brachte uns auch ein freudiges Familienereignis. Unser Sohn Heinz hatte eine Lebensgefährtin gewählt und wollte Hochzeit machen, aber nur im engsten Familienkreis. Diese fand bei dem uns sehr befreundeten, gastlichen Pfarrer Kohl am 19.8. in Nossen statt.
   

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In den nächsten Tagen fanden in Oberammergau die Jubiläums Festspiele statt. Die Reichsbahn ließ aus diesem Anlaß besonders günstige Sonderzüge nach dort verkehren. Wir beschlossen, gemeinsam mit Heinz und seiner jungen Frau anschließend an die Hochzeit einen der Sonderzüge zu benutzen, um uns diese berühmten Festspiele anzusehen. Wir fuhren noch am Abend des Hochzeitstages von Nossen nach Chemnitz und erreichten den mit Verspätung eintreffenden Zug, der uns über München an unser Ziel bringen sollte. Wer hätte gedacht, daß es uns noch einmal vergönnt war, die großartige Bergwelt zu sehen. Erst am späten Nachmittag kamen wir in Oberammergau an. Wir wurden für einige Tage in einem Fremdenheim einlogiert, zum Besuche der Festspiele war ein bestimmter Tag vorgesehen. Der Aufenthalt dort und die Passionspiele selbst sollten für uns ein Erlebnis werden, das in unvergeßlicher Erinnerung bleiben wird. Schon auf dem Bahnhofe fiel es auf, daß die zum Empfang der Reisenden anwesenden Einwohner, welche das Reisegepäck abnehmen und befördern wollten, alle große Bärte und langes Kopfhaar trugen. Jetzt erst wurde uns klar, es waren ja alles Mitspieler, die auch bei den volkreichsten Szenen nur von den Ortseinwohnern gestellt wurden; es waren die natürlichen Masken. Die Aufführung dauerte, eine Mittagspause eingeschlossen, den ganzen Tag. Die mächtige Halle mit nach hinten ansteigenden und bequemen und leicht zugänglichen Sitzplätzen war bis auf den letzten Platz gefüllt und es herrschte ziemliche Ruhe während der Aufführungen. Man staunte, mit welcher Leidenschaft die Hauptdarsteller ihre Rollen durchspielten. Ergreifende Szenen boten sich dem Besucher und man konnte am Schlusse die Ergriffenheit über das Gesehene an ihren Gesichtern erkennen.

Die Beschäftigung der Einwohner besteht hauptsächlich in Holz-
  

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Schnitzerei. Wir besuchten das Langsche Museum mit Kunstwerken der Oberammergauer. Die vielen Lokale waren überfüllt und auf den Straßen und Plätzen sorgte eine unübersehbare Menschenmenge in verschiedenen Trachten und allen fremden Sprachen, die englische wohl vorherrschend.

An einem Vormittage erstiegen wir den 1.342 m hohen Kofel, eine Leistung für unsere Mutter, wo selbst ich zuletzt nicht mehr mit konnte, da ich fürchtete, schwindlich zu werden. Der hornähnliche Berg, deshalb auch „Hörnle“ genannt, hat nach der Aussichtsseite hin einen jähen steilen Absturz. Da wir so in der Nähe waren, war es verständlich, noch einmal das uns bekannte Garmisch- Partenkirchen zu besuchen. Mit Auto wieder am Kloster Ettal vorbei, fuhren wir die bekannte Strecke bis an den Eibsee und nach längerem Verweilen auf gleichem Wege zurück.

Am nächsten Morgen verließen wir Oberammergau mit der Eisenbahn, auf Station Murnau trennten wir uns von dem jungen Paar, welches sich über München heimwärts wandte, während wir mit Verkehrsauto nach Bad Heilbrunn fuhren, um Frau Richter zu besuchen, welche dort zur Kur weilte. Gemeinsam besuchten wir von dort aus das mit Auto bequem erreichbare Bad Tölz mit seinen Jod- Schwefelquellen. Das Badeviertel liegt am linken, die alte Stadt am rechten Isar- Ufer. Wir besichtigten die Wallfahrtskirche mit Kalvarienberg und Leonhardtkapelle. Die Jod- Schwefelquellen liegen bei Heilbrunn, dessen Badeanlagen großzügig ausgebaut sind.

Nach 2 Tagen Aufenthalt in Bad Heilbrunn setzten wir unsere Reise mit Verkehrsauto nach Tegernsee fort. Das Dorf, reizend am See gleichen Namens gelegen, wird als Sommerfrische viel benutzt. Im Boot setzen wir über den See nach dem Schwefelbad Wiesee, gingen an der Villa, wo sich kurz vorher die Röhm- Affäre abgespielt hatte, vorbei nach Rottach-
  

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Egern am See entlang und wieder im Boot über denselben nach Tegernsee. Gegen Abend fuhren wir über Holzkirchen bis München und übernachteten in Privat. Der nächste Vormittag galt dem Besuche des „Deutschen Museums“, einer großartigen Neuschöpfung. Am Nachmittage bummelten wir durch Münchens Straßen und Anlagen.

Frühzeitig am nächsten Tage ging es heimwärts über Augsburg bis Nürnberg, wo wir uns noch einen Tag aufhielten. Ich war schon wiederholt dort gewesen und hatte von dem vielen Sehenswerten schon vieles gesehen, aber die Mutter sollte diese wunderschöne alte Stadt auch einigermaßen kennen lernen. Auch mir war wieder vieles neu. Vorerst haben wir die großen Anlagen und noch unfertige Bauten für die Reichsparteitage Dutzendteich in ihrer gewaltigen Ausdehnung angesehen, wozu wir einige Runden gebrauchten. Dann sind wir nach der alten Stadt. Sebalduskirche, Dürerhaus, Rathaus mit Festsaal, einige schöne Höfe alter Patrizierhäuser und manches mehr wurde uns gezeigt und ein sich angebotener Führer machte uns auf wichtiges aufmerksam und erklärte, was der Fremde von selbst nicht sehen und wissen konnte. Er ließ sich die Stunde Führung gut bezahlen, aber es hat uns nicht gereut. Mit Ingrimm haben wir vernehmen müssen, daß englische Terrorflieger einen großen Teil dieser altehrwürdigen Stadt in Trümmer gelegt haben.

Reich an neuen Eindrücken von dem, was wir gehört und gesehen, sind wir von dieser Reise wohlbehalten in unser Dörfchen zurückgekehrt.

Im November desselben Jahres sind wir noch nach Riesa gefahren, wir wollten doch sehen, wie und wo sich das junge Paar ihr Nest gebaut hatte.

Schon im nächsten Frühjahr (1935) und zwar vom 6.-8.4. waren wir wieder in Riesa. Mutter war als Pate bei der
   

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Taufe des Erstgeborenen, welcher den Namen Heinrich erhielt, eingeladen worden.

Der schon zur Tradition gewordene Frühjahrsausflug, welcher der letzte sein sollte, fand am 30.5., dem 1. Pfingstfeiertag statt. Wir wählten den Weg über Weigensdorf und Pürstein, den Tag schien herrlich, aber sehr warm zu werden. Diesmal wanderten wir an der Eger aufwärts nach Warta, wo wir längere Rast hielten. Da eine Rückfahrt mit der Bahn von hier recht umständlich und in der Zeit unpassend lag, beschlossen wir zu Fuß über Haunstein und Keilberg zu gehen, Zeit stand uns reichlich zur Verfügung. Aber noch auf halbem Wege nach Haunstein überraschte uns ein Gewitter mit längere Zeit anhaltendem, starkem Regen. Da wir nirgends Schutz fanden, waren wir ziemlich durchnäßt und die Wege vom Regen aufgeweicht und an manchen Stellen kaum passierbar geworden, soo daß diese bis zur festen Keilbergstraße zur Tortur für uns wurde. Und doch mußten wir´s schaffen, es gab keinen Ausweg. Sehr ermüdet und abgespannt erreichten wir in Oberwiesenthal unser Bähnel, so daß uns wenigstens die letzte Wegstunde zu gehen, erspart wurde. Es war der Abschluß der vielen Ausflüge ins Egertal, wenn auch kein schöner.

Nach der Machtübernahme im Reich durch die NSDAP am 30. Januar 1933 kam es auch bald zur Gründung der Organisation „Kraft durch Freude!“ Sie bezweckt, der schaffenden Bevölkerung, den Arbeitern der Stirn und der Faust, durch künstlerische Darbietungen in Kurgarten und Theatern Erholungsstätten zu schaffen. Bald erweiterte sich ihr Wirkungskreis durch gemeinsame Wanderungen und Reisen, ja sogar größere Seereisen auf eigens dazu erbauten Dampfern wurden durchgeführt. Für verhältnismäßig wenig Geld war es möglich, schöne Landschaften in unserem großen Vaterlande auf diese Weise kennen zu lernen und dabei frische Kräfte zu neuem Schaffen zu gewinnen. Diese Einrichtung war
 

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im Interesse der Arbeiter sehr zu begrüßen und es war mein Wille, diese mit zu benutzen, soweit es möglich war, als Mitglied der Arbeitsfront war ich dazu berechtigt. Trotz meiner Pensionierung bin ich weiter Mitglied geblieben.

Die erste Fahrt, an der wir teilnahmen, brachte uns in das Fichtelgebirge und zwar in eine mir durch die weiter vorn beschriebene, mit Konrad durchgeführte Wanderung bekannte Gegend. In dem Dörfchen Goldmühl am Weißen Main zwischen Bischofsgrün und Berneck gelegen, wurden wir einlogiert und zwar vom 17.-24.6., verpflegt wurden wir im Gasthaus.

Von hier haben wir schöne Spaziergänge nach Berneck, Goldkronach und dem Ochsenkopf unternommen. Wir nahmen an einer gemeinsamen Autofahrt nach Bayreuth teil, dort habe ich zu dem Bekannten auch Neues gesehen, ich wollte vor allem, auch die Mutter sollte die Stätten, von denen so viel geschrieben und gesprochen wurde, kennen lernen.

Beim Abschied begleitete man uns mit Musik zum Bahnhof und der freundliche Wirt spendete für die Rückfahrt ein kleines Fäßchen Bier. Die Fahrtteilnehmer schieden recht zufrieden von den freundlichen Einwohnern und dem schön gelegenen Dörfchen Goldmühl.

Von verschiedenen Arbeitern des Kalkwerks angeregt und von mir unterstützt, kam es noch im August (18.) zu einer Fahrt im großen Reiseauto nach der Saaletalsperre bei Saalburg. Der Besitzer des Autos, ein Neudorfer, welcher oft Kalkfuhren für das Werk ausführte, hatte einen günstigen Fahrpreis eingeräumt, so daß der größte Teil der Arbeiter, z. T. mit Frauen, an der Fahrt teilnehmen konnten. Der Wagen war dicht besetzt. In Richtung Schwarzenberg ging es zunächst, bis Reichenbach i. V., wo wir die Göltzschtalbrücke in unmittelbarer Nähe in ihren gewaltigen Ausmaßen auf uns einwirken ließen. Von hier erreichten wir nach
  

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kurzer Fahrt das reizend gelegene Greiz, ehemalige Residenz der Fürsten von Reuß ä. L.; die freundliche saubere Stadt mit Denkmälern und prächtigem Park macht einen guten Eindruck. Nach kurzer Rast geht es weiter unserem ziel entgegen und erreichen noch vor Mittag die große Saaletalsperre, die wir eingehend besichtigten. Nach gemeinsamem Mittagsmahl fuhren wir auf dem Stausee mit Motorschiff zurück bis Saalburg, um dann durch viele Dörfer über die bayrische Grenze nach der ca. 35 km entfernten Stadt Hof. Im Löwenbräu kehren wir ein, wo wir uns an dem guten Bier etwas zugute tun, wie der Erzgebirger spricht. Wiederholt mußte ich an baldigen Aufbruch mahnen, die Arbeiter konnten und wollten sich schwer von dem guten und billigen Getränk, was noch dazu in größeren Gläsern verabreicht wurde, trennen und es entspann sich auf der Straße noch eine lebhafte Aussprache, weshalb wir in Sachsen in dieser Beziehung viel schlechter gestellt seien. Von hier begann die Rückfahrt über Oelsnitz i. V., von wo wir noch einen Abstecher nach Bad Elster machten. In der knappen Zeit, die uns blieb, konnten wir noch die schönen Badanlagen und gepflegten gärtnerischen Anlagen bewundern. Nun aber wurde es Zeit, an die Rückfahrt zu denken, es dunkelte schon, als wir abfuhren. Ohne Unterbrechung wurde die große Strecke bis Raschau zurückgelegt. Hier noch eine kurze Einkehr, dann dauerte es nicht lange und wir sahen die Schornsteine unserer Kalköfen wieder vor uns. Die schöne Fahrt mit den vielen Eindrücken, welche sie hinterlassen und die des Tages Last und Mühen bei schwerer Arbeit auf Stunden hatte vergessen lassen, wird allen Teilnehmern eine schöne Erinnerung geblieben sein. Mutter hatte keine Lust, so weit im Auto zu fahren, dafür war Konrad mitgekommen.

Bevor Konrad aus den Ferien wieder nach Leipzig ging, um die letzten Semester zu studieren, benutzten wir noch einen Tag zu einer schönen Wanderung. Von Gottesgab über
  

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Abertham- Bärringen führt die Straße durch schönen Wald nach dem Pindl (?) (975 m) mit Turm und schöner Aussicht nach der Karlsbader Gegend. Der Abstieg erfolgte in Richtung Neudeck, das wir in einer Stunde erreichten. Das Städtchen liegt in einem engen Talkessel des Rohlaubaches und besitzt bedeutende Industrien. Ein großes Eisenwerk wurde von den Tschechen nach dem Innern des Landes verlegt, wodurch der Stadt viel Schaden zugefügt worden ist, da die Arbeiter, meist Deutschböhmen, arbeitslos zurückblieben. Da wir nicht übernachten wollten, wäre von hier aus der Rückweg zu Fuß zu weit gewesen, wir benutzten deshalb ein Auto bis Lichtenstadt und wanderten noch einige Stunden bis Bahnhof Joachimsthal. Mit dem Verkehrsauto fuhren wir dann bis Böhmisch Hammer. Der Tag war voll ausgenutzt, ziemlich müde kamen wir zu Hause an. Es war der letzte Ausflug, den wir von Hammer aus unternommen haben.

   

 
 
 

Nach dem Berufsleben ab 1936

  

S. 113 (Fortsetzung)

Die Zeit war herangekommen, wo ich meine Berufstätigkeit für immer aufgeben sollte, da mit Erreichung des 65. Lebensjahrs die Pensionierung erfolgte. Ich fühlte mich noch rüstig und hätte meinen Dienst noch weiter tun können und doch freute ich mich auch noch auf Jahre des Ruhestandes. Ich hoffte in Freiberg, wohin zu ziehen wir uns entschlossen hatten, alte Bekannte zu treffen und damit gesellschaftlichen Anschluß zu finden. Am 4. Oktober 1935 wurden Möbel und sonstiger Hausrat verladen und wir bezogen am gleichen Tage unsere neue Wohnung in Freiberg, Steigerweg 12, während Handwerker noch die letzten Arbeiten an dem neuerbauten Hause ausführten. Mein lieber Freund Johann Langer war so freundlich, uns am Abreisetag zu Tische zu laden und ließ uns auch mit seinem Auto durch seinen Sohn nach Freiberg 
   

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bringen. Ungern sind wir aus dem engen Bekanntenkreis geschieden und heute noch stehen wir im Briefwechsel mit der Familie Langer, obgleich Herr Langer 1939 durch den Tod seiner Familie entrissen wurde.

   

An dieser Stelle besteht wieder eine kleine Zäsur in der Handschrift: Von hier ab hat Emil Barthel seine Erinnerungen nämlich mehr oder weniger jahresweise niedergeschrieben.

  


Faksimile der Seite 114 der Handschrift.

  


Da schauen wir doch nach: Der Steigerweg ist eine schmale Einbahnstraße stadtauswärts rechts der Frauensteiner Straße im Südosten Freibergs. Das zweite, hell verputzte Haus hinter dem gelb getünchten ganz links im Foto hat die Hausnummer 12 - dort also hat Emil Barthel nach seiner Pensionierung gewohnt. Damit erklärt sich nebenbei nun auch, warum das Foto eingangs seiner Erinnerungen nicht etwa in Annaberg oder Hammerunterwiesenthal, sondern in Freiberg aufgenommen worden ist...

   


Gleich hinter der Häuserreihe liegt die Kleingartenanlage „Am Maßschacht“ - im Hintergrund sieht man noch die namensgebende Halde und links im Bild - mit moosgrün gestrichener Lattung - das noch erhaltene Wächterhäuschen. Hier hatten die Barthel's auch einen Garten gepachtet.

  


Da es davon Digitalisate gibt, ist Nachschauen auch hier einfach geworden: Faksimile der S.18 des Einwohner-und Auskunftsbuches für Freiberg und Brand-Erbisdorf, Ausgabe 1936/1937. Wir haben die Eintragung mit einem Pfeil markiert: Dort steht Emil Barthel als Schichtmeister im Ruhestand unter seiner Adresse Steigerweg 12 aufgeführt. Familienforscher dürften es freilich mit diesem Namen schwer haben, denn allein in dieser Quelle sind sage und schreibe 36 Träger und Trägerinnen des Namens Barthel - nur in Freiberg - aufgeführt... Leider haben wir bislang nichts Vergleichbares aus früherer Zeit für den Ort Bräunsdorf gefunden: Wir hätten eigentlich auch gern nachgeforscht, wo Emil Barthels Elternhaus gestanden hat.

   

Aber setzen wir unser Transkript nun mit dem ersten Jahr im Ruhestand fort:

1936.

Wir hatten uns im lieben alten Freiberg wieder eingelebt und zurechtgefunden, alte Bekanntschaften aufgefrischt und neue dazu gewonnen, es ließ sich im Ruhestand ganz gut leben. Die befürchtete Langeweile trat nicht ein, wir hatten ja vieles nachzuholen. Zunächst suchten wir durch Spaziergänge uns mit der Umgebung Freibergs richtig bekannt zu machen und entdeckten dabei manches schöne Fleckchen, was man früher nicht gekannt oder in der Jugend weniger beachtet hatte. Ich habe das Gefühl, als wäre das Auge im Alter empfänglicher für die Schönheiten der Natur, als in jungen Jahren, wo man oftmals achtlos vorübergegangen ist. Bei schlechtem Wetter fanden wir Zeit, manch gutes, ungelesenes Buch herzunehmen, was jahrelang auf Erfüllung des Zwecks seiner Anschaffung gewartet hatte. Man gewöhnt sich an kleine häusliche Geschäfte, wie Pflege der Zimmerblumen, zieht auch einige selbst in Töpfen. Auch das kleine Gärtchen vor dem Stubenfenster will gepflegt sein, auf einigen kleinen Beetchen im Seitengärtchen versucht man, einiges für die Küche zu ernten, allerdings mit recht bescheidenem Erfolg trotz aller Mühe, der Boden ist zu gering, nur einige Beerensträucher sind dankbar. In der Stadt, deren Pflaster und Häuserreihen ich nicht allzuviel aufsuchte, gibt es ab und zu Geschäfte zu erledigen, kurzum, wenn man gesund ist, braucht man Langeweile nicht aufkommen zu lassen. Sylvester und Neujahr verlebten wir mit Konrad bei Heinz in Riesa und Ende Januar besuchten wir die Deutzener Kinder auf einige Tage.

Ich kann es nicht unerwähnt lassen, daß sich schon im
  

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ersten Frühjahr nach unserer Übersiedlung eine ernste Sorge in unser Haus eingeschlichen hatte. Unsere Mutter hatte schon längere Zeit über Beschwerden geklagt, die sich nun bis zur Unverträglichkeit gesteigert hatten. Bei einer Untersuchung riet der Arzt zur Operation. In solchen Lagen verläßt man sich auf den ärztlichen Rat, man weiß nicht, ob sich eine bösartige Sache entwickeln kann. Mutter entschloß sich deshalb zur Operation, ich konnte ihren Entschluß nur billigen, so schwer es mir selbst dabei war, eine Operation ist immer ein Risiko. Für uns waren es aufregende Tage, aber mit Gottes Hilfe bestand Mutter den schweren Eingriff und nach 3 Wochen konnte ich sie wieder nach Hause holen. Eine schwere Sorge war uns genommen. Obwohl anfangs sehr schwach, erholte sich die Mutter zusehends und fühlt sich seitdem viel wohler.

Nun war es möglich, unsere kurzen Ausflüge wieder aufzunehmen. An einem Sonntage (14.6.) tranken wir unseren Frühkaffee um 7 h auf der Zugspitze (alter Mendenschacht in Zug) und wanderten über Berthelsdorf, Weigmannsdorf im Muldental zurück bis Weißenborn. Es war sehr warm, die letzte Strecke fuhren wir deshalb mit dem Verkehrsauto, so daß wir zu Mittag wieder zu Hause waren.

Der Posthalter Ahnert hier veranstaltete mit seinen Reiseautos des öfteren Fahrten ins Gebirge, wie auch (in) entferntere Gegenden. Wir nahmen an einer solchen Halbtagsfahrt nach dem uns bis dahin noch unbekannten Schwartenberg- Gebiet und dem Spielzeugland um Seiffen teil. Der schöne Blick vom Schwartenberg- Unterkunftshaus über das Osterzgebirge überraschte uns. Über Neuhausen erreichten wir das liebliche Dörfchen Seiffen und besuchten die Spielzeugausstellung. Durchs schöne Natschungtal ging die Fahrt von Olbernhau, wo wir längere Zeit Einkehr hielten, über Rübenau und Zöblitz zurück. Der Preis war sehr mäßig und wir hatten die Absicht,
   
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noch bei weiteren Fahrten uns anzuschließen, doch schon in den nächsten Jahren mußten diese der unruhigen politischen Lage wegen unterbleiben, was allgemein sehr bedauert wurde.

Das Jahr 1936 brachte für die ganze sportliche Welt ein Ereignis von größter Bedeutung. Die alle 5 Jahre stattfindende Olympiade wurde in Berlin abgehalten. Mit Hochdruck wurden die Vorarbeiten für die Unterbringung der ausländischen Sportler, aber vor allem des Sportplatzes selbst, mit dem Bau des großen Stadions an der Spitze, vorangetrieben. Sonderzüge aus allen Teilen des Reiches boten die Möglichkeit, die großen Anlagen schon vorher zu besichtigen, da zu den Spielen selbst mit einem unerhörten Andrang zu rechnen war und trotz der gewaltigen Ausmaße des Stadions nur ein Teil auf Plätze rechnen konnte. Auch ab Dresden ging am 26.7. ein Zug mit sehr ermäßigtem Fahrpreis zu diesem Zwecke nach Berlin. Mein Freund Winterlich und ich entschlossen uns, die Gelegenheit zu benutzen, dieser kannte Berlin überhaupt noch nicht. Als wir ankamen, sahen wir, wie groß der Andrang schon jetzt war; im Trupp wurden wir über das weite Sportfeld geführt, wobei eingehende Erläuterungen geboten wurden. Danach wurde uns die Ausstellung in der Deutschlandhalle gezeigt.

Von Mittag ab verfügten wir frei über die Zeit und benutzten diese zu einer Fahrt nach Potsdam, um die denkwürdigen Stätten des großen Königs kennen zu lernen; so besonders Schloß und Park von Sanssouci. Vor der Rückfahrt nach Berlin standen wir in Ehrfurcht in der Garnisonskirche vor dem Sarge Friedrichs des Großen, an der Stelle, wo vor einigen Jahren der greise Feldmarschall von Hindenburg die Geschicke des Reiches in die Hände des Führers gelegt hatte. Meinem Freunde lag begreiflicherweise sehr daran, auch von der Reichshauptstadt selbst deren hauptsächliche Straßen und Plätze sowie Bauten etwas zu sehen. Ich machte den Führer so gut ich konnte, wir gingen durch die Wilhelmstraße nach dem Tiergarten mit der Siegesallee, dem Reichstags-
   

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gebäude, Siegessäule und durchs Brandenburger Tor nach der Straße unter den Linden. Eine unbeschreibliche Menschenmenge wogte durch die Straßen und Plätze und ein freies Gehen war unmöglich, man wurde mehr geschoben. Dabei konnte ich die wichtigsten Gebäude nur andeuten, man konnte nicht aus dem Gedränge und es dunkelte bereits stark, als wir endlich an das große kaiserliche Schloß gelangten. Eine Besichtigung des Innern konnte nicht in Frage kommen, es langte für einen Tag auch zu, was wir gesehen hatten. Wir waren auch abgespannt und suchten eine der Bierstuben in der Nähe auf, in der wir zum Abendbrot eine Molle nach der anderen tranken. Dann (sind) wir kreuz und quer durch die Straßen nach dem Bahnhof gebummelt. Unser Zug ging auch später ab, als vorgesehen, von dem langen Warten ermüdet, saßen und lagen die Reisenden auf den Treppen und in den Anlagen vor dem Bahnhof, wo sich nur irgend ein Plätzchen bot, ein Bild, welches mir noch nirgends begegnet war. Gegen Morgen kamen wir wieder in Dresden an, gerade noch zurecht zum ersten Zug nach Freiberg.

Im August desselben Jahres schrieb uns unser Sohn Heinz, daß er bald Riesa verlassen werde, da er eine Anstellung bei Thyssen in Mühlheim a. Rh. gefunden habe. Das Ruhrgebiet mit seiner ausgedehnten, vielseitigen Schwerindustrie ist nun einmal das Eldorado der Eisenhüttenleute, wo namentlich die jüngeren die besten Aufstiegsmöglichkeiten zu finden hofften. Da in Riesa darin z. Zt. keine Aussicht bestand, konnte ich es verstehen, daß Heinz sich bemüht hatte, von dort wegzukommen, wenn der Wechsel auch zunächst keine wesentliche Verbesserung bedeutete. Ein Vorteil für junge Leute liegt aber schon darin, weil der Gesichtskreis erweitert wird, da man
  

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in jedem Betrieb Neues hinzulernen kann. Da wir voraussichtlich Heinz und seine Familie für längere Zeit nicht sehen würden und uns noch einmal mit ihm auszusprechen, beschlossen wir vor der Übersiedlung noch einmal nach Riesa zu fahren und zwar am 21.8. Erst nach 2 Jahren sollten wir uns wiedersehen und zwar in Mühlheim, worüber ich später Mitteilungen machen werden.

Im September unternahmen wir noch einen Tagesausflug nach Hermsdorf mit schöner Wanderung und im Oktober besuchten wir die Familie Böhme in Langenstriegis.

Das Weihnachtsfest verlebten wir bei unseren Kindern in Deutzen. Konrad war beim Militär und schrieb uns kurz vor unserer Abfahrt, er komme auf Urlaub. Mittels Telegramms konnten wir ihn rechtzeitig benachrichtigen, auch nach Deutzen zu kommen. Für einige Tage fuhr Konrad dann noch mit nach Freiberg.

1937.

Die Familie Langer hatte uns wiederholt zum Besuch eingeladen, es war schönes Winterwetter und so konnten wir der Sehnsucht nicht widerstehen, wieder einmal einige Tage im Gebirge zu verleben. Wir fanden überaus gastliche Aufnahme und blieben eine volle Woche vom 17.-24.11., besuchten dabei, tief im Schnee watend, meine Nachfolger Familie auf dem Werk und verschiedene Bekannte. In Oberwiesenthal war reger Sportbetrieb, besonders während des SA- Treffens, woran auch Rudolf teilnahm, den wir aber trotz aller Mühen, die wir aufwendeten, in dem Trubel bei stürmischem Wetter nicht angetroffen haben. Mit Freund Langer fuhr ich anderen Tages mit Auto über Karlsbad nach dem weit abgelegenen Städtchen Pelschau (?), wo er geschäftlich zu tun hatte. Die Fahrt durch den dicht verschneiten Wald von Joachimsthal war einzig schön.

Anstatt der früher üblichen Pfingstpartien ins Egertal
   

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hatten wir dieses Jahr eine Reise zu Konrad, der in Weißenfels beim Infanterieregiment 53 diente, angesetzt, dabei auch Frau Richter einen Besuch zu machen, welche nach dort verzogen war. Konrad war während der Feiertage dienstfrei. Einen dieser Tage benutzten wir, in Begleitung von Hilde's Mann, Herrn Bock, zu einer schönen Morgenwanderung ins Saaletal. Der andere Tag galt der Besichtigung der Stadt und der neuen Kaserne, diese jedoch nur von außen. Auf der Rückreise hielten wir in Deutzen Einkehr.

Am 6. Juni unternahmen wir einen Tagesausflug nach Klingenberg. Durch den Tharandter Wald wanderten wir bis Kurort Hartha und dann zurück nach Edle Krone. Es war ein heißer Tag und wir mußten viel laufen, da wir wahrscheinlich den richtigen Weg verfehlt hatten.

Mit meinem Freunde Pfeiffer besuchte ich kurz darauf den Steinbruchbesitzer Lange (ehem. Bergschüler) in Burkersdorf bei Frauenstein. Von Station Mulda führt der Weg zunächst durch Wald. Nach Besichtigung des Steinbruchs und der Schotteranlage fuhren wir nach Frauenstein und nach kurzer Einkehr brachte uns Lange mit seinem Wagen nach Freiberg.

Im Frühjahr 1937 erhielt ich ein Schreiben des Bürgermeisters Knoll in Augustusburg, worin er anfrug, ob ich geneigt sei, die sogenannten Schwedenlöcher 1) im Walde zwischen Augustusburg und Plaue, welche vom Abbau auf Kalkstein in früheren Jahrhunderten herrührten und nur noch unter Gefahren besichtigt werden konnten, mit Hilfe von bereitgestellten Arbeitern fahrbar herzustellen. Man hatte die Absicht, wie ich bei einer Rücksprache mit dem Bürgermeister feststellte, damit ein kleines Schaubergwerk zu schaffen und dabei vorzubeugen, daß nicht Unbefugte, namentlich Schüler auf Wanderungen in den

1) Anmerkung: Zu den  Schwedenlöchern bei Falkenau gibt es einen Beitrag auf unserer Seite.
   

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nicht ungefährlichen alten Bauen ohne Erlaubnis herum kriechen könnten, was bisher öfters geschehen sei. Ich bin in den Monaten Juni und Juli viel zur Beaufsichtigung der nötigen Aufräumungs- und Sicherungsarbeiten mit der Bahn bis Flöha gefahren und von dort zu Fuß nach dem ¾ Stunde entfernt liegenden Kalkbrüchen gegangen. Dabei konnte ich bald feststellen, daß die löbliche Absicht, dem Publikum bei Besichtigung der alten Baue etwas Interessantes zu zeigen, am nicht geeigneten Objekt versucht werde und ich habe meine Bedenken auch geäußert. Man war aber mit dem Erreichten zufrieden, ich bezweifelte aber, daß viel Besucher angezogen worden sind. Ich bin noch nie wieder dort gewesen.

Das frühere Rabensteiner Kalkwerk hatte man schon vorher zur Besichtigung durch die Einwohner und Touristen vorgerichtet. Das Bergamt verlangt aber alljährlich die Untersuchung auf Sicherheit durch einen Bergsachverständigen und hatte dazu mich vorgeschlagen, wie schon zu den Arbeiten bei Augustusburg. Das fast regelmäßig gelagerte Kalksteinlager ist im Weitungsbau wie in Herold abgebaut worden. Die Weitungen stehen noch völlig offen, die Firsten sind im allgemeinen sicher und sind elektrisch beleuchtet und bequem zu besichtigen und werden beim Besucher einen viel besseren Eindruck hinterlassen. Ich bin von 1938 ab mehrere Jahre zur Untersuchung dort gewesen. Durch geschickte Reklame, man bezeichnet diese hohen Weitungen als „Felsendome” und durch dadurch erzielten guten Besuch, (gelang es,) gute Geschäfte zu machen.

Vom 5.-12.8. nahmen Rudolf und Gertrud an einer Fahrt mit „Kraft durch Freude” teil, während dieser Tage waren wir wieder einmal in Deutzen. Mutter hatte die Führung des Haushalts übernommen, die Kinder hatten noch Ferien und so konnte ich mit den Mädchen einen Ausflug nach 
   
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dem Kammerforst unternehmen und ich habe mich gefreut, wie tapfer diese mit ausschritten, so daß wir auch den Rückweg über Regis- Breitingen zu Fuß zurücklegen konnten.

In der Donnerstag- Vereinigung (ehem. pensionierte Bergbeamte) war verabredet worden, gemeinsam eine Woche in eine Sommerfrische zu gehen. Die Fischerbaude in Holzhau wurde uns dazu empfohlen, wo wir in der Zeit vom 21.-28. August auch Unterkunft fanden. Dicht am Walde gelegen, bot sich viel Gelegenheit zu Spaziergängen, aber die nahe Grenze durften wir der gespannten politischen Verhältnisse mit der Tschechei halber nicht überschreiten. Auf einer Autofahrt nach den Kurorten Schellerhau, Bärenfels und Kipsdorf lernten wir auch die landschaftlich reizend gelegenen Orte des Osterzgebirges kennen.

1938.

Am 26. Mai beteiligte ich mich an einer Wanderung des hiesigen Erzgebirgsvereins nach Frauenstein, wohin eine Sternwanderung angesetzt war, die mit einer Begrüßung durch die Stadt auf der Burgruine ihren Abschluß fand, der Rückmarsch erfolgte durchs Gimmlitztal nach Mulda.

Unseren Pfingstausflug am 6.6. machten wir mit Konrad. Von Mulda wanderten wir bis Nassau und auf dem Höhenweg wieder zurück nach Mulda.

Ende Juni fand die 750-Jahrfeier der Stadt Freiberg mit allen möglichen Veranstaltungen statt, wovon ich nur den großen bergmännischen Aufzug, die Aufführung des Bergmannsgruß im Hofe des Schlosses Freudenstein, die Illumination der Stadt und das große Anlagenfest erwähnen will.

Heinz war nun fast zwei Jahre im Ruhrgebiet. Gern wären wir einmal hingefahren, aber für nur wenige Tage Aufenthalt, längere Zeit kam nicht in Frage, scheuten wir doch das viele Fahrgeld. Da war es wieder K. d. F., welche uns
  
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veranlaßte, mit ins bergische Land zu fahren, von wo wir einen Abstecher nach Mühlheim machen konnten. Die Fahrt fiel in die Zeit vom 10.-17.6. und führte über Nordhausen, Kassel durch das waldreiche Sauerland und Wuppertal nach Solingen, wo die Reiseteilnehmer untergebracht wurden. Wir logierten im Musterdörfchen Rüden an der Wipper. Die gleichmäßig gestrichenen, in der Bauart aber verschiedenen Fachwerkhäuschen vereinheitlichen das Bild und machen einen sauberen Eindruck. Die Fronten waren weiß getüncht, das Balkenwerk schwarz und die Fensterläden grün gestrichen. An der Wipper entlang in einigem Abstand stehen die Kotten (?), d. h. die Arbeitsstätten, wo die Schleifer die berühmten Solinger Stahlwaren herstellen. Die Gegend ist waldreich und schön.

Eine günstige Autoverbindung ermöglichte, von Solingen über Düsseldorf Mühlheim in wenigen Stunden zu erreichen. Heinz wohnte ganz in der Nähe einer Haltestelle und wir konnten ihn mit Familie bald begrüßen. Wir blieben wohl 3 Tage dort. Heinz führte mich durch das Blechwalzwerk, wo mächtige Bleche gewalzt wurden und zeigte mir eine von der Hütte herausgebrachte Neuerung, welche der Einsparung teurer Metalle diente. Man schweißte z. B. dünne Kupferbleche auf Stahlbleche, womit man auf der Pariser Ausstellung Erfolg hatte.

Mit Ilse und Heinrich unternahmen wir am Sonntag einen Ausflug am rechten Ufer der Ruhr flußabwärts, wobei wir feststellen konnten, daß die Landschaft im Industriegebiet auch ihre Reize hat. Auf der Rückfahrt hatten wir in Düsseldorf einige Zeit, welche ausreichte, um einige Hauptstraßen und Plätze sowie die schöne Rheinterrasse zu besehen, wovon die Königsallee besonders genannt sein mag. Ich habe in keiner anderen Großstadt eine so vornehme Straße mit solch schönen Bauten und Anlagen gesehen. Durch einen alten Stadtteil kamen wir an das Rheinufer mit einem weiten Blick über den hier 300 m breiten Strom. Diese schöne Stadt zum großen
  

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Teil in Trümmer gelegt zu haben, wird eine ewige Schande für England bleiben.

Für die Reiseteilnehmer war eine Fahrt von Solingen aus mit dem Auto nach Köln und dem Siebengebirge angesetzt. Auf der Fahrt, ehe wir Köln erreichten, sahen wir links die vielen Schornsteine der I. G. Farbenwerke bei Leverkusen und bald darauf wurde die denkwürdige Stadt erreicht. Noch einmal hatten wir Gelegenheit, das Wunderbauwerk des Domes von außen und innen zu bestaunen. Dann ging es weiter durch Bonn bis Königswinter, von wo wir in zweites Mal, diesmal zu Fuß, den Drachenfels erstiegen. Es lohnt sich schon, diese Gegend mehrmals zu sehen, den Rolandbogen, den wir beim ersten Besuch des Drachenfels nur von weitem sahen, konnten wir diesmal aus der Nähe betrachten, der Blick von hier über das Siebengebirge ist besonders schön. Auf der Rückfahrt wurde in Köln noch einmal kurz Halt gemacht, unser Wagen aber fuhr, da bei den Insassen kein Bedürfnis zu nochmaliger Einkehr bestand, weiter nach Solingen. Den letzten Tag benutzten wir zu einem Besuch des Vogelgeheges in Ohligs (?) und einem Spaziergang die Wipper abwärts. Die Heimreise erfolgte auf derselben Linie und somit wieder durch das malerische Sauerland über Kassel, bei Hammrisch- Minden (?) bietet sich vom Zug au sein reizender Blick auf den Zusammenfluß von Fulda und Werra. Die Reise hatte voll befriedigt und was für uns die Hauptsache war, wir wußten, wo unser Sohn Heinz tätig war und wie und wo er mit Ilse und seinem 3jährigen Heinrich und 1jährigen Ulrike wohnte.

Am 5. Juli machten wir von Mulda aus seine mehrstündige Wanderung im Muldental.

Konrad verlebte die großen Ferien zu Hause, er war damals als Referendar an der Humboldtschule in Leipzig. Da er ein großer Freund unseres Erzgebirge ist und dessen schöne Wälder so gern durchstreift, mußten wir schon einen Tag ins
   

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Gebirge fahren. Zinnwald war unser Ziel, welches wir vom Bahnhof Hermsdorf über das idyllisch gelegene Dörfchen Rehefeld, den Kahlenberg und das Hochmoor am Lugstein gegen Mittag erreichten. Im „Sächsischen Reiter” stärkten wir uns und gingen dann bis an die sächsisch- tschechische Grenze, wo wir die Straße mit starken Betonbefestigungen gesperrt und von Grenzbeamten sorglich bewacht sahen, welche aber nicht mehr lange stehen sollten, da der tschechische Größenwahn bald gebrochen wurde. Auf anderem Wege immer durch Wald und an der Moldauer Bahnlinie entlang, wanderten wir bis Station Holzhau und erreichten dort den Zug nach Freiberg.

Im September besuchten wir die Familie Langer wieder auf einige Tage, verlebten dort schöne Tage, trafen liebe Bekannte und besuchten auch das Städtchen Oberwiesenthal. Mit den Frauen fuhren wir eines nachmittags nach dem Radiumbad Oberschlema, was in den letzten Jahren einen bedeutenden Aufschwung genommen hatte. Freund Langer, welcher schon seit einigen Jahren zuckerkrank war, und von seinem Arzt in Bad Elster behandelt wurde, mußte öfter zur Untersuchung nach dort. Er lud uns ein, mitzufahren. Seine Frau war bei diesen Fahrten stets seine Begleiterin. Im bequemen Auto ist eine solche Fahrt durch das schöne Erzgebirge und Vogtland ein wirkliches Vergnügen. In Bad Elster besuchten wir den Gendarmeriemeister Häußler und Familie, ein lieber Skatbruder, als er in Hammer stationiert war. Seine Wohnung war reich mit Blumen geschmückt, dabei erfuhren wir, daß wir ihn zufällig an seinem 50. Geburtstag überraschten. Wir saßen dann zusammen in einem Restaurant, als Langer ans Telefon gerufen wurde. Etwas aufgeregt teilte er uns mit, man wünsche, er möchte so bald, als möglich heimkommen, an der Grenze seien Unruhen ausgebrochen. Nun gab es keinen Verzug, in gesteigerter Fahrt ging es nach Hammer zurück.

Bei einbrechender Dunkelheit, kurz vor Hammer, begegneten wir einem Trupp deutscher Männer aus tschechischen Grenz-
   

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orten, die der Sicherheit halber über die Grenze geflohen waren und unter Betreuung von SA. Männern in sächsischen Orten untergebracht werden sollten. Auch in Langer's Wohnung trafen wir Flüchtlinge an. Die Spannung zwischen den Deutschen und Tschechen jenseits der Grenze hatte ihren Höhepunkt erreicht, verschiedentlich war es zu Schießereien gekommen, so in Weipert, wo auch Verluste eingetreten waren. In Schmiedeberg hatten Deutschböhmen den Gendarmerieposten der Tschechen ausgehoben, gewiß ein Fehlgriff, der die verstärkte tschechische Grenzwache zu verstärkter Abwehr herausfordern mußte. Die Klärung der gegenseitigen Verhältnisse wurde immer dringlicher, die Unterdrückung der deutschstämmigen Bevölkerung war zur Unerträglichkeit geworden. Langer ließ keine Ruhe, er überredete mich am späten Abend, mit nach Weipert zu fahren, er wollte wissen, was von den wilden Gerüchten, die von dorther kamen, wahres sei. Als wir dort ankamen, war alles wieder ruhig, nur Männer standen herum und unterhielten sich aufgeregt.

Unter diesen Umständen hielten wir es für ratsam, schon am nächsten Tage heimzufahren. Auch in Freiberg war alles in Aufregung und Gerüchte über einen unvermeidlichen Waffengang mit der Tschecho- Slowakei wurden verstärkt durch möglichst unauffällige Truppenbewegungen in der weiteren Umgebung, die angeblich nur Übungszwecken dienen sollten. Hier selbst lagen Teile der 20. motorisierten Infanteriedivision aus Hamburg. Bei der Nähe zur Grenze und des bedeutenden Verkehrsknotenpunktes mußte im Ernstfalle mit sofortigen Fliegerangriffen gerechnet werden und viele Freiberger Einwohner sollen damals auch schon Kisten und Koffer mit den wichtigsten Habseligkeiten gepackt haben. Aber es wurde glücklicherweise nicht so schlimm, eines Tages traten unsere Divisionen von 3 Seiten an und überrannten
   

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sozusagen den Gegner, so daß dieser sich gar nicht erst richtig entwickeln konnte. Wo sich Widerstand zeigte, ist er schnell gebrochen worden, wenig Blut ist dabei vergossen worden, das Sudetenland wurde frei und ein Gau des deutschen Reiches. Mit Neid und Haß aber verfolgten unsere Feinde aus dem Weltkriege die Einigung der deutschen Volksstämme, die nun mit dem vorher geschehenen Anschluß Österreichs beinahe vollkommen war, nur die durch das Versailler Diktat abgetrennten Gebiete und Volksteile warteten noch auf ihre Befreiung von fremder Herrschaft.

Mit Blumen und Fähnchen reich geschmückt und humorvollen Aufschriften an den Fahrzeugen sah ich an einem schönen, aber kalten Herbsttage Teile der 20. Division, von der Grenze herkommend auf der Frauensteiner Straße und dann die Stadt passierend, frohgelaunt ihren Garnisonen wieder zustreben.

Von dem Drucke befreit, den die Ereignisse auf unser Gemüt gelegt hatten, nutzten wir einen sonnigen Herbsttag, um noch einmal durch den schönen Tharandter Wald bei herrlicher Laubfärbung bis Hartha und Tharandt zu wandern.

1939.

Obwohl der politische Himmel weiter mit gefahrdrohenden Wolken bedeckt war, hatte man doch Hoffnung, daß diese sich zerteilen und verziehen würden und Ruhe und Frieden im Lande bleibe. Der Laie kann nicht so tief in die Politik eindringen und man ging vertrauensvoll in das Jahr 1939 hinein, das uns zunächst noch viel frohe Erlebnisse durch Reisen und Wanderungen in dichter Folge bringen sollte, aber in seinem späteren Verlauf mit viel Aufregung und Sorge endete.

Am 20. 4. fuhr die Mutter nach Deutzen, um die Wirtschaft zu führen, da Gertrud auf 4 Wochen in das Müttererholungsheim Langburkersdorf bei Neustadt geschickt wurde. Ich blieb zunächst zu Hause. Da kam mir der Gedanke, Gertrud zu be-
  

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suchen. Es war 1. Mai und in Dresden hatte ich Gelegenheit, dem großen Aufmarsch der Partei und ihrer Gliederungen auf dem Königsufer vor den Ministerien und den Festakt beizuwohnen. Kurz nach Mittag benutzte ich die Kraftpost bis Langburkersdorf und suchte Gertrud, die mit den anderen Frauen im Schlosse untergrebracht war, zu sprechen, was mir nach vieler Mühe auf kaum einige Minuten möglich war und Gertrud noch in große Verlegenheit bringen konnte, da Besuche nicht erlaubt waren. Ich habe der Leiterin gegenüber wegen deren ziemlich schroffen Verhaltens mit meiner Meinung nicht hinter dem Berge gehalten, schied aber doch mit Ärgernis und schritt zunächst planlos die schöne ansteigende Straße in Richtung Sebnitz zu. Ich mußte doch die Zeit hinbringen, da ich erst am nächsten Morgen zurückfahren wollte, daß mein Besuch von so kurzer Dauer sein würde, konnte ich vorher nicht wissen. Nach ca. 1½stündiger Wanderung kehrte ich in dem Dorfe Rugiswalde ein, wo ich erfuhr, daß das staatliche Hartsteinwerk „Stiller Fritz“, nach der Höhe mit Gasthaus gleichen Namens benannt, ganz in der Nähe lag. Ich ging nach dem Werk, welches noch im Entstehen war und sah mir die Einrichtungen und den Diabasbruch an. Der Betrieb ruhte wegen des 1. Mai und keine Menschenseele war zu sehen. Auf dem Rückweg kehrte ich im genannten Gasthaus ein und siehe da, hier traf ich den Betriebsführer mit der Belegschaft in fidelster Stimmung bei der Maifeier. Am Abend ging ich mit dem Betriebsführer nach Neustadt zurück, er tat es nicht anders, ich mußte bei ihm übernachten und wir saßen noch einige Zeit in angeregter Unterhaltung mit dessen Gattin, die ich von früher kannte, zusammen. Nach meinem Spaziergange am anderen Morgen besuchte ich noch den Be-
 

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triebsführer Engelmann vom Hartsteinwerk Sohland, der seine Wohnung in Langburkersdorf hatte, auf kurze Zeit und fuhr wieder mit der Kraftpost nach Dresden zurück. So hatte der anfangs enttäuschte Ausflug doch unerwartet noch zu einem guten Ende geführt. Am 13. 5. fuhr ich auch nach Deutzen, wo wir bis 20. 5. blieben.

Schon den übernächsten Sonntag benutzten wir in Gesellschaft eines befreundeten Ehepaars zu einer Wanderung nach dem Tharandter Wald von Naundorf bis Grillenburg. Der schöne Wald im frischen Frühlingsgrün lockt immer wieder, stundenweit führen gute Wege nach allen Richtungen.

Ich wollte auch den vielgepriesenen Rabenauer Grund kennen lernen. Am 7. Juni, einem sonnigen, sehr warmen Tage, benutzten wir die Bahn bis Klingenberg. Von hier zu Fuß durch das Dorf Klingenberg weiter über Ruppendorf, Paulsdorf, erreichten wir gegen Mittag die Maltertalsperre an der roten Weißeritz. Diese sehr schön gelegen, kann als Anfang des engen Tales dieses Flusses angesehen werden, welches nach dem hochgelegenen Städtchen Rabenau seinen Namen hat. Man geht fast die ganze Strecke wie unter einem Laubdach, wiederholt den Fluß auf schmalen Brücken überschreitend, bis sich kurz vor Loßmannsdorf das Tal zu einer Wiesenaue erweitert. In einer Wegstunde durch gemischten Wald erreichten wir Tharandt. Diese Wanderung in Gesellschaft unserer Cousine Selma Seifert war überaus lohnend und kann jedermann empfohlen werden, der Freude an der Natur findet.

Unser Viermänner- Skatklub hatte für dieses Jahr eine 3Tageswanderung auf Kosten der Spielkasse vorgesehen. Ich sollte Vorschläge machen und Wanderweg festlegen. Da ich schon ein gut Stück des Erzgebirgs- Kammweges kannte, schlug ich die mir noch unbekannte Strecke von Moldau bis auf den hohen Schneeberg vor, so daß die durchschnittliche Tagesleistung 20 und etwas mehr km betragen würde. Am 21. Juni, einem schönen Morgen, brachte uns die Bahn bis Moldau. Kaum waren
  

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wir einige hundert Meter gegangen, überraschte uns ein Platzregen, doch er konnte unserer Wanderlust keinen Abbruch tun, namentlich, da die Sonne bald wieder schien und uns trocknete. Auf dem Kammweg schritten wir gut aus und konnten kurz nach Mittag Zinnwald erreichen und kurz Mittagsrast halten. Die Straßensperren waren verschwunden und die Grenzwächter mit ihnen, ohne Grenzformalitäten konnten wir unseres Weges weiter ziehen. Kurz nach Zinnwald hüllte uns für kurze Zeit dichter Nebel ein, der sich aber verzogen hatte, ehe wir den Mückenberg erreichten. Die herrliche Aussicht, welche man von hier aus bei klarem Wetter genießt, sollte uns leider versagt sein, da schwerer Dunst nur einzelne Bergkuppen aus den Schwaden herausragen ließ. Dem Kammweg weiter über Ebersdorf, Adolfgrün nach Streckenwald, wo wir wegen eines heraufziehenden Gewitters uns für die Nacht zu bleiben, entschließen mußten. Wir übernachteten in dem einfachen, aber sauberen Gasthof. Der nächste Tag schien wieder sehr heiß zu werden, deshalb brachen wir zeitig vom Lager auf und wanderten durch markierte Waldwege und Wiesen über Nollendorf bis an den Ziegelteich ca. 13 km. Nachdem wir geruht und gefrühstückt, setzten wir unsere Wanderung nach den Tyssaer Wänden fort. Diese sind eine größere Gruppe Sandsteinfelsen, die eigenartige Gebilde zeigen, denen die Fantasie Namen zugelegt hat, die aber sehenswert sind. Auf etwas moorigem Waldboden nach mehr als einstündiger Wanderung kommt der hohe Schneeberg zu Gesicht. Wir durchqueren das Dorf Schneeberg am Westabhange des Berges und etwas ermüdet, deshalb langsam voranschreitend, erreichen wir dessen weites Plateau. Von der Bergwirtschaft aus bot sich uns eine überraschend großartige Aussicht nach Bodenbach, sowie über das Elbtal mit den Bergen des Böhmischen Mittelgebirges, für uns ein
  

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schöner Abschluß nach dem ziemlich anstrengenden Marsche, den wir hinter uns hatten. Der Abstieg auf der Ostseite war nicht steil, aber auf großen, unregelmäßig gelagerten Steinen für müde Beine nicht gerade schön.

In Bodenbach übernachteten wir und am Morgen des dritten Tages wanderten wir am linken Elbufer bis Niedergrund, dort bestiegen wir einen Dampfer, um die Strecke bis Pirna mit dem Blick auf die beiden schönen Ufer des Stromes in bequemer Ruhe genießen zu können. Von Pirna aus benutzten wir die Eisenbahn, voll befriedigt, wenn auch etwas abgespannt, kamen wir am Abend wieder in Freiberg an.  

Unser Sohn Konrad hatte nach Ableistung des Probejahres als Studienreferendar an der Humboldtschule in Leipzig, wie schon oben erwähnt, Anstellung bei den Hermann Lietz Heimschulen gefunden und war in der Grovesmühle bei Ilsenburg a. S. eingestellt worden. Er lud uns zu einem Besuch ein und wir waren nicht abgeneigt, die Reise auf uns zu nehmen. Es bot sich auch diesmal wieder Gelegenheit, mit K. d. F. billig nach dem Harz zu fahren. Auch die Zeit war günstig vom 3.-10. Juli. Die Fahrt startete in Dresden und führte über Leipzig, Halberstadt nach Wernigerode, wo ein Teil der Mitfahrenden untergebracht wurde, der Rest fand in Ilsenburg Unterkunft, darunter auch wir. Konrad erwartete uns am Bahnhof und war uns behilflich mit unserem Gepäck, wir hatten es nicht weit zu tragen, da wir ganz in der Nähe des Bahnhofs unterkamen. Schon am nächsten Tage fand unter Führung eine mehrstündige Wanderung statt. Der vielbesuchte Ort liegt reizend im Ilsetal am Nordabhange des Harzes. Fast einen ganzen Tag waren wir in der Grovesmühle, wo wir sehr freundlich aufgenommen wurden. Konrad zeigte uns die Einrichtungen für den Schulbetrieb, die Unterkunftsräume der Schüler und sonstigen Wohn- und Wirtschaftsgebäude, die als mustergültig

  

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gelten können. Großer Obst- und Gemüsegarten, sowie Ackerland und Wiesen, alles in eigener Bewirtschaftung, bringen Manches für Küche und Keller. Gegen Abend waren wir noch Zuschauer bei einem Fußballspiel der Schüler auf einer angrenzenden Wiese, die als Sportplatz diente. Auch die von den Schülern primitiv erbaute Budenstadt wurde uns gezeigt. Aus alledem konnten wir verstehen, daß Konrad sich wohlfühlte, da namentlich auch das Verhältnis der Lehrer unter einander ein recht gutes war. Wir selbst waren glücklich, daß Konrad, dessen Zukunft uns so ungewiß erschienen war, eine gute, ihn befriedigende Anstellung gefunden hatte.

Den dienstfreien Tag Konrad's benutzten wir zu einer Fahrt nach dem Brocken mit der Bergbahn von Wernigerode aus. Wir hatten diesmal mehr Glück, als vor 40 Jahren, wenn auch die Aussicht nicht besonders gut war, was sehr selten der Fall sein soll, so war der Berg doch nebelfrei und gestattete einen Blick in die weite, etwas in Dunst gehüllte Landschaft. Die Rückwanderung erfolgte durch das schöne Tal, in welchem das Ilseflüßchen ziemlich reißend abfließt.

Eine weitere Wanderung unter Führung ging auf steil ansteigenden, aber bequemen Wegen nach einem hochgelegenen Forsthaus mit einfacher Wirtschaft. Die noch verfügbare Zeit benutzten wir zu einem Spaziergang durch Wald nach Wernigerode, einem freundlichen Städtchen mit malerischem Rathaus und schönen Fachwerkhäusern. Das die Stadt weithin überragende Schloß der Grafen von Stollberg- Wernigerode haben wir nur von unten gesehen. Nach einigem Aufenthalt kehrten wir auf einem anderen Weg nach Ilsenburg zurück.

Da Konrad auch am Sonntag über seine Zeit frei verfügen konnte, sind wir nach Goslar, der alten Kaiserstadt
  

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gefahren, wo Konrad uns auf alles Sehenswerte aufmerksam machte. Bei unserem ersten Besuche 1899 waren wir zwar in der Kaiserpfalz und im Silberbergwerk am Rammelsberg eingefahren, aber von der Stadt hatten wir wegen des anhaltenden heftigen Regens wenig gesehen. Auch das nahegelegene Bad Harzburg haben wir noch einmal gesehen; die prächtigen großen, vornehmen Pensionsvillen lassen erkennen, daß wohl nur reichbegüterte Menschen sich hier einen längeren Kuraufenthalt werden gönnen können. Es werden Solbäder verabreicht. Der Rückweg führte durch Wald an der Heilstätte „Jungbrunnen“ vorbei nach Ilsenburg.

Am Abend vor der Abreise saßen wir noch mit Konrad zusammen, es sollte für lange Zeit das letzte sorglose Beisammensein werden. Die Rückfahrt erfolgte nachts, gegen Morgen erreichten wir Dresden mit günstigem Anschluß nach Freiberg.

Der Andrang zu den beliebten K. d. F. - Fahrten wurde immer stärker, deshalb konnte nur ein Teil der sich Meldenden berücksichtigt werden. Da wir nach (schwer leserlich...?) auch auf eigener Hand gefahren wären, falls wir nicht zugelassen würden, meldete ich mich gleichzeitig zu einer Fahrt ins Riesengebirge mit noch zwei Freunden vom Skatklub, hatte also zwei eisen im Feuer. Wir hatten Glück in beiden Fällen. Unsere Mutter hatte keine Lust sobald wieder mit zu verreisen, die Fahrt war für die Zeit vom 1. - 8. August fest gelegt und sollte wohl die letzte für mich werden, da wegen des baldigen Kriegsausbruchs mit Polen diese Fahrten eingestellt werden mußten.

Der Sonderzug wurde wieder von Dresden- N. abgelassen. Unterwegs konnten wir beobachten, daß auf verschiedenen Bahnhöfen auf Nebengleisen Militärzüge standen, deren Ziel Schlesien zu sein schien und uns wurde klar, daß die polnische
  

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Frage kurz vor ihrer Lösung stand. Der Notenwechsel zwischen dem Reich und Polen einerseits und mit den Garantiemächten andererseits, ließen erkennen, daß die Klärung in der Korridorfrage und wegen Danzig nur durch Waffengewalt entschieden werden konnte.

Es war ein schöner sonniger Tag und als wir Hirschberg erreichten, bot sich uns ein schöner Blick nach dem Riesengebirgskamm. Von hier ging es auf einer Seitenlinie, die nach Gablonz 1) führt, durch das langgestreckte Schreiberhau 2) bis Haltestelle Strickerhäuser 3), dem Ende unserer Fahrt. Nach kurz einstündigen Weges waren wir in Harrachsdorf, zum Sudentengau gehörig. Viel Reisegepäck wurde durch Geschirr abgeholt. Der Ort ist als Sommerfrische und Wintersportplatz stark besucht und liegt am Südwestfuße des Riesengebirges im Mummelbachthale 4) rings von Bergen und Waldungen umgeben. Die vielen tschechischen Besitzer von Häusern waren bis auf einige verschwunden. Wir wurden in ein solches Haus gelegt, da es an verschiedener Wäsche und Decken fehlte, wurde erst nach energischen Vorstellungen beim Ortsgruppenführer Abhilfe geschaffen, sonst aber wohnten wir gut und auch mit der Verpflegung, die wir in einem Gasthaus erhielten, konnten wir zufrieden sein.

Für den ersten Nachmittag war eine Wanderung unter Führung vorgesehen, die durch das Annental zunächst nach Bad Wurzelsdorf 5) führte, eine ebenfalls gern besuchte Sommerfrische und Wintersportplatz. Als Rheumabad werden Schwefel- und Moorbäder verabreicht. Von hier wurde die Stephanshöhe 6) erstiegen, dann ging es nach der Waldbaude, wo Kaffeerast gehalten wurde, dann weiter nach Hoffnungstal und Strickerhäuser und nun auf der schon bekannten Straße nach Harrachsdorf. Da es viel bergauf – bergab zu steigen gab, hatte die einige Stunden dauernde Wanderung

1) Gablonz ist der deutsche Name der tschechischen Stadt Jablonec nad Nisou (wikipedia.org).

2) Schreiberhau ist der deutsche Name der polnischen Stadt Szklarska Poręba im früheren Niederschlesien.

3) Strickerhäuser, tschechisch Mýtiny, polnisch Tkacze, und Hoffnungstal waren ursprünglich niederschlesische Orte, die zu Schreiberhau gehörten (riesengebirgler.de). Sie wurden im Austausch gegen ein gleich großes Gebiet am Mrtvý vrch (Todtenberg) östlich von Jakuszyce (Jakobsthal) 1960 vom tschechoslowakischen Staat erworben. Vor 1945 waren beide Dörfer beliebte, aufstrebende Sommerfrischen und Wintersportplätze, die mit der elektrisch betriebenen Riesengebirgsbahn Schreiberhau- Jakobstal- Polaun leicht zu erreichen waren. Hoffnungstal, das 620 m hoch mitten im Walde an der Iser liegt, verdankt seine Entstehung einer Waldglashütte, die im Jahre 1796 von einem Hüttenmeister der alten Glasmacherfamilie Preußler und einem Schreiberhauer Glashändler namens Matterne hier aus "grüner Wurzel" gegründet wurde. Nach deren Auflassung vereinsamte die Waldsiedlung wieder, bis der einsetzende Touristenverkehr im Riesen- und Isergebirge neues Leben in sie brachte. Als Einkehrhaus beliebt in ihr war die ganzjährig geöffnete "Baude Hoffnungstal" mit Restauration, Garten und Fremdenzimmern, die in 10 Minuten von der Post und Bahnstation Strickerhäuser zu erreichen war.

4) Die Mumlava (deutsch: Mummel, bzw. Mummelbach) ist ein linker Nebenfluß der Jizera (Iser).

5) Wurzelsdorf ist der deutsche Name der tschechischen Gemeinde Kořenov im Isergebirge.

6) Die Stephanshöhe oder auch Buchsteinhöhe (tschechisch Hvězda) ist ein 958 m hoher Berg im Isergebirge oberhalb des Dörfchens Przichowitz. Gekrönt wird der breite Bergrücken von einem 24 m hohen steinernen Aussichtsturm. An den dorfseitigen Berghängen befinden sich mehrere Bauden. (deutschboehmen.de)

  

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als erste in diesen Bergen uns älteren Teilnehmer ermüdet, so lohnend sie sonst war.

Schon für den nächsten Tag war eine Autofahrt nach der Schneekoppe angesetzt. In flotter Fahrt durch Schreiberhau und einige Dörfer erreichten wir im frühen Vormittag Krumhübel 1) Nun begann der Aufstieg zur Schneekoppe bei heißer Augustsonne durch den Metzergrund. Langsam stiegen wir den etwas beschwerlichen Weg aufwärts, schon nach Erreichung der Metzergrundbaude 2) gaben von den unsrigen 1 Herr und 2 Frauen das Rennen auf, zu dritt aber wollten wir es schaffen und nach mehr als 3stündigen Steigen hatten wir die Koppe erreicht, nachdem wir sie schon lange, zum Greifen nahe wie es schien, vor uns gesehen hatten. Es war in meinem Alter schon ein Steicher (schwer leserlich?) wie man so sagt, aber ich habe keinen Nachteil dadurch verspürt und der herrliche Rundblick der sich uns bot war Lohn genug für die Mühe und Überwindung die der Aufstieg gefordert hatte. Die Aussicht war überaus gut, weit nach Norden sah man in das schlesische Land und nach der böhmischen Seite war die Fernsicht nicht minder gut. Das Riesengebirge trägt schon seinen Namen mit Recht, die Ausmaße der Berge, Schluchten und Gründe haben gegen unseren Mittelgebirgen etwas riesenhaftes an sich, es mögen nur der 650 m steil abfallende Riesengrund und der 500 m tiefe Metzergrund hier erwähnt sein. Die Sonne meinte es so gut, daß man ohne Bedenken die durchschwitzte Kleidung ausziehen oder lüften konnte, welche auch bald trocken war. Vor den letzten 100 m, einem recht anstrengenden Stück, hatte ein weiterer der Unsrigen aufgegeben, den wir beim Abstieg an der nächsten Baude wieder trafen. Wir wanderten eine kurze Strecke auf dem Kammweg entlang, bogen rechts ab und kamen nach einer Stunde an die Wenzelbaude (schwer leserlich?), ein schönes geräumiges Unterkunftshaus mit großer Terrasse und schöner Fernsicht, wo wir kurz Einkehr hielten. Dann stiegen wir weiter abwärts bis Brückenberg 3)

1) Krumhübel oder Krummahiebel ist der niederschlesische Name der polnischen Stadt Karpacz.

2) Die Metzergrundbaude lag am Fuß der Schneekoppe und gehörte zum Ort Karpacz.

3) Brückenberg heißt heute Karpacz Górny und ist ein Ortsteil von Karpacz.

 

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dort standen unsere Autos bereit. Hier besichtigten wir das Kirchlein Wang 1), eine alte Holzkirche, die im 13. Jahrhundert in Norwegen erbaut und zu Anfang des vorigen Jahrhunderts abgebrochen wurde. Auf König Friedrich Wilhelm IV. Kosten wurde sie 1842 erstanden und hier neu aufgebaut, wobei wesentliche Teile der alten Kirche Verwendung fanden. Der freistehende Glockenturm ist neu. Nachdem wir in der Brotbaude eine letzte Einkehr gehalten, brachten uns die Gefährte auf dem gleichen Wege wieder nach Harrachsdorf. 2)

Der Sonntag stand zur freien Verfügung. Wir gingen zum Mummelfall und kehrten vor Mittag zurück. Was sehr schön war und der vorhergehende Tag uns merklich angestrengt hatte, sollte der Sonntag ein Ruhetag sein, wir waren uns einig eine ausgiebige Mittagsruhe zu halten. Doch es dauerte nicht lange wurden wir durch ein starkes Gewitter mit heftigen Stürmen geweckt. Bald sollten wir von Reisenden erfahren, welche von Hohenelbe zurück kamen, weil sie dort nicht weiter gekonnt hatten, welch Unheil das Unwetter im oberen Elbelauf angerichtet hatte.

Für Montag war eine Wanderung über Wossekerbaude- Reifträgerbaude-Schneegrubenbaude- Elbfallbaude über das Mummeltal zurück vorgesehen. Früh ½ 9 sollte der Abmarsch sein. Da der Weg nach dem Kamm des Gebirges führte und des bedeutenden Höhenunterschied der überwunden werden müßte, für uns älteren Männer recht anstrengend zu werden schien, namentlich wenn wir das Marschtempo mit durchhalten wollten, beschlossen wir für uns schon um 7 Uhr auszurücken und das Gros der Teilnehmer auf einer der Bauten zu erwarten. Kurz vor der Wossekerbaude zeigte sich mit rechter Gewalt der Gewittersturm vom Tage vorher getobt hatte. Der Weg war plötzlich versperrt, eine große Zahl starker Fichten lagen entwurzelt kreuz und quer, so daß die Stelle weit umgangen werden mußte,

1) Die Stabkirche Wang ist eine mittelalterliche norwegische Stabholzkirche aus Vang, die 1841 vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. erworben und in Brückenberg im Riesengebirge wieder aufgebaut wurde (wikipedia.org).

2) Harrachsdorf ist der deutsche Name der tschechischen Stadt Harrachov.

  

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um wieder auf den Weg zu kommen. Die Wossekerbaude war glimpflich davon gekommen obgleich sie im Bereich der Stoßrichtung lag, man hatte schnell Fenster und Türen geöffnet um damit die Wirkung abzuschwächen. Der Kammweg lag ein Stück im Nebel, rechts ab nach der Elbquelle, aus welcher ich schon vor nahezu 50 Jahren einmal getrunken hatte. Die Quelle war jetzt durch einen Schrot besser gefaßt und das Wasser das (schwer leserlich...?) lief in einem kaum 30 cm breiten Graben abwärts. Ein darüber gelegtes Brettchen nannte der Andenken und Erfrischungen bietende Budenbesitzer die erste Elbbrücke. Wir wandten uns nun der Schneegrubenbaude zu (die Reifträgerbaude lag uns zu abseits) und hielten dort Einkehr, hier trafen wir schon auf die übrigen Teilnehmer. Von hier hat man eine prächtige Aussicht auf das dicht besiedelte Hirschberger Becken. In nur 1 Stunde kamen wir an die Elbfallbaude, ganz in der Nähe der 40 m hohe Elbfall und Pantschefall mit Blick in den Elbgrund und Sieben Grunde. Wir wanderten weiter bergauf bergab auf weniger guten Wegen bis auf die Goldhöhe 1) einem hohen langgestreckten Bergrücken, der mit zahlreichen Bunkern von den Tschechen reich besetzt ist, die Schutz gegen deutsche Angriffe hatten bieten sollen. Es war ganz anders gekommen, als diese Herren gedacht hatten. Von der Goldhöhe hat man eine schöne Aussicht über den Kamm bis zur Koppe, dem Isergebirge und die nahen Gründe. In einer Baude ruhten wir eine kurze Zeit aus und dann begann der Rückmarsch nach Harrachsdorf. Die Wanderung lohnte der Anstrengung reichlich, wir hatten selten schöne Landschaftsbilder gesehen.

Auch für Dienstag war eine gemeinsame Wanderung angesetzt, da wir einen wesentlichen Teil dieser Tour schon am Vortage berührt hatten, beschlossen mein Freund Winterlich und ich nach Hohenelbe 2) zu fahren und die Verwüstungen des Gewittertsturmes, wo er am stärksten gewütet, mit eigenen Augen zu sehen. In früheren Jahren hatte ich einen Herrn kennen

1) Die Goldhöhe, tschechisch Zlaté návrší, ist ein langgestreckter Bergrücken im tschechischen Teil des Riesengebirges mit einer Höhe von 1411 Metern. Die Goldhöhe gehört zum böhmischen Kamm des Riesengebirges und liegt etwa 3 km südlich des Hauptkamms, der Grenze zu Polen, in der Gemarkung Dolní Dvůr (Niederhof) im Nationalpark Riesengebirge (Krkonošský národní park). Der Gipfel befindet sich zwischen der Kesselkoppe (Kotel) und dem Schüsselberg (Medvědín) nördlich der Ober Schüsselbauden (Horní Mísečky). (wikipedia.org)

2) Hohenelbe ist der deutsche Name der tschechischen Stadt Vrchlabí.

   

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gelernt, der in Hohenelbe ein Terrazzowerk 1) besaß und einer unserer stärksten Konkurrenten war. Schon immer hatte ich den Wunsch, dieses Werk und namentlich dessen Marmorbruche zu besuchen, was aber nie möglich gewesen war. Auch jetzt, wo sich die Gelegenheit geboten hätte, mußte ich darauf verzichten, weil der Bruch weit abseits lag und dazu keine Zeit übrig blieb. Wir fuhren mit der Kraftpost durch einen großen Teil des Isertales mit seinen steilen und hohen mit Wald bestandenen Hängen beiderseits bis Hohenelbe und dann weiter bis zu dem Luftkurort Spindlermühle 2), dem schön gelegenen und viel besuchten Mittelpunkt des Fremdenverkehrs auf böhmischer Seite des Riesengebirges am oberen Lauf der Elbe. Die Hotels und Landhäuser liegen verstreut über den Talhängen am Südfuße des Schüsselberges. Zu Fuß gehen wir am linken Ufer der Elbe aufwärts, weit über den Zufluß des Weißwassers in die Elbe, hinauf bis in den Elbgrund. In der Mädelstegbaude machen wir Mittag, diese Baude ist später wie ich aus der Zeitung las, angebrannt.

Während der Fahrt im Postauto von Hohenelbe bis Spindlermühle hatten wir zwar von den angerichteten Schäden gesehen, aber bei der schnellen Fahrt nur flüchtig, so daß wir uns einigten, den 20 km langen Weg zurück nach Hohenelbe zu Fuß zurück zu legen, uns blieb gerade die nötige Zeit bis zur Rückfahrt des Autos nach Harrachsdorf. Bei dieser Wanderung sahen wir, mit welcher Gewalt der Sturm gehaust hatte. Längs des Elbtales, kurz hinter Hohenelbe beginnend, war der Sturm in einer Breite von einigen hundert Metern längs des Tales hingebraust und hatte, da der Fluß in Windungen verläuft, bald das rechte und bald das linke Ufer betroffen. Ganze große Waldstücke mit starken Bäumen waren entwurzelt oder die Stämme wie Streichhölzer geknickt, als hätte artilleristisches Trommelfeuer auf ihnen

1) Das Baustoffwerk gibt es heute noch: Krkonošské vápenky Kunčice, a.s. und liegt in Kunčice nad Labem, deutsch Pelsdorf.

2) Spindlermühle, tschechisch Špindlerův Mlýn, ist auch heute noch ein bekannter Ausgangspunkt für Wanderungen ins Riesengebirge von der tschechischen Seite aus.

 

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gelegen, Häuser waren abgedeckt, die Schüsselbaude völlig zerstört. Auch an der Straße hatte ein starker stürzender Baum die Hälfte eines Hauses bis auf das Erdgeschoß zerdrückt. Die Straße war vielfach durch entwurzelte Bäume gesperrt gewesen, viele Kolonnen von Arbeitern waren nötig gewesen, die Straße für den Verkehr wieder frei zu legen, an vielen Stellen hingen die abgesägten Baumwipfel noch über das Elbufer bis ins Wasser. Nie hätte ich geglaubt, daß in unsern Gebirgen Stürme von solcher Gewalt auftreten könnten. Das Geschehene hatte einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Der Tag aber war voll ausgefüllt, meine Absicht, das kratzerische Terrazzowerk dabei mit zu besuchen, war aber wegen Zeitmangel nicht zur Ausführung gekommen.

Den letzten Tag benutzten wir um die Bunker bei Seifenbach 1) zu besichtigen und anschließend einen längeren Spaziergang zu unternehmen. Die Abschiedsfeier endete wie gewöhnlich mit Dankesworten der Reiseteilnehmer an die Ortseinwohner und der Aufforderung der Gastgeber, bald wieder zu kommen und ihnen ein gutes Andenken zu bewahren. Der Sprecher sagte in seiner Ansprache, daß wir vermutlich von ernsten politischen Ereignissen ständen, er hatte leider recht gesprochen. Auf der Rückfahrt, welche am Tage erfolgte, konnten wir wieder verschiedene nach dem Osten fahrende Militärzüge beobachten. Am Abend trafen wir wieder in Freiberg ein, Mutter mit Sigrid und Hanna erwarteten mich am Bahnhof.

Diese Fahrt konnte in jeder Beziehung als besonders befriedigend bezeichnet werden, wir hatten die Schönheiten des Riesengebirges und noch manches andere kennen gelernt. Ich habe in meinem 70. Lebensjahr noch einmal auf der Schneekoppe und dem Brocken und hohen Schneeberg gestanden und konnte meine Blicke über schönes deutsches Land, unsere liebe große Heimat, schweifen lassen, deren Besitz unserer Feind in dem kurz darauf ausbrechenden zweiten Weltkrieg, welcher nun schon das 5. Jahr tobt, streitig

1) Seifenbach ist der deutsche Name des Ortsteils Ryžoviště der tschechischen Stadt Harrachov (deutsch Harrachsdorf).

 

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machen wollen. Möge Gott verhüten, daß die schändlichen Pläne unserer Feinde in Erfüllung gehen, was den Untergang für uns bedeuten würde.

Als wir am 10. Juli uns von Konrad in Ilsenburg auf der Bahn verabschiedeten, hatte er schon Order zu einer militärischen 3wöchentlichen Übung. Ich sagte gefühlsmäßig zu ihm, wenn sie dich nur nicht gleich daher behalten, dabei an die gespannten politischen Verhältnisse denkend, und ich sollte wirklich recht behalten. Vor Beginn der Übung ging Konrad auch einige Wochen zur Vertretung nach Spiekeroog (Nordseeinsel) und anschließend war er noch mit in Ettersburg, wo die Schulheime alljährlich Wettspiele veranstalten. Da erhielten wir in den letzten Augusttagen einen kurzen Brief von ihm, worin er uns mitteilte, die Übung sei abgebrochen, er sei entlassen, müsse sich aber sofort in Halberstadt bei einem Truppenteil melden. Wir wußten nun Bescheid, Konrad zog mit nach Polen, am 1. September rückten unsere Armeen über die polnische Grenze. Mit Besorgnis sahen wir in die Zukunft und es waren schwere aufregende Wochen, die folgten. Mit Spannung wurden die Heeresberichte erwartet und keine Meldung durfte verpaßt werden, nie war wohl der Radioapparat mehr belagert worden, als in den ersten Tagen des Polenfeldzuges. Heute im fünften Kriegsjahr nimmt man die Berichte viel gelassener entgegen, so wichtig diese auch fast täglich sind.

Am 10. September erreichte uns der erste Feldpostbrief von Konrad, den er am 4. geschrieben hatte und nach einigen weiteren, kam ein am 23. 9. geschriebener Brief aus dem Feldlazarett Rawa.1) Konrad war von einem Motorradfahrer angefahren worden, dabei hatte er glücklicher Weise nur starke Prellungen erlitten, wie sich nach ärztlicher Untersuchung ergab. Er hat dann verschiedene Lazarette

1) Rawa- Ruska (ukrainisch Рава- Руська; russisch Рава- Русская, polnisch Rawa Ruska) ist eine Stadt im äußersten Westen der Ukraine an der Grenze zu Polen.

  

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gewechselt, bis er in Bad Landeck 1) in Schlesien soweit hergestellt war, um zur (schwer leserlich...?) Kompanie zurück kehren zu können. Zuvor durfte er einen Erholungsurlaub bei uns verleben. Er ist hierauf bald wieder zu seinem Regiment gekommen, daß inzwischen aus Polen zurück gekehrt war und in Gladbeck im Ruhrgebiet lag, später aber bis zum Westfeldzug in Rhens 2) im Rheinland untergebracht war.

Rudolf hatte kurz nach Beginn des Polenfeldzuges den ganzen Winter über am Westwall in der Pfalz gelegen, war dann durch Luxemburg mit nach Frankreich marschiert. Was Rudolf und Konrad im Westfeldzug durchgemacht haben, kann und will ich nicht hier wiedergeben, man liest es besser in ihrem Feldpostbriefen nach, welche ich alle aufbewahrt habe. Auch dieser Feldzug war nach beispiellosen Erfolgen unserer Heere in sechs Wochen beendet und es trat eine kampflose lange Pause ein, alles lebte in begreiflicher Spannung, wie der Krieg weiter gehen würde, ob man England auf seiner wohl würde angreifen können. Es kam aber ganz anders.

An ein Verreisen auf längere Zeit war durch den Krieg für uns nicht mehr zu denken, ein Unterkommen mit guter Verpflegung war durch die Rationierung der Lebensmittel nicht mehr zu bekommen, auch die Fahrpläne der Eisenbahn wurden sehr beschnitten, alles wurde auf den Krieg eingestellt. Es kamen nur noch Tagesausflüge in Betracht, aber auch diese wurden durch die Dauer des Krieges immer seltener.

Im Mai 1940 sind wir mit der Cousine wieder einmal nach dem Tharandter Wald, von Klingenberg über Hartha nach dem Landberg und dem Mohorner Grund. Es war ein heißer aber schöner Tag. Von Naundorf bis nach Freiberg benutzten wir das Verkehrsauto.

Am 19. 6. fuhren wir bis Großvoigtsberg und wanderten durch den Zellwald bis Nossen, wo wir bei Pfarrers 3) (Name wieder schwer leserlich...?) einige

1) Bad Landeck, vor 1935 Landeck in Schlesien, heute polnisch Lądek- Zdró, ist eine Stadt der Woiwodschaft Niederschlesien in Polen. Das Heilbad gilt als eines der ältesten in Europa und ist das älteste der vormaligen Grafschaft Glatz. (wikipedia.org)

2) Rhens ist eine Stadt im Landkreis Mayen- Koblenz am relativ flachen Westufer des Rheins und ist durch den Gegensatz zu den Steilhängen der Ostseite geprägt, über denen – schräg gegenüber der Stadt – die Marksburg thront. (wikipedia.org)

3) Vermutlich war Pfarrer Röst, den sie schon lange kannten, zu dieser Zeit längst im Ruhestand. Bei einem Pfarrer Kohl in Nossen hatte 1934 auch ihr jüngster Sohn Heinz geheiratet.

  

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Stunden Einkehr hielten. Dann gingen wir die Mulde aufwärts, begleitet ein großes Stück von der ganzen Familie, bis Reinsberg und fuhren mit dem Postauto in beängstigender Enge zurück nach Freiberg.

Im Juli war unser Freund Winterlich in Teplitz zur Kur, wir, seine Skatfreunde, hatten ihm versprochen, einmal mit unseren Frauen zu besuchen. Wir fuhren bis Eichwald und von dort mit der Straßenbahn bis Teplitz. Nach Mittag unternahmen wir gemeinsam einen Spaziergang nach dem Schloßberg und gegen Abend durch den Schloßpark. In einem Gasthaus am Markt fanden wir für die Nacht Quartier. Am nächsten Morgen besichtigten wir die Anlagen des Kurpark im Stadtteil Schönau, wo ich vor vielen Jahren so manchem Militärkonzert gelauscht hatte, und fuhren dann wieder bis Eichwald, um durch hohen Fichten- und Buchenwald nach dem Jagdschlößchen Tuppelburg 1) zu gehen, wo eine Anzahl zahmer Hirsche uns viel Unterhaltung bot.

1) Diesen Ort hatten wir im Text zuvor noch nicht: Tuppelburg oder auch Doppelburg war ein Teil des Kurortes Eichwald, heute tschechisch Dubí, vier Kilometer nördlich von Teplice / Teplitz am Südhang des östlichen Böhmischen Erzgebirges gelegen.

   


   

Zwei historische Bildpostkarten aus dem Wildpark Tuppelburg.

Bildquelle boehmisches-erzgebirge.cz

   

Unsere Skatpartie im Vorjahr hatte uns so befriedigt, daß wir es auch dieses Jahr noch einmal mit einer solchen versuchen wollten, obwohl wir wußten, daß es mit Verpflegung und Unterkunft nicht ganz einfach sein würde. Ich hatte die Tour festgelegt welche sich wieder auf 3 Tage erstrecken sollte.

1. Tag: fährt bis Haltestelle Neustadt.1) Auf steilabfallendem Waldpfad stiegen wir hinunter nach Niklasberg.2) Der Weg war leider recht unbequem, klitschig und stellenweise sehr naß, die Herbstwitterung, es war der 9. Oktober, hatte den sonst schönen Weg schon recht ungangbar gemacht. Nach kurzer Frühstückspause begann die Wanderung auf guter Straße nach Klostergrab,3) wohl noch nie hatte ich eine so prächtige Laubfärbung gesehen, wie die Hänge beiderseits der Straße zeigten. Von Klostergrab weiter erreichten wir kurz vor Mittag Ossegg 4) und besichtigten unter Führung das berühmte Zisterzienser Kloster und aßen darauf im Klosterhof zu Mittag.

1) Mit dem ziemlich häufigen Ortsnamen Neustadt ist hier der heute tschechische Ort Nové Město, ein Ortsteil der Gemeinde Moldava / Moldau, unweit von Holzhau und Rechenberg gelegen, gemeint.

2) Niklasberg ist der deutsche Name des tschechischen Ortes Mikulov v Krušných horách.

3) Klostergrab ist der deutsche Name der tschechischen Stad Hrob am Südabhang des Böhmischen Erzgebirges.

4) Ossegg ist der deutsche Name der tschechischen Stadt Osek, wie Hrob auch am südlichen Fuß des Böhmischen Erzgebirges gelegen.

  

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Danach setzten wir unsere Wanderung nach Dux (fort), kamen an einem großen Braunkohlentagebau vorbei, durchschritten die Stadt, denn unser Tagesziel war Bilin, wo wir bei eintretender Dunkelheit, reichlich müde von dem weiten Marsche, ankamen. Nur mit Mühe gelang es uns, in einem Gasthaus für die Nacht ein Unterkommen zu finden, man überließ uns ein Privatzimmer.

2.Tag: Es war vorgesehen, zunächst Besteigung des Borschen,1) dann Autofahrt bis Wellin, von hier der Aufstieg auf den Milleschauer. Leider lag aber am Morgen solch dicker Nebel, daß eine Besteigung beider Berge keinen Sinn gehabt hätte, da mit Aussicht nicht zu rechnen war. Wir waren gezwungen, unseren Plan zu ändern, nicht ohne Enttäuschung, sollten doch gerade die Berge die Hauptpunkte der Wanderung sein. Dafür besuchten wir am Vormittag die Anlagen des Biliner Sauerbrunnen, wo ich schon vor fast 30 Jahren mit Rudolf und Heinz war. Am Nachmittag benutzten wir das Verkehrsauto bis Lobositz und setzten von hier den Weg nach Leitmeritz zu Fuß zurück, dort trafen wir 1 Uhr ein. Nachdem wir uns zunächst wegen der Übernachtung gesichert hatten, wurde die freundliche, belebte Stadt auf einem Rundgang besichtigt, wobei der schöne große Marktplatz immer wieder auffällt. Gegen Abend besuchten wir die große Parkanlage.

3. Tag: Frühzeitig mußten wir am Dampfschiff- Anlegeplatz sein. Das Wasser war günstig und so konnte ich ein zweites Mal die Schönheiten des Elbtales bei ruhiger Fahrt bis Aussig genießen. Nach kurzem Aufenthalt in der Stadt hatten wir Gelegenheit, mit Auto bis nach Arbesau 2) zu fahren. Hier auf dem Schlachtfeld von Kulm 3) besichtigten wir die großen preußischen und österreichischen Monumente, sowie das deutsche bei Priesten. Nach recht königlichem Mittagsmahl, welches wir förmlich erbetteln mußten, legten wir die 12 km lange Strecke auf schnurgerader Straße bis Teplitz zu Fuß zurück, wo wir gegen Abend ankamen. Es blieb uns hier nicht viel Zeit, wir mußten sehen, bald nach

1) Der Bořeň (deutsch Borschen) ist ein 539 m hoher Gipfel südlich von Bílina (Bilin) im Böhmischen Mittelgebirge. Typisch ist die Form eines liegenden Löwen, davon leitet sich auch die Bezeichnung Biliner Löwe ab. Markant sind die steilen, bis 100 m hohen Felswände aus Phonolith (Klingstein), womit der Berg als größter Klingsteinmonolith Mitteleuropas gilt. (wikipedia.org)

2) Arbesau ist der deutsche Name des Ortsteils Varvažov der tschechischen Stadt Telnice / Tellnitz, unweit von Ústí nad Labem / Aussig.

3) Die Schlacht bei Kulm fand am 29. und 30. August 1813 bei den Dörfern Kulm (Chlumec u Chabařovic) und Priesten (Přestanov), in der Nähe von Teplitz (Teplice) und Aussig (Ústí nad Labem), statt. Hatten die französischen Heere in der Schlacht vor Dresden die Alliierten noch geschlagen, erlitten sie nun im Vorfeld der Völkerschlacht bei Leipzig eine empfindliche Niederlage. Nach einem hoffnungslosen Kampf kapitulierten bis zu 12.000 Franzosen. Mehrere französische Generäle gerieten in Gefangenschaft und die gesamte Artillerie (80 Geschütze) wurde zur Beute der Alliierten. Die bei den Verbündeten anwesenden Monarchen Zar Alexander I. und König Friedrich Wilhelm III. hatten den Verlauf der Schlacht vom Schloßberge bei Teplitz beobachtet und erschienen erst nach dem Eingreifen der Preußen unter General Kleist am Schlachtfeld. Im Nachgang der Schlacht wurden durch die beteiligten Kriegsparteien mehrere Denkmäler in Erinnerung an die Kampfhandlungen und ihre Opfer errichtet. (wikipedia.org)

   

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Eichwald zu kommen, um den letzten Zug nach Freiberg zu erreichen. So hatte auch diese Partie uns manches Neue gezeigt, wenn wir auch des Nebels halber nicht voll auf unsere Rechnung gekommen waren. Der Krieg machte das Reisen und Wandern immer beschwerlicher, deshalb haben wir davon abgesehen, solange die Verhältnisse sich nicht wieder bessern, mehrtägige Wanderungen vorzunehmen.

1941.

Im Januar konnte Konrad zu unserer Freude wieder einen Urlaub bei uns verleben.

Sonst kann ich das Jahr nicht als ein glückliches für uns bezeichnen, es brachte uns viel Sorge und Leid. Vom 14.-17.2. waren wir in Deutzen, wo ich die Nachricht von der ernsten Erkrankung meiner Schwester Anna erhielt. Ich habe sie anschließend besucht und fand sie recht schwach und teilnahmlos. Mit geringer Hoffnung auf ihr Wiederaufkommen habe ich von ihr Abschied genommen und schon am 22.3. hat sie ihre Augen für immer geschlossen. Mit der lieben Schwester war das letzte meiner Geschwister im Alter von 77 Jahren zur ewigen Ruhe eingegangen. Sie hat ein schweres Los gehabt.

Schon im April waren wir wieder in Deutzen, Sigrid,1) mein Patenkind, war aus der Schule entlassen und sollte konfirmiert werden. Aber es war keine kirchliche Konfirmation und deshalb habe ich nur ungern an dieser Handlung teilgenommen, es ging gegen meine Überzeugung.

Von der Direktion des Nenntmannsdorfer Kalkwerkes war ich gebeten worden, die Aufwältigung einer z. T. niedergegangenen Tagesstrecke nach einem seit vielen Jahren eingestellten Kalksteinbruch zu leiten. Ich fuhr bis Pirna und ging an einem schönen Ostersonnabend nach dem entfernten Werk, um mir die bereits begonnene Arbeit anzusehen. Da man mir keine im Streckenaufbau Erfahrenen

1) Die älteste Tochter von Rudolf und Gertrud Barthel und Emil Barthel's erstes Enkelkind.

 

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zur Verfügung stellen konnte, ich deshalb die Arbeiter hätte selbst mit anführen müssen, dazu sehr viel Wasser durch Firste und Sohle, so daß man nasse Füße und Kleider bekommen mußte, habe ich sofort abgelehnt.

Der 19. Juni sah uns 4 Skatfreunde auf einer Tageswanderung von Klingenberg nach und durch den Rabenauer Grund. Über Dorfhain, Spechtshausen nach Rabenau zustrebend, wo wir 12 Uhr eintrafen und Mittagsrast hielten. Dann durchwanderten wir den schönen Grund hinunter und hinauf nach Tharandt.

Am 22. Juni, einem schönen Sonntag hatten wir uns mit (schwer leserlich...?) Richter, welche zu Besuch bei uns war, bei der Familie Böhme in Langenstriegis zum Besuch angemeldet. Während wir uns frühzeitig reisefertig machten, hörten wir durchs Radio, daß unsere Armeen im Osten zum Angriff gegen Rußland angetreten waren. Die Nachricht kam unerwartet, obwohl die starke Besatzung der östlichen Grenze aufgefallen war. Konrad, der an der Grenze am (schwer leserlich...?) lag, hatte uns immer geschrieben, es glaube dort kein Soldat von uns an einen Angriff. Mit ungeheurer Spannung sahen wir den weiteren Ereignissen entgegen. Die Sorge um Konrad bedrückte uns auf dem Wege nach Langenstriegis und den ganzen Tag über, wir ahnten kaum, daß zu der Zeit, als wir durchs Radio von dem Beginn des gewaltigen Kampfes gehört hatten, sich für ihn der Krieg mit Rußland zunächst erledigt hatte. Nach langen Tagen des Wartens auf eine Nachricht, kam ein kurzer Brief aus dem Feldlazarett Riebau, daß er in der ersten Viertelstunde des Angriffs durch Grantsplitter in dem linken Unterschenkel verwundet worden sei, aber nicht schwer. Wir atmeten erleichtert auf und vielleicht war es für Konrad zum Glück, er hat dadurch die schweren Winter an der Ostfront nicht mit durchmachen brauchen. Bald darauf erhielten wir die Nachricht, daß er im Reserve Lazarett in Düren liege und daß der Heilungsprozeß normal verlaufe, der Splitter
   

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aber noch nicht hätte entfernt werden können.

Am 6. Juli fuhren wir bis Haltestelle Zellwald und wanderten durch den schönen Wald und besuchten die Pfarrers Familie. Diesmal fuhren wir mit der Bahn zurück.

Die Donnerstag- Vereinigung beschloß einen Ausflug für den 18. Juli nach Frauenstein. Wir Männer liefen bis Weißenborn und wollten dort ins Auto zu unseren Frauen zusteigen, welches über eine Stunde später von Freiberg abfuhr. Durch einen kleinen Irrtum aber ließen wir das Auto, welches an der Weggabelung in anderer Richtung, also nicht direkt, sondern über Lichtenberg nach Frauenstein fuhr, vorüberfahren. Wir wußten das nicht, warteten an falscher Stelle, erst als das Auto schon weiter fuhr, erkannte einer von uns unsere Frauen drinnen sitzend und winkend. Es war zu spät, wir mußten die 14 km zu Fuß gehen, was uns aber nicht verdroß, denn es war ein prächtiger Morgen und auf der schönen Landstraße ein Vergnügen. Wir ersteigen Schloß und Ruine, wo wir bei klarem Wetter eine schöne Aussicht hatten.

Nach dem Mittagsmahl setzten wir unseren Weg nach dem Forsthaus Nassau fort, tranken Kaffee und gingen dann gemütlich nach Bahnhof Bienenmühle.

Konrad schrieb uns, er werde bald auf Urlaub kommen und ob es möglich sei, einige Tage davon im Gebirge zu verleben, er habe Sehnsucht nach dem erzgebirgischen Wald. Mutter und ich fuhren deshalb nach Holzhau, um uns zu versichern, ob wir einige Tage in der Fischerbaude wohnen könnten, was uns zugesichert wurde. Vom 6.-9. September waren wir dort, aber leider war das Wetter nicht günstig, trotzdem haben wir weite Spaziergänge gemacht, einmal überraschte uns ein anhaltender Regen,
 

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so daß wir reichlich durchnäßt in die Baude zurückkehrten. Mutter fuhr einen Tag früher nach Hause. Konrad und ich benutzten den letzten Tag zu einem Ausflug bis über das böhmische Dorf Fleg (schwer leserlich...?) hinaus, das Wetter war wieder schön geworden.

Kurz darauf sind wir noch einmal nach Hainichen zum Besuch unserer Nichte (schwer leserlich...?), wieder wurden wir unterwegs vom Regen überrascht.

Schon seit dem Frühjahr besuchte ich einen Arzt des hiesigen Krankenhauses, da ich schon länger Blasenbeschwerden verspürte. Da sich noch ein anderes Übel dazu einstellte, ließ ich mich gründlich untersuchen. Das Ergebnis war nicht gut, ich sollte mich sobald als möglich einer Operation unterziehen. Der Eindruck, welchen der ärztliche Bescheid auf uns beide machte, ist leicht zu denken. Wenige Tage zuvor hatten wir Mutters 70. Geburtstag in freudiger Stimmung gefeiert, nun stand uns plötzlich so Schweres bevor. Ich habe mich aber sofort entschlossen, es blieb auch kein Ausweg, entweder oder. Am 28. November bin ich ins Krankenhaus in die Privatklinik des Chefarztes Dr. Ludwig. Die nach einigen Tagen erfolgte erste Operation habe ich gut überstanden, am 18. Dezember bin ich wieder nach Hause. Aber eine merkliche Schwächung des Körpers war doch die Folge und ich bedurfte einer Kräftigung, ehe die zweite Operation vorgenommen werden konnte. Es war für mich eine große Freude, daß Konrad einige Tage um Weihnachten aus Bergen auf Urlaub hatte kommen können, auch Rudolf hatte den Diensturlaub, mich zu besuchen und dabei seinen Bruder nach längerer Zeit wieder zu sehen.

Am 2. Februar 1942 bin ich wieder ins Krankenhaus. Die zweite Operation war schwer und auch die folgenden Wochen, die Blasenbeschwerden traten dazu plötzlich stärker auf, Fieber hatte mich gepackt und es stand nicht gut mit mir. Mit Gottes Hilfe bin ich aber doch wieder fortgekommen, am 11.5.

  

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holte mich die Mutter wieder heim. Langsam, aber täglich wahrnehmbar, wurde ich wieder kräftiger. Die wärmende Frühjahrssonne und die erwachende Natur haben Wunder an mir getan. Zwar mußte ich im Juli nochmals der Blase wegen 13 Tage ins Krankenhaus, aber seitdem fühle ich mich wieder recht wohl. Ich war zufrieden, kurze Spaziergänge vor die Stadt machen zu können, aber nach und nach wurde es besser. Mein Gewicht war ca. 30 kg zurück gegangen, ich wog nur noch 54,5 kg.

1943.

Das Jahr 1942 hatte die schwerste Niederlage in meinem Leben gebracht und der ganze Sommer war nötig gewesen um wieder richtig zu Kräften zu kommen. Der Winter war weit verträglicher, als die vorhergehenden und als das Frühjahr kam, regte sich der Wunsch zum Wandern in der schönen Natur von neuem. Konrad, welcher von Bergen ins Sammellager und von dort mit einer neuen Division nach Dänemark verlegt worden war, kam auf Urlaub. Wir benutzten einen schönen Maientag zu einem Ausflug nach Tharandt. Wir waren so froh, Konrad gesund bei uns zu haben und ich der Wiedergesundung von harter Niederlage. Alles stand in schönster Blüte und es war eine Lust, durch den frischgrünen Wald und in schönen Grund bis Tharandt zu wandern.

Am 18. Mai besuchten wir die Familie Böhme,1) welche sich recht teilnehmend nach meiner Krankheit gezeigt hatte.

Vom 21.-26. Mai waren wir wieder einmal in Deutzen nicht aus besonderem Anlaß, aber seit April 1941 das erste Mal wieder.

Zu Frauenstein hatte ich einen Leidensgefährten, der längere Zeit mit mir im Krankenhaus lag und der mich nachdem in der Wohnung besucht hatte. Ich hatte ihm einen Gegenbesuch versprochen. Der Sonntag des 6. Juni war ein ausgesprochen sehr

1) Nach unseren Recherchen zum Herold'er Kalkwerk handelt es sich bei dieser schon mehrfach genannten Familie Böhme um Nachfahren des 1903 verstorbenen Kalkwerksbesitzers Karl Eduard Böhme und seiner 1906 verstorbenen Gattin Agnes Elisabeth Böhme, geb. Horn, und zwar um die Familie des Gutsbesitzers Hermann Eduard Böhme, welcher als einziges von Karl Eduard Böhme's Kindern in Langenstriegis ansässig gewesen ist.

  

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schöner sonniger Tag, als wir von Klingenberg mit der Kleinbahn nach Frauenstein fuhren. Auf dem Wege zur Wohnung trafen wir den, dem unser Besuch galt, welcher einen Waldspaziergang vorhatte. Wir schlossen uns an und hielten dann Einkehr im Hause des Freundes. Am späten Nachmittag unternahmen wir noch einen Rundgang über die Burgruine, den Park und die Stadt, mit dem Bähnel ging es dann wieder heimwärts.

Während der großen Ferien war unser Enkel Lutz 1) zwei Wochen bei uns. Fast täglich waren wir unterwegs, er wollte doch Freiberg und dessen nähere Umgebung kennen lernen. Gemeinsam mit der Mutter wanderten wir wieder einmal auf bekannten Wegen im Tharandter Wald. Da Lutz auch einige Tage bei der Großmutter in Venusberg verleben wollte, hatten wir versprochen, ihn dorthin zu bringen. Schon einmal hatten wir die Absicht, die lieben Bekannten in Herold zu besuchen. Am 30. Juli machten wir es wahr und verlebten zwei schöne Tage dort. Bei Aussprachen wurden frühere Erlebnisse ausgetauscht und manche Erinnerung bei einem Spaziergange auf den Waldwegen am Kalkwerk wachgerufen, wobei der treue Drechsler 2) mich begleitete. Es war für uns eine Genugtuung, mit welch freundlicher Gesinnung ehemalige Arbeiter und deren Frauen uns entgegen kamen. In den 19 Jahren seit meinem Weggange vom Werk hatte sich dort manches verändert. Meinen 4. Nachfolger konnte ich dabei kurz sprechen. Besonders habe ich mich gefreut, meinen ehemaligen, äußerst gewissenhaften, stets unverdrossenen Mitarbeiter, den Kalkmesser Drechsler mit Familie gesund anzutreffen, dem ich eine lange Reihe Ruhejahre von Herzen gönnen würde.

Am 30. August verbanden wir mit einer Wanderung durch das Striegistal und über Mobendorf einen Besuch in Hainichen. Auch diesmal hatten wir das Pech, eine große Strecke des Weges bei starkem Regen zurücklegen zu müssen, so daß wir wieder durchnäßt bei den Verwandten ankamen.

1) Da Herr Barthel in seiner Handschrift sehr sparsam mit Namen und Lebensdaten umgeht, wollen wir nur kurz einfügen, daß es sich bei diesem Enkelkind um den jüngsten Sohn seines Sohnes Rudolf Barthel und dessen Gattin Gertrud handelt. Nebenbei erfahren wir hier im weiteren Text, daß Enkel Lutz eine Großmutter in Venusberg unweit von Herold hatte, seine Mutter Gertrud folglich von dorther stammen müßte.

2) Bei unseren Recherchen zum Herold'er Kalkwerk ist uns dieser Name noch nicht begegnet. Jedoch war 1917 ein Hermann Drechsel Vorarbeiter auf dem Werk - vielleicht war ja dieser hier von Emil Barthel gemeint.

    

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Wieder war es ein trauriger Anlaß, der mich veranlaßte, am 11. Oktober nach Reichenbach i. V. zu fahren. Meine Nichte und Patenkind Gretel war an einer heimtückischen Krankheit im Alter von 46 Jahren gestorben. Beim Begräbnis konnte ich wie schon früher, daß gute Einvernehmen der Geschwister, den Kindern meiner Schwester Anna, wahrnehmen.

Ein besonders schöner Herbsttag weckte in uns noch einmal die Wanderlust. Bei schöner Laubfärbung auf guter Straße gingen wir von Mulda nach Dorfchemnitz und nach Mittag auf dem hohen Weg nach Mulda zurück.

Obgleich es recht unsicher war, hegten wir doch die stille Hoffnung, daß Konrad Weihnachten würde bei uns verleben können und wir sollten nicht enttäuscht werden. Zwei Tage vor dem Feste traf Konrad schwer bepackt ein und konnte uns mit allerlei Nützlichem bescheren, während wir für ihn so gut wie nichts hatten. Es sah in den Geschäften öde aus, selbst gute Bücher waren nicht mehr käuflich, der Buchhandel war durch die Terrorangriffe auf Leipzig besonders schwer getroffen worden.

Hier ist noch nachzuholen, Konrad hatte nach seinem Weihnachtsurlaub 1942 den Truppenübungsplatz Bergen mit dem Sammellager bei Paderborn 1) vertauschen müssen. Hier wurde eine neue Division aufgestellt, die bald darauf am 10.3. nach Dänemark in Marsch gesetzt wurde. Der erste Unterkunftsort war die Stadt Aarhus. Da es in Dänemark noch allerhand zu kaufen gab, woran bei uns niemand mehr denken konnte, hat uns Konrad viel geschickt und bei seinem Osterurlaub mitgebracht. Es war uns eine große Hilfe und wir müssen ihm deshalb recht dankbar sein. Aber schon Anfang August wurde seine Division an die kroatische Grenze in Marsch gesetzt und zur Bandenbekämpfung 2) eingesetzt. Nach einigen Wochen wurde die Division nach Fiume 3) und Umgegend an der dalmatinischen Küste verlegt. Während Konrad seinen Weihnachtsurlaub

1) Soweit wir dazu fündig wurden, lag dort das 9. SS- Feld- Ausbildungs- Bataillon.

2) Gemeint sind die jugoslawischen Partisanen.

3) Fiume ist der italienische Name der kroatischen Stadt Rijeka. Als sie noch zu Österreich- Ungarn gehörte hieß sie auf deutsch Sankt Veith am Flaum. Der Stadtname leitet sich von dem Fluß Rječina (fiume ist auch das italienische Wort für Flüßchen) ab. (wikipedia.org)

  

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1943 bei uns verlebte, ist seine Division wegen der Landung der Engländer und Amerikaner bei Nettuno in diesem Kampfhauptabschnitt eingesetzt worden.

Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, daß unser Sohn Heinz nach seinem Weggange von Riesa nach Mühlheim wiederholt seine Stellung gewechselt hat. Von Mühlheim ging er nach Geisweid und von dort nach einem Jahr nach Kreutlingen in Lothringen.

Ein günstiges Angebot der Mitteldeutschen Stahlwerke in Riesa sah ihn im Herbst 1943 dorthin zurückkehren lassen, wo er seine Laufbahn begonnen hat.

1944.

Das Jahr, welches durch die schweren verlustreichen Kämpfe namentlich in Rußland das Gemüt schwer belastete und weiter harte Kämpfe in Aussicht stellt, brachte uns auch sonst betrübende Nachrichten. Zwei meiner Freunde von der Bergschule her, Kurt Prager in Celle und Bruno Plattner in Köthen waren zur letzten Schicht abberufen worden. Prager, 3 Jahrgänge vor mir, ging nach Griechenland in Stellung, mußte aber nach 3 Jahren seiner Militärdienstpflicht bei den Pionieren genügen. Wir trafen beide im Herbst 1891 ein und waren gute Kameraden, wenn auch bei verschiedenen Truppenteilen. Prager wurde nach 2 Jahren entlassen, während wir bei der Kavallerie 3 Jahre dienen mußten. Hernach trafen wir uns unter einer Direktion in Böhmen wieder und später in Lugau- Oelsnitzer Revier. Von hier wechselte Prager in den Kalkbergbau über, wo er früher in leitender Stelle bei Celle tätig war.

Plattner war erst Steinkohlenbergmann, ging dann als Obersteiger nach Hohensalza 1) zum Salzbergbau. Nachdem das Gebiet polnisch (1920) geworden war, siedelte er in die Bernburger Gegend über, war Obersteiger auf einem Braunkohlenwerk. Seine Ruhejahre verlebte er in Köthen. Mit beiden hier ich bis zuletzt in treuer Freundschaft verbunden gewesen.

Was uns in unseren, den Zenith längst überschrittenen, Leben noch vorbehalten sein wird, wer kann es wissen, wer (kann schon) in die Zukunft

1) Mit Hohensalza ist hier die polnische Stadt Inowrocław (deutsch bis 1904 Inowrazlaw, dann Hohensalza; selten auch Jungbreslau und Jungleslau genannt) gemeint, etwa 100 km nordöstlich von Posen / Poznań gelegen. Die Stadt ist für ihre Solevorkommen bekannt.

  

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schauen, wir müssen hinnehmen, was kommt. Ob wir einen glücklichen Ausgang des Krieges noch erleben werden, steht in der Hand dessen, der unsere Geschicke bestimmt. Hoffen wir, daß unseren Kindern und Enkeln eine Zukunft beschieden sein möge, in der die Völker in friedlicher Arbeit schaffen und die Wunden, die der Krieg geschlagen hat, heilen läßt.

Was ich hier in den Mußestunden des Alters niedergeschrieben habe, ist geschehen, um meine Lebenserinnerungen an vieles Erlebte wieder aufzufrischen, was den gleichförmigen Alltag angenehm unterbrochen hatte. Bei Unterhaltungen konnte man davon zehren und brauchte nicht immer Zuhörer sein. Manches mag meinem Gedächtnis entschwunden sein, was ich hätte erwähnen können. Sollte sich einmal ein Leser finden, so liegt wohl mehr, daß derselbe zu der Ansicht käme, mein Leben habe in der Hauptsache aus Reisen bestanden, da hiervon am meisten geschrieben ist. Aber dem ist durchaus nicht so. Wenn ich die darauf verwendeten Tage addiere, wird noch kein Jahr in einem über 70jährigen Leben heraus kommen. Während in manchen Berufen schon lange regelmäßige Ferien eingeführt waren, waren diese bei uns Bergleuten, trotz der Bedürftigkeit, recht bescheiden. Selbst beim Steinkohlenbergbau gingen diese selten über eine Woche im Jahr hinaus. In meiner selbstständigen Stellung war ich noch weniger abkömmlich, selbst war man zu anspruchslos und die Besitzer halten es nicht für nötig, denn niemals hat man mich veranlaßt, einmal auszuspannen. Wenn ich aber einige Tage Urlaub hatte, habe ich diese für Wanderungen benutzt. Auf Reisen zeigt sich die Verschiedenheit der landschaftlichen Charakter und Eigenarten ihrer Bewohner. Und gerade dies hat mich jederzeit sehr angezogen.

Was sollte ich auch vom Beruf und Alltag viel erzählen, gute und schwere Tage wechselten ab, hiervon auf Einzelheiten einzugehen, will ich unterlassen. Ich habe meinen Beruf, der auch der meines Vaters und der Vorväter war, stets froh und in
  

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Ehren gehalten, wie er auch in früheren Jahrhunderten ein angesehener und geachteter war. Wer selbst die verschiedenen Arten des Bergbaus kennen gelernt hat, der weiß, mit wieviel Geduld und Vertrauen der Erzbergmann den taub gewordenen Gang weiter verfolgt, in der Hoffnung, wieder fündig zu werden, wer Augenzeuge war, wie der Kohlenbergmann bei Hitze und Staub die mit Mühe gewonnene Kohle im Förderwagen durch die vom Gebirgsdruck oft gefährlich mitgenommene Strecke förderte, bei Grubenbränden unter giftigen Gasen Löscharbeiten verrichten sah und auftretenden Schlagwettern mit geeigneten Mitteln entgegen treten mußte, wer sah, wie die Männer auf hohen Leitergerüsten im Weitungsbau der unterirdischen Kalksteinbrüche mit Bohrhämmern dem festen Gestein zu Leibe gingen, der wird auch den schlichten Bergmann im Grubenkittel achten und schätzen. Wer aber hat an ihn gedacht, wenn er seine Festtafel mit Gold und Silber zierte und sich im kalten Winter im durchgewärmten Zimmer wohlfühlte, mit welchen Mühen und Gefahren der Bergmann diese Schätze dem Inneren der Erde abringen mußte. Und wenn in jetziger Kriegszeit der Bergmann nicht die Erze und Kohle schaffte, wie wäre eine Rüstungsindustrie möglich? Aus dieser Erkenntnis heraus, hat die Regierung in großzügiger Weise die Arbeit des Bergmanns zu lohnen beschlossen und zwar durch gesundheitliche Betreuung, anständigen Lohn und Auszahlung des Treuegeldes für langjährige Tätigkeit unter Tage als Hauer. Mit Freude habe ich vernommen, daß man eingesehen hat, wie wichtig dieser Beruf ist und wie gönne ich den braven Männern, deren ich so viele kennen lernte, diesen Lohn, der sie einem sorgenfreien Alter entgegen sehen läßt.  

Auch versucht die neue Zeit, die bergmännische Tradition wieder aufleben zu lassen, durch Uniformierung, Bergparaden und dergl. In Vorträgen, Filmen sucht man Nachwuchs
  

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zu werben. Leider hatten sich im hiesigen Bergrevier nach Stilllegung der Gruben mit den Jahren die Verhältnisse sehr verändert, man kannte den Bergbau nur noch durch die alten Berggebäude und Halden, um die noch die Ruhe am Erzbergbau vieler Jahrhunderte lag und nur noch die ganz Alten lebten, die einst angefahren waren. Wenn man sich auch bemüht, den Freiberger Silbererzbergbau wieder aufleben zu lassen, eine Blütezeit wird ihm kaum wieder beschieden sein.

Wie hat es uns alten Bergschülern wehgetan, als im Jahr 1924 die Pforten unserer Schule nach fast 150jährigen Bestehen geschlossen wurden. Es war eine würdige Abschiedsfeier mit Gottesdienst im alten Dom und Ehrung der im Weltkrieg gefallenen Freiberger Bergschüler am Ehrenmahl auf dem Donatsfriedhof, wozu sich eine große Anzahl Ehemaliger aus allen Revieren eingefunden hatten. Umso größer aber war die Freude, als wir vor einigen Jahren dem feierlichen Akt der Wiedererstehung unserer Bergschule, wenn zunächst auch nur in bescheidener Form, in der hiesigen Berufsschule beiwohnen konnten. Hätte man gedacht, daß der Freiberger Bergbau, wie auch der des oberen Erzgebirges, so baldige Belebung erfahren würde, sicherlich wäre die Schule nicht geschlossen worden. Die Schwierigkeit, junge Leute dem Bergbau zuzuführen, ist nicht gering, die Tradition war immerhin über 20 Jahre unterbrochen. Man bemüht sich aber, auch durch Unterstützungen in jeder Weise den Besuch der Bergschule zu erleichtern, um damit dem Mangel an geschulten Männern, der eingetreten ist, abzuhelfen. Auch einer künftigen Arbeiterschaft sucht man durch Lehrgänge heranzubilden, während man früher nur vom Bergschüler einige Jahre Bergmannsarbeit verlangte und hernach ihn gewissenhaft in den verschiedenen Arbeiten ausbildete.

Als ich Ostern 1884 bei Zenith Fundgrube in Oberschöna zur
 

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Bergarbeit angenommen war, wurde ich zunächst mit dem Ausschlagen der erzhaltigen von den tauben Massen beschäftigt, später lernte ich in der Scheidebank das Scheiden der verschiedenen Erze voneinander. Nach einer gewissen Zeit kam ich in die Erzwäsche und das Pochwerk, wo die edlen Erze trocken mit Pochstempeln zerkleinert und so in die Schmelzhütte zum Versand kamen, die geringeren Erze gingen vom Nasspochwerk über die Stoßherde, wo auf nassem Wege die geringeren leichten Teile vom Wasser mitgenommen, das so gereinigte Erz auf dem Herd festgestoßen wurde.

Nach 1 ½ Jahren wechselte ich nach Himmelfahrt Fundgrube Freiberg über und wurde der Scheidebank auf dem Turmhof Schacht zugewiesen, demselben Schacht, wo mein Vater viele Jahre als Häuer tätig gewesen war. Mit Erreichung des 16. Lebensjahres bestand die Möglichkeit, als Grubenjunge mit einzufahren, da aber anscheinend kein Bedürfnis vorlag, mußte ich viel länger als mir lieb war, in der Scheidebank aushalten. Hier lernte ich einige gleichaltrige Jungen kennen, welche die Absicht hatten, die Bergschule zu besuchen, dies weckte nun auch bei mir das gleiche Verlangen. Durch den regelmäßigen Besuch der Sonntagsschule hatte ich einiges hinzu gelernt, namentlich der Unterricht beim Zeichenlehrer Henker hatte mich in dieser Richtung gefördert. Ein Jahr lang nahm ich noch Unterricht bei diesem Herrn im Rechnen. Im Frühjahr 1887 forderte mich dieser auf, ein Gesuch um Zulassung zur Aufnahmeprüfung für die Bergschule beim Königlichen Bergamt einzureichen. Ich zögerte anfangs, weil ich mich für noch nicht genügend vorbereitet hielt, er aber bestand darauf. Mit Besorgnis nahm ich an der Prüfung teil, welche in der Lösung verschiedener Rechenaufgaben und Anfertigung eines Aufsatzes nach einem gegebenen Thema bestand. Bei der Bekanntgabe der Ergebnisse war ich freudig überrascht, als mein Name an dritter Stelle genannt wurde.

Ein neuer Lebensabschnitt begann für mich. Zunächst wurde ich sofort in den Grubendienst übernommen und nach wenigen (Tagen)
  

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den Gedingförderern auf der 5. Gezeugstrecke zugeteilt. Es war harte Arbeit für mich, meine Arbeitskameraden waren älter und kräftiger, so daß mich die Arbeit sehr anstrengte und ich recht müde vom Schacht heimkehrte. Mir fehlte wieder eine kräftige Kost und ich habe mit Sorge in die Zukunft gesehen, wie ich bei dem geringen Lohn, meine Eltern konnten mir nur ganz wenig zukommen lassen, den Besuch der Schule aus diesem Grunde würde durchhalten können. Durch den Unterricht traten Versäumnisse auf dem Schacht ein, die sich am Lohntag recht merklich zeigten. Wenn auch der Unterricht unentgeltlich erteilt wurde und manche Utensilien zur Abgabe kamen, so mußten doch Lehrbücher, Reißzeug und manches andere aus eigenen Mitteln beschafft werden. Ich mußte bei fremden Leuten wohnen, während die meisten Mitschüler bei den Eltern wohnen konnten. Zwar wohnte ich billig bei dem Bergmäurer Auerbach bis zum Frühjahr 1888, wo ich gut aufgehoben war. Aber ich mußte doch sehen, woanders ein eigenes Zimmer zu mieten, um Abends ungestört arbeiten zu können. So habe ich bis zum Abgang von der Bergschule bei der Buchbinderwitwe Kroker unterhalb des „Ritterhof“ ein kleines Zimmer innegehabt, wofür ich mit Frühkaffee 8.- Mark im Monat und für das Mittagessen 35 Pf. bezahlte. Gern erinnere ich mich der alten freundlichen Frau.

Mit einem Schlage sollte sich meine damalige Lage ändern, die einerseits die Aussicht auf eine spätere bessere Lebensstellung bot, andererseits mich aber vor kaum zu überwindende sekundäre Lage gestellt hatte. Und zwar in so günstiger Weise, wie ich mir zu ahnen nicht gewagt hätte, und wofür ich nächst Gott, guten Menschen noch heute dankbar sein muß. Eines Tages im Februar 1888 rief mich der Bergschuldirektor Treptow nach dem Unterricht in sein Zimmer und fragte mich: „Barthel, haben sie Lust zum Zeichnen?“
  

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Ich bejahte die Frage. Hierauf sagte er: „Dann bitten sie ihren Bergdirektor Hoffmann um 4 Wochen Urlaub und melden Sie sich bei Herrn Rißzeichner Gretschel in der Markscheideexpedition des Bergamtes.“ Dieser freundliche Herr ließ mich zunächst einfache Arbeiten ausführen, nach Ablauf des Urlaubs mußte ich mir weitere vier Wochen Urlaub erbitten und so habe ich während meiner Bergschulzeit ca. 2 ½ Jahre im Bergamt gezeichnet. Anfangs erhielt ich 20 Pf. für die Arbeitsstunde, was sich nach und nach bis zu 40 Pf. steigerte. Damit war ich aller Sorgen, die mich so schwer bedrückt hatten, behoben, jetzt brauchte ich von den Eltern, außer der Instandhaltung der Wäsche, nichts mehr und war nie mehr in Geldnöten. Das Bergschulreglement verlangt, daß jeder Bergschüler die beim Bergbau vorkommenden Arbeiten möglichst selbst ausführen kann, schon deshalb war es nötig, ab und zu auf Monate anzufahren. So lernte ich die Häuer-,  Zimmerer- und Mäurerarbeiten soweit als unbedingt nötig.

Nicht nur, daß ich im Zeichnen meinen Mitschülern ein Stück voraus war, hatte die Beschäftigung im Bergamt weitere Vorteile. Der Bergschuldirektor Treptow nahm mich als Gehilfe bei Markscheiderarbeiten mit ins Gelände und Schacht. Der ältere Bergschüler Starke, der ebenfalls mit im Bergamt war und als Gehilfe bei Markscheider Choulant tätig war, hatte mich bei seinem Abgange diesem als Nachfolger empfohlen. Dies bedeutete einen weiteren guten Nebenverdienst, aber auch vermehrt Arbeit, da ich die mit Theotolit und Kompaß gemessenen Winkel berechnen mußte. Leider habe ich meine Schularbeiten dadurch mehrmals etwas flüchtig gemacht und nicht so (schwer leserlich...?) wie nötig gewesen wäre, so daß ich mir einmal als Klassenerster eine Rüge vom Bergschuldirektor gefallen lassen mußte. Trotzdem habe ich stets gut abgeschnitten. Im ersten Schuljahr erhielt ich eine Belobigung, im 2. und 3. Schuljahr Bücherprämien und im 4. Schuljahr das „Glückauf Stipendium“,
  

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300 Mark zu einer Instruktionsreise nach Böhmen und Schlesien. Da ich mich in Vorstehenden schon wiederholt habe und meine Laufbahn weiter oben beschrieben ist, möge dieser Anfang, welcher meine Berufsjahre bis zur Entlassung von der Bergschule genauer beschreibt, den Abschluß bilden.

Nachtrag:

Im Jahre 1940 trat die Direktion der staatlichen Kalk- und Hartsteinwerke an mich heran, die Arbeiten im Achatbruch auf Halsbach'er Flur zu beaufsichtigen. Ein zu Tage ausstreichender Gang, der zunächst mit Schwerspat angefüllt ist, führt im Hangenden und Liegenden Quarz und schönen Achat, der als sächsischer Halbedelstein geschliffen, als Schmuck in den Handel gebracht wird. Den ganzen Sommer hindurch bin ich wöchentlich mehrmals hinaus gewandert. Es arbeiteten 2 Mann dort. Der gebrochene Achat wurde in Achatschleifereien gegeben. Das beste Geschäft machte hierbei der Grundstücksbesitzer, der jährlich 6.000 RM Pacht erhielt, dafür durften jährlich 50 Ztr. Rohachat abgebaut werden. Durch den Krieg ist eine Unterbrechung im Abbau eingetreten.

  


Stufen des Halsbach'er "Korallenachats" fehlen wohl in keiner Sammlung - natürlich auch nicht in meiner. Diese zweiseitig angeschliffene, schon einmal zerbrochene und wieder geklebte Scheibe entstammt einer älteren Sammlung, die in die Hände zu bekommen, ich in den 1980er Jahren das Vergnügen haben durfte. Typisch für den Halsbach'er Achat ist der Farbwechsel von rot nach weiß. Das Material ist ob der Härte des Quarzes nicht nur für Mörserschalen geeignet, sondern auch ein attraktiver Schmuck- und Halbedelstein.

  

1945.

Das Schicksalsjahr des deutschen Volkes, wo sich jede Hoffnung auf ein gutes Ende des nun schon über 5 Jahre andauernden Krieges so furchtbar enttäuschte. Wer lange im Stillen noch gehofft hatte, unsere Armeen würden dem übermächtigen Ansturm mehrerer Gegner im Westen, Osten und Süden standhalten und sich zu neuen Schlägen aufraffen, mußte doch einsehen, daß jeder Widerstand nur noch ungeheuere Opfer an Gut und Blut kosteten und keinen Erfolg mehr versprach, und heute fragen wir uns, weshalb der Führer und die oberste Heeresleitung den
 

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aussichtslosen Kampf nicht wenigstens um die Jahreswende abgebrochen hat. Einen Lichtblick boten zwar noch einige Erfolge im Westen kurz vor Weihnachten, die aber nicht, wie vielleicht geplant, zur Auswirkung kamen. Schon waren im Westen Engländer, Amerikaner und Franzosen in deutsches Gebiet eingedrungen, in Italien mußte die Front unter ständigen Kämpfen, wenn auch langsam, so doch mehr und mehr zurückgenommen werden. Nur im Osten war scheinbar Ruhe, man hoffte, der Russe habe sich im Jahr 1944 durch seine Erfolge weitgehend erschöpft, leide unter Nachschubschwierigkeiten, und sei zu weiteren Schlägen zu sehr geschwächt, so daß die Front, welche stark zur Verteidigung ausgebaut war, von uns gehalten werden könnte. Die OKW- Berichte ließen das erhoffen und es muß schon unter den Führern der größeren Verbände der reichliche Wille, durchzuhalten, gefehlt haben, heute spricht man schon ganz offen von Verrat. Hinter den Offizieren, die im Juli 1944 das Attentat auf den Führer geplant und ausführten, scheinen weitere Kreise des Offizierskorps gestanden zu haben, welche erkannt hatten, das jeder weitere Widerstand vergebens sein werde. Durch den Abfall Rumäniens und die fortwährende Zerschlagung unserer Oel erzeugenden Industriewerke war unsere Luftwaffe nicht mehr in der Lage, in besonders gefährdeten Frontabschnitten entscheidend eingesetzt zu werden. Auch der Panzerwaffe schien es allmählich an Betriebsstoff zu mangeln, so daß der Infanterie nicht genügend Unterstützung von dieser Waffe gewährt werden konnte. Man versprach neue Waffen und setzte auch solche ein, wie Panzerfaust, Panzerschreck, V1 und V2, welche den Gegnern gewiß auch schwer geschadet haben, aber bei der gegnerischen zahlenmäßigen Überlegenheit keinen durchschlagenden Erfolg haben konnten. Auch die Aufrufung des Volkssturms, der Mannen vom Jünglingsalter bis zum Alter von 60 Jahren, muß heute als ein Verzweifelungsschritt des Führers beurteilt werden. Man hat uns als
  

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heroisches Leitziel den Landsturm von 1813 einzuschärfen versucht, aber damals lagen die Verhältnisse weit anders. Während 1813 unsere heutigen Gegner mit uns gegen Frankreich kämpften, welches damals allein stand, standen wir in diesem Kriege, nachdem die meisten (schwer leserlich...?) Verbündeten abgefallen waren, allein und hatten die damaligen Verbündeten gegen uns.

Immer mehr machte sich der Mangel an wichtigen Rohstoffen fühlbar, man mußte sich mit Ersatzstoffen behelfen, soweit es ging. Durch die feindlichen Terrorangriffe aus der Luft wurden nicht nur unsere schönen Städte, sondern auch kriegswichtige Industrieanlagen zerstört. Die Ernährungslage im Reich war für das Volk zwar knapp, aber noch ausreichend und gut organisiert und wir hätten noch lange durchgehalten. Hierein hatten sich unsere Gegner verrechnet, die uns auszuhungern gedachten. Dagegen war unsere U- Bootwaffe, auf die wir durch die bisherigen Erfolge so große Hoffnung gesetzt hatten, zuletzt nicht mehr wirksam, da Gegenmaßnahmen der Feindmächte die Erfolge ganz bedeutend herabgemindert hatten.

Trotz alledem wollte die Führung nicht eingestehen, daß wir nicht mehr die Kraft zum Endsiege besaßen, sondern glaubte, dem Volke noch Hoffnungen machen zu können. Da brach Mitte März im Osten der Russe mit kaum glaublicher Übermacht durch unsere Front und überflutete in wenigen Wochen ganz Polen, große Teile von Schlesien, Ost- und Westpreußen. Unsere Verbände im Vorland hielten zwar allem Ansturm der Russen stand, doch es wurde zum verlorenen Posten, als fast
  

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ganz Ostpreußen in Feindeshand fielen.

Waren die feindfreien und von Terrorangriffen bisher noch wenig betroffenen mitteldeutschen und östlichen Reichsgebiete schon lange mit Evakuierten aus dem Westen und Berlin belegt, so brach nun eine wahre Überschwemmung durch vertriebene Menschen aus Ostpreußen und Schlesien in den sächsischen Raum ein. Das an sich dicht bevölkerte kleine Land konnte den Menschenstrom kaum aufnehmen. Die Landstraßen waren überfüllt von fast endlosen Trecks mit den verschiedenartigsten Gefährten, hochbeladen mit Hausgeräten aller Art, Futtermitteln für die Zugtiere, Frauen und Kinder. Zwischendurch schoben sich Handwagen, Karren und Kinderwagen voll bepackt mit Kartons, Koffern und Säcken, aber kaum einer hatte ein bestimmtes Ziel, keiner wußte wohin und wo er ein vorläufiges Unterkommen finden würde. Die Angst vor den Russen lag noch in ihren Gesichtern. Die traurigsten Bilder der Menschenmengen wohl je gesehen habe und (schwer leserlich?) hielten sich dabei ab, die zu beschreiben sich die Feder sträubt. Wir hielten uns deshalb verpflichtet, freiwillig 2 Frauen aus Breslau in unser zweites Zimmer aufzunehmen, hoffend, sie würden nach Monaten wieder heimkehren können. Inzwischen ist der Mann einer der Frauen aus russischer Gefangenschaft entlassen worden, noch dazu gekommen, so daß es bald eng in unserer Wohnung geworden ist und namentlich die Mitbenutzung unserer Küche eine Belastung namentlich für die Mutter bedeutet. Noch einen Monat und wir gewähren den bedauernswerten guten Leuten ein Jahr bescheidene Unterkunft.

Und doch sollte es noch weit schlimmer kommen, die feindlichen Armeen gewannen überraschend schnell weiter Gebiete, schon war die Reichshauptstadt vom Feinde eingeschlossen,
   

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wehrte sich aber hartnäckig wie auch Breslau, und obwohl der Führer von Berlin aus in unglaublicher Verkennung der Situation der wirklichen Lage zum deutschen Volke durch den Rundfunk die Worte sprach: „Berlin bleibt deutsch und Wien wird wieder deutsch!“ so erfolgte wenige Tage darauf die bedingungslose Kapitulation. Was das bedeuten würde, sollten wir bald erfahren. Alle in den letzten Tagen von uns selbst noch zerstörten Brücken über Ströme und Flüsse, sowie Eisenbahnen konnten den Vormarsch der feindlichen Herrn nur gering aufhalten, sollten uns selbst aber später große Schwierigkeiten im Lebensmittel- und Kohletransport bereiten.

Das große Chaos war da, wir hatten den Krieg überall verloren. Die Waffen ruhten, unsere tapferen Heere galten als gefangen. Was nun alles über uns hereinbrach, läßt sich nicht beschreiben, es gehört zu den traurigsten Kapiteln deutscher Geschichte. Eine größenwahnsinnige Führung, mit einem Führer an der Spitze, dem ein großer Teil des deutschen Volkes in blindem Vertrauen bis zuletzt gefolgt war, hat dasselbe in das furchtbarste Elend gestürzt und muß nun die Folgen des Hasardspieles in seiner Gesamtheit tragen. Ein System, das keine Kritik zuläßt und nur diktatorisch regiert, die Gewissensfreiheit seiner Staatsbürger nicht achtet, sondern jeden Andersdenkenden verfolgt, die Kirche mißachtet, kann auf die Dauer nicht bestehen. Man hatte dem Volke den Himmel schon auf der Erde versprochen. Gewiß, diese Regierung hatte auch gutes und zweckmäßige Neuerungen geschaffen, was auch anerkannt werden soll. Aber in der Politik fehlte die Mäßigung, wahrscheinlich wäre mit der Zeit manches Problem herangereift, was nun durch den Krieg für immer als unlösbar erscheinen
   

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muß. Die herausfordernden Reden der führenden Männer dem Auslande gegenüber, haben uns jedenfalls viel geschadet.

In den letzten Jahren waren bereits die meisten der deutschen Großstädte durch feindliche Luftangriffe schon zerstört worden, viele wichtige und berühmte Kirchen und Kunstdenkmäler vernichtet oder schwer beschädigt worden. Wir hatten gehofft, das schöne Dresden würde verschont bleiben, da bis Anfang Februar 1945 die sächsischen Großstädte außer Leipzig nicht mit Bomben belegt worden waren. Manche Stunde haben wir im Keller gesessen und mit Bangen die Wellen feindlicher Bomber über uns hinweg brausen hören. Da kam die Schreckensnacht des 13. Februar über Dresden. Welle über Welle der Verderben bringenden Luftwaffe überflog uns in Richtung Dresden und bald war der Himmel im Osten blutrot erleuchtet. Nur wenige Stunden hatten genügt, diese schöne Stadt mit ihren herrlichen Kunstbauten völlig in Trümmer zu legen, wobei mit über einhunderttausend Menschen jeden Alters und Geschlechts, reich und arm ein qualvolles Ende fanden 1). Wohl kaum eine andere Stadt ist so schrecklich betroffen worden und man hatte gehofft, sie würde als einzige verschont bleiben. Chemnitz und Plauen erlebten das gleiche Schicksal, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie Dresden. Zur gleichen Zeit wurden viele Städte und Dörfer des Erzgebirges angegriffen, darunter auch Herold, und erlitten schwere Schäden. Freiberg hatte schon am 7.10.44 einen leichteren Angriff erlebt, welcher wohl eigentlich den Werken in Brüx hatte gelten sollen, aber die starke Abwehr hatte die Flugzeuge abgedrängt und auf dem Rückflug warfen sie ihre Bombenlast auf Freibergs Bahnhofsvorstadt. Wir beobachteten die ankommenden Flugzeuge vor der Haustüre, eigentlich mußten wir im Keller sein. Ich selbst

1) Über die tatsächliche Zahl der bei diesem Luftangriff in Dresden umgekommenen Menschen herrscht bis heute Unklarheit, da die Stadt mit Flüchtlingen aus den Ostgebieten überfüllt war. Historiker konnten aber belegen, daß es mindestens 30.000 Tote gewesen sind.

  


Die Ruine der Frauenkirche mitten in Dresden auf einem Foto von Walther Hahn, um 1946. Obwohl die Dresdner ihre Stadt allmählich wieder aufgebaut haben, blieb diese Ruine noch lange nach dem Kriegsende als Mahnmal des widersinnigen Krieges als Trümmerberg bestehen.

Bildquelle http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71058127

  

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ging in sträflichem Leichtsinn auf den Balkon, um zu beobachten. In diesem Moment krachte es stark, Scheiben klirrten und ich weiß nicht mehr, wie schnell ich wieder in den Keller gekommen bin. In kaum 1 Minute war alles geschehen, aber über den südöstlichen Stadtteil stand eine dichte Rauch- und Staubwolke und bald sahen wir den angerichteten Schaden. 48 Häuser völlig zerstört, viele stark beschädigt, Dächer abgedeckt, und eine Anzahl Fensterscheiben zersprungen, sowie Haustüren eingedrückt. Ganz nahe unserer Wohnung in den Schrebergärten sahen wir 3 Bombentrichter. Auf den Feldern an der Straße nach Kleinwaltersdorf waren eine große Anzahl Sprengtrichter zu sehen, außerdem wurden viele Blindgänger gefunden. Leider hatte der Angriff 190 Menschen den Tod gebracht und die Begräbnisglocken läuteten wochenlang vom Vormittag bis in die frühen Nachmittagsstunden.

Schon Tage vorher, ehe der Zusammenbruch erfolgte, hatte man Kanonendonner gehört, aber im frühen Vormittag des 7. Mai schlugen Granaten östlich des Schlachthofes ins freie Feld, tags vorher waren wir sehr von Tieffliegern belästigt, welche am Bahnhof schwere Gleisschäden verursachten und auf den Straßen verkehrende Autos beschossen, und viele zur Strecke brachten. Am 7. Mai früh stand der Russe vor der Stadt. Da eine Verteidigung ohne reguläre Truppen nicht möglich war (auch der Volkessturm war nach auswärts befohlen) und sinnlos gewesen wäre, wurde die Stadt kampflos übergeben, dadurch hat Freiberg äußerlich nur wenig gelitten. Aber desto schlimmer begannen Russen und vor allem die fremden, aller Lande mit einem Male ledigen ausländischen Arbeiter und gewisse Schichten der Einwohnerschaft zu plündern. Unter dem Schutz der Russen wurden Lebensmittellager ausgeraubt, in Geschäfte eingedrungen,
  

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ihrer Waren bestohlen und was man nicht nahm, wurde zerschlagen. Wo die Türen verschlossen und die Rolläden der Schaufenster herab gelassen waren, schlug man diese ein und drang in den Verkaufsladen. Ich habe Läden gesehen, welche einen Anblick boten, als hätten Vandalen drinnen gehaust. Dann setzte der Durchzug russischer Truppen aller Waffengattungen ein und zwar in Richtung Dresden, aber auch über Frauenstein nach Böhmen. Tag und Nacht hörte man das Brummen und Rattern der Motoren der schweren Panzer und Geschütze. In der Stadt blieb eine starke Besatzung, welche die ersten Tage zügellos plünderte, in die Wohnungen eindrang und vor allem Schnaps und Uhren, sowie Schmucksachen verlangte, Frauen und Mädchen wurden in gemeinster Weise belästigt und geschändet. Sonstige Gewalttätigkeiten sind aber nur vereinzelt vorgekommen, am sinnlosen Morden der Einwohner, namentlich alter Leute, Frauen und Kinder war keine Rede, man hatte damit nur Propaganda gemacht. Bald folgten allerhand Befehle der obersten russischen Befehlshaber, Abgabe sämtlicher Autos, Motor- und sonstiger Fahrräder, Radioapparate u. a. Auch wir sind dadurch um unsere schöne Siemensschatulle1) gekommen, die wir jetzt recht vermissen. Sonst sind wir bei den Plünderungen recht glimpflich weggekommen, außer 2 wertlosen Uhren und meinem Ehering ist uns nichts abgenommen worden. Nur Konrad's gute Sachen, welche wir in seinem Koffer verpackt zur Sicherung von Fliegerangriffen zu meinem Neffen Georg nach Bräunsdorf gebracht hatten, sind dort bei Plünderungen abhanden gekommen. Was an Kleidung, Wäsche, Betten und sonstigen wertvollen Sachen allein durch die in ihre Heimatländer zurück ziehenden fremden Arbeiter entführt worden ist, kann gar nicht beschrieben werden. Ich habe Kolonnen von mehr als 30 hochbeladenen Zweispännern durchziehen sehen,

1) Damit war ein mehrbändiger Radioempfänger gemeint.

   

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welche die Dörfer ausgeraubt hatten. Unter Gesang, Gegröhle und Ziehharmonikamusik zogen sie ab.

Für die Einwohnerschaft setzte schlagartig eine große Verknappung der Lebensmittel ein, es gab den ganzen Sommer über fast kein Frischgemüse, sehr wenig Fleisch und Fett, Milch und Butter wiederholt wochenlang nicht. Die Lebensmittelkarten wurden nur lückenhaft beliefert. Mit 2 Pfund Brot und 6 Pfund Kartoffeln, die oft fehlten oder von den Bauern erbettelt werden mußten, konnte kein Mensch auf die Dauer leben. Namentlich die alten Leute wurden schlecht bedacht und man sah sehr abgemagerte Leute. Ich selbst bin oft mit dem Rucksack oder Handwagen nach Riechberg oder Bockendorf, um bei lieben Verwandten etwas Zusätzliches zu beschaffen, sogar 1 Sack Kohlrüben habe ich dort geholt, aber auch Kartoffeln, Äpfel und Pflaumen. Es ist mir in meinem Alter oft nicht leicht gefallen, aber Not bricht Eisen. Dabei mußten wir zusehen, wie die Russen ein Schlemmerleben führten, den Bauern das Vieh aus den Ställen holte und in Massen abschlachtete, mit dem Fleisch wüsteten, die geringeren Teile nicht verwendeten, sondern eher verderben ließen, als der Bevölkerung davon zu geben. Große Mengen, Getreide, Heu und Kartoffeln beschlagnahmte der Russe für sich. Er feierte Siegesfeste, wobei große Gelage angesetzt wurden, bei denen fürstlich getafelt wurde, aber die Bevölkerung ließ er warten. Später wurde die Lebensmittelverteilung etwas geregelter, aber noch oft nicht eingehalten und noch viel zu knapp. ¾ L Schnaps kostet 38,- Mk, ein Glas Bier 60 – 70 Pf infolge hoher Besteuerung. Von den Lebensmittelkarten wurde vieles nicht aufgerufen, man ließ es verfallen.

Eine große Notlage entstand mit dem Heizmaterial, durch die Zerstörung der Brücken und Gleisanlagen war die Eisenbahn nicht in der Lage, Kohlen heran zu bringen.
  

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Auch war großer Wagenmangel, weil viele im Kriege zerstört worden waren und es an betriebsfähigen Lokomotiven fehlt. Zudem nahm der Russe die meisten Transportmittel für sich, um die in den Betrieben abmontierten Maschinen und sonstige Geräte und Waren nach Rußland zu bringen. Die Gasanstalten waren teils zerstört, teils fehlte es an Kohle, so daß es für das Gewerbe und die Haushaltungen kein Gas gab, wodurch die Frage der Beheizung und des Kochens recht schwierig wurde. Die Forstverwaltung und die Stadt suchten durch großen Einschlag in den Wäldern und Abgabe als Brennholz an die Einwohner der Kalamität (gegen) zu steuern, aber es war für viele, namentlich alte Leute beschwerlich, weil die gefällten Bäume selbst zersägt und abgefahren werden mußten. Täglich konnte man viele mit Lohnholz und Reisig beladene kleine und größere Gefährte aus den nahen Wäldern kommen sehen. Auch wir taten das Gleiche und haben uns damit über Sommer bis tief in den Winter hinein beholfen, um die Restbestände an Holz und Kohle für etwaige Kälteperioden aufzusparen. Wir hoffen dadurch in der Stube nicht frieren zu müssen und unsere Speisen kochen zu können. Bei Herbeischaffung von Lohnholz haben die Breslauer Frauen bereitwillig mit geholfen.

Das Flüchtlingsproblem wurde immer schwieriger. Während die Schlesier hofften, nach dem Waffenstillstand wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können, ließen die Polen, die inzwischen den größten Teil Schlesiens eingenommen hatten, diese nicht wieder hinein. Nun sollten diese, um Sachsen zu entlasten, nach Thüringen, der Provinz Sachsen 1) und Mecklenburg abgeschoben werden, aber es ging sehr langsam damit, es fehlte an Zügebereitstellung, vielleicht auch an Organisation, die gewiß nicht leicht war. Besonders schwierig wurde die Lage als ein neuer Flüchtlingsstrom

1) Damit ist die preußische Provinz Sachsen gemeint, welche nach dem Wiener Kongreß 1815 aus dem vormaligen Herzogtum Sachsen- Wittenberg nördlich von Leipzig, jedoch ausschließlich des Fürstentums Sachsen- Anhalt- Zerbst, gebildet wurde. Das Königreich Preußen hatte darin seinen 1807 verlorenen und in den Befreiungskriegen bis 1813 zurückgewonnenen Altbesitz an der mittleren Elbe (Altmark, Magdeburg, Halberstadt, Mansfeld, Quedlinburg), mit den – ebenfalls 1807 verlorenen – Erwerbungen von 1802 (Eichsfeld, Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen) sowie dem größten Teil der ihm auf dem Wiener Kongreß zugesprochenen, vormals königlich- sächsischen Territorien (Wittenberger Kreis, Thüringer Kreis um Weißenfels, Norden des Leipziger Kreises mit Delitzsch und Eilenburg sowie Norden des Meißnischen Kreises mit Torgau und Elsterwerda) vereinigt. (wikipedia.de)

  

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aus Böhmen über das Erzgebirge nach Sachsen kam, das Tschechenvolk glaubte, die Stunde sei gekommen, um seinen uralten Haß gegen die Deutschen austoben zu lassen. Die politische Lage war für sie günstig. In der brutalsten Weise vertrieb man alles, was deutsch war von Haus und Hof, nur mit geringer Habe, zumeist ohne oder geringen Bargeld, das man ihnen abgenommen hatte, kamen diese Unglücklichen über die Grenze, um ebenfalls im Altreich Zuflucht und Unterstützung zu suchen. Man mag von der deutschen Regierung den Tschechen gegenüber hart gewesen sein, aber jedenfalls nicht in dem Maße, welches eine solche Handlungsweise der Tschechen gerechtfertigt hätte. In Trupps und einzeln sah man Geflüchtete und Vertriebene, darunter deutsche Soldaten aufgelöster Verbände, zerlumpt und von den letzten Kämpfen und Strapazen ihrer Heimat zuströmende, abgemagerte Gestalten, daß es einem erbarmen mußte. So kehrten unsere Söhne und Väter, die sich jahrelang tapfer geschlagen hatten, heim, oft noch hunderte km zu Fuß vor sich habend, ehe sie ihr Ziel erreichten, sich müde und ohne Verpflegung fortschlagend. Dabei waren sie nicht sicher, von den Russen gefangen zu werden. Viele Einwohner stellten diesen Unglücklichen ihre Fahrräder zum besseren Fortkommen zur Verfügung, man tat es gern, da die Räder sowieso abgegeben werden mußten. Auf dem Bahnhof standen mehrmals Züge mit Verwundeten tagelang ohne jede Verpflegung, nur auf die Barmherzigkeit der Freiberger angewiesen. Man hat viel Essen herbei gebracht, ob es immer genügt haben wird, bezweifle ich trotzdem.

Was uns das endgültige Friedensdiktat bringen
   

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wird, wissen wir noch nicht, aber es läßt uns ahnen, was wir zu erwarten haben, wenn man das bisherige Verhalten der Feindmächte, namentlich der Russen betrachtet. Stalin verspricht in seinen Erlassen, daß deutsche Volk soll nach Ausrottung des Nationalsozialismus und Militarismus langsam wieder hochkommen. Aber büßen müsse das ganze Volk. Wie aber können wir wieder hochkommen, wenn man unserer wichtigsten Industriewerke stilllegt, die Maschinen nach Rußland bringt und Angestellte und Arbeiter zu vielen Tausenden arbeitslos und damit brotlos macht?

Die Zeitungen, die wir jetzt lesen und die sehr links stehen, schreiben zwar, es gehe schon langsam aufwärts. Entweder sind diese Artikel von Russen geschrieben, oder man will dem Volke erneut Lügen vorsetzen. Gewiß versuchen viele Industriezweige, die während des Krieges für die Rüstung arbeiteten, jetzt durch die Herstellung irgend welcher Wirtschaftsartikel ihren Betrieb wieder in Gang zu bringen, aber es sind zumeist Sachen, die nicht lebenswichtig sind. Gekauft wird heute alles, es besteht ein Warenhunger wie noch nie. Aber auch das wird bald abflauen, wenn das Geld, was die Leute noch in Händen haben, ausgegeben sein wird. Ein großer Teil der Bevölkerung ist ja nun noch auf Unterstützung angewiesen, da die Spargelder gesperrt sind und die Löhne nicht ausreichen werden, außer dem Nötigsten zum Leben, noch anderes zu kaufen.

Alle Banken und Sparkassenguthaben sind gesperrt und sollen restlos verloren sein. Ein zweites Mal verlieren wir unter mancher Entsagung erspartes kleines Vermögen, welches uns vor Not im Alter schützen sollte. Die Pension ist auf 40% der zustehenden festgesetzt und reicht kaum für das allernötigste. Wir sind bettelarm geworden. Was aus den vielen ohne Pension entlassenen Pg.1) bei den Behörden

1) Das Kürzel stand für „Parteigenossen“, also Mitglieder der NSDAP. 

   

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werden soll, ist schwer zu sagen. Die vielen Enteignungen des Besitzes von maßgebenden Pg. zeigen uns den Weg zum Kommunismus, wie ja auch die Bodenreform, deren Zweckmäßigkeit erst erwiesen werden muß. Unerfahrene Personen werden in Stellen bei Behörden eingesetzt und es soll jetzt schon sich recht fühlbar machen, daß man damit zu weit geht.

Wie wir schon oben erwähnt, sind wir selbst durch den Verlust unsers bescheidenen Vermögens und die geringe Pension hart getroffen, aber wir haben unsere Wohnung und werden die kurze Spanne der Zeit, die wir noch zu leben haben, hoffentlich bei großer Bescheidenheit (schwer leserlich ?). Aber noch viel härter sind unsere Söhne betroffen worden.

Rudolf, der gewiß als reiner Idealist ein fanatischer Anhänger des Führers war und Zeit und Geld gespart hat, um der Idee des Nationalsozialismus zu dienen, muß es bitter büßen. Als Hauptsturmführer bei der SA und zuletzt als Führer eines Volkssturmbataillons war ihm neben seinem Grubendienst so viel Arbeit aufgebürdet, daß er gewiß über seine Kräfte gegangen ist und Haus und Familie dabei nicht auch noch die nötige Aufmerksamkeit und Hilfe widmen konnte. Ich muß gestehen, von Anfang an war mir bange, ob die Sache gutgehen würde, habe in Briefen und mündlichen Ansprachen meine Bedenken wiederholt zum Ausdruck gebracht. Ja, als Rudolf sogar der Kirche den Rücken kehrte, weil es die Partei von den Führern, wie angenommen werden muß, verlangte und auch seine Mädels keinen Konfirmationsunterricht genossen und auch nicht konfirmiert wurden, war es nahe, mit ihm und Gertrud zu einem ernsten Zerwürfnis mit uns zu kommen. Nur ungern habe ich der sogenannten Jugendweihe von Sigrid, meinem Patenkind beigewohnt, sie hat mich auch nicht befriedigt. Rudolf hatte hiermit nur das beste erkannt, sich strikt daran gehalten
  

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und seine Führerstellung nicht zu irgend welchem Vorteil für sich und seine Familie ausgenutzt. Aber es war vorauszusehen, daß wenn der Krieg einen ungünstigen Ausgang nehmen würde, die Partei und namentlich ihre Führer mit schweren Strafen zu rechnen hatten. Man droht und spricht von völliger Ausrottung der Nazi und auch des Militarismus.

Was wir befürchtet, war auch geschehen. Erst nach Monaten erfuhren wir durch Gertrud, daß Rudolf schon am 14. April von den Amerikanern in Haft genommen worden ist, und erst jetzt haben wir von ihm die kurze Nachricht aus dem Lager Schwarzenborn bei Treysa in Hessen, daß er gesund ist. Wir wollen hoffen, daß er bei den Amerikanern eine bessere Behandlung hat, als die in russischer Gefangenschaft befindlichen. Vom Werk ist er fristlos entlassen und seine Familie mußte die schöne Werkswohnung räumen. Sie teilt mit einem ebenfalls entlassenen Steiger dessen bisherige Wohnung, was Gertrud an Möbeln als möglich nur in dem ihr jetzt zur Verfügung stehenden Räumen unterzubringen, hat sie mitgenommen, dabei manches gute Stück zurücklassend, was als verloren angesehen werden muß und dessen sich die Flüchtlinge bedienen, die nun allein die Wohnung inne haben. Die Mädchen Sigrid und Hanna sind vorläufig bei Bauern untergebracht, wo sie wenigstens satt zu essen haben. Wie sich die Zukunft Rudolf's und seiner Familie gestalten wird, ist sehr dunkel, es wird zunächst eine bittere Leidenszeit sein. Wir wollen die Hoffnung auf eine langsame Besserung der verworrenen Lage unsers Volkes aber nicht aufgeben.

Auch Heinz wird hart betroffen. Wir und er selbst glaubten, er habe nun eine gute gesicherte Lebensstellung mit Aussicht, in absehbarer Zeit Chef des Walzwerkes der Mitteldeutschen Stahlwerke in Riesa zu werden. Die politischen Ereignisse und unsere Niederlage haben es mit sich gebracht, daß das Werk stillgelegt werden soll, dadurch ist allen Angestellten gekündigt worden.
    

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Heinz leitet als Lohnempfänger (72 pf. Stundenlohn) die Abmontage seines Walzwerkes, eine bittere Aufgabe, um dann brotlos zu werden. Zwar schweben noch Verhandlungen wegen wieder Inbetriebnahme des Werkes, doch sind die Aussichten z. Zt. nicht gut. Auch bei den Plünderungen hat Heinz viel verloren. Fast seinen sämtlichen Anzug, Kleider, Kindersachen, Wäsche, Schuhe, Küchengeräte und Lebensmittel. Da Heinz der SA angehörte und Pg. leitende Stellungen nicht mehr einnehmen dürfen, ist auch seine Zukunft recht ungewiß.

Unsere größte Sorge nach Zusammenbruch aber galt zunächst Konrad, von Rudolf's Schicksal erfuhren wir ja erst später, wie auch von der Kündigung der Stellung Heinz. Am 13. März hatte Konrad mir zu meinem 75. Geburtstag noch einen schönen Brief geschrieben, worin er noch im Vertrauen auf unsere oberste Heeresleitung zuversichtlich zum Ausdruck brachte, es wird bald an allen Fronten wieder vorwärts gehen. Hierin aber hatte er sich getäuscht, während er sonst bei Beurteilung unserer militärischen und politischen Lage fast immer klar gesehen hatte. Wie schwer mag ihm deshalb geworden sein, die Waffen in Feindesland legen zu müssen, die er fast 6 Jahre gegen diese siegreich geführt hatte. Da jede Nachricht nach dem 13. 3. von ihm ausblieb, quälte uns die Ungewißheit, ob er die letzten Kämpfe würde gesund überstanden haben. Nach seinen Andeutungen in den letzten Briefen lag er südlich des Plattensees 1) an der ungarischen Front, wo zuletzt noch harte Kämpfe mit den Russen stattgefunden hatten, in die, wie der OKW- Bericht meldete, sogar die Trosse 2) einzugreifen genötigt waren und Konrad führte einen solchen Troß.

Während des ganzen Sommer über kehrten Feldgraue, die entweder durch die Flucht oder Entlassung aus der Gefangenschaft, heim, oft hunderte von km zu Fuß, oder

1) Der Plattensee ist ein anderer Name für den unter diesem heute besser bekannten Balaton.

2) Als Troß wurden früher die Nachschub- und Versorgungseinheiten hinter der Front bezeichnet.

  

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durch Kameraden erhielten Angehörige von ihren Söhnen und Männern gute, tröstliche, aber auch traurige Nachricht. Briefe kamen nicht an, da jeder Postbetrieb stockte und die einzelnen Besatzungszonen gegenseitig nichts durchließen. Wir aber erwarteten sehnsüchtig und doch vergebens eine Nachricht über das Schicksal unsers Jüngsten. Als im Oktober bekannt gegeben wurde, daß die Post wieder Briefe über das ganze Reichsgebiet beförderte, kam mir der Gedanke, in der Grovesmühle (Dort hatte Konrad 1939 als Lehrer gearbeitet) anzufragen, ob dort eine Nachricht von unserem Sohn vorläge und schrieb an Fr. Johannsen, die öfter Briefe mit Konrad gewechselt hatte. Es dauerte auch nicht allzulange, bekamen wir als Antwort, es läge eine Postkarte vom 15. 6. vor, welche wörtlich lautete:

„… ich liege in Klagenfurt unter englischen Schutz, wir bilden ein Arbeitsbataillon, mir geht es gut, ich habe genug zu essen.“

Diese Nachricht war für uns schon eine große Beruhigung, wußten wir doch nun, daß Konrad noch lebte und nicht in russische Gefangenschaft geraten war. Frau J. hatte angenommen, wir hätten auch Post bekommen, sonst hätte sie uns früher geschrieben. Konrads Nachricht an uns ist wahrscheinlich nicht durchgekommen.

Anfang November erhielten wir einen Brief aus Düsseldorf von der Schwester eines Kollegen von Konrad, der auch an der Grovesmühle angestellt war. Dem Briefe lag eine Karte von Konrad an Frl. Ronda bei, welche lautete:

„Liebes Fräulein Ronda! Herzliche Grüße, Wünsche! Liege Klagenfurt. Verpflegung, Unterkunft, Behandlung ordentlich. Bitte meine Eltern benachrichtigen Freiberg Steigerweg 12. Erhoffe Antwort.“

Ich habe die Karte mit einigen Zeilen an Konrad zurückgeschickt, hoffentlich bekommt er sie, er wird sich um uns sorgen, wie wir uns um ihn gesorgt haben. Diese Nachricht war fürstlich
  

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und das schönste Weihnachtsgeschenk. Nun dürfen wir wohl hoffen, Konrad einmal gesund heimkehren zu sehen, was allerdings noch längere Zeit dauern kann. Aber wir sind froh, daß seine Einheit noch in Klagenfurt liegt und nicht weit weg in ein Lager abtransportiert worden ist.

1946.

Was soll über dieses zweite Waffenstillstandsjahr geschrieben werden? Nachdem mit verschiedenen Staaten, die im Kriege auf unserer Seite standen, wie Italien, Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Finnland Friedensverträge abgeschlossen wurden, sollen im Frühjahr 1947 die Friedensverhandlungen mit Deutschland beginnen, oder vielmehr die Bedingungen diktiert werden, denn wir haben bedingungslos kapituliert. Man sagt, die Waffenstillstandsbedingungen erlaubten 2 Jahre Plünderungsrecht und was in dieser Zeit nicht abtransportiert werden kann, zu beschlagnahmen, für dessen Abtransport nach Friedensschluß noch 5 Jahre Zeit gegeben sei. Dann wird Deutschland ein völlig ausgeraubtes Land sein, daß viele Jahre brauchen wird, um einigermaßen erträgliche Verhältnisse zu bekommen. Viele hatten gehofft, wenn die Kampfhandlungen zu Ende wären, würde bald vieles wieder besser werden, das aber war eine große Selbsttäuschung. Gewiß, die Terrorangriffe der feindlichen Luftwaffe auf unsere Städte und Dörfer hörten auf, man konnte sich wieder ruhig nachts zur Ruhe begeben, ohne Fliegeralarm fürchten zu müssen und dann stundenlang im Keller zu sitzen, man wußte auch, das Morden an den Fronten hatte aufgehört und hoffte, die Seinen bald gesund daheim begrüßen zu können. Nur das Letztere ist
  

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z. T. eingetreten, die aus der Gefangenschaft entlassenen Deutschen waren meist Kranke, die zu irgend einer Arbeit nicht mehr verwendet werden konnten, namentlich die aus Rußland kamen.

Im Lande ging die Ausraubung der Betriebe von Maschinen, Geräten, Fertigfabrikaten und Rohstoffen, Lebensmittel rücksichtslos weiter. Viele Fabriken mußten für Rußland arbeiten, so sehr es bei uns auch an deren Erzeugnissen fehlte. Für Freiberg gilt das besonders von der Lederindustrie. Die Schuhmacher verlangen von ihrer Kundschaft Leder, wenn sie Reparaturen ausführen sollen. So kam es, daß es an den nötigsten Waren und Gebrauchsgegenständen fehlte. Streichhölzer und Rauchwaren waren sehr knapp und wurden deshalb teuer bezahlt, eine Zigarette mit 3 RM und mehr. Die einfachsten und notwendigsten Sachen gab es nur gegen Bezugsschein, aber die Waren fehlten und es dauerte lange, ehe sie beliefert werden konnten. Oft waren Textilien und Schuhwerk gesperrt, um die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen zu versorgen. Seit Anfang des Krieges konnten wir an Wäsche, Wollsachen und fertigen Kleidungsstücken fast nichts mehr ersetzen.

Was die Ernährungslage betrifft, so sind zwar die Rationen beibehalten worden, für „Sonstige“ die Brotration um 50 g erhöht, aber es ist trotzdem zu wenig, um den Körper einigermaßen bei Kräften zu erhalten. Oft kam nur Quark statt Fleisch zur Verteilung. Milch erhalten wir gar nicht und Butter sehr wenig. Unsere Tagesrationen betragen:

Brot 250 g, Nährmittel 15 g, Zucker 15 g, Fleisch 15 g, Fett 7 g, Marmelade 30 g, (125 g Kaffeeersatz monatlich) oft aber werden Veränderungen vorgenommen und verspätet geliefert. Das Unverständliche aber ist die Zuteilung von nur 2 Ztr. Kartoffeln von Mitte November
   

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bis Mitte Juli bei sehr guter Ernte. Das 4fache entspräche ungefähr dem Bedarf, da es fast keine anderen Nährmittel gibt. Die Angst und Sorge um das tägliche Brot trieb deshalb die Leute z. Zt. der Kartoffelernte in Massen täglich hinaus aufs Land, um freigegebenen Acker aufzusuchen, um nach Kartoffeln zu „stoppeln“. Mit Handwagen, Eimern, Rucksäcken und Hacken zogen die Leute aus, manchmal mit gutem, aber auch öfter mit bescheidenem Erfolg. Aber es war für viele eine Hilfe auf Monate hinaus und es mögen tausende von Zentnern Kartoffeln von den abgeernteten Äckern geholt worden sein, allein in Freiberger und umliegenden Gemeinden Flur, die stecken geblieben und verdorben wären. Ich selbst bin bis zwei Stunden weiten Weges mit Handwagen und Rucksack losgegangen und habe reichlich 4 Ztr. gestoppelt. Wenn auch ein Teil dieser Kartoffeln angehackt oder von der Maschine geschnitten und deshalb nicht vollwertig waren, so sind wir doch damit bis Mitte Dezember ausgekommen. Wenn es nicht möglich gewesen wäre, bei Verwandten und Bekannten ab und zu einige Pfund Roggen oder Roggenmehl zu bekommen, und damit eine kräftige Morgensuppe kochen oder 1 Brot eintauschen zu können, wie hätten wir durchkommen sollen. Bei einer uns eigentlich fremden Familie, der ich durch Holzhacken und anderes gefällig war und die Mutter durch Ausbessern der Wäsche sich nützlich zeigte, bekamen wir jede Woche 1 Liter Vollmilch, auch sonst fiel oft etwas ab. Eier und Obst sind für uns nicht zur Verteilung gekommen, die Abgabe von Eiern, Getreide und sonst allem, was zur Ernährung diente, wurde streng überwacht und Bauern, die ihr „Soll“ nicht erfüllten oder nicht erfüllen konnten, hatten schwere Strafen zu gewärtigen. Obst war nur schwer zu erstehen, wenn man nichts zu tauschen hatte. Wer das konnte, brauchte nicht leer nach Hause zu gehen. Auch wurden Wucherpreise verlangt und auch gezahlt.
  

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Es hat aber auch anständige Bauern gegeben, die die Not des Volkes nicht schamlos ausgenutzt haben.

Ich will auch erwähnen, daß wir dieses Jahr für die Mühen mit unserem wenige qm Gärtchen durch befriedigende Erträge beschert worden sind, indem es uns Gemüse für manche Mahlzeit lieferte. Wir ernteten: 2 x Spinat, 10 x Mangold, 5 Pfd. Erbsen, 1 Pfd. Zwiebeln, 11 Pfd. Bohnen, 19 Pfd. Tomaten, 2 Pfd. Pastinaken, 8 Pfd. Möhren, ferner 20 Köpfe Salat, 15 Kohlrabi, 20 Pfd. Johannisbeeren.

Eine weitere schwierige Frage war die Heranschaffung von Heizungsmaterial, auch dieses wurde streng bewirtschaftet. Holz erhielten wir ¼ rm (Raummeter). Die Kohlezuteilung bestand in Rohkohle, Grus und Schwelkoks. Außer der Rohkohle war alles so klar, daß es in den meisten Öfen nur mit Holz oder Spänen gemischt gefeuert werden konnte. Aber die zugeteilten Mengen waren völlig unzureichend und mußten zentnerweise vom Händler abgeholt werden. Mit 5 Ztr. ist die Lieferung noch im Rückstand, Briketts gibt es nur für Bäcker, Russen und von diesen bewirtschafteten Betriebe. Ich bin deshalb so oft es ging, in den Wald gefahren und habe dürre Äste abgesägt, oder wo Wald geschlagen wurde, mit Erlaubnis das anfallende Reisig geholt, und zwar im Rosinenwald und Fürstenbusch in der Nähe des Zechenteiches. Nur dadurch konnten wir bis jetzt Stube und Küche heizen. Das nur früh, mittags und abends auf je ¾ Stunde abgegebene Gas reichte reicht nicht aus, um Speisen zu kochen, Freitag und Sonnabend war es den ganzen Tag gesperrt. Da der bei uns wohnende Schlesier in der Weißenborner Papierfabrik beschäftigt wird, hat dieser Gelegenheit, Schnitzspäne im Rucksack mitzubringen, wodurch wir die Klarkohle besser verwenden können. Solche Späne müssen sehr reichlich anfallen, da man viele Freiberger mit gestopften Säcken beladenen Handwagen von der Fabrik kommen sieht. Trotzdem werden diesen Winter viele Familien frieren müssen und es möchte die seit
     

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Mitte Dezember bestehende strenge Kälte bald in mildere Witterung umschlagen.

Mit der Heizung hängt auch die Wohnungsfrage eng zusammen. Durch den Zustrom von Evakuierten, Flüchtlingen und Vertriebenen ist die an sich bestehende Wohnungsnot auf's Höchste gestiegen, auch die Beschlagnahme vieler Wohnungen durch die Russen hat erheblich dazu beigetragen, da ganze Straßenzüge für diese geräumt werden mußten. Waren durch Ausgebombte schon viele Wohnungen voll belegt, so steigerte sich dieser Zustand jetzt in vielen Fällen und namentlich durch die Mitbenutzung der Küche ins Unerträgliche. Viele alleinstehende Frauen wurden angewiesen, mit anderen zusammen zu ziehen, wenn sie nicht bei verheirateten Kindern Aufnahme finden konnten. Wir selbst haben seit 17.2.45 zwei Breslauer Frauen, zu denen der Mann der einen, der in russ. Gefangenschaft war, noch hinzu kam. Aus Mitleid haben wir die Leute, die um alles gekommen sind, freiwillig aufgenommen, wir hofften, in wenigen Wochen würde Breslau entsetzt werden und die Leute zurückkehren können, heute wo ich dies schreibe, fehlt noch 1 Monat an zwei Jahren, ohne Aussicht auf eine Veränderung. Die armen Menschen mußten doch untergebracht werden, trotzdem sind jetzt noch viele in Baracken oder auf Sälen untergebracht, und der Zustrom will kein Ende nehmen, namentlich aus dem Sudetengau.

Das Transportwesen liegt ebenfalls noch sehr im argen. Bei der Eisenbahn fehlt es an Lokomotiven und Wagen, so daß viele Züge ausfallen mußten, was den Personenverkehr sehr beschränkte, aber auch den Güterverkehr, besonders die Kohlenzufuhr erschwerte. Vieles von dem Wagenpark wurde von den Russen zum Abtransport von Plünderungsgut nach Rußland benutzt, um
   

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Deutschland nie wieder zu sehen. Für Reisen über 30 km mußte Genehmigung eingeholt werden.

Viele ehemalige Parteigenossen wurden im Laufe des Jahres in Haft genommen und in Lager gebracht, deren Angehörige in den meisten Fällen keine Nachricht erhielten und nicht wissen, in welchen Lagern sie sich befinden. Die Maßnahmen sind hart und meist durch die eigenen Volksgenossen durch Angeberei verschuldet. Uns persönlich liegen die Verhaftung unsers Sohnes Rudolf und unsers Neffen Martin Eppendorfer nahe, die bestimmt keine Verbrecher sind, um jahrelang wie Zuchthäusler behandelt zu werden. Wie viele der in den Lagern befindlichen Männer werden der geringen Ernährung und der Kälte des Winters von 46 zu 47 wegen krank werden und sterben, ohne daß ihre Angehörigen jemals eine Nachricht erhalten. Dabei können die Zeitungen in dem russischen Besatzungsgau sich nicht genug tun, die Maßnahmen der fremden Machthaber anzuerkennen und jede kleine Lockerung zu harter Befehle als eine Errungenschaft der SED zu preisen, während gleichzeitig andere Bestimmungen verschärft werden. Fast jeder Aufsatz in der Sächsischen Zeitung verlangt in den Schlußzeilen die völlige Vernichtung des Nazismus und Militarismus. Der erste große Prozeß gegen sogen. Kriegsverbrecher in Nürnberg endete mit 12 Todesurteilen durch den Strang. Vor dem Zusammenbruch und und während der Zeit des Hitlerregimes die führenden Männer in Deutschland, enden am Galgen. Hat die neuere Geschichte ähnliche Beispiele aufzuweisen? Weitere Prozesse werden folgen. An vielen Orten wurden Urteile gefällt, Todesurteile und schwere Zuchthausstrafen. Leider sind die Verurteilten nicht schuldlos. Die gemeine Behandlung vieler Gefangenen, Deutscher, Juden und anderer Völker, deren Mißhandlungen und Morden 
  

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durch Erschießen, Vergasen etc. müssen jedes Mitleid mit den Verurteilten ersticken, selbst, wenn nur ein Bruchteil der zugeschriebenen und durch Zeugen erhärteten Verbrechen nahe sind. Wenn solche Vorkommnisse, welche die regierenden Männer wissen mußten, geduldet wurden, dann haben sie vor der Welt eine furchtbare Schuld auf sich geladen und dem deutschen Volke an seiner Ehre und Ansehen schwer geschadet. Aber eine Verurteilung hoher Offiziere, die ihrem Fahneneid getreu im Kriege ihre oft sehr harte Pflicht erfüllt haben, welche auch strenge Maßnahmen verlangten, ist nicht zu verstehen. Haben die Heerführer und hohen Offiziere unserer Gegner, mit der Billigung ihrer Regierungen durch Terrorangriffe ihrer Luftwaffen auf die Zivilbevölkerung wehrloser Städte, welchen hunderttausende Greise, Frauen und Kinder zum Opfer gefallen sind, nicht auch schwere Schuld auf sich geladen, sind das dann nicht auch Kriegsverbrecher? Das grausamste Beispiel ist Dresden, wo in 2 Stunden eine der schönsten Städte Deutschlands in Trümmer gelegt wurde, wobei viele Zehntausende unschuldiger Menschen einen qualvollen Tod gefunden haben und unersetzliche Werte vernichtet wurden.

Wohl wäre noch manches zu erwähnen, aber es soll genügen, um unsere Lage im Jahre 1946 zu kennzeichnen. Was werden wir vom Jahre 1947 zu erwarten haben, wie wird das Friedensdiktat lauten?

1947.

Das Jahr begann mit starker Kälte die bis Mitte März anhielt, die Temperatur fiel bis -22°C, diese wirkte sich sehr nachteilig für viele Betriebe aus, die dadurch gezwungen waren, stillzulegen, da es an Kohlen fehlte. Die Bevölkerung litt unter der Kälte besonders schwer.
  

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Mitte Januar wurde durch Rundfunk und Zeitungen bekannt gegeben, daß die Lebensmittelkarten VI „Sonstige“ ab 1. Februar in Wegfall können und die Inhaber dieser Karte in Zukunft in der Karte für „Angestellte“ übernommen werden. Es bedeutet das ein Mehr an Brot 300 g statt 250 g, Nährmittel, Zucker, Fleisch 20 g statt 15 g, Fett 10 g statt 7 g.

Am 11. Januar hat eine vorläufig abschließende Beratung von der Sowjetischen Militärverwaltung über eine Verbesserung der Wirtschaftslage der deutschen Bevölkerung in der russischen Besatzungszone stattgefunden. Das Ergebnis gab Marschall Sokolowski bekannt und verspricht erfreulicherweise manche Erleichterung.

1. Abschaffung der Lebensmittelkarte VI „Sonstige“

2. Einstellung der Demontagen - Ausnahme 7 Kohlengruben, deren Maschinenanlagen zur Inbetriebsetzung russischer Kohlengruben verwendet werden, die von Deutschen zerstört wurden.

3. 200 Großbetriebe die anfänglich für die Demontage vorgesehen waren, bleiben in Deutschland, werden russische Aktiengesellschaften, 74 davon gehen in die Hände der Landesregierungen über.

4. Die Warenlieferungen für Reparationen werden zu Gunsten der deutschen Bevölkerung wesentlich verringert. Völlig frei gestellt sind die Erzeugnisse an Bedarfsgütern, an Schuhen, Kleidung und ähnlichen Produkten. Rohstoffe hierzu werden zu Reparationslieferungen nicht mehr in Anspruch genommen. Ausnahmsweise gelieferte Zellwolle wird durch Baumwolle entschädigt.
  

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5. Gesamte Kaliproduktion verbleibt von Reparationsleistungen befreit. Etwaiger Überschuß soll besonders für die Einfuhr von anderen hochwertigen Düngemitteln benutzt werden. Besserung der Ernährung dadurch möglich.

6. Handwerkern und Kleinbetrieben sollen zur besseren Versorgung von Bedarfsgütern mehr Rohstoffe und Werkzeuge zur Verfügung gestellt werden.

7. Die nach den Plänen des Kontrollrates für Produktion nach dem Nachkriegsstand der deutschen Wirtschaft festgelegten Ziffern sind völlig ungenügend. Diese sollen um das zwei- und dreifache dieses Planes erhöht werden.

Wenn diese Zugeständnisse wirklich durchgeführt werden, müßte sich unsere Lage im Laufe des Jahres 1947 in mancher Beziehung verbessern. Wir werden ja sehen, wie sie sich auswirken werden. Heute kurz vor Jahresende merken wir noch recht wenig davon.

Am 20. Januar starb mein Neffe Hans, der jüngste Sohn meines Bruders Johann im Alter von 49 Jahren an Lungenentzündung in Hainichen, wo er in der Stadtbrauerei beschäftigt war. Er war ein stiller und ruhiger Mensch, der vom Leben nicht viel gehabt hat. Seine Mutter hat er kaum gekannt, den Vater zeitig verloren, war er nur auf seine älteren Geschwister und fremde Menschen angewiesen. Mit 18 Jahren mußte er in den Krieg und war längere Zeit in französischer Gefangenschaft. Auch am 2. Weltkrieg hat er teilgenommen und kam wieder in Gefangenschaft. Sein einziger Sohn ist gefallen.  

Kurz darauf, am 31 Januar starb, ohne vorher krank gewesen zu sein, die Schwester der Mutter, Maria Eppendorfer. Sie wurde am 3. Februar einem kalten Wintertag beerdigt.
  

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Am 15. Februar starb nach kurzer Krankheit unsere Cousine Selena Seifert im 80. Lebensjahr, eine liebe, gütige Verwandte. Da sie keine Kinder hinterläßt, fällt ihr Nachlaß z. T. der Verwandtschaft von ihrer Seite zu. Ihr vor 13 Jahren verstorbener Ehemann ist im Grundbuch noch als Besitzer eingetragen, so daß ein Teil des Erbes an dessen Verwandte fällt. Die Beerdigung fand bei strenger Kälte in Zug statt.

Am 22. Februar, einen Tag nach Tauwetter, waren die Straßen wieder sehr vereist. Unsere Mutter hatte das Unglück, auf der Frauensteiner Straße schwer zu fallen, so daß sie nach Hause getragen werden mußte. Die Röntgenaufnahme ergab Beckenbruch. Nach 3 Wochen (2 davon im Krankenhaus) konnte die Mutter wieder nach Hause und zwar langsam, aber ständig wurde es besser. Nach 6 Wochen konnte sie ihre sämtlichen Geschäfte wieder selbst verrichten.

Nach Konrad's letzten Brief hofft er auf seine Entlassung im Mai. Hoffentlich wird er nicht wie schon so oft wieder enttäuscht.

Der anhaltende Frost des vergangenen Winters hatte in Kellern und Mieten viel Kartoffeln erfrieren lassen. Dadurch blieb die erhoffte Zuteilung des 3. Zentners Kartoffeln aus (nur 3 Pfd. auf den Kopf wurden verteilt). Dadurch war die Ernährungslage besonders schwierig trotz sehr guter Kartoffelernte im Herbst 1946.

Mitte Mai besuchte uns Alfred Schroot aus Hamburg, der Konrad jeden Tag erwartete. Der 3. Juni war der Tag, wo wir Konrad nach 3 ½ jähriger Trennung begrüßen konnten, Er war eine Woche hier und fuhr dann nach der Grovesmühle, wo über eine Anstellung entschieden
   

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werden sollte. Da Heinz zufällig auch einige Stunden von Riesa kam, konnten wir frohes Wiedersehen feiern. Am 21.6. schrieb Konrad aus der Grovesmühle, daß er dort zunächst wieder eingestellt sei, vorbehältlich späterer anderweitiger Verwendung.

Heinz hatte im Herbst 1946 den Auftrag erhalten, ein seit 1933 außer Betrieb befindliches Eisenwerk bei Eberswalde wieder betriebsfähig zu machen. Eine schwierige Aufgabe, da viele Maschinen und Geräte erst überholt werden mußten, Ersatzteile schwer zu beschaffen waren, da diese meist aus den Westgauen kamen, dazu die lange Frostperiode, die die Arbeiten sehr behinderte. Trotzdem ist der Betrieb in Gang gekommen, wenn auch oft Störungen vorkamen. Die Hoffnung, Heinz werde als Betriebsleiter angestellt werden, erfüllte sich nicht, er wurde entlassen. Ende August 1947 ist er mit vielen Deutschen verschiedenster Berufe nach Jugoslawien, wo er als Berater das Walzwerk eines größeren Hüttenbetriebes, welcher noch erweitert werden soll, angestellt, seine Familie in Riesa zurücklassend. Das älteste seiner Kinder, der Heinrich ist seit diesem Herbst in der Herm. Lietz- Heimschule Grovesmühle untergebracht, was Konrad hilfreich zustande gebracht, um ihn zu entlasten.

Die Vermutung, daß Rudolf aus dem Lager Mühlberg 1) nach Rußland gekommen sei, bestätigte sich. Seine Gattin erhielt ab Mai monatlich regelmäßig eine Postkarte von ihm. Wo Rudolf ist und wo er beschäftigt wird, darf er gewiß nicht schreiben.

Die Hoffnung, ein recht fruchtbares Jahr würde unsere Ernährungslage verbessern, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil, es folgte auf den strengen Winter ein trockenes Frühjahr und ein noch trockener Sommer. Von April bis Ende

1) Das vorherige Kriegsgefangenenlager Stalag IV B bei Mühlberg beherbergte während des 2. Weltkrieges insgesamt rund 300.000 Gefangene. Ende April 1945 wurde das Lager von sowjetischen Truppen besetzt und kurz darauf aufgelöst. Danach begann die Rote Armee mit der Inhaftierung ehemaliger Ostarbeiter, kriegsgefangener Rotarmisten und Angehöriger der Wlassowarmee auf dem Gelände, ehe diese in die Sowjetunion abtransportiert wurden.
Ende August/Anfang September 1945 wurde auf dem Gelände dann das sogenannte Speziallager Nr. 1 eingerichtet. Hier wurden unter Leitung des NKWD u. a. aktive Mitglieder der NSDAP, Angehörige der Gestapo, der Justiz, sowie hochgestellte Offiziere der Wehrmacht inhaftiert. Auch der damalige Betriebsleiter Pilz und der Rechnungsführer Karschel des  Herold'er Kalkwerkes sollen im Lager Mühlberg an der Elbe interniert worden sein, weil sie Zugführer beim Volksturm gewesen sind. 1946 wurde etwa 3.000 Inhaftierte in die Sowjetunion deportiert, wo sie wie Kriegsgefangene nach sowjetischem Standard behandelt wurden. Das Lager Mühlberg war kein Arbeitslager, jedoch wurden am 8. Februar 1947 ungefähr 1.000 noch arbeitsfähige, meist jugendliche Häftlinge in umgebauten Güterwaggons nach Sibirien in Arbeitslager verbracht.
Im Juli 1948 entließ die Lagerverwaltung fast zwei Drittel der Insassen, ohne dabei erkennbaren Regeln oder Richtlinien zu folgen. Für die Zeit von 1945 bis 1948 sind in den sowjetischen Akten des Speziallagers Mühlberg 6.765 Todesfälle verzeichnet (wikipedia.org).

   

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Oktober kein Regentag, nur einige schwache Gewitterschauer, der Himmel alle Tage wolkenlos, brannte die Sonne unbarmherzig, so daß nur wenig Heu geerntet wurde, aber kein Grumt und Weide nachwächst. Es fehlte sehr am Futter, weshalb viel Vieh abgeschlachtet werden mußte. Die Getreideernte war aber recht befriedigend und die Kartoffelernte nicht so schlecht, wie man befürchtet hatte, jedoch nicht so wie in (schwer leserlich?) Jahren. Es kamen für die Zeit von Oktober bis Ende Juli 1948 wieder nur 2 ½ Ztr. (400 g pro Tag) Kartoffeln zum Einkellern. Wenn auch durch Ährenlesen und Kartoffelnstoppeln etwas zusätzlich gewonnen wurde, so sieht man doch mit Bangen dem Frühjahr entgegen. Die Zuteilung von Heizmaterial ist ganz ungenügend, 40 Stck Naßpreßsteine, ¼ rm Holz, seit Oktober bis Ende Februar überhaupt nichts, wie soll eine Haushaltung damit auskommen. Ein Glück, daß der Winter nicht so streng war, wenigstens bis Ende 1947.

Am 15. November überraschte uns Konrad mit einem kurzen Besuch zu Mutters 76. Geburtstag und brachte schöne Äpfel und anderes mit.

Im Laufe des Sommers und Herbstes konnte ich manch zusätzliches von Verwandten und Bekannten nach Hause tragen.

Anfang November kehrte unser Neffe Martin Eppendorfer aus dem Lager Mühlberg heim, wo er volle 2 Jahre seiner Freiheit beraubt worden war.

Das Jahr 1947 hatte uns wenig Erfreuliches gebracht, wir sind nicht vorwärts gekommen, obwohl die Zeitungen viel von Aufbau schreiben. Weder in der Ernährungslage, vor allem nicht in Verkehrs- und Transportsachen. Eine Reise ist, wenn nicht ganz unmöglich, mit großen Schwierigkeiten und Gefahren verbunden, da die wenigen Züge überfüllt sind. Briefe sonst 1 – 2 Tage, jetzt 8 – 14 Tage Laufzeit.
  

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Das Jahr sollte nicht zu Ende gehen, ohne uns noch in ernste Sorge zu versetzen. Wie hatten wir uns gefreut, Konrad nach 3 Jahren zu Weihnachten wieder einmal bei uns zu haben. Es sollte das Letzte sein, was wir zusammen mit der Mutter verlebten, zwar einfach, aber (schwer leserlich?). Konrad und ich besuchten die Christmette im Dom. Dann saßen wir am Tisch, während das Christbäumchen seinen Lichterglanz über die Stube verbreitete. Konrad las die Weihnachtsgeschichte vor, dann spielte er Weihnachtslieder und andere gute Musik auf dem Klavier. Wir gedachten dabei an Rudolf und Heinz und deren Familien.

So hofften wir, das Jahr nicht besser beschließen zu können, als mit dem Besuch des Sylvestergottesdienstes in Jakobi 1). Auf dem Heimwege führte ich die Mutter, die sich seit dem schweren Sturz im vorigen Winter, sobald etwas Schnee lag, sehr unsicher fühlte, bis nahe an unsere Wohnung. Indem ich die Haustüre aufschloß, sagte Mutter etwas ängstlich: „Was ist denn mit mir, ich habe doch kein Gefühl in der linken Hand“, sie hatte gewiß zugreifen wollen. Ich führte Mutter die Treppe hinauf und bat Konrad, der uns hatte kommen hören, Mutter beim Ausziehen des Mantels und der Schuhe behilflich zu sein, da ihr nicht wohl sei. Einige Worte hat sie noch gesprochen, als wir sie aufs Sofa legten, aber bald trat Bewußtlosigkeit ein. Sie erbrach sich einige Male, aber nur gering. Konrad lief schnell zum Arzt, der auch bald kam und unbedingte Ruhe verordnete, ließ aber erkennen, daß der Zustand sehr ernst sei. Am anderen Tag holten wir unseren Hausarzt, der auch Ruhe anordnete, das Bette schlugen wir in der Wohnstube auf. So hat die Gute ohne Besinnung gelegen, bis zum Hohenneujahr, wo dann ¾ 10 ihr Herz zu schlagen aufhörte.

1) Gemeint ist die St. Jakobi Kirche in Freiberg, südwestlich des Stadtzentrums und damit zum Steigerweg am nächsten gelegen.

  

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Nur am 2. Tage, als ich an ihrem Bette stand, hatte sie die Augen aufgeschlagen, ich hielt ihre rechte Hand, die sie zwar etwas drückte und mich dabei ansah, aber ohne zu sprechen. Am 9.1.48 haben wir die Mutter in die Erde gebettet, wo sie von Kummer und Sorgen erlöst, in Frieden ruhen wird. Um mich ist es einsam und leer geworden, ich kann es nicht fassen, daß sie vor mir gehen mußte, der schwerste Schicksalsschlag in meinem Leben. 48 Jahre waren wir in Liebe verbunden, es bleibt mir im hohen Alter nichts erspart, und doch füge ich mich in Gottes heiligen Willen, der mir auch noch diese Prüfung noch auferlegt. Mit fremden Menschen, die schon fast 3 Jahre mit uns die Wohnung teilen, muß ich sehen, mich zurecht zu finden, was nicht immer leicht sein wird. Die Leute sind hilfsbereit und ehrlich.

Was wird uns das Jahr 1948 bringen, was dürfen wir von ihm erwarten? Gott allein weiß es.

1948.

Das Jahr 1947 hatte unsere Hoffnung, es werde etwas besser werden, nicht erfüllt, im Gegenteil, es ist schlechter geworden. Niemand hat etwas von den versprochenen Erleichterungen verspürt. Die Verheißung, es sollte niemand im Winter 1947/48 frieren und hungern, waren nur Vertröstungen, die Zuteilung von Holz und Kohle war kaum der Rede wert, ¼ rm Holz und einige Zentner Klarkohle, ½ Ztr. (schwer leserlich?) Koks war alles. Ich habe von Mitte Januar bis nahe an Ostern nicht heizen können, abends habe ich, in eine Decke gehüllt, bis zum Schlafengehen in der Küche gesessen, die wir des Kochens wegen, etwas warm
  

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hatten. Die Zuteilung von Nahrungsmitteln blieb weiter knapp. Es muß zugegeben werden, daß infolge des trockenen Sommers, das Wintergemüse fast völlig fehlte. Aber die Getreideernte war recht gut gewesen, aber die Allgemeinheit merkte davon nichts und wer nicht durch fleißiges Ährenlesen und Kartoffelnstoppeln, oder sich auf irgend eine Weise etwas Zusätzliches hatte beschaffen können, war recht schlimm dran.

Vom 16.-19.4. war ich in Riesa. Ilse und die Kinder Ulrike und Günter 1) waren gesund und wohlauf, die Zusendungen durch Heinz aus Jugoslawien erleichterten die Ernährungslage hilflich. Gewiß ist es für Ilse nicht leicht, allen Anforderungen, die das Leben heute an uns stellt, gerecht zu werden, aber so lange sie in der Wohnung bleiben kann, den Gemüsegarten hat, der allerdings auch viel Arbeit macht, ist sie mit den Kindern noch weit besser gestellt, als viele andere Frauen. Heinz schreibt, er sei überzeugt, richtig gehandelt zu haben, als er nach Jugoslawien ging, dadurch könne er seine Familie am besten vor Hunger schützen und selbst seine Spannkraft durch die bessere Lebensweise erhalten. Ob er für die Zukunft richtig gehandelt hat, wer kann es wissen. Die Frage, ob Riesa etwas Sicheres werden wird, ist schwer zu beantworten.

Noch immer warten wir sehnlichst auf Rudolf's gesunde Heimkehr. Gertrud hat es gewiß nicht leicht, nachdem sie sich in Heuersdorf wohnlich so leidlich eingerichtet haben, steht ein neuer Wohnungswechsel bevor, da das Gebäude zur Schule angerichtet wird und ein (schwer leserlich?) die Wohnung beansprucht. Sigrid, die noch gut auf dem Werk verdient, ist die Hauptstütze der Familie. Hanna 2) ist noch bei der Tierarztfamilie in Regis- Breitingen, hofft aber bald in

1) Bisher war in Emil Barthel's Erinnerungen nur der 1935 geborene Heinrich Barthel als Enkel aus der Familie des zweiten Sohnes genannt, hier erfahren wir nun, daß es noch zwei weitere Enkelkinder gab.

2) Sigrid und Hanna Barthel waren die beiden ersten Töchter seines ältesten Sohnes Rudolf Barthel.

   

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Leipzig ihre Ausbildung als Säuglingsschwester fortsetzen und beenden können.

Jetzt Ende Juni tritt die neue Währungsreform in Kraft, durch die wir die letzten Vermögensreste vollends verlieren. Eine Mark gilt noch 10 Pf., nur 70 Mark werden voll gegen neues Geld eingetauscht, am Ende eines langen Lebens steht man vor einem Nichts.

Am 24.10. waren Konrad und Ilse bei mir, Gertrud kam nicht, weil neuerlicher Umzug bevorstand, die Verteilung Mutters Kleider und Leibwäsche unterblieb deshalb. Hanna ist seit 1.10. im Leipziger Kinderkrankenhaus, wo es ihr gut gefällt.

Bei einem Besuch bei Böhme's in Langenstriegis erfuhr ich, daß Frau Zuleger (älteste Tochter Böhme's) am Himmelfahrtstag beerdigt worden ist, das letzte (Kind?) aus der Familie.

Kurz vor Johannis hat der Gärtner Pitzner Mutters Grab vorgerichtet und bepflanzt, es hat den ganzen Sommer über bis in den Spätherbst schön geblüht. Den Stein von Großmutters Grab, welchen ich für 10 Mk zurück gekauft habe, hat der Bildhauer Framsky vorgerichtet, indem er die zotierte Schriftfläche leicht gestuckt hat, da ein Abschleifen und Maugolieren 1½ – 2 Jahre dauern sollte, weil der Stein dazu hätte fortgeschickt werden müssen. Seit Anfang September steht der Stein.

Vom 4.-8.Dezember war ich wieder in Riesa, wo sich nichts verändert hatte.

Am 22.12. kam Konrad in die Weihnachtsferien, worauf ich mich schon lange gefreut hatte. Wir haben das Fest still verlebt in Erinnerung an Mutters letzte Lebenstage. So ging wieder ein Jahr zu Ende, ohne uns den ersehnten Frieden gebracht zu haben. Im Gegenteil, in Griechenland, China, Indonesien tobt der Krieg weiter, Amerika und England liefert die Waffen. Auch
  

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bei uns wird viel von einem neuen Krieg gesprochen, da die großen Mächte unter sich nicht einig werden. Die Zonengrenzen sind gesperrt, so daß jeder Verkehr unterbunden ist. Die Atombombe bildet das Tagesgespräch, die bis jetzt nur Amerika haben soll, die Wirkung derselben soll furchtbar sein. Deutschland ist in zwei Staaten zerrissen, das Ruhrgebiet abgetrennt, um von den Weststaaten ausgebeutet zu werden.

Im Erzgebirge hat der Russe den Bergbau neu aufleben lassen. Fieberhaft hat man die großen, wie auch kleinen ganz alten Halden mit Schürfgräben durchzogen, um nach Wismut und Pechblende zu untersuchen, Mineralien, die man früher wenig schätzte, jetzt aber zur Herstellung der Atombombe haben muß. Die 1913 eingestellten Freiberger Gruben hat man wieder aufgemacht und verfolgt die bekannten Erzgänge aufs Neue, mit welchen Erfolg, entzieht sich der Öffentlichkeit, es kann aber kosten, was es wolle, das Land muß die großen Summen aufbringen. Die Arbeiter und Angestellten werden sehr gut bezahlt. 1.000 Mk und mehr im Monat für Untertagearbeiter ist der übliche Lohn. Frauen übertage erhalten monatlich 300 Mk. Die Zuteilung von Lebensmittel ist weit höher, als die der übrigen Bevölkerung, auch Kohlen gibt man ihnen reichlich. Für Schnaps zahlt der Bergarbeiter 2 Mk für eine Flasche, sonst kostet eine Flasche über 50 Mk. Auch Rauchwaren bekommt er reichlich. Aber es soll ein Antreiber (schwer leserlich?) herrschen, nur viel schaffen, Sicherheit ist (Neben?)sache, daher auch die vielen Unfälle. Um hohe Leistungen zu erzielen, hat man die Hennecke- Bewegung 1) geschaffen. Ein Hauer dieses Namens hat im Steinkohlenbergbau eine außerordentliche Sonderleistung vollbracht, um die

1) Adolf Hennecke, Bergmann auf dem Karl Liebknecht- Schacht in Oelsnitz/Erzg., wurde vom Revierdirektor ausgewählt, um nach dem Vorbild des sowjetischen Bergmanns Alexei Stachanow eine Aktivistenbewegung in der Sowjetischen Besatzungszone (später DDR) zu initiieren. Hennecke war 43 Jahre alt, SED-Mitglied und hatte eine Parteischule besucht. Anfangs weigerte er sich, da er befürchtete, daß ihm die Arbeitskollegen diese Aktion übelnehmen könnten (was dann auch in Form des Rufes Normbrecher geschah). Aber später erklärte er sich bereit, seine Hochleistungsschicht zu fahren.
Hennecke förderte am 13. Oktober 1948 statt der üblichen 6,3 Kubikmeter (Hauer- Norm) in einer gut vorbereiteten Schicht 24,4 Kubikmeter Kohle. Die Abbaustelle hatte er sich am Tag zuvor ausgesucht. Damit erfüllte er die Arbeitsnorm mit 387 Prozent. Für diese Leistung erhielt Hennecke 1,5 Kilogramm Fettzulage, drei Schachteln Zigaretten, eine Flasche Branntwein, 50 Mark Geldprämie sowie einen Blumenstrauß des Kollektivs (wikipedia.org).

   

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Kohlenförderung zu steigern. Sofort hat das Bestreben auf andere Berufe übergegriffen und Wettbewerbe unter gleichartigen Betrieben sind an der Tagesordnung. Man nennt diese Arbeiter Aktivisten. Es ist Akkordarbeit, die man früher als „Mordarbeit“ bezeichnete.

Man hat freie Läden eröffnet, wo man Kohlen und einige Lebensmittel für teures Geld kaufen kann. Z. Bsp. 1 Ztr. Brikett 16 Mk, 1 ztr. Steinkohle 35 Mk, 1 Pfd. Kunsthonig 12 Mk, (Fleisch und Brot ist nicht frei).

Die Übergangszeit vom Frühjahr bis zur neuen Ernte brachte eine recht knappe Ernährungslage. Die Getreide- und namentlich die Kartoffelernte waren sehr gut. Trotzdem blieb die Zuteilung fast dieselbe. Aber die reichliche Gemüseernte hat doch viel geholfen, unsere Lage gegen das Vorjahr etwas zu verbessern, auch hofft man im Frühjahr auf zusätzliche Kartoffelzuteilung, wenn diese in Kellern und Mieten nicht durch Frost leiden. Noch manches könnte über das Jahr 1948 geschrieben werden.

Soll man mit mehr Hoffnung in das neue Jahr 1949 übertreten?

1949.

Noch während Konrad die Weihnachtsferien bei mir verlebte, kamen auf meinem Wunsch Gertrud und Ilse nach hier, um sich in Mutters nachgelassener Leibwäsche und Kleider zu teilen. Dies geschah, soweit ich feststellen konnte, im gegenseitigen Einverständnis. Konrad stellte bescheiden keine Ansprüche. Frau Schultz, welche mir zur Seite steht, erhielt außer Leibwäsche ein noch gutes blaues Kleid.

Am 17.1. schrieb mir Gertrud, daß sich Sigrid an ihrem 22. Geburtstag verlobt habe.
  

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Unsere Verwandte Irma Ronkert lag von November bis Januar im Krankenhaus – Herzschwäche. Nichte Irma in Hainichen ist am 21. März gestorben und am 25. beerdigt worden. Ich konnte nicht zur Beerdigung hin.

An meinem 79. Geburtstage überraschte mich Konrad mit seinem Besuch, er hatte das Ungemach der weiten Reise nicht gescheut, nur daß ich den Tag nicht einsam verleben müsse. Er beschenkte mich mit Lebensmitteln und überbrachte Grüße von seinem Chef Herrn Dr. Johannsen und die Einladung, während der Sommerferien 14 Tage Gast im Heim zu sein. Ich habe daraufhin vom 27.7 bis 9.8. in der Grovesmühle zugebracht. Konrad holte mich, damit ich die Fahrt nicht allein machen sollte. Man hat mich sehr freundlich aufgenommen, es waren wirkliche Erholungstage. Konrad hat mir das Heim in allen Teilen gezeigt und war sichtlich bemüht, daß ich keine Langeweile hatte. Wir machten kurze Ausflüge nach Wasserleben, Wernigerode und den Stapelburger Wald, ich allein nach dem Ilsenthal bei Ilsenburg. Den 2. Teil der Ferien verlebte Konrad hier.

Am Palmsonntag wurden beide Enkel, Lutz und Heinrich 1) konfirmiert. Da Konrad zu beiden Jungen Pate ist, haben wir uns geeinigt, daß er nach Heuersdorf und ich nach Riesa, wo auch die Mutter Pate war, gefahren sind. Lutz hat sich entschlossen, Bergmann zu werden, während Heinrich die Schule weiter besucht. Lutz, der am 1. September seine Bergmanns- Laufbahn antreten wird, besuchte mich, während Konrad noch hier war auf eine Woche.

Am 8.Juni besuchte mich ein alter lieber Freund,

1) Dabei handelte es sich zum einen um den jüngsten Sohn Lutz Barthel von Emil Barthel's ältestem Sohn Rudolf und dessen Gattin Gertrud und zum anderen um Heinrich Barthel, den erstgeborenen von Heinz und Ilse Barthel, dem zweiten Sohn Emil Barthel's.

  

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der Reg.- Amtmann Paul Plattner aus Dresden, er war mit mir während der Bergschulzeit in der Markscheider- Expedition im Bergamt, ging aber als Zeichner zur Eisenbahn.

Am 14. Juni bin ich wieder in Langenstriegis bei Böhme's gewesen, wo ich freundlich aufgenommen wurde.

Eine große Überraschung hatten wir am 22. August, Heinz stand plötzlich vor der Tür, eine große Freude, daß er gesund aus Jugoslawien zurück kehrte. Als Chef des Walzwerkes in Riesa, das noch im Aufbau ist, steht er vor keiner leichten Aufgabe, die er gewiß lösen wird. Wenn doch auch Rudolf endlich aus Rußland gesund heimkehrte, der Ärmste wird zu hart geprüft.

Im Gespräch mit Konrad habe wohl durchblicken lassen, wie gern ich sehen würde, wenn er nicht allein und heimatlos dastünde, wenn ich einmal die Augen für immer schließe. Da machte er mir in einem Briefe die freudige Mitteilung, er habe das weibliche Wesen gefunden, mit dem er hoffe, glücklich durchs Leben zu gehen. Er wolle sich bald verloben. Bald darauf im Oktober besuchte er mich und stellte mir seine Verlobte vor. Sie hinterließ den besten Eindruck auf mich und ich habe alle Hoffnung, daß seine Wahl eine glückliche ist. Als Musiklehrerin an der Grovesmühle haben beide Gelegenheit gehabt, sich gegenseitig zu prüfen. Ich wünsche ihnen von Herzen Glück und gebe ihnen gern meinen väterlichen Segen. Die für Anfang 1950 beschlossene Hochzeit mußte leider verschoben werden, da Sieglinde plötzlich erkrankte und seitdem im Krankenhaus zu Wernigerode bis zur völligen, hoffentlich baldigen Wiedergesundung liegt. Sie hat schon schweres Leid erfahren, da sie Vater und Schwester bei dem Angriff auf Dresden verloren hat. Die Mutter
  

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wohnt bei den Großeltern in Laubegast.

Lutz ist auf dem Böhlener Braunkohlenwerk als Anwärter für den Bergschulbesuch beschäftigt, wie man die Jungen dazu vorbereitet, finde ich sehr vorteilhaft. Er bekommt einen beruflichen Wochenlohn und Mittagessen und fährt mit der Bahn hin und zurück. Sein Anfang ist viel leichter, als der seines Vaters und Großvaters. Möge ihm eine glückliche bergmännische Laufbahn beschieden sein.

Endlich sollte unser aller sehnlichster Wunsch erfüllt werden, am 3. Dezember ist Rudolf heimgekehrt. Ein schöneres Weihnachtsgeschenk konnte es für seine Familie, seinen Vater und Brüder nicht geben. Wenn Rudolf auch eine längere Zeit brauchen wird, um sich zu erholen. Es hat sich so manches herausgestellt, aber wir dürfen hoffen, daß er wieder richtig gesund wird und seinem Berufe wieder nachgehen kann. Mit Konrad konnten wir in Heuersdorf mit Rudolf und den Seinen ein ruhiges glückliches Sylvester feiern, wenn auch aus Gedenken an Mutters letzte Tage einen Schatten auf unser Zusammensein warf. Ehe wir nach Heuersdorf fuhren, wohnten wir der Trauerfeier unserer lieben Verwandten Irma Ronkert bei. Sie war am 27. im Krankenhaus an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. Vier Cousinen sind innerhalb von 3 Jahren zur ewigen Ruhe eingegangen.

1950.

Konrad kam noch einmal kurz zu mir, nachdem er Linda zu ihren Angehörigen nach Dresden gebracht hatte. Schon am 27.1. stand ich schon wieder an der Bahre eines lieben Verwandten. Mein Vetter Oswald Haupt war im Alter von 83 Jahren gestorben. Als ich ihn wieder mal besuchen
 

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wollte, fand ich ihn in einem Zustand, der die Auslösung stündlich erwarten ließ, so daß er mich nicht mehr kannte und auch die Sprache schon verloren hatte. Mit ihm ist der Letzte meiner Generation mütterlicherseits heimgegangen, mit dem ich die Kinderjahre verlebt habe. Oft haben wir Erinnerungen an früheste Jugend ausgetauscht.

Am 26. März war es mir vergönnt, das 80. Lebensjahr zu vollenden und damit die Höhe des biblischen Alters zu erreichen. Wenn ich auf die lange Lebenszeit zurückblicke, so muß ich Gott dankbar sein, für so viel Gutes, was mir widerfahren, wenn auch harte Prüfungen nicht gefehlt haben. Man hat an diesem Tage meiner liebevoll gedacht, doch die größte Freude wurde mir durch die Anwesenheit meiner 3 Söhne nach langer Zeit.

Der Ostersonnabend war für uns schon wieder ein Freudentag. Im engsten Familienkreis fand Konrad's kirchliche Trauung in der kleinen Kirche zu Hosterwitz 1) statt. Standesamtlich war er schon in (schwer leserlich?) getraut worden. Einfach und schlicht, ganz in meinem Sinne, war die kirchliche Feier, die Großeltern der Braut hatten unter schwierigen Verhältnissen alles aufgeboten, um den Hochzeitstag ihres Enkelkindes recht schön zu gestalten. Rudolf mit Gertrud und Heinz ohne Ilse, die nicht wohl war, waren zugegen. Von der Brautseite nahmen teil, die Mutter, die Großeltern, die Tante mit Gatten und 2 Großtanten, außerdem eine Collegin der Braut. Wir lernten ausnahmslos recht liebevolle Menschenmengen

1) Hosterwitz ist ein Vorort von Dresden und gehört heute zum Stadtteil Loschwitz.

  

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kennen. Möge das Brautpaar eine glückliche Zukunft haben.

Am 25. Mai konnten wir schon wieder eine Hochzeit in stiller, schlichter Art feiern. Rudolf und Gertrud hatten Silberhochzeit. Außer Gertrud's Mutter und einer Cousine war niemand zugegen. Obwohl sie noch nicht lange in Heuersdorf wohnten, wurden sie von den Einwohnern reichlich beschenkt. Zwei Brüder feiern in einem Jahr Hochzeit, einer die silberne und einer die grüne. Wenn das die liebe Mutter erlebt hätte.

Konrad's Wunsch, versetzt zu werden, sollte in Erfüllung gehen, schon vor seiner Hochzeit erhielt er die Nachricht von seiner Versetzung an die Hermann- Litz- Schule auf der Nordseeinsel Spiekeroog 1). Die nächsten Wochen waren deshalb für ihn sehr arbeitsreich, nahm ihn der Schuldienst sehr in Anspruch, so machen die Vorbereitungen zur Übersiedelung das Maß der Arbeit übervoll. Anfang Juni glückte der illegale Übergang über die Zonengrenze bei Stapelburg, so daß sie ohne Hindernisse auf Spiekeroog angekommen sind, wo sie sich glücklich fühlen, wie aus Konrad's Briefen schließen läßt. Wann und ob ich mal beide wiedersehen werde? So sehr ich ihnen ihr Glück gönne, so sehr bedaure ich die große Entfernung und die Schwierigkeiten, die einem Besuch im Wege stehen. Sein Aufenthalt während der Ferien bei mir war das, was dem Wanderer in der Wüste die Oase ist.

Am 15. u. 16. August habe ich dem gastlichen Hause der Familie des Dr. Mangler in Laubegast einen Besuch abgestattet, wo ich äußerst freundlich aufgenommen wurde. Um mein Versprechen einzulösen, bin ich dann eine Woche später nach Reichenbach i. V. zu den Kindern meiner Schwester gefahren, wo ich 2 schöne Tage verleben konnte.

1) Die  Hermann Lietz- Schule auf Spiekeroog gibt es heute noch, weitere daneben in Haubinda, Hohenwehrda und Bieberstein (lietz-schulen.de). Auch die Schule in der Grovesmühle bei Ilsenburg im Harz gibt es noch heute, gehört allerdings diesem Schulverband nicht mehr an (grovesmuehle.de).

   

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Nachdem Heinz wieder nach Riesa zurückgekehrt war und seine Stellung wieder eingenommen hatte, glaubte ich, es werde alles wieder gut sein. Am 25.2. fuhr ich nach Riesa, um mich zu überzeugen, wie es ihm gehe. Heinz führte mich durch das Walzwerk und äußerte dabei seine Zufriedenheit über dessen Gang. Doch ich merkte bald, daß er überanstrengt war und allerhand Widerwärtigkeiten ihm zu schaffen machten. Die Bemerkung in einem früheren Briefe: „Ich bin bald am Ende.“ machte mich unruhig, und da ich auf meine briefliche Anfrage, was los sei, keine Antwort bekam, bin ich am 24.6. wieder nach Riesa. Nun legte mir Heinz ein Schreiben der VESTA 1) vor, aus dem ich erfuhr, daß Heinz wegen Nichterfüllung des Soll seines Postens enthoben war, man ihm aber, um seine anerkannten Fähigkeiten und Qualitäten nicht brach liegen zu lassen, eine Stellung auf einem anderen Werk anbot. Dies hat Heinz abgelehnt, weil er in ärztlicher Behandlung stand. Nach einiger Zeit hat bei einer Unterredung mit dem Hauptdirektor Grubner der VESTA, dieser Heinz zugestanden, daß auch unter anderer Leitung das Soll nicht hätte erfüllt werden können. Trotzdem bestand er darauf, daß Heinz mindestens ½ Jahr auf ein anderes Werk gehen solle, dann könnte er wieder in Riesa antreten. Da Heinz aber vom Arzt für solchen Dienst noch nicht frei gegeben wurde, bot ihm der Herr einen 4 wöchigen Erholungsurlaub mit der gesamten Familie auf Kosten der VESTA an. Das konnte Heinz nicht abschlagen, er hat den Urlaub in einem Sanatorium verbracht und hat ihm auch wohl getan. Nun konnte er nicht anders, er ging nach der Maxhütte in Unterwellenborn bei Saalfeld zur Unterstützung des technischen Leiters beim Bau einer neuen

1) Die Abkürzung VESTA stand für die VVB (Z) VESTA Produktion und Verarbeitung von Roheisen, Stahl- und Walzwerkserzeugnissen, mit Hauptsitz in Leipzig.

  

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Walzstraße. Heinz war nur kurze Zeit dort, als sich der technische Leiter Professor Dr. Ledlogetz (Nationalpreisträger 1949) mit seiner Familie über Berlin nach dem Westen abgesetzt hat. Derselbe Herr, der Heinz wahrscheinlich hingezogen hatte. Zur selben Zeit ist auch der Riesaer Werksleiter Pfrötzschner (Stalin und Nationalpreisträger) krankheitshalber seines Postens enthoben worden. Mit ihm hat sich Heinz gut gestanden und er war es auch, der Heinz wieder nach Riesa holen wollte. Zwar läuft der Vertrag mit Riesa noch, doch hat Heinz wenig Hoffnung, wieder nach Riesa zu kommen. Heinz ist in schwieriger Lage und er tut mir Leid, da er gewiß seine Pflicht voll erfüllt und auch sonst korrekt gehandelt hat. Ich hoffte, mich mit ihm austauschen zu können, wie seine Lage geworden ist, da er mich an einem der Weihnachtsfeiertage besuchen wollte, was ihm aber leider nicht möglich war, da er Dienst hatte.

Auch Rudolf konnte trotz aller Mühe noch keine Anstellung finden, immer war die Arbeitervertretung dagegen, gegen die auch die Direktoren nicht handeln können. So belasten mich Sorgen um Rudolf und Heinz weiter, die ich mit ihrer Rückkehr los zu werden gehofft hatte und muß sie mit ins Jahr 1951 nehmen.

1951.

Mit guter Hoffnung, aber auch nicht ohne Sorge bin ich mit Konrad und Linda in das neue Jahr eingetreten. Am 10. Januar erhielt ich von Konrad ein Telegramm: „Christian angekommen, alles gut!“ So waren unsere Hoffnungen erfüllt, und die Sorge, es möchte alles gutgehen, behoben. Gott sei Dank dafür, möge er Mutter und Kind weiter behüten und mein 7. Enkelkind gesund heranwachsen lassen,
  

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Am 1. März war ich in Laubegast, um Vater Dr. Mangler meine Glückwünsche zum 80. Geburtstage persönlich zu überbringen. Der alte Herr wurde sehr geehrt und es war eine schöne Geburtstagsfeier. Da Palma rum Ulrike konfirmiert wurde, bin ich nach Riesa gefahren, da sonst niemand aus unserer Familie der heiligen Handlung beigewohnt hätte.

Vom 24. bis 27. April war Rudolf bei mir. Er war arbeitslos und benutzte die anschließenden Urlaubstage, mich und die Verwandten in Venusberg zu besuchen. Zuvor hatte Sigrid Hochzeit im engsten Familienkreis gefeiert, da ihr Auserwählter ehemaliger Zwickauer Bergschüler ist, hält auch sie unsere bergmännische Tradition hoch. Auch Hanna überraschte mich mit einem 2 tägigen Besuch vom 25. u. 26. Juni, was mich recht gefreut hat. Darauf kam Gertrud von Venusberg, wo sie 14 Tage gewesen war und ihrer Mutter beim Umzug geholfen hatte. Bei mir wollte sie nur bis zum anderen Tag bleiben, was ich aber nicht zugelassen habe. Da ich am 30. wieder nach Dresden zu fahren vorgenommen hatte, um auch der Großmutter Mangler zum 74. Geburtstag zu gratulieren, ist Gertrud mitgefahren und wir haben schöne Stunden unter bereits bekannten Gesichtern verlebt.

Sonst ist der Sommer ohne besondere Vorkommnisse vergangen. Wenn ich auch gesundheitlich noch recht zufrieden war, so empfand ich doch eine fortwährende Müdigkeit und Trägheit und nur ungern ging ich an eine Arbeit. Deshalb bin ich
  

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auch nur wenig über Land gekommen und verschiedene Besuche, die ich geplant, sind unterblieben.

Um die kommenden Winterabende nicht wieder so einsam für mich werden zu lassen, habe ich mich entschlossen, Radio anzuschaffen, um schöne Musik und vom Weltgeschehen etwas zu hören. Von unserer S. Z. kann man nichts erwarten, als politische Artikel, lange Lesen kann ich meiner geschwächten Sehkraft halber nicht.

Vom 20. bis 23. Oktober war ich nochmal in Riesa, wo ich alle gesund antraf. Heinz war zu kurzem Besuch von Unterwellenborn da, so daß ich mich über vieles, besonders über seine Lage, mit ihm austauschen konnte. Das Getrenntleben von der Familie ist für beide Teile, besonders der Kinder wegen, recht nachteilig.

Wie gern hätten wir mit Mutter am 16.11. ihren 80. Geburtstag gefeiert, es wäre ein Familienfest geworden. Leider ist es uns nicht vergönnt gewesen. So bin ich recht allein an ihr Grab getreten und habe stille Zwiesprache mit ihr gehalten. Am nächsten Tage kam Rudolf, was mich sehr gefreut hat, und einige Tage auch Heinz auf einige Stunden, er war dienstlich behindert gewesen, um schon mit Rudolf zu kommen.

Konrad hatte mir schon zeitig im Sommer geschrieben, daß er hoffe, die Weihnachtsferien mit Linda und Christian in Laubegast und bei mir zu verleben. Als Heinz davon hörte, riet er ernstlich und dringend davon ab, da es für Konrad gefährlich sei, was ich Konrad geschrieben habe. Und da Heinz seine schweren Bedenken selbst Konrad geschrieben hat, hat er sich schwer enttäuscht, doch entschlossen, von der Reise abzusehen. Für uns alle eine Enttäuschung.
  

S. 200

1952.

Mit viel Hoffnung, wenn auch nicht ohne Zweifel, sind wir in das Jahr 1952 eingetreten, sollte es doch das Friedensjahr werden, doch heute, wo ich diese Zeilen niederschreibe, Anfang Oktober sieht es noch nicht danach aus. Stattdessen hat man die Abriegelung nach dem Westen durch eine 4 km Zone vom Osten her vertieft und viele Tausende aus Haus und Hof vertrieben oder verschleppt. Brutalster Menschenraub ist an der Tagesordnung. Täglich verlassen Hunderte über Berlin die Ostzone, darüber allein in Berlin im September 360 Volkspolizisten.

Die Westmächte wechseln Noten mit Moskau und verlangen freie Wahlen in ganz Deutschland und eine dadurch hervorgegangene Regierung, um in Friedensverhandlungen eintreten zu können. Moskau aber gibt freie Wahlen unter internationaler Kontrolle nicht zu, wie man da zu einer Einigung kommen soll, ist nicht abzusehen. Sieben Jahre steht die von den Russen besetzte Ostzone unter einem Druck schändlichster Art, die sogenannte Regierung erlaubt sich die niederträchtigsten Maßnahmen, weil ihr die Besatzung den Rücken stärkt. Viele Tausende Kriegsgefangene sind noch in Rußland und tausende sogenannter politischer
  

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Verbrecher füllen die Zuchthäuser und KZ- Lager, wer kann da noch mit Hoffnung auf friedliches Leben in die Zukunft blicken.

Ich will kurz anmerken, was sich in unserem Familienkreis im Laufe des Jahres zugetragen hat. Da war die erfreuliche Nachricht, daß Sigrid durch die glückliche Geburt eines gesunden Söhnchens mich zum Urgroßvater werden lassen. Möge es den jungen Eltern möglich sein, daß Kind in Liebe und Zucht groß zu ziehen, damit sie Freude an ihm erleben.

Am 1. u. 2. März war ich in Dresden, um der Feier des 81. Geburtstages Dr. Mangler's beizuwohnen. Der alte Herr wurde vielseitig geehrt und beschenkt.

Zu meinem 82. Geburtstage bin ich außer von Rudolf und Konrad von Verwandten und Bekannten beschenkt worden. Mein treuer Mitarbeiter in Herold, Herr Drechsler besuchte mich auf 2 Tage, was mich sehr gefreut hat. Ich hatte bestimmt mit dem Besuche von Heinz gerechnet, stattdessen gratulierte er nur in einem Briefe, ich fühlte mich an diesem Tage besonders einsam. Am 25.4. besuchte mich Heinz kurz, blieb über Nacht und fuhr am 26. früh nach Riesa. Ich bat ihn noch, mir öfter zu schreiben, was er auch versprach. Aber es verging Monat um Monat und ich bekam keine Post von ihm. Endlich im August kam ein Brief aus Nürnberg, worin er sein langes Schweigen
   

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klärte. Als er mich im April besuchte, hatte er die Zelte mit der Maxhütte schon abgebrochen und war auf der Fahrt über Riesa, Berlin nach dem Westen, ohne weder mir noch seiner Frau seinen Plan zu verraten. Das hat er getan, um uns nicht Unannehmlichkeiten zu bereiten, wenn etwas schief gehe, wir mit reinem Gewissen sagen konnten, daß wir von seinem Plan nichts gewußt hätten. Er habe gute Stellung, die ihn befriedige. Seinen Sohn Heinrich habe er nach einigen Wochen nachkommen lassen, habe ihn bei sich, er besuche eine höhere Schule. An den Werksleiter der Maxhütte habe er geschrieben, da man ihn aufs tote Gleis geschoben, habe er keine Befriedigung im Berufe mehr gefunden, dies sei der Grund seines Wegganges, politische Gründe liegen nicht vor. Man ist gegen seine Familie anständig gewesen, hat sie in Riesa in der Werkswohnung so lange gelassen, bis ihr eine andere Wohnung zugewiesen worden ist. Erst am 15. Oktober ist sie umgezogen. Was weiter mit Ilse und den beiden Kindern werden wird, wer kann es wissen. Ilse tat mir recht Leid, gern möchte ich mich mit ihr aussprechen. Für mich ist es bitter, zwei meiner Söhne nie wieder sehen zu können.

Gegen Ende Mai teilte mir Konrad mit, daß Linda sich anschickte, mit Christian nach
  

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Laubegast zu fahren, bald darauf erhielt ich von Linda eine Karte, daß sie gut angekommen und mich in Freiberg bald besuchen werde, aber ohne Christian. Ich aber wollte doch auch das Kind sehen, so bin ich nach Laubegast und habe die Pfingsttage dort schön verlebt. Das muntere Kind hat mir viel Freude gemacht. Da am 30.6. Frau Mangler ihren 75. Geburtstag feierte, bin ich noch mal nach Dresden, um ihr meine Glückwünsche darzubringen. Ich war früh zeitig in Dresden, und um nicht zu zeitig in Laubegast zu sein, bin ich durch die Prager- und Schloßstraße bis an die Elbe gegangen und mit Schiff nach Laubegast gefahren. Die nicht so schönen Straßen sind Häuser leer, nur einige Fassaden stehen noch. Es sind große Grünstücke angelegt, man kennt sich nicht mehr aus. Schloß, Hofkirche, Oper sind ausgebrannt, die Front des Schlosses steht noch, das Fenster unserer Wachstube ist erhalten, das Ganze ein trauriges Bild.

Bald darauf besuchte mich Brigitte Kohl, mein Patenkind, die als Saatgutassistentin in Gattersleben angestellt ist.

Da der Autoverkehr nach Hainichen günstig ist, habe ich den Sohn meiner verstorbenen Nichte Emma besucht, der die väterliche Bäckerei in Erben weiterführt. (26.August)
  

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Frau Böhme, Langenstriegis besuchte mich auf einige Stunden, gern habe ich Erinnerungen mit ihr ausgetauscht. Kurz darauf besuchte mich auf der Durchreise nach Dresden der Revierförster Preßler aus Thum, ein alter Bekannter. Ebenso konnte ich Gendarmerie Inspektor Häusler und Frau auf dem Bahnhof sprechen, sie hatten die Fahrt unterbrochen, um mich noch einmal zu sehen.

Am 4. Nov. erhielt ich durch Telegramm die Nachricht, daß Dr. Mangler gestorben sei. Ich war zur Beerdigung dort, die unter größerer Beteiligung stattfand. Frau Mangler nahm so herzlich Abschied von mir, daß ich mir sagte, du triffst die schwer leidende Dame lebend nicht wieder. Ich sollte Recht haben, schon Anfang Dezember erhielt ich die Nachricht von ihrem Ableben. Ein Vorbild für Hausfrauen und große Dulderin ist mit ihr zur ewigen Ruhe eingegangen. So stand ich schon wieder an der Ruhestätte zweier edler Menschen.

Weihnachten habe ich wie die letzten Jahre allein mit Schultze's erlebt. Rudolf, Konrad und die Reichenbacher hatten meiner gedacht. Überraschend kam auch ein Paket von „Mannel“
  

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(Heinz) aus Nürnberg. Sylvester war wieder der Tag stillen Gedenkens, als Sterbetag meines Vaters und der lieben Mutter Unglückstag.

  

Mit diesen Sätzen endet seine Handschrift.
Am 6. August 1953 verstarb Robert Emil Barthel 1).

  

1) Eine letzte Fußnote hierzu von uns: Wenn wir mit unseren Kenntnissen des Urheberrechts richtig liegen, hätten wir eigentlich noch anderthalb Jahre damit warten müssen, diesen Text zu veröffentlichen. Erst im August 2023 jährt sich der Todestag Emil Barthel's zum 70. Mal. Wer unser Transkript aber bis hierhin gelesen hat, wird uns wahrscheinlich zustimmen: Dieser Text beschreibt nicht nur ein paar Kapitel sächsischer Montangeschichte. Wenn man dieses Manuskript einmal zu lesen begonnen hat, legt man es nicht wieder weg. Gerade in Anbetracht der aktuellen Ereignisse wollten wir nicht noch warten, bis irgendwelche Fristen de jure verflossen sind, sondern diesen Beitrag jetzt veröffentlichen. Wir hoffen darauf, daß die Nachfahren, die es ganz bestimmt noch gibt, uns darin ebenfalls zustimmen, auch wenn es natürlich auch deren persönliche Familiengeschichte ist. Wenn Sie also Barthel heißen und aus dieser Familie stammen und unseren Beitrag lesen: Bitte melden Sie sich doch bei uns. Vielleicht können Sie uns ja auch noch mehr erzählen, was diese Erinnerungen ergänzen kann.

  


Faksimile der letzten Textseite mit seinen Erinnerungen an den Sylvesterabend 1952.

  


Die wesentlichen Stationen seines beruflichen Lebensweges haben wir hier einmal geographisch zusammengefaßt.

   

 
 
 

Epilog

  

Daß der Autor dieses Textes denselben Familiennamen trug, wie jener Oswald Barthel, der am 20. September 1568 nach seiner „langen Schicht“ in Ehrenfriedersdorf wieder aufgefunden worden ist, ist sicherlich purer Zufall.

Ein Leser dieses Textes faßte es in heutiger Zeit so zusammen: „Die Zeit, das zu lesen war nicht verschwendet.“ Freilich muß man sich dabei auf den Stil des Verfassers und auf die Zeiten, die er beschrieb, einlassen. Unser Gehirn ist so gestrickt, daß es mit der Zeit aussortiert“ und unangenehme Erinnerungen verdrängt ‒ deshalb wohl überwogen auch bei Emil Barthel die Erinnerungen an Reisen und Urlaubstage mit der Familie, namentlich aus seinen letzten Lebensjahren.

Kennt man seine gesamte Lebensgeschichte, kann man viele Meinungen und Haltungen, welche der Verfasser dieser persönlichen Erinnerungen über die selbst erlebten Kapitel der deutschen Geschichte äußert, einordnen und nachvollziehen. Zweifellos waren er und seine Familie in diesen Zeiten im Vergleich zu vielen anderen noch gut situiert. Außer Frage steht auch, daß diese Position nicht nur Beziehungen verdankt war, sondern auch harter Arbeit, entstammte er doch sehr einfachen Verhältnissen. Vielleicht war es für ihn der größte Glücksumstand, daß er als Betriebsleiter unabkömmlich gewesen ist und die Materialschlachten des 1. Weltkrieges nicht an den Fronten miterleben mußte. Vielleicht hätten sich seine Ansichten dadurch ja verändert. Aber das sind heute müßige Fragen. Ob wir heute seine Meinungen teilen oder nicht, ob wir sie für gut oder für unpassend befinden, das steht hier nicht zur Debatte. Mit diesen umfangreichen Aufzeichnungen hat uns Emil Barthel vielmehr ein Abbild seiner Lebenszeit hinterlassen, aus dem heute jeder seine eigenen Schlüsse ziehen muß.

Dennoch geht mir das eine oder andere durch meinen auch nicht mehr ganz jungen Kopf, wenn ich diese, vor heute schon wieder mehr als 70 Jahren niedergeschriebenen Zeilen lese. Umberto Eco hat es einmal sinngemäß so formuliert: Wir sind nur Zwerge und nur deshalb, weil wir heute auf den Schultern unserer Großeltern stehen, können wir weiter schauen, als sie. Oder anders ausgedrückt: Wer die Fehler seiner Vorfahren nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Europa ist gerade wieder einmal auf dem besten Weg dazu. Und auch dazu muß ich hier ein Zitat noch loswerden: Das erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit.

Wir wollen aber nicht philosophieren; das überlassen wir gerne anderen und bleiben lieber bei unserem Metier. Es ist aber auch da erstaunlich, wie sehr sich doch die Zeiten wiederholen: Auch heutzutage ist der Bergbau im Erzgebirge schon wieder mehr als 30 Jahre lang ‒ von nur wenigen, noch verbliebenen Betrieben abgesehen ‒ vergangene Geschichte, an die sich nur noch Alte erinnern. Es wird noch sehr viel Mühe kosten, den Bergmannsberuf lebendig zu erhalten, den unser kleiner Freistaat Sachsen nämlich noch sehr lange brauchen wird; allein schon dafür, um die zahlreichen Hinterlassenschaften des historischen Bergbaus sicher verwahren zu können. Es sei an dieser Stelle deshalb nur kurz von uns auch noch darauf hingewiesen, daß alle heutigen Anstrengungen, mit einer „Montanregion“ die Traditionen wachzuhalten, zum Scheitern verurteilt sein werden, wenn sie nicht auf den Schultern noch tätiger Bergleute ruhen und in deren Familien, und bei den vielen Menschen im Erzgebirge, verwurzelt bleiben.

Für uns ist dieser Text vor allem ein Zeugnis aus einem langen und erfüllten Bergmannsleben, aus dem wir nicht nur manche Details, etwa über die Ausbildung an der Bergschule an der Wende zum 20. Jahrhundert, oder über die Abläufe in der Betriebsführung der Kalkwerke, und dies aus einer sehr persönlichen Sicht eines leitenden Angestellten heraus, erfahren können. Wir würden Emil Barthel heute vielleicht einen „Insider“ nennen. Diese Sichtweise können uns die bergamtlichen Akten, die im Staatsarchiv bewahrt werden, einfach nicht bieten.

Nicht zuletzt erweist er sich anhand seiner Reisebeschreibungen auch als großer Naturfreund und manche der Wanderungen durch das Erzgebirge und das tschechische Nachbarland, die er beschrieben hat, die muß man heutzutage erstmal nachmachen...

Aus allen diesen Gründen war es uns wichtig, diesen Text nicht nur aufzubewahren und einzelne, thematisch zu unseren Beiträgen passende Auszüge aus seiner beruflichen Tätigkeit herauszugreifen und in unsere montanhistorischen Beiträge zu integrieren, sondern diesen Text insgesamt publik zu machen. Wir sollten vielleicht wieder viel mehr davon lesen, was unsere Eltern und Großeltern des Aufschreibens für wichtig genug erachtet haben. Um diesen Text dauerhaft zu bewahren, werden wir das an uns gekommene Exemplar deshalb geeigneteren Stellen für die Archivierung, Digitalisierung und weiteren Publikation zur Verfügung stellen.

Glück Auf!

Das Team vom „u. b.“

  

Zum Weiterlesen hier noch einmal der Verweis auf unsere Berichte zu einigen von Emil Barthel's Wirkungsorten:

Unser Bericht zum Kalkwerk Herold
Unser Bericht zu den Kalkwerken in Hammerunterwiesenthal
Unser Bericht zu den „Schwedenlöchern“ bei Flöha

   

Eins haben wir noch zu ergänzen:

Wir freuen uns sehr, daß auch die Jury der  Saxonia Freiberg Stiftung die Bewahrung und Publikation dieser Geschichte als einen Beitrag zur Bewahrung der Bergbautraditionen in unserer Region ansah. Wir durften uns deshalb darüber freuen, für die Erstellung dieses Beitrages im Sommer 2023 mit dem diesjährigen  Förderpreis der Stiftung geehrt zu werden.

    

 
 
 

Weiterführende Quellen

Hinweis: Die verwendeten Digitalisate des Sächsischen Staatsarchives stehen unter einer
 Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz.

  

         Allgemeine Quellen

  1. wikipedia.de / wikipedia.org (Ortsnamen, Bergschulen)

  2. peterhug.ch (historische Lexika)

  3. zanikleobce.cz (wörtlich: Untergegangene Orte, historisches Bildmaterial)

  4. boehmisches-erzgebirge.de (tschechische Ortsnamen, historisches Bildmaterial)

  5. deutschboehmen.de (tschechische Ortsnamen)

  6. riesengebirgler.de (niederschlesische Orte)

  7. lietz-schulen.de

  8. grovesmuehle.de

  9. Verein für die bergbaulichen Interessen im nordwestlichen Böhmen (Hrsg.): Der Braunkohlenbergbau in den Revierbergamts- Beziken Teplitz - Brüx - Komotau, Festschrift, gewidmet dem Allgemeinen Bergmannstage in Teplitz, bearbeitet von Dr. G. Schneider, im Verlag von A. Becker, Teplitz, 1899

  10. G. Kaufmann: Die Geschichte der Bergschule zu Freiberg in Sachsen. Ein Gedenkblatt herausgegeben von der Vereinigung ehemaliger Bergschüler anlässlich der Schließung der Freiberger Bergschule, Freiberg 1924

  11. Universitätsbibliothek der TU Bergakademie Freiberg: Kalender für den Berg- und Hüttenmann bzw. Jahrbücher für das Bergwesen im Königreiche Sachsen, Bergwerksverzeichnisse, Ausgaben 1827 bis 1942 (Digitalisate), daraus u. a.:
    - G. Kaufmann: Geschichtliches über die Freiberger Bergschule, in der Ausgabe auf das Jahr 1903, S. A106-126

  12. Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden:
    - Buchdruckerei und Verlagsanstalt Ernst Mauckisch (Hrsg.): Einwohner- und Auskunftsbuch der Bergstadt Freiberg, Brand-Erbisdorf (sowie weiterer Orte in der Umgebung, Freiberg, 1936
    - historisches Kartenmaterial

  13. Landesamt für Umwelt und Geologie (LfUG, Hrsg.): Bergbaumonographie Band 11: Der Braunkohlenbergbau im Südraum Leipzig, Dresden 2004

  14. TU Bergakademie Freiberg (Hrsg.): Stiftungen an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg in Geschichte und Gegenwart im Jubiläumsjahr 2015, Eigenverlag, Freiberg, 2015
     
     
    Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden
     

  15. Bestand 10002 (Urkunden der Finanzverwaltung), Nr. 01225: Kaufurkunde und Schenkungsurkunde über die Mineraliensammlungen und anderen Sammlungen des Bergrats Abraham Gottlob Werner in Freiberg, dat. 21.04.1814

  16. Bestand 10036 (Finanzarchiv), Loc. 39227, Rep. 33, Spec. Nr. 8399: Vertretung des Staatsfiskus in der Konkurssache der Gewerkschaft Zenit-Fundgrube in Oberschöna bezüglich des auf den Konkursgrundstücken eingetragenen Hypothekenkapitals für die Bergbaukasse in Freiberg in Höhe von 23000 Mark (Handakten Justizrat Geissler in Freiberg), dat. 1894

  17. Bestand 11052 (Amtsgericht Freiberg), Nr. 0277: Konkurs der Gewerkschaft "Zenit Fundgrube zu Oberschöna", dat. 1894-1898

  18. Bestand 12884 (Karten und Risse), Signatur.: Schr. 000, F. 182, Nr. 050: Plan von Freiberg, Lithographie, 1907
     
     
    Bergarchiv Freiberg
     

  19. Bestand 40001 (Oberbergamt), Nr. 2670: Reisestipendium namens "Glückauf-Stipendium" von Freiherrn von Burgk auf Roßthal für Sachsen, die die Bergakademie oder Bergschule Freiberg besuchen, dat. 1867-1881

  20. Bestand 40024-6 (Landesbergamt, Bildungsangelegenheiten), Nr. 6-218: Bergschulanstalt Freiberg, dat. 1887-1889

  21. Ebenda, Nr. 6-223: Bergschulanstalt Freiberg, dat. 1889-1891

  22. Ebenda, Nr. 6-219: Bergschulanstalt Freiberg, dat. 1891-1892

  23. Ebenda, Nr. 6-217: Bergschulanstalt Freiberg, dat. 1886-1887, darin u. a.: Vermächtnis des Hauptbergschullehrers Ritter Christian Friedrich Neubert und seiner Frau Christiane Wilhelmine geb. Hengst für eine Neubert-Stiftung an der Bergschule Freiberg.

  24. Ebenda, Nr. 6-145: Wettin- Stiftung, dat. 1890-1909

  25. Ebenda, Nr. 6-146: Wettin- Stiftung, dat. 1910-1932

  26. Bestand 40024-7 (Landesbergamt, Braunkohlenangelegenheiten), Nr. 171: Blumroda und Zedtlitz bei Borna, Braunkohlenwerke der Aktiengesellschaft Glückauf zu Borna später Aktiengesellschaft Glückaufschacht Blumroda und dann Kraft III der Niederlausitzer Kohlenwerke - Berechtigungsangelegenheiten, dat. 1884-1906

  27. Bestand 40024-9 (Landesbergamt, Direktorialangelegenheiten), Nr. 227: Feier zum 800jährigen Jubiläum des Hauses Wettin, dat. 1889-1890

  28. Bestand 40024-12 (Landesbergamt Freiberg, gewerbliche Gruben), Nr. 460: Kleinwaltersdorf, Schwerspatgrube Morgenröte der Hilgenberg & Götze AG, dat. 1923-1930

  29. Bestand 40024-23 (Landesbergamt Freiberg, Unfallangelegenheiten), Nr. 445: Unfallerörterungen und Unfallanzeigen, dat. 1931-1937

  30. Bestand 40027 (Oberbergamt Freiberg), Nr. 1389: Sudetenland, einzelne Gruben, dat. 1932-1942

  31. Ebenda, Nr. 3-441: Gewerkschaft Elbe- Kohle, dat. 1939-1945, Enthält u.a.: Eigentümer der Grube Emanuel in Serbitz, Zulegung von Grubenmassen Elbe II und III, Zulegung von Emanuel Zeche- Brucher Kohlenwerk, Vertrag zwischen der Sudetenländischen Bergbau AG und Dr. Horst Averbeck in Berlin.

  32. Ebenda, Nr. 3-266: Kauf von Grubenmassen von Lasek und Sudetenberg durch Averbeck - Teplitz- Mariascheiner Braunkohlengruben Emanuel, Averbeck und Co. in Serbitz, dat. 1942-1943

  33. Ebenda, Nr. 3-351: Einverleibung der einfachen Grubenmasse Segen Jesu und Christine in Karbitz durch Teplitz Mariascheiner Braunkohlengruben Emanuel, Serbitz, dat. 1944

  34. Bestand 40030-1 (Akten der Staatlichen Lagerstättenforschungsstelle), Nr. 1160: Schwerspat, allgemein, dat. 1934-1943, enthält u. a. Morgenröte und Konstantin Fundgrube bei Kleinwaltersdorf

  35. Bestand 40044-7 (Generalrisse, Verleihkarten), Nr. i346: Bräunsdorf, Oberschöna, Kleinwaltersdorf, Wegefarth, Großschirma, Langhennersdorf, dat. 1922-1937, enthält: Neue Hoffnung Gottes Fundgrube, Glück auf Fundgrube, Neu Konstantin Fundgrube, Konstantin Fundgrube, Süd Konstantin Fundgrube (vormals Morgenröte Fundgrube), u. a.

  36. Ebenda, Nr. c1285: Großvoigtsberg, Bräunsdorf, Großschirma, Freiberg, Krummenhennersdorf, Naundorf, Niederbobritz, Oberbobritzsch, Lichtenberg, Müdisdorf, Brand- Erbisdorf, Langenau, Memmendorf, Frankenstein, undat., enthält: Feld des Rothschönberger Stolln, Felsenbachzeche, Halsbrücker Bergbau, Alte Hoffnung Gottes, Gesegnete Bergmannshoffnung, Christbescherung Erbstolln, Neue Christbescherung, Kurprinz Friedrich August Erbstolln, Beihilfe Erbstolln, Oberes neues Geschrei, Kreuzermark Fundgrube, Himmelfahrt Fundgrube Nord, Himmelfahrt Fundgrube Nordwest, Berg Zion Stolln, Neu Konstantin, Süd Konstantin, u. a.

  37. Bestand 40050 (Bergamt Dresden), Nr. 233: Zenit Fundgrube bei Oberschöna, dat. 1872-1890

  38. Bestand 40055 (Hauptbergkasse Freiberg), Nr. 24: Neubert- Stiftung, dat. 1884-1925

  39. Ebenda, Nr. 162: Wettin- Stiftung, dat. 1890-1925

  40. Bestand 40063 (Bergschule Freiberg), Bestandserläuterungen

  41. Ebenda, Nr. 7: Geschäftsberichte, dat. 1885-1918,
    enthält u. a. Namenslisten von Bergschülern, die Abgangszeugnisse, Stipendien, Bücherprämien und mündliche Belobigungen erhalten haben.

  42. Ebenda, Nr. 739: Anstellung der Markscheider zu Freiberg, dat. 1854-1859

  43. Bestand 40108 (Billdmaterialien aus dem sächsischen Steinkohlenbergbau), Nr. T4870: 25-jähriges Betriebsjubiläum des Steinkohlenbauvereins Kaisergrube zu Gersdorf, dat. 1896

  44. Bestand 40154 (Vereinigung ehemaliger sächsischer Bergschüler), Nr. 2: Dokumente zur Geschichte der Freiberger Bergschule und der Vereinigung ehemaliger Bergschüler, Revier Freiberg, dat. 1875-1952

  45. Bestand 40174 (Grubenakten des Bergreviers Freiberg), 460: Butzes Schwerspatgrube, ab 1924 Morgenröte in Kleinwaltersdorf, dat. 1913-1929

  46. Ebenda, Nr. 1248: Große Hoffnung Fundgrube bei Oberschöna, dat. 1852-1872

  47. Ebenda, Nr. 1077: Dorothea Erbstolln bei Oberschöna, dat. 1866-1873
     
     
    Betriebsakten der Kalkwerke Herold und Hammerunterwiesenthal
    aus dem betreffenden Zeitraum:
     

  48. Bestand 40024-12 (Landesbergamt, gewerbliche Gruben), Nr. 12-159: Herold bei Ehrenfriedersdorf, Kalk- und Marmorwerk des Herrn Eduard Böhme, dat. 1899-1922

  49. Ebenda, Nr. 12-148 und 149: Hammerunterwiesenthal, Kalkwerk der Firma Karl Eduard Böhme, dat. 1893-1938

  50. Ebenda, Nr. 12-150 und 151: Hammerunterwiesenthal, fiskalisches Kalkwerk, dat. 1900-1938

  51. Bestand 40053 (Bergamt Stollberg), Nr. 128: Kalkwerk von Böhme in Herold betreffend, Königl. Berginspektion Freiberg III, dat. 1900-1930

  52. Ebenda, Nr. 115 bis 118: Kalkwerk Hammerunterwiesenthal, dat. 1900-1938

  53. Ebenda, Nr. 120 bis 126: Kalkwerk Hammerunterwiesenthal, dat. 1938-1947